Staatsschulden

„Sparen“ bedeutet in der Ökonomie etwas Anderes als „einen Kredit gewähren“. Sparen bedeutet, einen Teil des real existierenden Kapitals nicht zu „vernichten“ (z.B. durch Konsum oder Dividendenausschüttung), sondern ihn aufzubewahren, um damit zu einem späteren Zeitpunkt etwas Sinnvolles zu machen. Dementsprechen können (und sollten im Allgemeinen) alle Wirtschaftssubjekte gleichzeitig sparen.

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Du argumentierst aus einer einzelwirtschaftlichen Sicht. Für jeden individuell kann Sparen durchaus sinnvoll sein. Wenn jedoch jedes Wirtschaftssubjekt bei jeder Transaktion einen Teil des Einkommens aufbewahrt, wird dieser Teil rein logisch der Nachfrage entzogen (sofern es auf der Gegenseite niemand als Kredit „verwendet“). Du würdest also sagen, dass die von mir oben verlinkten Ökonomen grundsätzlich falsch liegen und die Saldenmechanik die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht zutreffend abbildet. Dann aber ist die Frage, wo genau deren Fehler liegt.

Der Zustand, dass alle Sektoren sparen, ist nicht erreichbar.
Das zwei Gründe:

  1. Es wird immer Konsumausgaben und Betriebsausgaben geben. Damit ist ein minimaler Wirtschaftskreislauf immer im Gang
  2. Wenn alle Sektoren sparen würden, dann sinkt die Nachfrage nach Gütern, was zu Arbeitslosigkeit führt. Wenn der Staat nicht seine Bürger verhungern lassen möchte, dann muss er einen Ausgleich schaffen (Arbeitslosengeld oder Ernähungsprogramme usw.). Da der Staat aber weniger Einnahmen (weniger Güter handel, weniger Steuern) haben wird, muss er automatisch sich Verschulden.

Es gibt noch das Argument der Zinsen, aber wie gesagt, diese Volkswirtschaftenlichen Systeme sind hoch komplex und zu Teilen hoch fragil, wie die Bankenkrise gezeigt hat.

Zwei Fragen:

  1. Unser Wirtschaftssystem ist doch darauf ausgelegt, dass „die Wirtschaft“ immer wachsen muss. Das heißt, dass alle Unternehmen zusammen mehr Gewinn als Verlust machen. Das heißt, dass sie alle zusammen am Ende mehr Geld haben als vorher (z.B. im Vorjahr). Davon abgezogen sind schon alle Ausgaben inklusive Steuern usw. Ist das richtig?
  2. Wenn eine möglichst fixe Gesamtsumme an Geld das Ziel ist - und das ist ja die Grundannahme, da sonst sparen keinen Sinn machen würde - woher kommt dann das Geld, das die Wirtschaft gewinnt? Wird das dem Staat entzogen oder den Bürgern? Da wir ja nicht wollen, dass die Bürger immer weiter verarmen, muss es ja vom Staat kommen. Das hieße aber, dass der Staat verarmt, weil er kein Geld schöpfen soll, da das Schulden sind. Irgendwann wäre der Staat aber bei Null angekommen, d.h. die Wirtschaft kann nirgends mehr Geld entziehen. (Sie könnte theoretisch das Gleiche beim Bürger machen, aber der kommt am Ende ja auch irgendwann bei Null an, aber die Wirtschaft wäre schon lange eingebrochen, weil niemand mehr Geld hat, um zu konsumieren.) Sie wächst nicht weiter, was zum Zusammenbruch führt, da unser System nur dynamisch stabil ist (es muss immer Wachstum geben). Ist es also richtig zu sagen, dass der Staat Schulden machen MUSS, damit die Wirtschaft Gewinn erzielen kann, wodurch sie wächst, wodurch unser System am Leben bleibt?

Solange investiert wird (in Schulen, Bahn etc.), sind Schulden kein Verlust und gehen nicht zu Lasten der zukünftigen Generationen. Ganz im Gegenteil. Die FDP-Position erscheint mir im Punkt „Schulden“ so gar nicht liberal.

Differenzierte Gegenmeinung zur FDP-Position, findet ihr bei Adam Tooze:

bei Markus Lanz

bei Jung und Naiv

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Sie ist fachlich einfach falsch. Daran erkennt man, wie wenig Sachverstand in dieser sogenannten Wirtschaftspartei steckt. Zumindest sind Sie da auf einem Level mit der Union.

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Das ist jetzt leider zu unter-komplex dargestellt.

Im Prinzip ja, aber hier sind mehrere Faktoren nicht drin. Es gibt eine Vielzahl an Volkswirtschaften die unter sich in einer Abhängigkeit sind. Zum Beispiel kann die EU Volkswirtschaft wachsen und die Staaten der EU sich entschulden. Das passiert, wenn eine andere Volkswirtschaft die Güter kauft. Eine positive Handelsbilanz führt dazu.
Wenn jetzt alle Volkswirtschaften aufhören zu „wachsen“ (was per se nicht möglich ist, da Güter immer ersetzt werden müssen und der technologische Fortschritt ebenfalls zu Wachstum führt; außerdem wird das Wachstum am BIP bemessen, was wieder sehr fragwürdig ist), dann wäre die Aussage richtig.

Punkt 2. Wir haben ein FIAT Geldsystem. Damit bitte einmal beschäftigen, denn es klärt die Frage.

Was haben Schulden mit Verlust zu tun? Schulden ist eine Erhöhung der derzeitigen Liquidität mit fremden Mitteln. Ein Verlust ist eine Wertevernichtung. Ich brauche keine Schulden um einen Verlust zu machen. Ich kann auch einen Gewinn mit Schulden machen. Das sind komplett Unterschiedliche Dinge.

Investitionen die durch Aufnahme von Schulden getätigt werden sollten immer eine langfristige positive Wirkung haben. Durch Schulen wird das Humankapital erhöht, was zu höherer Produktivität oder neuen Produkten führt, welche sich zu höheren Einnahmen und ggf. Gewinnen auswirken, welche dann höhere Steuereinnahmen zur Folge haben, womit die Schulden dann getilgt werden.
Man kann auch Philosophisch oder Soziologisch argumentieren, dass sich der Lebensstandard verbessert der Bevölkerung verbessert.

Die zukünftigen Generationen haben die Zinslast der heutigen Schulden zu tragen.
Nun kommt es darauf an, ob die Zinslast geringer ist, als die „Auszahlung“ der Investition. Bei Schulen und Infrastruktur ist das meistens der Fall.

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Das meiste gesparte Kapital wird im nächsten oder in späteren Zeitschritten investiert werden, entweder indem ein Kredit gewährt wird oder indem man es selbst als Produktionsmittel nutzt. Das Kapital steht folglich weiterhin „der Nachfrage“ zur Verfügung, nur eben der Produzentennachfrage und nicht der Konsumentennachfrage.

Das Verständnisproblem mit „der Staat spart“ hängt damit zusammen, dass es unintuitiv ist, wie ein Staat überhaupt konsumieren (d.h. nicht sparen) kann. Ein plastisches Beispiel für Sparen versus Konsumieren: Ein Staat besitzt eine funktionierende Brücke. Er könnte sie nun sprengen, weil seine seltsamen Bürger eine kurzfristige, starke Befriedigung verspüren, wenn sie bei einer Brückensprengung zuschauen (= „der Staat konsumiert“). Alternativ könnte der Staat die Brücke auch stehen lassen und mit diesem Produktionsfaktor „Infrastruktur“ nächstes Jahr ein höheres BIP einnehmen (= „der Staat spart“).

Ein Staat spart genau dann, wenn der Nettowert seiner Produktionsfaktoren abzüglich seiner Verbindlichkeiten zunimmt (externe, zerstörerische Schocks wie Kriege und Kometeneinschläge mal ausgeblendet). Zu den Produktionsmitteln gehört u.a. die real existierende Infrastruktur und das real existierende bzw. zu erwartende Humankapital seines Staatsvolks.

Mit Blick auf die marode Infrastruktur und den Zustand des Bildungssystems kann man zu der Hypthese gelangen, dass Deutschland aktuell eine negative Sparquote hat, d.h. seinen Bestand (und damit seine wirtschaftliche Grundlage) konsumiert.

Diese Einschätzung ist unabhängig von der Höhe der Staatsschuld. Sogar ggf. im Gegenteil: Wenn der Staat die Option für eine lukrative Investition hat (z.B. ein besseres Schienennetz), dann könnte und sollte er heute Schulden aufnehmen, um damit seine Sparquote zu erhöhen!

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Nicht ganz, das Ziel ist 2% Inflation europaweit.

Einmal aus der Inflation ( das Geld ist weniger wert, die Preise steigen, und damit entsteht bilanztechnisch Gewinn). Das hat ja auch mit Geldschöpfung der EZB zu tun, die findet ja weiterhin statt. Dann aus dem Export, denn jedes Land misst ja für sich selbst. Da kommt auch Deutschlands Wachstum und Reichtum größtenteils her.

Die Schulden des einen sind das Vermögen des anderen. Innerhalb der Wirtschaft eines Landes kann es also nur ein Nullsummenspiel geben.

Ok, „Verlust“ ist das falsche Wort. Ich denke, wir sind uns einig.

Wir haben weltweit ein FIAT Geldsystem. Die Inflation hat mal null und nichts damit zu tun, dass die Geldmenge im System automatisch erhöht wird. Die EZB kann die Umlaufende Geldmenge beeinflussen, sie kann aber die Vermehrung der Geldmenge nicht anhalten. Dafür müsste es wieder einen Goldstandard geben.

Nein, die Handelsbilanzen haben nichts mit dem Geldsystem zu tun. Handelsbilanzen bestehen zwischen Volkswirtschaften, nicht zwischen Ländern.

Nein, es ist niemals ein Nullsummenspiel innerhalb der Wirtschaft eines Landes. Es ist nicht einmal ein Nullsummenspiel innerhalb einer Volkswirtschaft.

Bitte VWL nicht mit BWL verwechseln. Es klingt stark danach.

Das ist nun wirklich widersprüchlich. In der Zeitperiode, in der gespart wird, steht es der Nachfrage NICHT zur Verfügung. In der Zeitperiode, in der entspart wird, steht es der Nachfrage dann zur Verfügung. Das heißt: Sparen gleich wegfallende Nachfrage; Entsparen bzw Schulden gleich Rückfluss in die Nachfrage.

Auch das ist falsch. Die Definition an Produktionsfaktoren zu knüpfen, habe ich noch nie gehört. Genauso kann der Staat sparen weil er seine Konsumausgaben senkt, ohne die Produktionsfaktoren irgendwie zu berühren.

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@vieuxrenard

Wie Ihr an obiger Diskussion seht, scheint das Thema der Staatsschulden für wahnsinnige Verwirrung zu sorgen - insbesondere, da die ökonomischen Grundlagen offenbar wenig bewusst sind. Umso notwendiger wäre eine tiefgehende journalistische Einordnung der Zusammenhänge.

Die Medienlandschaft in Deutschland ist in diesem Punkt wirklich schwach aufgestellt, obwohl es angesichts der politischen Implikationen ein so zentrales Thema ist. Würde mich freuen, wenn Ihr hier die positive Ausnahme bildet.

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Der Meinung bin ich (und die o.g. internationalen Top-Ökonomen) auch. Jetzt wissen wir aber aus der Empirie, dass Haushalte und Unternehmen sparen. Wenn wir nicht wollen, dass das Ausland weiter Schulden bei uns macht, muss der Staat Schulden machen.

Nochmal: der Staat MUSS rein buchhalterisch Schulden machen unter den aktuellen Voraussetzungen.

Und mit dieser Erkenntnis kann man dann weiter diskutieren, wo das Geld am sinnvollsten eingesetzt wird. Aber wir können uns die Diskussion, ob sich der Staat überhaupt verschulden soll, schlicht sparen.

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Habe ich auch nicht behauptet. Ich habe eine Antwort auf die Frage gegeben, ob das Ziel eine fixe Gesamtsumme and Geld ist.

Was ist denn bei dir der Unterschied bei diesen Fragen zwischen Volkswirtschaften und Ländern?

Kannst Du mir das erklären?

Das meiste gesparte Kapital wird derzeit angehäuft, vermehrt und an die nächste Generation weitervererbt. 400 Milliarden Euro werden pro Jahr vererbt. Das wenigsten davon fließt in irgendeiner Form in den Sozialstaat zurück, weder durch Konsum, noch durch Investitionen, die nicht der Vermehrung des eigenen Kapitals fließen.

Somit wird dieses Geld tatsächlich dauerhaft dem System entzogen.

Nicht in einer globalisierten Welt.

Ich weiß nicht, was damit gemeint ist, dass „eine fixe Gesamtsumme an Geld das Ziel ist“, aber prinzipiell ist Geld nichts anderes als ein allgemein anerkannter Schuldschein, welcher effektiv aus dem Nichts entstehen kann.

Am Anfang der Wertschöpfung, steht die Produktion. Wenn ich Gemüse anbaue und dieses handele, ist dieses Gemüse letztendlich aus dem Nichts entstanden und ich bemessen meiner Arbeit einen gewissen Wert, den ich im Gegenzug dafür erhalte. Die Höhe dieses Werts wird durch Angebot und Nachfrage geregelt.
Das Geld, das dafür den Besitz wechselt, wird formal erstmal weder dem Staat, noch dem Bürgern entzogen - zumindest im Idealfall. Ausbeutung, Subventionen, Steuerhinterziehung, Wucher aber natürlich auch das Sozialsystem, Infrastruktur etc. verkomplizieren natürlich dieses System

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https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/10868695/2-19052020-BP-DE.pdf/e497c170-dc0b-d74f-3c3e-0b5fb4cdae76
Ganz einfaches Beispiel: Die EU ist eine Volkswirtschaft, aber kein Land. Den Rest bitte in der Fachliteratur nachlesen.

Volkswirtschaften sind in sich dynamisch. Durch das FIAT Geld, durch den Zinsen, durch Güterströme, durch Werteänderungen kann es diesen Ausgleich nicht geben.
Ein einfaches Beispiel: Ein Haus wird für 100€ gekauft. Die 100 € sind als Kredit aufgenommen. Ein Tag später brennt das Haus nieder. Das Vermögen (Haus) ist auf 0€ gesunken, während die Schulden (Kredit) noch bei 100€ stehen.
Das ist nun extrem simplifiziert, weil viele Effekte weggelassen wurden.
Und ich habe noch nicht einmal mit den Abhänigkeiten von Volkswirtschaften untereinander begonnen.

Aber Geld, das dem System entzogen wird, wertet das verbleibende Geld auf. Es mag also entzogen sein, hat auf den Geldkreislauf aber nur insofern Auswirkungen, dass das verbleibende Geld eine höhere Kaufkraft bekommt. Geld, das die EZB zum Beispiel in Aktienmärkte pumpt, gleicht das wieder aus.
Die Gefahr, die ich da immer sehe, ist die Macht, die die Halter dieser Vermögen haben. Sie könnten von einem Tag auf den anderen die Wirtschaft mit ihrem Geld fluten und eine Rezession auslösen.
So positiv die Lage für den Staat im Moment ist (das entzogene Geld stärkt die eigene Währung) so unangenehm ist der daraus entstandene Kontrollverlust.

Von den 400 Milliarden sind aber vermutlich der Großteil Sachwerte.
Nichts desto trotz beträgt das Barvermögen deutscher Haushalte 7 BIllionen €, davon 2,5 Billionen € in der Altersvorsorge langfristig gebunden.

In der Volkswirtschaftslehre wird in diskreten Zeitschritten modelliert. Zu einem Zeitpunkt wird eine Entscheidung getroffen und im nächsten Zeitschritt die Entscheidung umgesetzt. Wenn Sie wollen, können Sie das diskrete Zeitintervall auf 1 Planck-Zeit setzen. Ich hoffe, das klärt alle vermeintlichen Widersprüche auf.

Nicht alles, von dem man nicht gehört hat, ist falsch…

Korrekt: Die Brücke nicht sprengen (d.h. „ohne sie zu berühren“), spart diese Infrastruktur-Komponente für eine spätere Nutzung.