Die gemeinsame Plattform für die Koalitionsverhandlungen, auf die sich Union und SPD laut Berichten geeinigt haben, liest sich leider genau so wie erwartet: Zumindest der Darstellung nach liegt ein Schwerpunkt auf Migration und Verteidigung, während einige drängende Probleme gar nicht erst erwähnt werden.
Und verstehe ich es falsch, oder hat die SPD nun in diesem „Kompromiss“ genau dem zugestimmt, was sie bei der gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD im Bundestag Ende Januar noch als „rechtswidrig“ abgelehnt hat?
Sondierungspapier [Quelle]:
Menschen, die ein Asylgesuch stellen, sollen künftig an den Landesgrenzen zurückgewiesen werden. Dies soll in Abstimmung mit den europäischen Nachbarländern geschehen.
SPD-Bundestagsfraktion am 30.1.2025 [Quelle]:
Dauerhafte Grenzkontrollen oder die grundsätzliche Zurückweisung Schutzsuchender an den deutschen Binnengrenzen, so wie Oppositionsführer Friedrich Merz vorschlägt, sind europarechtswidrig und können schlichtweg nicht umgesetzt werden.
Dazu kommt noch die faktische Abschaffung des Bürgergelds im Form von wiederkehrender Sanktionen und der Möglichkeit einer kompletten Streichung. Letzteres ist klar Verfassungswidrig.
Ebenso die Rückweisung von Asylsuchenden an der Grenze. Ich denke nicht dass das bestand hat.
Das einzige wo sich die SPD wieder „Feiert“ sind die 15 Euro Mindestlohn. Die aber wahrscheinlich durch die kommende Pflegereform wieder aufgefressen wird.
Es ist die logische Fortsetzung der Politik vom Januar: Entweder akzeptieren die demokratischen Parteien Rechtsbruch und Menschenverachtung mit der Union, oder es wird mit der Nazi-Keule gedroht („dann müssen wir leider, leider mit der AfD Mehrheiten bekommen“ "dann müssen wir leider neu wählen, da bekommt die AfD noch mehr Stimmen.) Mal schauen, ob die Demokraten dieser Erpressung weiter nachgeben.
Was alles abseits der Migrationspolitik angeht: Schlechter als die Stagnation unter Merkel, dafür wird dabei mehr Geld versickern.
Senkung von Übertragungsentgelten und der Stromsteuer
Verlängerung der Mietpreisbremse um 2 Jahre
Außerdem: Das Investitionssondervermögen für die Infrastruktur ist ein Saskia-Esken-Projekt, unterstützt und möglich gemacht durch den saarländischen Finanzminister Weizsäcker. Das ist der Punkt für die SPD schlechthin:
Man mag die Punkte im Einzelnen kritisieren, aber mir scheint, als wären Union und SPD den Weg eingeschlagen, den sich die LdN-Hosts 201 für die Ampel gewünscht hätten: Jeder bekommt seine Leuchtturmprojekte und man einigt sich eben nicht nur auf den Minimalkonsens. Die Union hat im Gegenzug ihre verschärfte Migrationspolitik bekommen, die Unternehmenssteuerreform, die erhöhten Hinzuverdienstgrenzen im Alter, die Mütterrente für die CSU etc.
Statt die Stromsteuer zu senken und die Netzentgelte zu halbieren, hätte man lieber das CO₂-Geld ausgezahlt aus dem Topf. Jetzt wird der Anreiz, Strom zu sparen, gesenkt und vor allem Großverbraucher entlastet und nicht der kleine Haushalt, der eh schon viel spart.
Das CO₂-Geld wäre sozialer und wirkungsvoller. Schade, schade.
Das ist alles ganz nett, besonders das Tariftreuegesetz wäre gut (falls es nicht zu sehr durch die Union verwässert wird). Aber die wirklich großen Reformen fehlen. Mit vergleichbaren Erfolgen hat die SPD doch schon die letzen beiden GroKos geschmückt. Bringen das Land am Ende nicht auf besseren Kurs und die Wählerschaft dankt es auch nicht.
Letzlich zerschellen die einigungen in der Migration an der Realität.
Grenzzurückweisung auch von Asylberechtigten nur nach absprache mit unseren Europäischen Partner.
Sprich, die Partner lassen sich auf nichts ein und es wird so bleiben wie es zurzeit ist. Ob man es nun für sinnvoll hält oder nicht. Hier kann die SPD locker mitgehen.
Dafür bekommt die SPD das Investitionsvermögen von 500 Milliarden, Halte Linie bei den Renten und den Mindestlohn von 15 Euro.
Ganz ehrlich was will man mehr erwarten, als deutlich kleinerer Partner einer möglichen Koalition.
Manche meinen die SPD müsste sich auf ganzer Linie durchsetzen um eine Koaltion eingehen zu können.
Mal ehrlich, was ist das für eine Erwartungshaltung?
Natürlich müssen auch die Sozialdemokraten kompromisse Eingehen.
Ein Kompromiss wäre 5€ Bürgergeld mehr oder weniger. Die Abschaffung von verpflichtenden Rechtsbeiständen im Asylverfahren (es gäbe auch andere Beispiele), weil sonst zu viele Ablehnungen vor Gericht scheitern, ist ein Frontalangriff auf rechtsstaatliche und menschenrechtliche Mindeststandards. Da kann eine demokratische Partei keine Kompromisse machen, sonst ist sie bald keine mehr.
Oder es finden sich genug Partner unter rechtsautoritären Regierungen, die mitmachen. Das Prinzip, das hier geschaffen wird: Wenn genug Mitglieder Recht brechen wollen, ist es ok.
Die Frage ist halt, welche Kompromisse möglich und angemessen sind. Mit einem unzuverlässigen Partner, der eingebildete Probleme mit rechtswidrigen Instrumenten behandeln will, kann man vielleicht einfach nicht regieren. Das liegt dann nicht an fehelender Kompromissbereitschaft, sondern an fehlender Rechtsstaats- und Realitätstreue der Union. Eigenschaften, die am Ende schneller als man denkt, auch abseits von Migration auftauchen.
Weil alle Meldungen á la „Was haben Union und SPD (wirklich) beschlossen“ letztlich immer unvollständig waren, haben ich mir tatsächlich das komplette Sondierungspapier reingezogen. Und es - unter Befreiung vom PR-Polit-Lingo - stichwortartig, aber möglichst vollständigzusammengefasst.*)
Aus 11 sind dadurch 4 1/2 Seite geworden.
Es liegt auf meiner Dropbox-Cloud.
(Nicht nur kritisches) Feedback gerne, werde es ggf. korrigieren.
*) relativ old fashioned: Komplett gelesen, markiert, dann die KI gebeten, alle markierten Formulierungen unter Berücksichtigung des Kontext zusammenzufassen, dann diese Zusammenfassung noch mal selbst kritisch geprüft und gekürzt
Habs erstmal überflogen. Tolle Arbeit, danke dir für die Diskussionsgrundlage👍
Anmerkung: es ist tatsächlich so, dass 500 mrd für Infrastruktur investiert werden sollen. Aber nicht für zusätzliche Investitionen. Da kann man schön schuldenfinanziert Steuern für Reiche senken, ohne dass das das geringste für das Problem der Infrastruktur getan wird.
Kann als rechtsstaatliche Partei keine Kompromisse eingegen werden.“
Sorry aber Wahlkampf ist vorbei.
Man kann an der Union vieles Aussetzen, Demokraten und eine Rechtstaatliche Partei ist sie und war sie immer.
In Verantwortung, haben sie immer nach geltenem Recht gehandelt. Eine berühmte Ausnahme ist die Pkw Maut, dafür wurden sie aber enprechend öffentlich zerfetzt.
Das die Union in der Opposition mit ihren häufig deutlich übers Ziel hinausgeschossen sind… geschenkt. Welche Partei baut in der Opposition keine Luftschlösser und gibt unrealistische Versprechen.
Die in Bayern (und Hamburg) eingeführte teure Bezahlkarte soll deutschlandweit eingeführt und ihre Umgehnung (wie in Bayern unter hohem ehrenamtlichen Aufwand betrieben www.offen-muenchen.de) soll unterbunden werden.
Nachtrag:
Ein Argument ist, das man die Schlepperbanden verhindern will. Viele Schlepperband „schießen“ das Geld vor und lassen die Menschen (meist in der illegalen Prostitution) dann im Zielland die enormen Summen durch Kleinstlöhne „abstottern“, was einer zeitlich unbegrenzten Sklavenhaltung gleich kommt. Ich habe harten Zweifel, das diese Karte Schlepperbanden verhindert.
Zudem ist das Argument, das Menschen ohne Bezahlkarte, das Geld für „andere“ Dinge als den Lebensunterhalt ausgeben ist eine Behauptung, und selbst wenn!
Hab meiner Tochter gesagt, das Geld, welches die Menschen bekommen, ist gerade in einer Stadt wie München soooo wenig. Wenn diese Menschen sich entschließen, nur 2 statt 3 mal am Tag zu essen und dieses am Munde abgespartes Geld ihrer Familie schicken, dann ist das ihr gutes Recht!
Abgesehen davon ist das Argument, man darf prekär lebenden Menschen kein Bargeld an die Hand geben:
Wir erinnern uns, das es die gleiche Argumentation bei HartzIV-Empfänger:Innen bereits gab. Hier waren es nicht Schlepperbanden und Familienüberweisungen sondern Alkohol, Zigaretten und Flachbildschirme…
Wenn ihre Forderung nach einer stärkeren Abwehr von Geflüchteten auf einem systematischen Bruch von EU-Recht basiert, finde ich das nicht besonders rechtsstaatlich. Dazu kommen Forderungen wie die von Söder (ich weiß nicht ob es auch andere in der Union gesagt haben), dass die Politik Vorrang vor dem Recht haben müsse. Das könnten so 1:1 auch Trump oder Vance gesagt haben.
Dem sog. Verbrenner-Aus wird unverhohlen der Kampf angesagt:
[…] Technologieoffenheit. Wir wollen uns aktiv dafür einsetzen, Strafzahlungen aufgrund der Flottengrenzwerte abzuwehren.
Dass von der Leyen ja gerade erst angekündigt hat, das „Verbrenner-Aus“ vorzeitig zu überprüfen, passt perfekt dazu. Es kann sogar passieren, dass das Verbrenner-Aus auf diesem Wege bereits dieses Jahr komplett(!) abgeschafft wird:
Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun, ich hatte das auch inhaltlich begründet.
Das „Problem“, das die Union sich und anderen einredet, ist ein Mangel an Abschiebungen. Ein Teil dieses „Mangels“ ergibt sich daraus, dass Asylbewerber mit Rechtsbeistand sehr regelmäßig erfolgreich gegen Ablehnungsbescheide klagen. Eine rechtsstaatliche Partei müsste nun ganz zwingend daran gehen, die Fehlerquote bei den Ablehnungsbescheiden zu reduzieren, auch aus Sorge, dass dort, wo kein effektiver Rechtsbeistand hilft, häufig Unrecht passiert. Wenn einem mehr Abschiebungen aber wichtiger sind, als rechtsstaatliche und menschenrechtliche Mindeststandards (und nur dann) kann man auf den Befund reagieren, indem man anstrebt, den Zugang zu Rechtsberatung und anwaltlicher Vertretung in Asylverfahren zu erschweren oder auszuschließen.
Naja, ist ja vielleicht eine Ausnahme, könnte man einwenden. Wären da nicht weitere „Ausrutscher“, wie bspw. Der Vorsatz europarechtswidrige Grenzkontrollen einzuführen, der Vorsatz Menschen, die Bürgergeld bekommen, das Existenzminimum zu streichen und der seit Jahren andauernde Rechtsbruch beim Thema Fahrverbote in München trotz klarer Rechtslage und letztinstanzlichem Urteil. Letzteres hat zur Peinlichkeit eines Verfahrens auf europäischer Ebene geführt, in dem, wegen des Verhaltens der bayrischen Exekutive einigermaßen fassungslose, Richter urteilen mussten, dass trotz des Rechtsbruchs und der Weigerung ein letztinstanzliches Urteil umzusetzen, keine Beugehaft für verantwortliche Minister möglich sei. Vom gleichen, taktischen Verständnis von Recht und Gesetz zeugt die Kritik an NGOs wie der Deutschen Unwelthilfe, weil die erfolgreich gegen Umweltverbrechen klagten. Nicht die Verbrechen sind aus Unionssicht das Problem, sondern die Möglichkeit, dagegen wirksam Klage zu führen.
Eine Partei, die geltendes Recht und Urteilssprüche immer mal wieder diskreditiert und bricht, die rechtsstaatliche Standards nur respektiert, wenn ihnen die Ergebnisse passen, ist in meinen Augen keine, der man einfach apodiktisch attestieren kann, sie sei eine rechtsstaatliche Partei. Und mit Wahlkampf hat das halt einfach nichts zu tun, außer, dass mehrere führende Vertreter der Union in selbigem in unterschiedlichen Kontexten Rechtsbruch und Auflösung der Gewaltenteilung (Gerichte haben der Politik zu folgen) forderten, ohne den Widerspruch aus den eigenen Reihen zu ernten, den man von einer rechtsstaatstreuen Partei hätte erwarten müssen.
Ergänzung: Wie demokratisch so eine Partei ist, die zudem mit Rechtsextremisten Politik macht, deren Begrifflichkeiten, Narrative und politischen Inhalte nicht nur bei Migration, sondern auch gegenüber politischer Konkurrenz schrittweise übernimmt, das ist dann nochmal ne andere Frage, die vielleicht weniger eindeutig zu beantworten ist.
Was ich mich bzw die Parteien ernsthafte frage(n will) ist:
Wenn es eine rassistische Stimmung gibt, eine rassistische Wortwahl und Politik, warum sollte ich als qualifizierter und „legaler“ Ausländer in so ein Land gehen? Mir sieht man doch nicht an, das ich qualifiziert und legal bin… Und dann bin ich doch TROTZDEM dem Weltbild und Handeln ausgeliefert!!!
Die Vertragsarbeiter:Innen aus z.B. Vietnam waren alle legal in der DDR… Geholfen hat es ihnen am Ende des Tages auch nicht…
Ich habe wirklich Zweifel, das der Arbeiter- und Fachkräftemangel dadurch „behoben“ wird…
Das Absurde für mich ist auch gerade, dass ich aktuell den Eindruck habe, die Österreicher bekommen es gerade „wesentlich besser“ hin als wir, ein Momentum, was vor Wochen noch undenkbar war…
Schon verrückt…
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