Liebes Lage-Team,
im aktuellen Wahlkampf spielt das Thema Klimaschutz eine erstaunlich geringe Rolle. Wenn es doch zur Sprache kommt, dann oft nur in dem Kontext, dass es – anders als bei der Bundestagswahl 2021 – diesmal kein zentrales Thema sei.
Vor diesem Hintergrund würde es mich freuen, wenn ihr mal darüber sprechen würdet, was für Maßnahmen, Gesetzgebung etc. für den Klimaschutz wirklich notwendig sind. Ich würde mich insbesondere freuen, wenn ihr einmal beleuchten könntet, inwiefern nationale Klimaschutzmaßnahmen, also solche, die ausschließlich auf Deutschland bezogen sind, tatsächlich einen relevanten Beitrag zur globalen CO₂-Reduktion leisten. Mir geht es dabei nicht darum, Deutschlands Verantwortung aufgrund seines vergleichsweise geringen Anteils von rund 2 % am weltweiten CO₂-Ausstoß infrage zu stellen. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass oft suggeriert wird, nationale Maßnahmen seien zwingend erforderlich – ohne dass dabei klar wird, welche Rolle sie im Kontext der europäischen Klimaschutzregulierung tatsächlich spielen.
Ein Beispiel: Maßnahmen wie der Kohleausstieg bis 2030 bzw. 2038, das Heizungsgesetz oder das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 werden häufig als entscheidende Hebel für den Klimaschutz dargestellt. Tatsächlich aber dienen sie – angesichts des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) – in erster Linie dazu, einen geordneten und planbaren Übergang zur Klimaneutralität zu gestalten, sind jedoch keine direkt wirksamen Klimaschutzmaßnahmen. Der Grund: Der CO₂-Ausstoß im ETS-Sektor ist europaweit gedeckelt. Reduziert Deutschland seine Emissionen, werden die freiwerdenden Emissionszertifikate anderen EU-Staaten zur Verfügung stehen, solange das Gesamtbudget nicht zusätzlich gesenkt wird. Ich finde es immer wieder überraschend, wie wenig dies die Menschen in meinem Umfeld verstanden haben.
Vor diesem Hintergrund hatte Christian Lindner in eurem Interview mit ihm einen berechtigten Punkt: Deutschlands Festlegung auf Klimaneutralität bis 2045 wird voraussichtlich nicht dazu führen, dass europaweit weniger CO₂ ausgestoßen wird. Sollte das EU-ETS-Budget wie prognostiziert bis 2050 reichen, könnten andere EU-Staaten die Emissionen nutzen, die Deutschland einspart. Eure Argumente, dass hierdurch Deutschland sich einen Wettbewerbsvorteil verschafft, weil es früher in Zukunftstechnologien investiert ist absolut legitim, hat aber im Kern nichts mehr der Frage zu tun, ob weniger CO₂ emittiert wird. Ihr selbst habt dieses Argument bereits im Fall Lützerath gebracht – mit der Einschätzung, dass es aus Klimaschutzperspektive irrelevant sei, ob Lützerath abgebaggert wird oder nicht.
Daher halte ich es für essenziell, dass den Menschen in Deutschland klar wird: Die Wirksamkeit des deutschen Klimaschutzes entscheidet sich eigentlich ausschließlich auf der EU-Ebene und um genau zu sein beim Emissionshandel. Umso ärgerlicher finde ich zum Beispiel den aktuellen Volksentscheid in Hamburg zur Klimaneutralität der Stadt bis 2040. Hier entsteht der Eindruck, dass diese Maßnahme direkt zu CO₂-Einsparungen führt – obwohl das faktisch nicht der Fall ist.
Stattdessen müsste meines Erachtens viel stärker betont werden – und hier sehe ich auch eure Verantwortung –, dass die wirklich entscheidenden klimapolitischen Maßnahmen auf europäischer Ebene getroffen werden. Besonders wichtig wären die Verabschiedung des EU-ETS2 sowie eine ambitionierte Reduktion der Zertifikatemenge in der kommenden Handelsperiode des ETS1.
Gerade jetzt im Wahlkampf wäre es aus meiner Sicht zentral, zu hinterfragen, wie die Parteien sich zu diesen klimapolitischen Fragen positionieren und welche Bedeutung sie dieser europäischen Regulierung beimessen.