Rechtliche Grundlage für eine Begrenzung klimaschädlicher Emissionen

Bei der Besetzung von Lützerath geht es vor allem um die Einschätzung, dass RWE vor 2030 so viel Braunkohle abbaggert, dass Deutschland seine Klimaziele nicht einhalten kann. Als juristische Laie: wie wird die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz auf die Ebene konkreter Vorgaben für Organisationen gebracht? Auf welcher Grundlage kann ein Gericht entscheiden, ob ein Vorgehen schädlich „für die Zukunft“ ist oder nicht? Claudia Kempfert sagt:

Lützerath muss und darf nicht zerstört und abgebaggert werden, wenn die Klimaziele eingehalten werden sollen und die Energiewende wie geplant umgesetzt wird. Das zeigen unsere und auch andere Studien eindeutig. Das 1,5-Grad-Ziel ist mit der geplanten Abbaggerung nicht zu halten. Entscheidend ist nicht das Kohle-Ausstiegsdatum, sondern das verbleibende CO2-Budget – und das wird deutlich überschritten.

Wenn es stimmt, dass das von der Regierung NRW zitierte Gutachten in wichtigen Punkten von RWE verfasst wurde, erschüttert das seine Glaubwürdigkeit. Die Regelung über die höhere CO2-Bepreisung kommt nach 2030 zu spät, wenn bis dahin die Kohle schon abgebaggert wurde.

Also: was muss passieren, damit das BVG-Urteil für solche Fragen relevant ist?
Ich habe dazu noch keine für mich verständliche Information gefunden.

Die Rechtslage ist verhältnismäßig einfach:

Die Bundesregierung hat einen großen Ermessensspielraum, wie sie das 1,5°-Ziel (oder das 2,0°-Ziel) erreichen will. Dieser Ermessensspielraum wäre im Fall Lützerath nur dann auf Null reduziert, wenn die Kohle aus Lützerath alleine das 1,5°-Ziel verunmöglichen würde oder zumindest einen so großen Anteil an der Erreichung dieses Zieles hätte, dass es logisch nicht möglich wäre, das Ziel zu erreichen, wenn die Kohle abgebaggert wird.

Das ist aber nicht der Fall. Ja, durch die Verstromung der Kohle wird viel CO2 emittiert. Aber der Strom muss in jedem Fall erzeugt werden und die kurzfristigen Alternativen (z.B. Gas) würden auch eine Menge CO2 erzeugen. Das, was bei der Kohleverstromung noch als „Plus“ dar steht, ist rein mathematisch schon nicht so relevant, da die Stromerzeugung insgesamt nur etwas mehr als ein Drittel aller Emissionen verursacht.

Es ist daher durchaus im Rahmen des Ermessens der Bundesregierung, wegen der aktuellen Energiekrise zu sagen: „Im Energiesektor werden wir keine hinreichende Ersparnis für das 1,5°-Ziel erreichen können, weil wir die Energiekrise bewältigen müssen“, insofern sie dafür in anderen Bereichen mehr einspart.

Juristisch angreifbar sind daher nur Gesamtkonzepte - oder eine Ansammlung so vieler Einzelkonzepte, dass deren Summe die Erreichung des 1,5°-Zieles mathematisch unmöglich macht. Man kann den Staat nicht verpflichten, jede Maßnahme in jedem Bereich einzuleiten, die dem 1,5°-Ziel dient, der Staat darf Schwerpunkte in bestimmten Bereichen legen und andere Bereiche dafür entlasten.

Vor allem das Argument der Energiekrise wiegt hier sehr stark. Wie die Bundesregierung die (kurzfristige) Energiekrise und die (mittelfristige) Klimakrise lösen will, wie sie hier ihre Prioritäten setzt, ist grundsätzlich nur extrem begrenzt gerichtlich überprüfbar, weil hier wie gesagt ein massiver Ermessensspielraum vorliegt. Es ist nicht Aufgabe des BVerfG, diese Prioritätensetzung zu machen, sondern Aufgabe der Politik - ebenso wie es nicht Aufgabe des BVerfG ist, die Politik für falsche Prioritätensetzung abzustrafen, sondern Aufgabe der Wähler.

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Wäre es nicht das einfachste, hochgerechnet anhand der aktuellen Prognosen wie bis 2030 (schlimmstenfalls 2038) der Strommixes aussehen muss um den deutschen Anteil am 1,5 Grad einzuhalten, eine Gesamtmenge für Kohle und Gas festzulegen, die noch in Kraftwerken verstromt werden darf?

Dann könnte man sich auch die komplette Diskussion darüber, ob nicht zu viel Kohle gefördert wird, sparen. Und gleichzeitig hätte man eine extrem gute Möglichkeit des Monitoring, weil man genau sehen könnte, wieviel Mengenbudget noch übrig ist.

Da sind wir wieder bei Sektor-Zielen.

Natürlich kann man ein Konzept erstellen, in dem der Energie-Bereich ein bestimmtes CO2-Budget zugewiesen bekommt und natürlich kann man auf dieser Grundlage dann berechnen, wie viel Kohle noch verstromt werden darf (Spoiler: Ziemlich wenig).

Aber die Politik ist aktuell wie gesagt von Krisen geplagt. Ukraine-Krieg, Energiekrise, Corona-Krise.

Während einige dieser Krisen sich positiv auf den CO2-Ausstoß auswirken (z.B. Corona während der Maßnahmen) wirken sich andere negativ aus (z.B. die Energiekrise, wenn Gas durch Kohle ersetzt wird).

Von der Politik zu fordern, unabhängig von den jeweiligen Krisen einen Plan aufzustellen und diesen Plan bis zum bitteren Ende zu verfolgen, ist da einfach nicht realistisch. Aktuell z.B. wird die Bundesregierung argumentieren, dass ihr primäres Ziel die Aufrechterhaltung der Energieversorgung ist, denn welche Konsequenzen ein Blackout im Winter hätte, sollte jedem klar sein. Das wiegt für die Politik tatsächlich auch schwerer, als das Abmildern des Klimawandels, denn die Opposition würde keine Chance ungenutzt lassen, der Bundesregierung Inkompetenz vorzuwerfen, wenn sie nicht alles in ihrer Macht stehende getan hat, einen Blackout zu verhindern.

Letztlich muss alles immer wieder neu abgewogen werden, wenn sich die Umstände ändern. Durch die Energiekrise muss neu abgewogen werden, wie viel CO2-Ausstoß vertretbar ist, um die Wahrscheinlichkeit eines Energie-Engpasses um wie viel Prozent zu reduzieren.

Von der Bundesregierung kann natürlich nun verlangt werden, wenn sie das Sektor-Ziel im Energiesektor wegen erhöhter Kohleverstromung erwartbar nicht einhalten kann (und im Verkehrssektor nicht erreichen will, weil der „Autominister“ untätig ist), in anderen Sektoren zwecks Kompensation mehr Einsparungen anzustreben. Letztlich wird man aber nur im Rückblick sagen können, ob das gelungen ist.

Es klingt doof, aber der Klimaschutz (langsame Verschlechterung der Situation über Jahrzehnte hinweg) ist eben kein so akutes Problem wie ein etwaiger Energie-Engpass (möglicher Blackout binnen Wochen), daher wird die Prioritätensetzung immer die akuteste Krise sein.

Wenn also Abweichungen vom Plan der Sektor-Ziele auftreten, ist das auch nicht immer ein Beweis dafür, dass das zuständige Ministerium Mist gebaut hat. Hier muss man schon schauen: Warum kam es zu diesen Abweichungen? Und da ist das Urteil bei der Verkehrspolitik verheerend, bei der Energiepolitik ist hingegen zumindest nachvollziehbar, warum das Ziel u.U. nicht erreicht werden konnte.

Aber mit dieser Argumentation wird man quasi immer eine Ausrede finden, warum man die Einzelziele, Sektorziele, nicht erreichen kann. Und im Falle der aktuellen Lage mit dem Ende der Gaslieferrungen aus Russland ist das ja auch verständlich. Nur kann es doch nicht sein, dass wir deswegen bis zum endgültigen Kohleausstieg mehr Kohle und Gas verbrennen wie vor dem Krieg in den Sektorzielen benannt. Die Schlussfolgerung muss doch sein ,OK, wird werden vom Kohlebudget in den nächsten 2…3 Jahren mehr verwenden als geplant, dafür werden wir in den dann darauf folgenden Jahren weniger verfeuern,.

Und ein fixes Kohlebudget hätte auch noch einen anderen Vorteil:
Die Diskussion um den Zeitpunkt des Kohleausstiegs wäre auf einen Schlag beendet, denn Aus wäre dann, wenn das Budget verbraucht ist.

Und ein in einem Gesetz festgeschriebener Wert des Kohlebudgets wäre ja auch veränderbar. Beispiele sind hier ja z.B. die CO2 Steuer oder der Mindestlohn. Die Einführung des Instruments ist im ersten Schritt die größte Errungenschaft, des Wert kann dann über die Jahre Stück für Stück nachjustiert werden.

Aber ist nicht genau das passiert?

Die GRÜNEN (sowohl im Bund als auch in NRW) verteidigen das Ausbaggern Lützeraths zur Stromgewinnung ja damit, dass in dem Kompromiss mit RWE der ursprüngliche Kohleausstieg 2038 auf 2030 vorgezogen wurde und dadurch fünf andere Dörfer im Bereich Garzweiler (Kuckum, Keyenberg, Berverath, Oberwestrich, Unterwestrich), die eigentlich zur Ausbaggerung vorgesehen waren, bestehen bleiben. Auch der Hambacher Forst darf ja nun bleiben.

Ich kann diesen Kompromiss der Grünen durchaus verstehen. Das Problem ist halt, dass dieser Kompromiss den Aktivisten nicht weit genug geht, die wollen alle Dörfer „retten“ und am besten einen Kohleausstieg schon heute - und wenn man fragt, wie man dann die Energieversorgung sicherstellen kann, kommen Antworten, die politisch nicht vertretbar sind (z.B. Energie zwischen 16 und 18 Uhr in allen Privathaushalten abstellen…) oder die einfach mit Unsicherheiten behaftet sind, welche der Regierung zu groß sind („Aber Gutachten X sagt, es wird schon nicht zu Blackouts kommen…“).

Aber im Kern soll - wenn ich das halbwegs richtig verstanden habe - es genau so laufen, wie du forderst: Lützerath wird kurzfristig für die Energiesicherheit der nächsten Jahre geopfert (die Grünen erklären sich bereit, hier keine Steine in den Weg zu legen, weder in NRW noch im Bund), dafür soll langfristig weniger Kohle als ursprünglich vorgesehen gefördert werden.

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Das klingt zwar gut, aber du vergisst mindestens zwei Freiheitsgrade, nämlich Innovation und gesetzliche Änderungen hin zu mehr Technologieoffenheit.

Angenommen Deutschland entscheidet sich endlich CCS in Kohle- und Gaskraftwerken einzusetzen, dann würde die Menge freigesetztes CO2 nicht mehr wie bisher mit der Menge verbrannter fossiler Brennstoffe korrelieren und deine Prognose nicht mehr funktionieren.

Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Habeck aktuell die Werbetrommel für CCS rührt. Ob das eine gute Idee ist lasse ich mal dahingestellt.

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