Okt.22: Was bringt Streckbetrieb in der aktuellen Situation?

Weil die FDP derzeit mit der Forderung „AKWs weiterbetreiben“ die GRÜNEN vor sich hertreiben und die meisten Menschen die Ergebnisse des Stresstests nicht verstehen, wünsche ich mir nochmal kurz und knapp und aktualisiert:

Was bringt ein Streckbetrieb oder sogar ein Weiterbetrieb der der AKWs bis Frühjahr 2024 für

  • den Strompreis,
  • den Anteil Gas an der Stromproduktion,
  • den Gaspreis
    und zwar
  • in diesem Winter und
  • im nächsten Winter?

Wenn ich das Fazit aus der damaligen Folge richtig im Kopf habe: so wenig, so dass angesichts der Risiken in Betrieb und v.a. Endlagerung weder ein Weiterbetrieb noch ein Streckbetrieb verhältnismäßig wären.

Gilt das noch? Oder gibt es neuere Erkenntnisse?

Und: Warum wiederholt Habeck seine damaligen Argumente nicht immer wieder?

1 „Gefällt mir“

Habe nochmal nachrecherchiert und dies gefunden:

Ein Streckbetrieb der beiden süddeutschen AKWs könnte eine zusätzliche Strommenge von gerade mal 1,4% der jährlichen Stromproduktion erzeugen und den Strompreis um ca. 4% senken.

Das Handelsblatt beruft sich in dem von dir verlinkten Beitrag auf diese Studie des Ifo:

Dort wird jedoch nicht der aktuell diskutierte „Streckbetrieb“ bis März 2023 untersucht, sondern:

In beiden Laufzeitvarianten (Erholung+ und Hochpreis+) laufen die deutschen Atomkraftwerke bis 2030 weiter und liefern in der Zeit zwischen 33 und 25 TWh jährlich, was Erzeugungsanteilen von 3 bis 4% entspricht.

Ich denke daher nicht, dass der Streckbetrieb ebenfalls soviel bringt.

Aber davon abgesehen ist das auch, sorry, reine Glaskugelleserei. In dem Papier wird z.B. gesagt, dass man 2021 noch von einem Durschnittsstrompreis in diesem Jahr von 58 € pro MWh ausging.

Tatsächlich sind es aber dieses Jahr sowas wie 300 € / MWh. Und seien wir mal ehrlich, was mit dem Gaspreis passieren wird, wenn z.B. der Ukrainekrieg endet, das weiß kein Mensch. Vielleicht will die Regierung in Moskau uns dann aus Prinzip nicht mehr beliefern und hat bis dahin neue Pipelines nach China im Bau.

Darüber hinaus hängt der Spotmarkt-Preis ja aktuell an dem hohen Gaspreis und den ändern auch die AKW nicht. Und durch die Orientierung des Terminmarktes am Spotmarktpreis ist es extrem fraglich wie hoch der Einfluß von an sich billigem (aber natürlich hochschädlichem) Atomstrom ist, wenn wir durch Marktversagen dafür sowieso viel zu hohe Preise zahlen.

3 „Gefällt mir“

Das alles bringt mich bei der Frage, warum es den GRÜNEN / Robert Hobeck nicht gelingt, sich effektiv dagegen zur Wehr zu setzen, dass die FDP sie mit „Atomkraftverlängerung“ vor sich hertreibt. Die GRÜNEN, drohen in dieser Frage in der öffentlichen Diskussion unterzugehen, das Narrativ „aus ideologischen Gründen“ gewinnt zunehmen Oberhand und auch seriöse Medien wie Süddeutsche, Zeit, Spiegel, Tagesschau, heute, etc. helfen in der Diskussion wenig.

Brächte eine Verlängerung nun so viel in Bezug auf Strom- und Gaspreise und Versorgungssicherheit, das wenigsten das Risiko (GAU, Abfall, Endlagerung) im Fall eines Streckbetrieb oder eine Verlängerung bis Winterende 2024 rechtfertigen könnte?

Und genau das ist für die meisten Menschen, auch für mich, kontra-intuitiv. Ich möchte gerne in der in der Lage sein, den AKW-Befürwortern erklären zu können, dass der Streckbetrieb nur sehr wenig bringt.

Was genau ist kontra-produktiv?

Gedanklich ist es doch so, dass die Gaskraftwerke nur den Spitzenlastbereich abdecken. Denn in der Spitzenlast steigt die Nachfrage, so dass die Strompreise steigen. Erst dann lohnt es sich, Gaskraftwerke hinzuzuschalten. Denn Gaskraftwerke haben vergleichsweise hohe Gestehungskosten (Grenzkosten, Kosten der zuletzt produzierte Einheit), umso mehr, da aktuell die Gaspreise hoch sind.

In der aktuelle Lagen kommt nun noch dazu, dass die (hier: französische) Nachfrage steigt, weil in Frankreich derzeit so viele AKWs stillliegen. Bei gegenüber Nachfrage steigt der Strompreis.

Schalte man nun weitere AKWs (das sind Grundlastkraftwerke) ab, sinkt das Angebot. Bei gegebener Nachfrage steigt der Strompreis weiter. D.h., die Zeiten von Spitzenlast, in denen der Strompreis so hoch ist, dass es sich wirtschaftlich lohnt, die teuren Gaskraftwerke dazuzuschlagen, werden länger.

Kurz: Je weniger AKWs, desto höher der Strompreis.

Und weil angelaufene Gaskraftwerke die Nachfrage nach Gas erhöhen, steigt auch der Gaspreis in diesen (nun länger gewordenen) Spitzenlast-Zeiten

Stell Dir zur Vereinfachung die über den Tag auf und ab schwankende Linie der Stromproduktion vor. Und lege gedanklich eine durchschnittliche Grundlast waagerecht auf diese schwanke Linie. Die über diese waagerechte Linie schießende Stromproduktion ist die Spitzenlast, die von teuren Spitzenlastkraftwerken (i.d.R. Gaskraftwerken) abgedeckt werden muss. Wenn Du jetzt die waagerechte Grundlast-Linie nach oben verschiebst (weil mehr Grundlastkraftwerke eingeschaltet sind), dann werden die Spitzen (a) zeitlich kürzer und (b) mengenmäßig niedriger. D.h., Spitzenlastkraftwerke müssen kürzer laufen und in dieser Zeit weniger produzieren. Umso größer dieser Effekt ist, umso dämpfender ist dieser Effekt auf den Strom und auch auf den Gaspreis.

Offenbar ist es so, dass Streckbetrieb der 2 (oder 3) in Frage stehenden AKWs im Verhältnis zur Gesamtproduktionsmenge des Grundlaststroms so gering ist, dass die waagerechte Linie nur ein ganz klein bisschen nach oben verschoben wird, so dass der Effekt auf Strom- und Gaspreis sehr gering ist.

Ist das so?

Ich finde dazu aber keine glaubwürdige Quellen, aus denen ich nachvollziehen kann, warum das so ist.

Meinst Du Großhandelspreise? Die gehen wild rauf und runter und lagen im Oktober durchschnittlich unter 180 Euro pro Mwh.

Die Enverbraucherkosten (Laufzeitverträge) für Neuverträge liegen bei 56,1 Cent pro kWh. Anfang Januar lagen sie bei 47,5 Cent pro kWh.

Ich möchte einen weiteren Aspekt in die Diskussion einbringen.

Wir regeln ja insbesondere in Norddeutschland in großen Mengen Windstrom ab, weil dort zu viel Strom im Netz ist. Dieser wird dennoch vergütet! In Deutschland insgesamt in eine Größenordnung von einem halben AKW.

AKW und erneuerbare Energien passen halt konzeptionell nicht zusammen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das AKW im Emsland den Strompreis reduziert, wenn dafür in so großem Umfang Windkraft abgestellt werden muss, die dennoch vergütet wird.

Kann das einer der Energieexperten bestätigen?

4 „Gefällt mir“

Es geht um regionale Verteilung der Erzeugungsanlagen, weil nicht genug Leitungen Nord Süd ( Südlink und Südostlink) da sind

und

m.e. geht es um Waffen - ohne zivile Nutzung keine militärische Nutzung.

Ansonsten ist es eher eine Scheindebatte, dient irgendwie der Bespielung der BürgerInnen, damit die etwas haben worüber sie sich aufregen können und Meinungen bilden über ziemlich komplexe Themen die von der Politik mal wieder maximal simplifiziert dargestellt werden…

Wir sollten uns Fragen, von was lenkt uns das Thema eigentlich wirklich ab :wink:

2 „Gefällt mir“
  • nicht viel
  • nichts
  • nichts
  • nicht viel
  • noch weniger
5 „Gefällt mir“

Die Langfassung des zweiten Stresstests, der Habeck als Begründung für den Streckbetrieb dient, ist seit Mitte September online: Link.

Das erste Argument für den Streckbetrieb scheint mir, dass unter pessimistischen Annahmen europaweit zu wenig Kapazität gesichert wäre. Das liege in erster Linie an der Atomkrise in Frankreich, Problemen mit Kohlekraftwerken in Polen und Problemen mit Öl- und Gaskraftwerken in Österreich (bei denen ich nicht tief genug in der Materie drin bin). Deshalb solle Deutschland in diesem Winter mehr gesicherte Kapazität bereitstellen (d.h. in der Reserve haben - nicht unbedingt anschalten), als normalerweise. Prinzipiell gebe es einen hinreichend großen Kraftwerkspark in Deutschland, aber hier kommt der zweite Grund, den ich in diesem Bericht lese: aufgrund des Niedrigwassers auf dem Rhein war im Sommer die Versorgung einiger deutscher Kohlekraftwerke nicht gesichert und es gab wohl Fälle, in denen sich eine solche Lage bis in den Winter hingezogen hat.

Ob sich das Niedrigwasser auf dem Rhein inzwischen entspannt hat, kann ich nicht sagen, aber mir erscheint das inzwischen entspannter zu sein, als im August. Gleichzeitig scheinen die Probleme in Frankreich aber wirklich massiv zu sein und da Frankreich sonst traditionell andere europäische Staaten versorgt hat, wäre es wohl solidarisch (wenngleich ein bisschen ironisch), wenn wir hierzulande unpopuläre Dinge tun, damit dort nicht die Lichter ausgehen.

Dass derzeit auch Gas sehr teuer ist, scheint für die Netzstabilität keine große Rolle zu spielen, denn im Zweifelsfall wäre Gas zur Stromerzeugung gegenüber dem Verbrauch in der Industrie privilegiert und zur Stromerzeugung ist allemal genug Gas da.

Also zusammengefasst:

Wir machen jetzt Streckbetrieb mit AKWs, um die Franzosen rauszuhauen, die so doof waren, auf AKWs zu setzen, und weil der Klimawandel die Versorgung von Kohlekraftwerken gefährdet. Ich finde das wunderbar ironisch :slight_smile:

8 „Gefällt mir“

Nach meinem Wissensstand ist der Hauptgrund, aus dem der Streckbetrieb in Diskussion ist, die Versorgungssicherheit. Grob gesagt also die Sicherheit, weitere bedingt regelbare Kraftwerke im Winter zur Verfügung zu haben, falls was auch immer im Stromnetz passiert.
Kaum eine seriöse Einschätzung, die ich dazu gehört habe, ging eindeutig in Richtung „Streckentrieb lohnt sich“ oder „Streckentrieb lohnt sich nicht“ (inkl. der Lage). Daher wundert mich kaum, dass es jetzt so ein politisches Thema wird.
Die beste Darstellung des Themas habe ich übrigens bei Quarks gehört:

Technisch:

  • Süddeutschland, wo der überregionale Leitungsausbau und der Windkraftausbau massiv hinterherhinkt, hat diesen Winter noch etwas mehr lokale Erzeugungskapazität zur Verfügung. Ansonsten sieht es dort sehr knapp aus und wenn etwas unvorhergesehenes passiert, gehen dort die Lichter aus.
  • Der Rest Europas profitiert marginal davon, dass zwei Großkraftwerke mehr am Netz sind.

Politisch:

  • Egal, was der eigentliche Grund dafür ist, im Falle eines Stromausfalls diesen Winter hätten Opposition und Wirtschaft ohne Ende auf die Regierung eingeschlagen, die ohne Not in der aktuellen Ausnahmesituation die AKWs dicht gemacht hat.
  • Gegenüber den europäischen Partnern, insbesondere Frankreich, kann Deutschland nun darauf verweisen, dass wir ein Teil der Lösung sind, nicht ein Teil des Problems. Nachdem unser Land über ein Jahrzehnt die (wie nun endlich verstanden: hochriskante) Abhängigkeit von Russland als Energielieferant befördert hat.

Was ich persönlich sehr schade finde: Anstatt sich eine politisch nicht durchhaltbare Position langsam sturmreif schießen zu lassen (=das Festhalten am Ausstieg zum 31.12.2022), hätten die Grünen einer Verlängerung besser zu einem Zeitpunkt zustimmen sollen, als sie noch im Gegenzug etwas dafür fordern konnten. Dumm gelaufen. Wurde von Philip und Ulf ja bereits thematisiert.

P.S. Wie ich gerade lese, hat der Bundeskanzler zur Abwechslung mal etwas per Richtlinienkompetenz entschieden: alle drei verbliebenen AKWs bleiben am Netz bis April 2023. Im Widerspruch zur jüngsten Parteitagsentscheidung der Grünen. Die können jetzt die Koalition verlassen, wenn ihnen das nicht passt - was wohl nicht passieren wird. Ganz, ganz schlecht gespielt von der grünen Parteiführung.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm errechnet in ihrer Kurzstudie einen Preisrückgang von bis zu 10%.

@Olaf.K: Welche Studie besagt denn, es sei

?

Leicht off topic, aber soweit ich es verstanden habe, ist eine der Hauptbefürchtungen der Grünen ja, dass einmal nachgeben dazu führt, dass immer wieder nachgegeben wird. Ich hab mir gedacht, vielleicht sollten sie der Verlängerung bis 2024 zustimmen unter der Bedingung, dass der Atomkraftausstieg ins Grundgesetz geschrieben wird. Dann läge der Spielball auf Seiten der CDU und FDP und wenn die zustimmen, hätten die Grünen damit verhindert, dass irgendeine zukünftige Regierung einfach wieder alte Atomkraftwerke reaktivieren könnte oder neue bauen könnte.

Steht glaube ich auch im Paper zum Stresstest. Ich meine es waren 0,5%

Der Kanzler hat nun im Rahmen der Richtlinienkompetenz entschieden. Alle drei aktiven AKW laufen bis April 2023 weiter, ohne neue Brennstäbe.
FDP gibt sich zufrieden, SPD lobt Festhalten am Ausstieg, Grüne hadern mit dem AKW Emsland. CDU beharrt weiter auf Betrieb über 2024 hinaus mit neuen Brenbstäben, CSU hätte gerne mehr AKW.
Greenpeace ist enttäuscht.

Fazit: die Meinungen gehen von Atomkraft ohne Limit bis hin zu sofortigem Abschalten ohne Berücksichtigung aktueller möglicher Erfordernisse.

Mein Eindruck: die Ampel rauft sich pragmatisch zusamnen, die Opposition drängt auf Gestriges statt klimaneutralem Umbau, IG wie Greenpeace bleiben ideologisch gefestigt, unabhängig von der unangenehmen Realität.

Es bleibt vielfältig

4 „Gefällt mir“

Aus einer politteoretischen Sicht: Kann er das überhaupt entscheiden? So wie ich es verstanden habe, ist der Atomausstieg in einem Gesetz festgelegt, das heißt die Legislative müsste dieses Gesetz anpassen. Der Kanzler hingegen dürfte eigentlich höchstens eine Richtlinienkompetenz über die Exekutive, aber nicht über die Legislative haben. De facto hat der Kanzler vermutlich aufgrund des Fraktionszwanges indirekt die Richtlinienkompetenz, ich finds aber trotzdem komisch, dass einfach so hingenommen wird: Der Kanzler hat entschieden, wie das Parlament abzustimmen hat.

… sollte es ihn und seine Regierung behalten wollen.

1 „Gefällt mir“

Dann sollten die Überschriften lauten: „Kanzler erpresst Parlament Atomkraftwerke bis April 2023 weiter laufen zu lassen“ und nicht darauf verweisen, dass die Atomkraftwerke aufgrund einer nicht existierenden Richtlinienkompetenz weiter laufen werden.

Rein formal hat der Bundeskanzler Scholz die Bundesminister Lindner und Habeck angewiesen, eine gesetzliche Grundlage zu erarbeiten, über „die dann der Gesetzgeber entscheidet“.

Dass eine Regierung am Ende ist, die es nicht schafft, im Parlament einer Mehrheit aus den sie tragenden Fraktionen zu organisieren, ist wiederum keine Erpressung sondern politische Tradition in Deutschland.

3 „Gefällt mir“

Muss es gleich eine Studie sein?

Oder tut es auch ein Blick auf den Markt?

Die 3 sind noch am Netz und der Strompreis ist wo?

Warum sollte der Strompreis am 1.1. sinken für den Fall dass die noch am Netz sind?

Man könnte an einem normalen Markt evtl. meinen, dass der Preis steigt, aber wir reden hier von Merit Order, wo schon jetzt die Gaskraftwerke den Preis bestimmen, an diesem Preis ändert sich auch nichts ob da nun noch die AKW mit geringerer Leistung laufen oder nicht.

2 „Gefällt mir“

Aus den FAQ zum Stresstest aus dem BMWK (Nr. 11):

Würde ein Streckbetrieb nicht helfen die Strompreise zu senken?

Die Strompreise sind durch die angespannte Lage auf dem Gasmarkt in den letzten Monaten extrem gestiegen – und das, obwohl die Atomkraftwerke derzeit noch laufen.

Das ist quatsch.
Terminmärkte funktionieren auf Basis des voraussichtlichen Angebots. Wenn für einen Zeitraum wie z.B. Februar 2023 Strom gehandelt wird, dann wird dieser auf Basis des voraussichtlichen Angebots gehandelt. Bislang wurde für Februar 2023 wenig bis kein AKW-Stromangebot aus Deutschland eingepreist. Mit mehr Angebot sinkt der Preis. Also hat ein Ausweiten des voraussichtlichen Angebots von Strom für den Zeitraum selbstverständlich auch Auswirkungen auf den aktuellen Preis.