… ohne die Amerikaner können wir …

Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, zu verdeutlichen, warum die von Ihnen genannten Situationen gerade nicht vergleichbar sind, daher: Im Tschetschenien-Krieg musste Russland gegen eine Bevölkerungsmehrheit kämpfen, es gab dort Russland-Unterstützer, aber die waren in einer krassen Minderheit. In der Ostukraine und vor allem auf der Krim sah das eben anders aus, in der Ostukraine gab es zumindest genug pro-russische Bevölkerungsteile, um einen Bürgerkrieg zu starten, den Russland dann wiederum nutzte, um die pro-russische Seite zu unterstützen. Das ist halt etwas völlig anderes als eine Invasion - bzw. es ist genau die Art der Vorbereitung einer Invasion, vor der ich in meinem Beitrag gewarnt habe, eben die einzige Chance, eine Territorialveränderung durch Propaganda zu ermöglichen und langfristig zu erreichen.

Und Syrien ist ein ganz anderer Fall - in Syrien ist Russland als Verbündeter des dortigen Systems aktiv. Das mag uns missfallen, weil das dortige System aus unserer Sicht eine klare Diktatur ist, ist aber eben das komplette Gegenteil von einer Invasion.

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Alles, was danach kommt, teile ich. Aber die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Deutschlands kann sich nicht darauf beschränken, das eigene Staatsgebiet vor einer Invasion zu schützen.

Wir sitzen inmitten eines einigermaßen wohlhabenden und politisch stabilen Kontinents und unser Wohlergehen hängt stark davon ab, dass diese Stabilität und Prosperität auch jenseits der Landesgrenze erhalten bleibt. Dazu gehört es, Konflikte innerhalb Europas durch politische, wirtschaftliche und zur Not auch militärische Einflußnahme zu befrieden bzw., wo das kurzfristig nicht möglich ist, zumindest vorerst zu unterdrücken. Damit ist beschrieben, was mit dem Begriff „Ordnungsmacht“ bezeichnet wird. In der Weltgeschichte ging es meist dann in einer Region friedlich zu, wenn diese durch eine Ordnungsmacht beherrscht wurde. Wo diese fehlte oder im Grenzbereich rivalisierende Mächte gab es dagegen Instabilität, schlimmstenfalls mit dem Ergebnis von Mord und Totschlag.

„Unsere“ Ordnungsmacht sind die USA, die beispielsweise die Konflikte auf dem Balkan zu einem Ende bombten, die Rivalität der Nato-„Partner“ Griechenland und Türkei einhegen und als Garant für die Verteidigung der Staaten Osteuropas und des Baltikums gegenüber russischer Dominanz garantiert. Und den Briten stellen die USA de facto deren atomare Bewaffnung bereit. Etc. pp.

In einem „was wäre ohne die Amerikaner“-Szenario müsste das Tandem Frankreich und Deutschland irgendwie unter Einbindung der Briten die Rolle der Ordnungsmacht übernehmen. Was schon politisch unrealistisch ist. Aber auf rein militärischer Ebene bedeutet dies, gegenüber jeder europäischen und an Europa angrenzenden Macht überlegen zu sein. Sprich: zu konventioneller Kriegsführung in großem Maßstab fähig zu sein. (Freilich mit dem Ziel, diese Fähigkeiten nicht einsetzen zu müssen.)

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Wie die Zukunft des Krieges aussehen wird, kann niemand vorhersagen. Fakt ist aber, dass sich alle Streitkräfte weltweit wieder auf symmetrische Konflikte ausrichten—auch und gerade das U.S. Militär, das sich für bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Volksrepublik China und Russland (sogenannte „Peer Competitors“) vorbereitet. „Great Power Competition“ ist das neue Buzzword in D.C.

Wie der Commandant des U.S. Marine Corps (Marineinfanterie) und der Chief der U.S. Air Force schreiben:

„America needs a joint force for great-power competition, with emphasis on China and Russia. The Defense Department and joint force have undoubtedly shifted toward a focus on all-domain conflict with a peer adversary over the previous four years.“

Das Militär ist einer der größten Klimasünder. Falls einer dieser oben genannten Fälle eintritt können wir unser 2 Grad Klimaziel vergessen. Denn wie der Titel schon sagt „ohne die Amerikaner können wir nicht“ die Klimaziele erreichen.

Ja, wirklich, Zufall. Denn den Afghanistan-Abzug hat doch so niemand rechtzeitig zum Wahlkampf planen können, erst recht nicht seinen Verlauf.

Ich frage mich, wer ernsthaft mit Aufrüstung, Bundeswehr und Krieg Wahlkampf machen möchte.
Mit Wahlkampf hat das nichts zu tun.

Es ist aber ein politisches Thema, was von interessierten Kreisen vorangebracht werden soll. Stichwort: NATO 2%-Ziel. Diesen Kreisen schwebt eben eine viel, viel mehr militarisierte Außenpolitik vor. Afghanistan kommt da als Argumentationsgrundlage gelegen.
Meine Haltung: Was bringen denn diese großen militärischen Kapazitäten wie sie die USA haben? Die USA haben sein 1945 keinen entscheidenden Konflikt mehr für sich gewinnen können. Korea, Vietnam und jetzt Afghanistan. Was nützt eine riesiges Militär, wenn man den Lauf der Welt letztlich doch nicht ändern kann?
Die Frage ist: will hier nur wieder einmal der militärisch-industrielle Komplex Förderung haben?

Das halte ich persönlich doch schon für sehr weit hergeholt. Die USA, insb. die CIA, verwendet die US-Drohnen völkerrechtswidrig zu gezielten Tötungen. Allerdings nutzt das US-Militär Drohnen überwiegend nur für die Luftunterstützung der eingesetzten bodengestützten Einheiten. Und genau das ist die Aufgabe des Militärs. Selbst das Bundesverteidigungsministerium geht bei den Einsatzszenarien von Objekt- und Konvoischutz aus. Gerade durch die Bindung der Bundeswehr an das GG (Art. 1 III, 20 GG) ist das Szenario, die Bundeswehr setzt auf targeted killings, so weit hergeholt und vollkommen unrealistisch. Auch gehört dies im Entferntesten nicht zu den Fähigkeiten unserer Bundeswehr. Zumal unterstehen sie der Kontrolle des Bundestages.

Bewaffnete Drohnen sind die Weiterentwicklung im militärischen Luftbereich. Bei Neubeschaffungen von Kampffliegern wird weit weniger diskutiert, obwohl sie im Vergleich zu bewaffneten Drohnen mehr Nachteile bieten. Wir in Deutschland, das seit dem Münchner Bekenntnis mehr Verantwortung in der Außen- wie Sicherheitspolitik übernehmen möchte, hinken der Entwicklung weit hinterher. Und es wurde mir bisher kein sicherheitspolitisches Argument gegen die Bewaffnung präsentiert. Der Vergleich zu den USA vergiftet die Debatte enorm, da dieser hier nicht anwendbar ist.

Ich würde dies gar nicht mal auf Europa beschränken. Für die Stabilität der EU freilich nur auf Europa begrenzt, aber Deutschland und die EU sehen sich - zurecht - auch als eine „Macht“, die sicherheitspolitische Interessen global gelten machen möchte. Und zwar nicht nur auf der rein wirtschaftlichen Schiene. Schon aufgrund der UN-Mitgliedstaaten bzw. die Institution UN, die auch peacekeeping und peacebuilding betreibt, ist diese Rolle für die EU einnehmbar. Mithilfe UN-Mandate kann die EU, aber auch einzelne europäische Staaten ihren Einfluss nutzen, Konflikte zu befrieden bzw. zu unterdrücken. Das ist nebenbei auch die Aufgabe vom Militär (Krieg- und Konfliktbekämpfung). Die EU und UN wären bei weitem die bessere „Ordnungsmacht“ als die USA.

In einem "… ohne die Amerikaner können wir … "-Szenario würde die EU, aber auch die europäischen Staaten auf sicherheitspolitischer und militärischer Ebene enger zusammenkommen als es jetzt ist. Da Frankreich und Deutschland seit längerem militärisch eng zusammenarbeitet, wäre dieses Tandem sehr realistisch. Großbritannien als Partner wäre nicht nur wünschenswert, sondern sogar realistischer als hier dargestellt. Großbritannien würde seit längerem am Rüstungsprojekt FCAS mitarbeiten und ihr Programm „Tempest“ in FCAS integrieren. Auf Ebene der Sicherheitspolitik sind die Briten und das Tandem FRA/GER enger beinander als manche denken. Auf politischer Ebene unter Boris Johnson aber nicht immer einfach. Wenn Marine Le Pen 2022 französische Präsidentin werden sollte, wären die gemeinsamen Pläne für ein geeintes und unabhängiges Europa sowieso gestorben und dieses Szenario mehr als unrealistisch geworden.

Strategisch halte ich es für sinnvoll, sich auf beide Konfliktarten zumindest vorzubereiten. Viele symmetrische Konflikte können durch eine verantwortungsbewusste und vorausschauende Außenpolitik durch Diplomatie (im Notfall „Schattendiplomatie“) verhindert werden. Gerade in diesem Bereich geht selbstverständlich die Diplomatie vor. Passende Institutionen können hierfür die MSC, OSZE oder die UN sein - selbstverständlich auch bilateral. Da die meisten Konflikte nicht mehr symmetrisch stattfinden, sollten auch Fähigkeiten für eine asymmetrische Konfliktbekämpfung entwickelt werden. Bisher gibt es diese anscheinend nicht. Wenn schon, waren diese nicht erfolgreich durchgeführt.

Ich kann deine Argumentation durchaus nachvollziehen, aber ein Punkt, der mir bei dieser Argumentation immer fehlt, ist das Problem, dass sich Staaten massiv ändern können - und das oft binnen relativ kurzer Zeit. Der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich war nicht wirklich lang, die Wahl Trumps hat die demokratischen Institutionen in den USA massiv auf den Prüfstand gestellt und in Polen und Ungarn haben wir gesehen, wie schnell der Rechtstaat fallen kann.

Daher ist mir das Argument „In Deutschland könnte sowas nicht passieren!“, wann immer man über Überwachungs- und Militärtechnologie spricht, einfach nicht genug. Auch in Deutschland ist es nicht undenkbar, dass es nochmal zu einem massiven Rechtsruck kommt - und dann will ich nicht, dass dieser Staat gewisse Mittel zur Hand hat.

Und Deutschland sollte sich grundsätzlich in keinem Konflikt beteiligen, in denen solche Drohnen eingesetzt werden könnten. Afghanistan war ein Fehler - und das Versprechen, durch den Einsatz von Drohnen weniger Soldaten gefährden zu müssen, kann leider eben auch dazu führen, dass Auslandseinsätze wie jener in Afghanistan leichter vor der Bevölkerung gerechtfertigt werden können. Auch das sehe ich schlicht skeptisch.

Ich sehe in der aktuellen politischen Lage, daher nach dem Abzug aus Afghanistan, kein Szenario, in dem ich dem Einsatz bewaffneter Drohnen zustimmen würde. Und ich hoffe, Deutschland wird solche Szenarien auch grundsätzlich in der Zukunft vermeiden.

Aber ich denke wir haben einfach schlicht sehr unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage, unter welchen Voraussetzungen bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland zulässig sein sollten… daraus resultiert dann auch eine unterschiedliche Auffassung, ob bewaffnete Drohnen unbedingt sein müssen.

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Ich fürchte und soweit ich es verstehe: alles das.

Die Bundeswehr ist personell und materiell nicht gut genug aufgestellt für einen größeren Kampfeinsatz (im nahen Osten). Die Fahrzeuge und Hubschrauber sind am besten für die europäische Ebene geeignet und ausgerichtet, andere Gegenden stellen diese vor größere Herausforderungen. Es fehlt wohl auch an Fähigkeiten bei den Soldaten, bis auf Spezialkräfte wie Fallschirmjäger, Gebirgsjäger oder KSK, besonders für das Terrain in Afghanistan.
Es fehlt aber wohl hauptsächlich der politische Wille und Bereitschaft dies zu ändern. So wie es beim Afghanistan Einsatz an klaren Zielen fehlte, fehlt es, meinem Eindruck nach, an konkreten Zielen oder Vorstellungen was wir mit der Bundeswehr wollen. Dafür scheint es aber auch wenig Rückhalt in der Bevölkerung zu geben.
Dementsprechend ist dann auch die Zurückhaltung was den Einsatz deutscher Soldaten angeht.

Ich schätze auch der Übergang von der Wehrpflicht zur freiwilligen Rekrutierung dauert noch an, dazu vermutlich auch weitere Reformen und Umbrüche der letzten Jahrzehnte.

This didn’t age well :wink: