Obdachlosigkeit und Wohnungspolitik

Man kann nicht einfach Menschen gegen ihren Willen aufs Land verfrachten. Nichts gegen den ländlichen Raum, aber wie sollte das funktionieren? Vermutlich sind diejenigen, die so etwas vorschlagen, genau dieselben, die sagen, dass man auf dem Land auf gar keinen Fall ohne Auto auskommen könne. Tja. Finde den Fehler.

Mich stört in so vielen Diskussionen, so auch hier, dass negative Menschenbild, das aufblitzt.
Warum nicht einfach mal davon ausgehen, dass Menschen grundsätzlich erstmal alles tun, was sie können, um aus ihrer Situation herauszukommen? Dass im Zweifel eine Verkettung unglücklicher Umstände zum Absturz geführt hat. Dass viele mit etwas Hilfe (= Duschmöglichkeit, warmes Essen, ja, und eben eine kleine eigene Wohnung) durchaus wieder auf die Beine kommen könnten.

Warum haben so viele ein negatives Menschenbild von Bürgergeldempfängern, Obdachlosen, Migranten … aber ein positives Menschenbild von Unternehmern, Vermögenden etc.? Nein, letztere haben meistens eben nicht alles aus eigener Kraft geschafft. Und was soll das eigentlich heißen? Dass ein Mensch weniger wert ist und weniger Menschenwürde hat, wenn er (vorläufig) gescheitert ist? Das Märchen von den Aufstiegschancen ist längst widerlegt. Das von den gefährdeten Arbeitsplätzen ebenso. Vermögende wurden und werden massiv von der Politik (und Medien) vor Forderungen nach Erbschafts- und Vermögenssteuer geschützt. Warum werden nicht die unterstützt, die es wirklich brauchen?

Dr. Schick von finanzwende.de zur Erbschaftssteuer https://taz.de/Volkswirt-ueber-Erbschaftsteuer/!5809291/
Erbschaftsteuer: Wie von Oligarchen bestellt | Blätter für deutsche und internationale Politik

Riesige Vermögen gefährden unsere Demokratie viel, viel mehr als die immer wieder attackierten Leistungsempfänger.

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Ich verstehe deinen Punkt und ganz wichtig, die Bitte um Studien sollte keinen Angriff auf @Margarete darstellen. Mir geht es darum, dass @Margarete spekulativem Leerstand als Grundproblem unseres Wohnraummangels ausmacht (so zumindest mein Eindruck), als Fakt darstellt und staatliches Eingreifen gegen dieses Marktversagen fordert.

Aus meiner Sicht ist diese Bewertung allerdings ohne Daten nicht belastbar. Natürlich wird es spekulativen Leerstand geben, aber solange der klein genug ist, ist durch staatliche Intervention niemandem geholfen. Das wäre dann nur ein weiteres Beispiel für Edge-Case Regelungswut, für die wir international berühmt und national zurecht beschämt (Bürokratiechaos) sind.

Als einziger Beleg für die These dienen bisher Medienberichte, die aber eben nicht repräsentativ sind. Da wird üblicherweise auf Social Media oder bei Interessensverbänden um skandalöse Beispiele zum Zwecke der Berichterstattung gebeten und dann verarbeitet. Das ist aber kein Abbild der Wirklichkeit und selbst im Beitrag wird indirekt auf die komplexe Natur der Sache hingewiesen, nämlich dass Vermieter die Wohnungen wegen Rechtsstreits um Bauanträge leer stehen ließen, damit sie nach dem juristischen Sieg zügig bauen können.

Ich halte den Verweis auf spekulativen Leerstand daher für zweitrangig. Problematischer sind fehlendes Bauland und hohe Bauauflagen.

Beispiel Berlin. Vom Stadtteil Köpenick braucht man ins Zentrum mit der S-Bahn gut 45 Minuten. Es ist kein sonderlich schöner Stadtteil. Man könnte erwarten, dass die Preise für Bauland moderat sind. Aber Pustekuchen, aktuell muss man zwischen 250 und 350€ pro m2 Bauland (normale Lage, nicht Kiezzentrum) hinlegen, im Platten Land Sachsens hingegen 5-10€. In Berlin kostet somit ein Baugrundstück oft nicht viel weniger als das was man darauf baut.

Dieses Problem ließe sich easy lösen indem mehr Bauland (auch für sozialen Wohnungsbau) ausgeschrieben würde oder Nachverdichtung zugelassen und gefördert würde. Beides passiert defacto aber nicht. Ein Gruß geht raus an die Lokalposse ums Tempelhofer Feld oder diverse Bauherren, die ihre Mehrfamilienhäuser aufstocken wollen, aber keine Genehmigung bekommen. Dazu kommen dann hohe Material- und Personalkosten, die aber außerhalb des direkten Einflusses von Behörden und Bauherren liegen.

Der Hebel liegt also eher bei den Bauämtern und den Kommunen Baukosten zu senken oder Auflagen zeitgemäß zu gestalten. Dann entsteht auch im Ballungsraum mehr Wohnungen. Spekulativen Leerstand zu bekämpfen ist dagegen ebenso effizient um das Problem zu lösen wie mehr Abschiebungen zur Lösung der Flüchtlings"krise" zu fordern. Es mag schlau klingen, ist letztlich aber Populismus ohne absehbare signifikante Chance das echte Problem zu lösen.

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Nein, nicht das Grundproblem oder das einzige Problem. Ein Puzzleteil.
Die eine zitierte Doku enthielt z.B.ausführliche Berichterstattung zum Thema vorgeschobene Eigenbedarfskündigung mit dem Ziel der Gewinnmaximierung.
Die Vermieterseite (ich meine keinen Einzelvermieter, sonder Unternehmen und Vermieter im großen Stil) besitzt ein enormes gesellschaftliches Erpressungs- und Beeinflussungspotenzial. Dass der Markt nicht funktioniert, haben die letzten Jahre gezeigt.
Warum sollte der Staat zur Menschenrechtswahrung nicht eingreifen? Hat er doch früher auch und tut er auch in anderen Ländern. Stattdessen werden Standards gesenkt.

Nicht alles außerhalb vom Metropolen ist „auf dem Land“ wo man „auf gar keinen Fall ohne Auto auskommen“ kann, vor allem wenn man nicht pendelt.

Aber wenn wir schon bei gegen den Willen sind. Es gibt auch in den Metropolen Programme mit Unterkünften.
Haben Sie sich schon mal mit einem Streetworker unterhalten? Die Leute warten nicht darauf eine Wohnung angeboten zu bekommen um ein neues Leben zu beginnen. Die meisten brauchen vielfältige Hilfe, noch lange vor einer Wohnung.
Und die wenigsten Obdachlosen kommen von dort wo sie gerade sind. Eine Wohnung würde sie also nicht mal in ihrem sozialen Umfeld belassen.

Ich glaube die Sorte Menschen die Sie meinen sind eher unter den Wohnungslosen zu finden. Menschen die z.B. nach Trennung keine Wohnung in ihrem sozialen Umfeld finden und bei Freunden oder Familie unterkommen oder auch Leute die eben raus ziehen wo es günstiger ist, obwohl sie weiter in der Stadt arbeiten.

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Wir müssen hier einmal unterscheiden, besonders in der Linken Szene, dass es nichts mit einem negativen Menschenbild zu tun hat, wenn man die Realität beschreibt.

Obdachlose haben so einem sehr hohen Prozentsatz tiefer gehende, komplexe Probleme (Psychische Probleme, Drogen, Alkoholismus, Kriminalität, nicht Anerkennung des Aufenthalttitels usw.) Hier die Studien dazu.
BMAS - Empirische Untersuchung zum Gegenstand nach § 8 Absatz 2 und 3 Wohnungslosen­berichterstattungsgesetz

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Und mir scheint, dass es ursprünglich um ganz grundlegende Ideen ging, wie man den Wohnungsmarkt für alle verbessern kann, und dann die Idee aufkam, man könne ja Obdachlose umsiedeln.

In der Frage, wie man Obdachlosen zu besseren Wohnverhältnissen helfen kann, wäre es doch wohl am sinnvollsten, die Betroffenen selbst und bei die Unterstützungsstrukturen in diesem Bereich zu Rate zu ziehen.
Und die andere Frage ist, wie wir präventiv Menschen vor dem Abrutschen in die Wohnungslosigkeit bewahren können. Und darauf zielen ja genau die Punkte aus dem obersten Beitrag.

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Dazu gibt es doch viele Infos. Wie hier mehrfach angesprochen wird man auch nicht nur wegen einer gekündigten Wohnung obdachlos sondern dazu gehören noch weitere Faktoren.

Wohnungslosigkeit ist aber nochmal ein ganz anderes Thema als Obdachlosigkeit.

Mir ging es darum, dass man müsse Reformen am Wohnungsmarkt mit Obdachlosigkeit begründen. Denn diese Gruppe ist wohl die, der das erstmal am wenigsten bringt. Oder wie erklärt man 12.000 Obdachlose in Wien, wo doch Wien immer als so vorbildlich in Sachen Wohnungsmarkt hingestellt wird?

Hat ein Obdachloser ernsthaftes Interessa an einer Wohnung, also auch daran wieder zurück in geregelte Strukturen zu kehren, dann scheitert es eben nicht am Ort der Wohnung, außer bei den Fällen die wirklich in ihrer Heimatstadt obdachlos wurden, was aber ja die deutliche Minderheit ist.

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Da Wohnungsnot meist durch wirtschaftliche Probleme und den damit verbundenen Mietschulden entsteht, würde mehr bezahlbarer (sozial geförderter) Wohnraum und besserer Kündigungsschutz viele Menschen vor Wohnungsnot bewahren.

Die Frage wie viele Obdachlose in Wien leben, ist dafür vermutlich wenig aussagekräftig, da es ja auch sein kann, dass Obdachlose aus anderen Orten dort hinziehen - vielleicht genau wegen der besseren Wohnungspolitik, oder wenigstens wegen dem besseren Ruf.

Entscheidend ist die Frage, ob in Städten mit mehr sozialen Wohnungsbau mehr oder weniger Menschen wohnungs- bzw obdachlos werden.

Wohnungslos wahrscheinlich ja, aber darum geht es hier nicht. Obdachlos vermutlich nur wenig weniger, weil es dafür eben einen weitaus komplexeren Verlauf gibt.
Wenn man diversen Quellen glauben schenken darf, dann ist eine Kündigung von Job oder Wohnung alleine schließlich nie der Grund für Obdachlosigkeit sondern es kommen quasi immer noch Faktoren wie psychische Erkrankungen, Sucht, etc. dazu, häufig sind diese sogar der Grund für Arbeitslosigkeit.

Im Falle von obdachlosen Flüchtlingen denen die Abschiebung droht ist auch kaum davon auszugehen, dass diese sich auf eine Sozialwohnung bewerben würden.

Um nochmal zusammenzufassen. Ich bin weder gegen sozialen Wohnungsbau noch gegen Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit.
Obdachlosigkeit ist aber ein komplexes Problem, welches auch nicht instrumentalisiert werden sollte. Gerade wenn die meisten Obdachlosen ja ohnehin von außerhalb kommen (die Mehrheit sogar aus dem Ausland) ist die Frage ob die Lösung dafür tatsächlich vorrangig in Wohnungen in den gefragten Metropolen liegt, oder ob nicht eher früher angesetzt werden müsste, damit diese Leute eben gar nicht erst als Obdachlose in die Metropolen ziehen.

Ein sozialer Wohnungsmarkt ist dagegen vor allem wichtig um eben nicht die Oma aus ihrem Kiez zu verdrängen oder Berufe mit weniger Einkommen ganz aus der Stadt draußen zu halten. (vereinfacht gesagt)

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Im Bayerischen Wald gibt es zwar viel Leerstand, der bringt einem Single aber nix, da es meist bei drei Zimmern los geht.
Appartements sind immer in Touristenbunkern und teurer als die Drei-Zimmer-Wohnungen.
Wir müssten spätestens ab gestern wieder mit Sozialbau beginnen, leider sind wir da aber mal wieder beim Thema zu lange nix passiert: mittlerweile ist der nötige Aufwand so groß, dass man das Thema lieber gar nicht mehr anfasst.