Normen und Baukosten

Ich vermute für die Lage ist dieses Thema zu speziell, aber vielleicht eine nette Diskussion im Forum.

Neulich habe ich diesen Podcast der Tagesschau „Normen über Normen: Und immer teurere Wohnungen?“ gehört. Vornehmlich geht es darum wie Normen das Bauen verteuern, aber der Podcast geht ziemlich ins Detail wie Normen eigentlich aufgebaut sind und welche rechtliche Bedeutung sie haben.

Was mir nicht ganz klar war: das Deutsche Institut für Normung (DIN) ist eigentlich nur ein Verein, mehr nicht. Das DIN selbst schreibt auf seiner Website:

Die Anwendung von DIN-Normen ist grundsätzlich freiwillig. Erst wenn Normen zum Inhalt von Verträgen werden oder wenn der Gesetzgeber ihre Einhaltung zwingend vorschreibt, werden Normen bindend. Zwar stellen sie im Fall einer möglichen Haftung keinen Freibrief dar. Aber wer DIN-Normen – als anerkannte Regeln der Technik – anwendet, kann ein korrektes Verhalten einfacher nachweisen.

In diesem Kontext erscheint mir der von Klara Geywith im Interview (LdN393) beworbene Gebäudetyp E noch sinnfreier.

Wie genau hilft denn dieses Papier, wenn die Einhaltung von Normen gar nicht bindend ist? Geht es nur darum Vertragspartner in der Privatwirtschaft zu ermuntern nicht den „Best-of-the-Best“ Standard zu realisieren?

Da scheint mir dieser Vorstoß wenig sinnvoll, denn in der Vergangenheit konnten die Bauträger ja aufgrund der Marktlage verkaufen was sie wollten. Jetzt wo das Geld weniger wird, müssten sich ja eigentlich langsam wieder einfacher Bauweisen durchsetzen, oder?

Nichtsdestotrotz schaffe ich es nicht ganz die Rolle des DIN einzuordnen und mein Problem damit verständlich zu artikulieren:

  • Einerseits sind die Normen nicht bindend, aber wenn mal was passiert dann kommt man als Planer in große Schwierigkeiten wenn man sich nicht daran gehalten hat.
  • Andererseits schützt einen die Anwendung einer Norm nicht davor wenn mal was passiert. Ich arbeite in einem Maschinenbaukonzern und in einer Produktsicherheitsschulung wurde uns dieser Fall vom Oberlandesgericht Hamm, I-21 U 14/08 präsentiert (Triggerwarnung: Verbrennung):
    Ein Hersteller von Grillanzünderflaschen wurde nach einem Unfall zu Schmerzensgeld und zum Tragen aller aus dem Unfall folgenden Kosten verurteilt, obwohl der Verschluss der Flasche genau nach DIN ausgeführt war. In dem Prozess hat ein Sachverständiger die Mangelhaftigkeit des Verschlusses (und damit der Norm) „eindrucksvoll demonstriert“.

Warum haftet in so einem Fall nicht das DIN?

Naja, was ist mit den Normen anderer Länder?

Wenn du die Baunormen der DIN verbindlich per Gesetz vorschreibst, kannst du in Deutschland kein Fertighaus aus Schweden mehr aufstellen, da diese nach schwedischer Norm gebaut werden.

Deine zweite Aussage ist dann auch aus dieser Sicht grenzwertig, denn wer sagt, dass der deutsche Standard der absolut beste ist den man haben kann?

Da müsste mal jemand schreiben der sich da auskennt, aber ich glaube es geht da mehr darum, dass es bei Einhaltung der Norm einfacher ist zu beweisen dass es richtig ist, während du bei Nichteinhaltung halt eine aufwendigere Beweisführung machen musst.

Die Antwort steht doch direkt darüber im Zitat von der DIN Webseite, ich hab’s mal fett hervorgehoben:

Ansonsten findet man auch auf Seite 3 von dem verlinkten „Gebäudetyp E“ noch einmal genau diese Unterteilung in gesetzlich bindende/vorgeschriebene Normen und andere.

Es gibt baurechtlich eingeführte DIN-Normen, die man einhalten muss.

Das GEG verweist zum Beispiel auf DIN-Normen zur Berechnung des Jahresprimärenergiebedarfs.

§ 20 GEG - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)

Ist an sich nicht schlimm. Skandalös finde ich nur, dass diese Normen nicht öffentlich einsehbar und sehr, sehr teuer sind:

Mal als Beispiel: Product ­search - DIN Media

Es haben sich mal Baukollegen den Spaß gemacht und den Preis für alle einführten Normen zusammengerechnet. Aus der Erinnerung waren es weit über 100.000€.

Das wäre tatsächlich ein Thema für die Lage.

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Das ist eher ein paraphrasiertes Zitat als meine Aussage. Zum einen nannte das Frau Geywitz in ihrem Interview als Begründung für den „Gebäudestandard E“ und zum anderen kommt diese Begründung auch in dem Tagesschau Podcast für die hohen Baukosten.

Mich beschleicht eher das Gefühl, dass die Bauträger in den letzten Jahren immer den „Goldstandard“ verkauft haben weil sie es eben konnten.

Andererseits wird aber genau Dein Argument:

auch in dem Podcast genannt.

In einem Interview mit einem Architekten der sparsam baut, sagt dieser, dass er an allen Stellen versucht einzusparen, aber jede Abweichung von den Normen sein persönliches Risiko ist.

Wie sind wir denn in diese selbstverstärkende Spirale hineingekommen?

Warum ist der Schallschutz mittlerweile – zumindest laut Experten – besser als gesundheitlich notwendig? Wer hat in der Vergangenheit (und laut Aussage dieser Experten dann ja ohne Not?) in der entsprechenden DIN an der Dezibel-Schraube gedreht?

An sich ist dieser Aspekt doch erst mal nichts schlimmes. Es ist grundsätzlich doch positiv zu bewerten, dass in vielen Fällen nicht alles 1:1 im Gesetz geregelt wird, sondern es jedem frei ist ein entsprechendes Produkt zu entwickeln und in den Verkehr zu bringen.

Wieso ist die Abweichung von einer Norm nun aber ein Risiko. Bei vielen Dingen ist es das insofern, dass Normen auch dazu da sind um eine gewisse Sicherheit zu gewährleisten. Jedes Produkt, wo die entsprechend, einschlägigen Normen eingehalten werden, ist der Mindesstandard erfüllt. Die Norm dient also als Richtlinie oder Maßstab, um festzustellen, was als angemessen gilt. Wenn also etwas, dass nicht einer Norm entspricht in den Verkehr gebraucht wird und es Probleme gibt, dann muss aufwendig nachgewiesen werden, dass es doch mindestens dem Standard der Norm entspricht. Für die einzelne Person / das einzelne Unternehmen ist das natürlich tragisch, aber in Summe trägt es zu einem viel effizienteren System bei.

Ich kann mir dann aber sehr gut vorstellen, dass aus dem Ziel ein bei vielen Dingen möglichst viel Sicherheit zu gewährleisten oft mehr wird als nach aktuellem Kentnissstand notwendig. Bei deinem Beispiel kann ich mir folgendes vorstellen:

Nur weil es aktuell so aussieht, dass auch höhere Werte bedenkenlos sind, heißt es das nicht für die Zukunft. Da es zudem möglich ist (bei Lautstärke relativ einfach messbar, bei Schadstoffen aufwendiger, aber auch da geht es z.B. sehr geringe Konzentrationen zu messen) auch geringere Werte festzustellen ist da noch ein „Sicherheitsaufschlag“ drauf. Bei Materialien, die in Brücken eingebaut sind, sind wir sogar vermutlich froh, dass dort nicht nur das notwendige vorgegeben ist, sondern noch ein „Puffer“.

Was den Schallschutz als Beispiel angeht ist es an sich möglich auch mit weniger zu bauen. Nur dürfte es zwei sehr unangenehme Folgen haben. Die erste ist vermutlich direkt spürbar, weil ggf. Fördergelder daran hängen. Die zweite eher indirekt, weil im Fall einer Klage die Kosten des Nachweises, dass es mindestens ausreichend war recht hoch ausfallen können.

Ich will damit nicht sagen, dass es sicherlich sinnvoll ist einige der Normen zu prüfen und auch die Schraube teilweise zurückzudrehen. Es ist aber doch so, dass Normen in vielen Fällen grundsätzlich positiv sind.

Vermutlich erst einmal nicht, weil der Verwender des Grillanzünders als Vertragspartner die Produzierenden des Produktes hat. Er hat sich also da den für ihn passenden Klageweg auf Grundlage eines möglichen Rechtsanspruchs herausgesucht, weil es nachweisen konnte, dass es alles doch nicht so sicher war.

Das heißt aber nicht, dass nun seinerseits die Produzierenden des Grillanzünders nicht ihrerseits gegen die DIN vorgehen können, weil ihnen ein Schaden entstanden ist. Ob und wie das erfolgt ist habe ich auf die Schnelle nicht herausfinden können.

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Die Norm beschreibt die Anforderung an eine Kindersicherung (druck&dreh gleichzeitig beim Öffnen erforderlich). Diese DIN Norm wurde von der Flasche erfüllt. Aber es gab noch ganz andere Fehlermodi.
Der Erwachsene (!) hatte beim Öffnen Probleme, die Flasche öffnete sich dadurch, dass der ganze Verschlusseinsatz raus fiel und der Inhalt kam unkontrolliert raus.
Die Firma hatte nicht erkannt hatte, dass der Verschluss der Flasche viel grundlegendere Probleme als die Kindersicherung hatte.

Von daher gibt hier keinen Grund, den DIN Verein irgendwie für den Unfall verantwortlich zu machen.
Und prinzipiell ginge das auch nicht. DIN setzen Standards. Aber ihre Rolle ist nicht, alles und jedes zu regeln, so dass sie haftbar wären, wenn sie mal einen Aspekt nicht regeln.

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