Neues genossenschaftliches Wohnen – ein Baustein der sozial-ökologischen Transformation

Disclaimer vorweg: Ich bin seit 1 ½ Jahren Mitglied in der Wohngenossenschaft Grüner Weiler eG in Münster. Auf einem ehemaligen Kasernengelände sollen für ca. 250 Personen Wohnraum geschaffen werden, wobei wir versuchen sowohl Aspekte ökologischer, als auch sozialer Nachhaltigkeit zu berücksichtigen.

Seitdem es das Reportage-Format der Lage gibt, geht mir die Idee nicht mehr aus dem Kopf, ob es nicht möglich wäre, das Thema „Genossenschaftliches Wohnen“ im Rahmen einer Lage-Reportage zu beleuchten. Ich finde das Thema liegt gerade in der Luft: mir begegnet es immer wieder mal in der Presse (zuletzt in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung) und eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen steht im Ampel-Koalitionsvertrag (S.25, oben).

Im Sinn des konstruktiven Journalismus…

  • könnte erklärt werden, wie eine Wohngenossenschaft funktioniert und welche Vorteile sie hat (viele haben hier kein oder nur gefährliches Halbwissen)
  • könnten aktuelle Herausforderungen, aber auch Lösungsvorschläge für junge Wohngenossenschaften (in der Gründung) erörtert werden
  • könnten Best Practice Beispiele gegeben werden für
  • könnte auch über genossenschaftsähnliche Foramte wie das Mietshäuser-Syndikat informiert werden.
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hm das Thema ist im Osten nichts besonderes. Nach der Wende gingen viele Plattenbauten in die Hände von WG über. Nachteil der größte Bestand sind alte DDR Plattenbauteen, auch wenn neu gebaut wird. Der Altbestand dürfte aber fast überall soweit saniert wurden sein das es wenigstens grundlegend modernen Standards entspricht und heute wieder auch beleibt. Dazu kommen im Osten oft noch Kommunale Unternehmen die große Menge „alt bestände“ halten.
Insofern wen das ein Thema ist es vermutlich wichtig hier auf die Unterschiede Ost / West einzugehen.

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Unbenommen sind Wohnungsgenossenschaften keine neue Erfindung, ich würde nur gerne dazu beitragen ihr etwas verstaubtes Image aufzufrischen.

Ich habe gerade mal recherchiert und tatsächlich liegt laut GdW Jahresstatistik 2020 der Marktanteil von Wohnungsgenossenschaften in den Neuen Bundesländern bei 18,8% und in Alten Bundesländern bei 7,7% (da kann sich der Westen Deutschlands schon mal eine Scheibe von abschneiden!).

In Ost- und Westdeutschland herrscht allerdings in vielen Großstädten ein akuter Wohnungsmangel, erstrecht für einkommensschwache Teile der Bevölkerung (vgl. Wohnen. Die neue soziale Frage?). Gründe hierfür sind sicherlich (neben andere Faktoren), dass sich Deutschland zu Beginn der 90iger von der Wohnungsgemeinnützigkeit verabschiedet hat und Rendite-orientierte Aktiengesellschaften in den Wohnungsmarkt eingestiegen sind.

Bei Wohnungsgenossenschaften sehe ich hier den großen Vorteil, dass sie eben nicht Rendite-orientiert sind, sondern primär ihren Mitgliedern (bezahlbares) Wohnen ermöglichen sollen. Wohnraum der genossenschaftlich organisiert ist, ist also dem Spekulationsmarkt entzogen.

Auf der Hompage der WBG heißt es:

Genossenschaften arbeiten nicht gewinnorientiert und sind weder Aktionären noch Anteilseignern verpflichtet, sondern einzig und allein ihren Mitgliedern. Erwirtschaftete Überschüsse werden in die Erhaltung und Modernisierung der Bestände, in den Neubau und in den Ausbau der Service-Angebote investiert.

Über den Kurs der Genossenschaft kann jedes Mitglied gleichberechtigt mitbestimmen: Die demokratische Organisation von Genossenschaften gewährleistet, dass stets im Sinne der Mitglieder entschieden und gehandelt wird.

Gerade den partizipativen Aspekt von Genossenschaften finde ich in Zeiten allgemeiner Politikverdrossenheit ziemlich spannend. Seit dem ich bspw. Genossenschaftsmitglied bei der Grüner Weiler eG (einer Wohnugsgenossenschaft im Aufbau) bin, beschäftige ich mich vielmehr mit Kommunalpolitik.

Kleiner Cliffhänger, die Tage werde ich hier auch noch ausführen, was ich unter neuem genossenschaftlichen Wohnen verstehe und warum ich der Meinung bin, dass das ein interessantes Thema für eine Lage-Reportage sein könnte :wink:

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Ein Weiter Faktor, der im Osten hinzu kommt. Hier wurden nach der Wende massiv Plattenbauten abgerissen.

Das hatte den Grund, das viele nach der Wende sich den Traum von Eigenheim erfüllt haben. Das betraf insbesondere Plattenbau Viertel, die kurz vor der Wende gebaut wurden. Da hier besonders viele junge Familien wohnten. Dadurch kam es auch diesen Siedlungen zu einer gewisse sozialen Schieflage, wer es sich leisten konnte zog aus.
Dazu kommt das die Qualität der bauten zu DDR Zeiten immer weiter abgenommen hatte, so das die kurz vor der Wende gebauten Plattenbauten auch von der Bausubstanz oft nicht so gut waren.

Jedenfalls gab es nach der Wende sehr viel Leerstand in bestimmten Plattenbausiedlungen, und hier wurde dann viele Blöcke abgerissen. Dafür gab es sogar Geld vom Staat für die Wohnungsgenossenschaften.

Tatsächlich hab ich von einen Fall gehört, wo vor Korona eine WG noch Blöcke in einer ca. 50.000 Einwohner großen Stadt abreisen wollte. Dies wurde von der Stadt mit hinwies auf einen „neue Ansiedlung“ und den damit benötigten Wohnung verhindert und die Wohnungen wurden saniert.

Die Aussagen der Homepage des WBG teile ich so grundsätzlich wie sie klingen nicht, da natürlich auch Genossenschaften letztlich gewinnorientiert arbeiten und ihren Anteilseignern (den Mitgliedern) verpflichtet sind. Worin dieser Gewinn liegt (z.B. günstige Mieten) mag unterschiedlich sein und auch die Entscheidungsfindung ist demokratischer als bei der klassischen Aktiengesellschaft, bei der lediglich der Geldbeutel über das Ausmaß der Mitbestimmung entscheidet.

Ein Problem, über das ich in Gesprächen mit einigen Gründern und Vorständen von Genossenschaften gestolpert bin, scheint im Begriff des „Genossen“ selbst zu liegen. Der klingt wohl für manche zu politisch gefärbt, was dazu führen kann, dass genossenschaftliche Projekte weniger gesellschaftliche/politische Unterstützung erhalten als möglich wäre.

Davon ab finde ich Genossenschaften gerade wegen der von dir genannten partizipatorischen Aspekte ebenfalls ziemlich spannend. Sie bieten einen interessanten Rahmen für moderne Probleme, sowohl im Bereich Wohnungsbau als auch in anderen Bereichen wie potenziell Mobilität und der Frage, in wessen Besitz lokal geteiltes Eigentum (z.B. ein von mehreren Familien geteiltes Auto) sein soll.

Wäre toll, wenn die Lage den Themenkomplex aufgreift.

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Ich finde Wohnbaugenossenschaften auch sehr spannend.

Da das Thema Mieten hier im Forum ja schon sehr kontrovers diskutiert wurde, würde mich in dem Zusammenhang interessieren, ob es in Eurer Genossenschaft auch vertraglich geregelte Mietanpassungen gibt. Finanzierung scheint ja recht „klassisch“ zu sein.

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Ich habe gerade mal nachgeschaut: die GBW ist keine Genossenschaft, sondern eine Aktiengesellschaft gewesen. Sie hat allerdings sozialen Wohnungsbau betrieben. Weniger sozial ist allerdings der GBW-Wohnungsverkauf, über den die Artikel berichten, die @Schlossermeister eingestellt hat.

Ja, Genossenschaften sind gewinnorientiert insofern sie grundsätzlich wirtschaftlich sein müssen. Aber gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 GenG ist der Zweck einer Genossenschaft, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Dies bedeutet, dass die Hauptzielsetzung einer Genossenschaft nicht die Gewinnerzielung sein sollte, sondern vielmehr die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Belange ihrer Mitglieder.

Für Wohnungsbaugenossenschaften gelten in Deutschland noch einmal besondere Regeln: Gemäß § 2 Abs. 1 WGG ist der Zweck einer Wohnungsgenossenschaft die wirtschaftliche Förderung und Selbsthilfe ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zur Schaffung und Erhaltung von Wohnraum. Dies bedeutet, dass der Hauptzweck einer Wohnungsgenossenschaft in der Schaffung und Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum für ihre Mitglieder liegt.

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Finde ich grundsätzlich gut. Das man neben dem eigentlichen Wohnen auch noch soviel Projekte drumherum (Mobilität, Co-Working) mit einbaut kommt mir zwar etwas überbordend vor, aber vielleicht braucht man heutzutage soviel Optimismus um Leute dafür zu begeistern.

Kann mich dem, was du schreibst nur anschließen. In Berlin gibt es bei den Wohnungsgenossenschaften jahrelange Wartelisten, bevor man eine Wohnung bekommt, so beliebt sind die Wohnungen.

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Partizipation in Genossenschaften

Die Rechtsform Genossenschaft bietet hier viele Möglichkeiten, gleichzeitig hängen Umfang und Qualität der Partizipation auch stark von der jeweiligen Genossenschaftssatzung und der jeweiligen demokratischen Kultur einer Genossenschaft ab.

Wir sind bspw. in unserem Projekt in einem permanenten Prozess wie partizipative Strukturen verändert und weiter aufgebaut werden können. Natürlich gibt es die jährliche Generalversammlung, aber hier werden „nur“ wenige Grundsatzentscheidungen getroffen. Partizipation läuft in unserem Projekt vor allem auch über Arbeits- und Projektgruppen, die dem Vorstand zuarbeiten. Im operativen Tagesgeschäft entscheidet de iure (und de facto) am Ende des Tages meistens der Vorstand (bei einem so großen Bauprojekt wäre es auch schwerlich praktikabel alle baulichen Details basisdemokratisch auszuhandeln), gleichzeitig versuchen wir vermehrt Stimmungsbilder und Diskussionen auf den monatlichen Plenen und in unserem internen Forum zu nutzen, um bestimmte Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen. Es macht auf jeden Fall Spaß, sich an diesem Prozess zu beteiligen!

Wenn es schlecht läuft, kann Partizipation in einer Genossenschaft auch zu Buffets statt Mitbestimmung degenerieren.

So spannend ich die interne Partizipation in einer Genossenschaft finde, ich teile auch die folgende Einschätzung des Stadtsoziologen Andrej Holm (Quelle ist der oben verlinkte Artikel)

»Eine Strukturveränderung von innen reicht nicht aus, es müssen sich auch die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen verändern«, meint Andrej Holm. Er hofft darauf, dass sich Genossenschaften wieder stärker als politische Akteure verstehen und selbst formulieren, wie beispielsweise Förderprogramme aussehen müssten, die von ihnen auch in Anspruch genommen werden.

Hier könnte der konstruktive Journalismus und ganz konkret die Lage der Nation mit einem Reportage-Special eine gute Unterstützung sein, um ein Bewusstsein zu schaffen und Prozesse anzuschieben!

Noch ein interessanter Medien-Hinweis zum Thema Partizipation in Genossenschaften: ein Mitgenosse hat mich auf die Studie Partizipationspraktiken in Genossenschaften aufmerksam gemacht. Ich konnte sie bisher nur überfliegen, aber das war schon spannend.

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Genossenschaften können so einiges

In dieser Angelgenheit habe ich noch zwei Medien-Hinweise:

Neues genossenschaftliches Wohnen

Das ist auch eine super Überleitung für das, was ich unter neuem genossenschaftlichen Wohnen verstehe. In unserem ersten Wohnprojekt Grüner Weiler geht es nämlich nicht nur darum neuen Wohnraum zu schaffen, sondern auch um die Frage, wie wir dort zusammenleben.

Wir versuchen nächmlich sowohl ökologische, als auch soziale Nachhaltigkeit mitzudenken. Ein paar Beispiel für die beiden genannten Aspekte…

Ökologische Nachhaltigkeit :

  • Bescheidenheit bei der Wohnraumfläche pro Kopf (im Projektschnitt 33 m² pro Person; der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 47 m² pro Person)

  • Flächenrecycling durch Bau auf einer Konversionsfläche

  • Effizienzhaus-Stufe 40 (KfW) mit Nachhaltigkeits-Klasse

  • Strom durch eigen PV-Anlage auf dem Dach, Wärme durch Erdwärme und Nutzung von Regenwasser für Toilettenspülungen und Waschmaschinen

  • Mobilitätskonzept: Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (auch durch Satzungsvorgaben), Förderung von Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung

  • Sharing von Fläche (10% Gemeinschaftsfläche) und Gegenständen (Bibliothek der Dinge, gemeinsamer Waschsalon,etc.)

  • Kooperation mit lokaler ökologischer Landwirtschaft

Soziale Nachhaltigkeit:

  • Ca. die Hälfte unserer Wohnungen sind geförderte Wohnungen (für Menschen mit geringem Einkommen).

  • Menschen, die Geld übrig haben, erwerben freiwillig Anteile, damit andere, die wenig Geld haben, weniger Anteile erwerben müssen („Solidarfonds“).

  • In der Wohnpflege-WG ist Platz für pflegebedürftige Menschen.

  • einen Anteil von 10 % der Wohnflächen als gemeinschaftlich genutzte Räumlichkeiten mit Begegnungsmöglichkeiten: „Kulinarium“ für gemeinsame Mahlzeiten, „Grüner Salon“ als gemeinsames Wohnzimmer, Kinderspielzimmer, zentraler Waschsalon, Fahrrad-, Metall-, Holz- und Textilwerkstatt, Ruhebereich

  • Angebote für Bewohner*innen des Quartiers: Veranstaltungsraum und Kieztreff soll durch den Quartiersverein Kurbelbox e.V. unterhalten werden

Finde ich klasse! Habt ihr Pläne für eine Gemeinschaftswerkstatt (Holz, Metall, Reparatur)?

Ja, es wird eine Holzwerkstatt, eine Fahrrad/Metall-Werkstatt (neben der Velo-Halle) und eine Textilwerkstatt geben.

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Und aus dem Grund wäre es meiner Meinung nach schwer sinnvoll mehr genossenschaftlich organisierten Wohnraum zu schaffen :slight_smile:

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Finde ich sehr spannend, vor allem auch noch unter einem weiteren Aspekt: so wie du schon die ehemalige Kaserne erwähnst, gibt es ja wirklich jede Menge Bauten, die man für Wohnzwecke umnützen könnte, was aber für Einzelpersonen oder kleine Gruppen nicht zu stemmen ist. Pleite gegangene Kaufhäuser, alte Fabrikgebäude, ehemalige Krankenhäuser und bei uns in der Nähe gibt es sogar ein ganzes, quasi verlassenes Dorf, was dafür geeignet wäre. Da braucht es aber entsprechendes Know How, gute Organisation und idealerweise auch staatliche Unterstützung

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Genossenschaftlich organisierte Dörfer und Stadtquartiere

Absolut, da sehe ich auch ein großes Potenzial.

Hier ist ein interessantes Beispiel das Kodorf Wiesenburg, wo ein genossenschaftlich organisiertes Dorf rund um ein verlassenes Sägewerk entsteht.

Neben Wohngenossenschaften gibt es auch ganze Quartiere, die genossenschaflich organisiert sind. Ein Beispiel für eine Quartiersgenossenschaft ist die GeQo eG, die von den (zukünftigen) Bewohner*innen des Prinz Eugen Parks in München ins Leben gerufen wurde.

Bzgl. Quartiersarbeit finde ich auch den folgenden Beitrag des Baden-Würtembergischen Genossenschaftsverbands spannend: Das Quartier genossenschaftlich als Innovationsökosystem gestalten

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