Mythos Ladesäulen am Beispiel einer Kleinstadt

Ich würde gerne anhand eines Rechenbeispiels aufzeigen, wieviele Ladesäulen eigentlich nötig sind, damit eine Kleinstadt mit 10.000 vollelektrischen PKW funktioniert:

Erstmal, wieviele Kilometer in der Woche fährt ein PKW in Deutschland eigentlich?

Pkw-Halter haben bei ihren Versicherungen im Jahr 2020 durchschnittlich eine jährliche Fahrleistung von 11.387 Kilometern genannt – 346 Kilometer weniger als im Jahr 2019. Das geht aus einer Auswertung der Internetseite Check24 hervor.

Ich will hier mal großzügig auf 12000km pro Auto im Jahr aufrunden. Das würde bedeuten:

230km in der Woche (52 Wochen) pro PKW.

Wie lange braucht man an einem Supercharger um diese 230km aufzuladen?

An einer DC Schnellladestation reicht die Ladegeschwindigkeit eines VW ID3 aus, und der ID3 ist wahrlich nicht der schnellste bei der Ladegeschwindigkeit, um die wöchentlichen 230km innerhalb von 30min zu laden.

Mit etwas mehr als 75km Reichweite pro 10min Aufladung am Supercharger kommt man innerhalb von 30min auf die durchschnittlichen 230km pro Woche.

Angenommen, dass es Supercharger auf Parkplätzen von Supermärkten, Drogerien und Baumärkten gibt, an denen von Montag bis Samstag (6 Tage) von 8 bis 20 Uhr (12 Stunden) geladen werden kann, dann sind das pro Supercharger 144 ,30 Minuten Slots,. (6 * 12 * 2).

Das bedeutet für eine Kleinstadt mit 10.000 vollelektrischen PKW, dass 70 Supercharger (10000 / 144) ausreichen, um alle 10.000 PKWs in der Woche zu bedienen.

Wenn wir davon ausgehen, dass es in dieser Stadt 10 Parkplatzflächen vor Supermärkten, Drogerien und Baumärkten gibt, dann müssten lediglich 7 Supercharger pro Parkplatzfläche stehen, um die 10.000 vollelektrischen PKW zu bedienen.

Dann hat aber keine einzige Person daheim an der Wallbox geladen, niemand bei Stationen von Tesla oder Ionity, niemand an einer öffentlichen 24h Ladesäule, … .

Und jeder PKW hat dies innerhalb von 30min neben des Einkaufs gemacht. Keine Extrastrecke, nichts.

Und das nicht mit Technik von morgen, sondern mit der heutigen Fahrleistung, mit der jetzt schon überholten 400V Technik des ID3 und der heutigen Leistung der Supercharger.

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Danke, schön Herleitung. Ein paar Punkte muss man allerdings noch einbeziehen.

So rechnest du in deinem Beispiel mit dem gleichverteilten Eintreffen von Fahrzeugen und idealer Auslastung. Das ist sicher nicht der Fall, sondern es gibt Ballungen um den Mittag und zum Feierabend. Menschen fahren den Akku auch nicht auf 10% runter um dann auf 100% zu laden. Viele werden sich auch schon bei 30-50% anhängen wollen. Dabei wird aber üblicherweise bei 80% die Ladegeschwindigkeit zum Schutz des Akkus reduziert. Auch werden Kunden nicht nach 30 Minuten den Einkauf unterbrechen um umzuparken.

In der Praxis werden für solche Probleme relativ komplexe Monte-Carlo Simulationen gemacht. Wie das Ergebnis aussieht weiß ich nicht. Ich vermute aber du unterschätzt die benötigte Anzahl um Faktor 2-3. Das ist aber nur Bauchgefühl.

Ja vollkommen klar, natürlich basiert meine Rechnung auf einer idealen Gleichverteilung.

Aber mein Szenario spielt ja eigentlich in 2045, in einer Stadt mit 100% E Autos.
Und ich gehe ja auch davon aus, dass alle PKW vor dem Supermarkt laden.
Wenn man annimmt, dass 25% an der eigenen Wallbox laden, und weitere 25% entlang der Fernstraßen oder beim Arbeitgeber, dann ist der Faktor 2 bereits kompensiert.

Dazu kommt ja auch noch, dass bereits die 2023 Hyundais mit 800V Technik fast doppelt so schnell laden können wie der ID3.

Runtergebrochen auf das Ziel 2030 von 15 Millionen E Autos, sprich 1/3 von den aktuellen etwa 45 Millionen, würde man idealisiert mit 3 Superchargern pro Parkplatz hinkommen. Das klingt für mich absolut möglich.

Das ist ein guter Punkt. Du hast recht. Mein Bauchgefühl bezog sich auch eher auf den aktuellen Stand der Technik. Die aktuelle Versorgungsquote lädt nicht unbedingt zum Kauf eines E-Autos ein. Ich sehe an den Ladesäulen bei mir fast nie eine freie. Es sind auch meist immer die gleichen Fahrzeuge. Manche Stromer scheinen die Säulen hier als regulären Parkplatz zu nutzen (auch ohne eingestöpselt zu sein).

Mal ein Situationsbericht aus einem Stadtteil der Stadt Bochum:

Ich lebe direkt in einem kleinen Ortsmarktplatz in einem großen, von Mehrfamilien-Altbauten geprägten Wohngebiet. Der Marktplatz ist 50 Meter entfernt, die Einkaufsstraße mit zahlreichen Geschäften und Discountern ebenfalls. Also ich lebe keinesfalls „auswärts“.

Der Stadtteil hat knappe 25.000 Einwohner und ist damit der größte in seinem Stadtbezirk. Er is dicht besiedelt. Es gibt laut Ladesäulenkarte der Bundesnetzagentur exakt ZWEI Ladesäulen in dem gesamten Stadtteil. ZWEI. Die nächste Ladesäule ist von meiner Wohnung aus 1,3 km Luftlinie bzw. 2 km Straßenweg entfernt. Die nächste Schnellladesäule ist 2,3 km Luftlinie bzw. 3 km Straßenweg entfernt im Nachbarstadtteil.

Wie gesagt, wir reden hier von einem dicht besiedelten Stadtteil einer deutschen Großstadt mitten im Ruhrgebiet. Sorry, aber mit dieser Infrastruktur ist der Betrieb eines e-KFZ für die meisten Menschen hier einfach keine Option.

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Ich lebe im Westen Augsburg, und bin umgeben von mittelgroßen Mehrfamilienhäusern, so zwischen 4 bis 10 Wohnungen pro Haus.
Ich gebe dir recht, es wird sehr schwierig, an diesen Häusern selbst Wallboxen anzubringen, insbesondere weil die wenigstens PKW Stellplätze haben, 90% Laternenparker (was eigentlich eine Sauerei ist, dass selbst in den 80er als das Wohngebiet entstand, ohne Stellplätze und Tiefgarage gebaut wurde).

Wenn ich mir aber ansehe, wieviele Geschäfte mit doch recht viel Parkplatzfläche rund ums Wohngebiet, teilweise darin, es gibt, dann kann es nur so funktionieren, dass die Ladesäulen dort auf den Parkplätzen stehen, und mMn sind genug solcher Parkplätze da, zumindest in Augsburg Pfersee.

Noch besser ist die Ausgangslage in der 20000 Einwohnerstadt in der ich aufgewachsen bin. Viele Einfamilienhäuser, und noch mehr Parkplatzflächen vor den Läden, weil immer schon alles aufs Auto konzentriert war, und kein Laden ohne großen Parkplatz gebaut wurde.

Es gibt im Betrieb des Elektroautos eben einige Variablen, die auch bei nicht vorhandener Wallbox oder auch öffentlicher Infrastruktur im unmittelbaren Umfeld die private Nutzung nicht ausschließen.

Ich kann aktuell nicht zuhause laden, sondern nur in der Firma (hohe Anzahl an öffentlichen Ladepunkten). Ich komme im Frühling-Herbst mit einer Ladung pro Woche hin, im Sommer (viel Klimaanlage) und Winter (viel Heizung) reicht es meist nicht ganz (400km Fahrleistung Mo-Fr).
Wenn ich weiß dass ich am Wochenende fahren will/muss, dann mache ich am Freitag halt voll und bei Bedarf wieder Montags. Wenn ich weitere Strecken als 400km fahren will, muss ich unterwegs sowieso nachladen, ist also noch weniger ein Problem.
Sicherlich ist es eine recht einfache Situation, wenn beim Arbeitgeber so viele Säulen verbaut sind, dass man immer zuverlässig und problemlos laden kann. Meines Erachtens sollte man da aber auch die Arbeitgeber sofern möglich mehr in die Pflicht nehmen. Habe auch schon öfter gehört, dass das ansprechen des Themas bereits geholfen hat und zur Installation von Wallboxen geführt hat, weil vorher einfach kein Bedarf erkannt wurde.

Falls jemand hier mal bei sich die Situation um Ladeinfrastruktur prüfen will, am besten mal hier schauen:
https://www.plugshare.com/de

Ein ganz cooles Unternehmen ist On-Charge, die bauen wenn möglich öffentliche Ladestationen an deiner Wunschadresse. Ist vielleicht mal einen Versuch wert.

Dazu noch eine kleine Anmerkung: DC Laden mit hoher Ladeleistung sollte bei Elektroautos nicht ausschließlich, sondern eher selten genutzt werden. Das Laden der Batterie am maximalen Limit kann die Lebensdauer deutlich beeinträchtigen, insbesondere bei Fahrzeugen mit kleinem Akku und ohne aktives Thermomanagement. Dies gilt aber auch für Fahrzeuge der Luxusklasse.
Denkbar wäre eine DC-Säule mit geringerer Leistung anzufahren, dann dauert es aber eben entsprechend länger.

400V Systeme sind nicht zwangsläufig überholt. Begrenzender Faktor beim Laden ist hier immer die Batterie (wenn es nicht die Säule ist). Ein ID3 mit 800V System könnte mit gleicher (intern anders verschaltetet Batterie) dennoch nicht schneller laden. Die Zellen bleiben ja gleich, es ändert sich lediglich die Anzahl der in Reihe und Parallel geschalteten Zellen) Die höhere Spannung ermöglicht lediglich mehr Strom über den gleichen Leitungsquerschnitt zu geben, was bei einer potenteren Batterie dann auch mehr Leistung ermöglicht.

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