oft hat man seit dem 07.10.2023 den Hinweis gehört, die Hamas könne den israelischen Krieg im Gazastreifen binnen weniger Stunden beenden. Sie müssten nur die Geiseln freilassen.
Lange war ich auch der Meinung. Aber mittlerweile bin ich mir darüber nicht mehr sicher.
Zuvor eine Recap der letzten Wochen seitdem der Waffenstillstand beendet wurde und Israel wieder in Gaza vorrückt. Beide Seiten beschießen sich wieder und verursachen enormes Leid. Aber auch abseits der rein militärischen Logik passierte einiges Bemerkenswertes.
Flüchtlinge werden wieder wild quer durchs Land getrieben.
Die USA äußern ihre Sympathie für eine Deportation der Palästinenser, um das Gebiet anschließend nach eigenem Gutdünken zu entwickeln.[1]
Israel äußert Interesse an einer Deportation der Palästinenser und überlegt laut wohin diese gebracht werden könnten.[2] Erste Abkommen werden werden geschlossen[3] und eine Behörde dazu geschaffen.[4]
Israel riegelt den Gazastreifen erneut ab. Es gibt keine Lebensmittel, Arzneimittel oder ähnliches mehr.[5] Ziviles Leben in Gaza wird unmöglich gemacht
Die IDF lockt anscheinend zivile Rettungskräfte in Hinterhalte und tötet diese.[6]
Israel richtet eine sogenannte Pufferzone in Gaza ein, aus der sie palästinensisches Leben verbannt. 16 % des Gebiets gehören dazu. Ägypten hat nun keine Verbindung mehr zum Gazastreifen.[7]
Eine israelische NGO veröffentlicht Aussagen von IDF-Soldaten, die von schweren, koordinierten Kriegsverbrechen berichten. So werden Zivilisten gezielt und ohne Warnung getötet und die wenigen noch bewohnbaren Gebäude in der Pufferzone zerstört.[8, 9]
Das Siedlungsprogramm im Westjordanland wird massiv ausgebaut[10] und Palästinenser zu diesem Zweck auch mit Gewalt vertrieben.
Nichts davon ist neu.
Weniger besprochen ist, die große Zustimmung der israelischen Bevölkerung zu Netanjahus Kurs. Es gibt Proteste gegen ihn, nur leider wegen ausbleibender Geiselverhandlungen und seine Angriffe auf die israelische Demokratie, nicht gegen Kriegsverbrechen. Aufmerksam darauf machte mich nun ein Artikel auf Zeit-Online. Dort las ich über 3 Mädchen im SOS Kinderdorf Bethlehem. Der Artikel berichtet u.a. über deren Evakuierung Kinderdorf Rafah.[11] Anscheinend benötigte es monatelange geheime Verhandlungen zwischen Baerbock und Netanjahu und absolute Geheimhaltung vor dem Sicherheitskabinett, da der israelische Premier Sorge vor Protesten in der Bevölkerung hatte wenn man Kinder aus Gaza evakuiere. Er behielt recht. Die Evakuierungsroute wurde geleakt. Einige Israelis kamen, demonstrierten gegen die Evakuierung, pöbelten und versuchten die Busse aufzuhalten. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich nannte die Evakuierung der Kinder aus Gaza ein „ethisches Versagen“.
Ich bitte daher die Hosts sich mit folgender These auseinanderzusetzen: Israel ist vom 07.10.2023 schwer traumatisiert und hat mehrheitlich kein Mitleid mehr mit Zivilisten in Gaza. Das berichten auch deutsche Journalisten aus Israel. Einiges deutet aktuell auf langfristige Vertreibung oder Unterdrückung der Palästinenser durch die aktuelle israelische Regierung hin. Unter diesen Umständen fungieren die Geiseln als letzter Faustpfand und Schutzschild der Menschen in Gaza und könnten nur gegen glaubhafte Sicherheitsgarantien ausgetauscht werden, die aber niemand geben kann oder will.
Und warum sollte Israel darauf eingehen? Im aktuellen Koalitionsvertrag bekräftigt man den Anspruch auf das Gebiet „From the River to the Sea“.[12] Wie kann man so die Freilassung der Geiseln fordern? Was wenn man dadurch Millionen Palästinenser zur Vertreibung aus Gaza verurteilt?
Der israelische Krieg im Gazastreifen wäre gar nicht erst entfacht worden, hätte es eine islamistische, vom Iran finanzierte Terrormiliz namens Hamas nicht als opportun empfunden, Zivilisten zu foltern, zu ermorden und zu verschleppen. Dieser Kommentar diskutiert für mein Verständnis viel zu intensiv die - zweifellos streitbaren - Folgen, während die Ursachen bewusst unterkomplex oder gar semantisch im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr abgehandelt werden. Ohne die Hamas lebte Gaza gewiss sicherer (und Israel wird - glücklicherweise - nicht verschwinden).
Dem würde ich nie widersprechen. Die Hamas hat den Krieg mit ihrem widerlichen Angriff verursacht.
Aber darum geht es hier in der konkreten Fragestellung nicht. Es geht nicht um den Blick zurück, sondern um die Frage wie es weiter geht.
Bitte lasst uns darüber konstruktiv sprechen und nicht zum 100. mal feststellen was die Hamas für ein ekelhafter Haufen ist. Der Großteil der Palästinenser in Gaza kann noch weniger für ihre Hamas-Diktatoren als die israelische Bevölkerung für Bibi und seine Rechtsextremisten-Crew. Und kein Zivilist hat es verdient Kriegsverbrechen zu erleben.
Letztlich ist dies Argument ein moralisch höchst zweifelhaftes „Auge und Auge, Zahn um Zahn“-Argument (Prinzip der Vergeltung).
Wie lange noch wollen wir das als Ausrede nutzen, um beide Augen und beide Ohren fest zu verschließen vor dem, was Israel im Gazastreifen tut? Das, was Israel tut, passiert heute und morgen und übermorgen.
Nur, um vorzubeugen: Der Terrorakt der Hamas und die Geiselverschleppung sind ohne jeden Zweifel mindestens ebenso zu verurteilen. Aber jedes Mal, wenn man das nicht ausdrücklich sagt, zu sagen, man habe da ein ganz wichtiges Argument übersehen, ist wirklich ermüdend.
Ich habe mich schon oft genug und deutlich genug zu diesem Thema hier im Forum geäußert, insofern ist
freundlich formuliert ein Strohmann. Es wäre nett, wenn du sachlich bleiben könntest, @TilRq .
Der Titel des Threads beinhaltet explizit eine Annahme. Ich kann doch die Sinnhaftigkeit von Annahmen anzweifeln, ohne zugleich von der deutschen Außenpolitik zu erwarten, dass sie die Augen vor Fakten verschließt.
Fakten sind Fakten und Annahmen sind Annahmen. Und unfaire Unterstellungen sind unfaire Unterstellungen, auch wenn sie in „Meinst du nicht?“ verpackt daherkommen. Und ermüdend sind sie ebenfalls
Ich finde wichtig die Frage zu klären, ob Gaza damit rechnen muss Opfer einer Justiz der Sieger zu werden, wenn es die Geiseln frei lässt. Denn wenn das der Fall ist, dann können wir noch so oft mit erhobenem Zeigefinger fordern die Geiseln freizulassen. Die Hamas könnte es gar nicht tun.
Wenn man darüber nachdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass eine erfolgreiche Befreiuung der Geiseln nur möglich sein wird wenn es Schutzgarantien für Gaza (nicht die Hamas!) geben wird.
Dazu müsste Israel erklären die aktuellen Vorhaben fallen zu lassen. Schwer vermittelbar für die aktuelle israelische Regierung nach innen und noch schwerer glaubhaft nach außen zu vertreten. Und es müsste den Palästinensern Sicherheitsgarantien durch neutrale Länder und eine eigene Verwaltung zugestehen (was gegen Koalitionsvertrag und Gründungscharta des Likuds widerspricht). Was meiner Überzeugung die Geiseln nicht (lebendig) befreien wird ist die aktuelle Offensive. Und ich bin mir sicher, dass auch Bibi nicht daran glaubt, sondern von seinen Partnern und der öffentlichen Stimmung getrieben ist.
Daraus ergibt sich eine Verantwortung zum Handeln für uns (Deutschland/EU). Zum einen müssten wir uns als mögliche Sicherheitsgaranten in Stellung bringen. Zum anderen müssten wir unsere einseitige Parteinahme infrage stellen. Denn die militärische Logik ist absehbar ungeeignet die berechtigten Ziele Israels zu erreichen. Und die diplomatische Geiselbefreiung ohne Sicherheitgarantien ist zwar moralisch absolut geboten, kommt aber anscheinend der Selbstaufgabe der Palästinenser in Gaza gleich.
Mit meinem Themenvorschlag bitte ich darum erst einmal die vorgestellte Logik zu überprüfen und oder weiterzuentwickeln. Das Thema ist komplex und daher können schnell Fehler passieren. Und selbst wenn nicht können andere User auch kluge Ideen haben. Weiterhin wäre mir wichtig möglichst konstruktiv zu überlegen wie mit dem aktuellen(!, nicht dem historischen) Konflikt akut umgegangen werden muss und welche Handlungsspielräume sich dafür für uns ergeben.
Die Hamas kontrolliert Gaza vollumfänglich, und solange sich das nicht ändert, kann man nicht an ihr vorbei irgendwas regeln. Eine internationale Bemühung müsste zunächst darauf abzielen, die Menschen in Gaza davon zu überzeugen sich gegen die Hamas aufzulehnen.
Ich finde die Annahme mit Verlaub hanebüchen. Die Geschichte hat immer wieder deutlich gemacht, dass ein Verhandeln, Einlenken und Nachgeben bei Geiselnahmen nur zu mehr Nachahmungstaten führt. Die Landshut wurde nur deshalb von den Palästinensern entführt, weil die Geiselnahme von Peter Lorenz zum erfolgreichen Freipressen von Terroristen geführt hat.
Helmut Schmidt hat daraufhin die richtigen Leeren gezogen und allen klargemacht, „der Staat ist nicht erpressbar.“
Die Geiseln können deshalb nie ein Faustpfand und auch kein Schutzschild sein. Sie sind stattdessen der Garant, dass Israel alles daran setzt, die Hamas und ihre Terrormöglichkeiten auszuschalten. Ein friedliches Koexistieren ist so absolut ausgeschlossen. Nur eine Freilassung kann den Menschen in Gaza dienen.
Mit wem möchtest du Verhandeln? Die Geiseln werden von der Hamas festgehalten, eine handlungsfähige Opposition gibt es nicht. Man müsste also mit der Hamas über ihr eigenes Ende verhandeln. Diese sollen dann am Ende einlenken, bekommen aber keine Schutzgarantien (!), denn diese sind ja explizit nicht für die Hamas gedacht.
Soll sich die Hamas dann auf das Versprechen der 72 Jungfrauen im Paradies selbstlos aufgeben oder wie läuft das in deiner Vorstellung ab?
Mit der Hamas. … Israel hat in der Vergagenheit bereits mit der Hamas verhandelt und auch ein Waffenstillstandsabkommen mit ihr geschlossen. Israel hat diesen Waffenstillstand dann einseitig aufgekündigt als er wie vereinbart in die zweite Phase übergehen sollte. Das wollte Israel nicht, weil seit dem Abschluss des Waffenstillstands die Regierung in den USA gewechselt hat und die Trump-Regierung Israel einen Freifahrtschein gegeben hat, die Bevölkerung aus dem Gaza Streifen zu vertreiben. Daher hat Israel den Waffenstillstand aufgekündigt, die Kämpfe in Gaza wieder aufgenommen und sämtliche humanitäre Hilfe blockiert.
Ich glaube die Frage ist ein Gedankenspiel das ich persönlich intellektuell interessant finde, aber in einer Öffentlichkeit falsch verstanden werden kann. Die Situation ist extrem verfahren.
Leider gießt Israel gerade weites Öl in das Feuer mit der „Sicherheitszone“ (30 Prozent des Gaza-Streifens) und vollständiger Blockade der Hilfslieferungen.
Ich befürchte, dass auf allen Seiten zu wenig Leute einen stabilen Frieden wünschen.
Bitte keine Versteckspielchen.
Du antwortest auf meinen Beitrag, in dem ich offen hinterfrage, ob wir dem TO folgen und spekulieren sollten. Würdest du nicht annehmen, dass ich gegen das Spekulieren bin – wie ich das ja auch für jeden sichtbar ausgedrückt habe –, welchen Sinn würde dann deine rhetorische Frage ergeben?
Positiv formuliert: Du siehst, dass ich der Meinung bin, wir sollten nicht darüber spekulieren, wie Israel sich verhalten würde, sollte die Hamas alle Geiseln freigeben. Darauf reagierst du mit der rhetorischen Frage, die impliziert, dass meine Position dagegen sei, dass die deutsche Außenpolitik auf Fakten reagiere – Fakten, die sich aktuell in Gaza abspielen.
Deine Antwort, die an Clozapin gerichtet ist, zeigt in aller Deutlichkeit, dass du der Meinung bist, „wir Deutschen“ würden die Augen verschließen vor dem, was in Gaza aktuell stattfindet.
Es ist unlauter, wenn du dich nun dahinter zurückziehst, du hättest nur @Clozapin zitiert und deswegen würde das, was du da geschrieben hast, nicht für mich gelten. Denn wenn du meine Position anders als die angebliche Augenschließerei einordnen würdest, dann würde deine klar an mich gerichtete rhetorische Frage keinen Sinn ergeben.
Tl;dr:
Die Argumentationskette lautet:
Ich sage: Spekulationen sind nicht zielführend.
Du sagst: Meinst du wirklich, Schiessbogen, dass die deutsche Außenpolitik weiterhin die Fakten in Gaza ignorieren sollte?
Du sagst ferner – an @Clozapin gerichtet –: wie lange sollen wir noch die Augen verschließen vor den Fakten in Gaza?
Und mit letzterem Satz (3.) soll mein Statement nicht mit gemeint gewesen sein?
Das geht logisch nicht, auch wenn du dich da rein äußerlich nur auf @Clozapin beziehst.
Deswegen war meine Antwort an dich durchaus angebracht, und dein nachträgliches Beharren auf den formellen Bezug auf @Clozapin s Post eine Nebelkerze.
Das heißt man vertreibt jetzt offiziell dauerhaft Zivilisten aus 30% von Gaza. Darüber hinaus erklärt man einseitig die dauerhafte Besatzung von Bereichen Libanons (der Israel grundsätzlich freundlich gesinnt ist, aber den terroristischen Arm der Hisbollah nicht im Griff hat) und besetzt uneingeladen einen Teil der UN-kontrollierten Pufferzone in Syrien.
Ich bekräftige damit die These. Würde die Hamas heute anbieten die Geiseln auszutauschen müssten sie morgen damit rechnen, dass die IDF weitere 50 % des Gebiets einnimmt und die Palästinenser auf den restlichen 20% zusammenpfercht bis diese freiwillig fliehen.
Das Gebiet muss sich daher in einem Existenzkampf wähnen und hat kaum die Möglichkeit die Geiseln auszutauschen, solange sich keine Schutzmächte finden.
Diese Diskussion ist absurd, weil die Hamas die Geiseln nicht freilässt.
Die Situation ist schon schlimm genug. Es ist gar nicht erforderlich, sich noch unwahrscheinliche Szenarien vorzustellen.