Linker Umgang mit Nahost

Gerade deswegen würde ich solche Begriffe nicht in die deutsche Debatte einführen. Nimm es mir nicht übel, wenn ich bei dem Thema besonders vorsichtig bin. Als Sprecher würde ich schon den Anschein vermeiden wollen, den der race Begriff im Hinblick auf Israel hat. Durch solche künstlichen, d.h. sozial konstruierten Begriffe zementieren wir die Unterschiede, und stecken Menschen in Schubladen anstatt unsere Gemeinsamkeiten zu betonen.

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Das habe ich auch nicht gesagt. Offensichtlich geht ein Riss durchs linke Lager und es gibt Anhänger der CRT, die z.B. Israels Recht auf Selbstverteidigung anerkennen. Allerdings gibt es Linke, die sich aus der Binnenlogik der CRT ableiten, dass Israel die Schuld für den Konflikt trägt.

Es ist doch ein fundamentaler Unterschied, ob ich einen Begriff wie „race“ benutze, um zu behaupten, dass es sinnvoll wäre, Menschen aufgrund welcher Merkmale auch immer in verschiede Kategorien einzuteilen und dann daraus abzuleiten, welche Rechte sie haben etc. (also im Sinne des klassischen Rassismus) oder ob ich einen Begriff wie „race“ dazu verwende, zu beschreiben, zu analysieren und zu kritisieren, wie andere dies tun. Und genau das tut die critical race theory - zumindest ihrem Anspruch nach. Sicher kann man diskutieren, ob der Begriff „race“ dafür nötig ist und ob „racialization“ (Rassifizierung) nicht genauer wäre. Aber es ist m. E. hanebüchen, allen, die in offensichtlich kritischer Absicht den Begriff „race“ verwenden, rassistisches Denken zu unterstellen.
Abgesehen davon sind alle Begriffe immer „künstlich“ und „sozial konstruiert“, da Sprache stets etwas Menschengemachtes ist.

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Danke, gute Beschreibung. Rassifizierung als relationaler Prozess, d.h. das Konstruieren von Unterschieden in einer sozialen (oft hierarchischen) Beziehung, ist nach meinem Verständnis (meine Lektüre ist auf wenige, kürzere Werke des Intersektionalitätsdiskurses beschränkt) der Gegenstand der CRT (jedenfalls dem Anspruch nach). Im öffentlichen Diskurs gehen derartige Feinheiten aber in der Regel unter, was durchaus tlw. auch an der Kommunikation derjenigen liegt, die sich auch CRT berufen.

Was immer bleibt, und dessen sollte man sich gewahr sein, ist das Benennungsdilemma oder „dilemma of difference“. Auch durch die kritische Benennung einer sozialen Kategoriesierung - wie zB „race“ reproduziert man sie und gibt man ihr Bedeutung (auch im Verhältnis zu möglichen anderen Kategorien).

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Der Versuch Diskriminierung zu minimieren ist natürlich löblich, jedoch begibt man sich hier schnell in eine gefährliche Ecke. Wenn ich auf die Benachteiligung von schwarzen Menschen aufmerksam machen möchte, muss ich keine race konstruieren. Ich bin der Meinung, damit schadet man mehr als das man bezweckt.
Welche Merkmale zeichnet die race Jude eigentlich aus? Ich bin nicht fähig, diese im Alltag sicher zu erkennen. Wie sieht es mit Vermischungen aus? Wenn ich in der CRT gruppenbezogene Einteilung habe, muss ich auch definieren wie Halb- und Vierteljuden zu klassifizieren sind. Damit tue ich mich sehr schwer.

Die gleichen Denkschulen die CRT hervorgebracht haben, die Eliteuniversitäten der USA, triefen übrigens nur so von Antisemitismus. Hier ein aktueller Beitrag aus dem heute journal vom 01.11

An US-Hochschulen stehen sich pro-israelische und pro-palästinensische Studenten unversöhnlich gegenüber. Antisemitische Angriffe sind in den USA um fast 400 Prozent gestiegen.

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Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Kann mir nicht anmaßen, Critical Race Theory in allen Facetten zu kennen oder in der Tiefe studiert zu haben und möchte solche Verallgemeinerungen daher nicht machen. Zum Kontext: Habe bei der Arbeit mal das Thema Intersektionalität etwas ausführlicher beackert, das auch mit der CRT in Verbindung steht.

In den diskriminierungstheoretischen Werken, die ich gelesen habe, wie gesagt, viele speziell vom Konzept Intersektionalität geprägt, geht es eher um die Diskriminierung als Prozess denn um Gruppenidentitäten. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass es eine hierarchische oder vermachtete Beziehung gibt, die sich in der Diskriminierung niederschlägt. Die Gruppen/Kategorien im Sinne feststehender, monolithischer Einheiten, werden daher zuweilen recht kritisch betrachtet (Stichwort: essentialism). Das gehört zu den Feinheiten, die in der öffentlichen Wahrnehmung schnell untergehen. Die akademische Debatte zu Diskriminierung, auch beeinflusst durch CRT, scheint mir sehr plural. Keine Ahnung allerdings, wie es genau auf den Campus der US-Unis aussieht, da ist ja etwas mehr Kulturkampf als in EU.

Möglich. Diese Begriffe ergeben aus meiner Sicht Sinn zur Bekämpfung von Diskriminierung und strukturellen Nachteilen, wenn man die „Waffe“ des Diskriminierenden gegen diesen selbst richtet. Race kann ich daher anhand der Differenzierung definieren, die der Diskriminierende (nicht zwingend eine Einzelperson) selbst vornimmt (das hat natürlich Grenzen). So können auch Ressourcen zum Abbau von Nachteilen kanalisiert und dorthin gelenkt werden, wo sie gebraucht werden (anders als bei dem - elementaren! - Satz „Alle Menschen sind gleich zu behandeln.“ Das ist einfach nicht so trennscharf.). S. dazu auch die Debatte um das Wort „Rasse“ im GG. Von Diskriminierungskategorien muss auf jeden Fall mit Bedacht Gebrauch gemacht werden.
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Einen anderen Ansatz, an den obiges normatives Konzept nach meinem Verständnis anknüpfungsfähig ist, bieten sozialpsychologische Erkenntnisse zur sozialen Identität: Menschen definieren sich selbst in Abgrenzung von anderen als Teil einer Gruppe. Die Definition der anderen Gruppe (outgroup) ist da auch schon drin. Man kann also einerseits fragen, wie sich Menschen selbst einordnen, andererseits schauen, wie sie andere kategorisieren. Das kann kontextbedingt sehr unterschiedlich sein. Ich muss da immer an die Berichte deutscher Menschen mit Migrationshintergrund denken, die in D als „Ausländer“ wahrgenommen und gelabelt werden, in den Heimatländern ihrer Vorfahren aber auch.

„Jüdisch“ ist ein sehr gutes Beispiel für einige Schwierigkeiten mit kategorialen Diskriminierungskonzepten. Ursprünglich religiös belegt, wurde es mit der Erfindung menschlicher Rassen mehr und mehr biologisiert. Auch bei Diskriminierung gegen Muslim:innen lässt sich das häufig nicht so recht trennen, da tlw. auf arabische oder türkische Menschen bezogene (und häufig auch geschlechtsbezogene sowie klassistische) Stereotype mit eine Rolle spielen.
Die genaue Verortung ist für die Bekämpfung von Rassismus oder Antsemitismus im Großen mE aber auch nicht zwingend entscheidend. Die Anerkennung der Intersektionalität ist es schon eher (denn dann kann ich erst erkennen, dass zB schwarze Frauen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben als schwarze Männer, s. den Artikel von Crenshaw, der für das Feld einen Grundstein gelegt hat).

Vielleicht möchtest Du auch darauf hinaus.

Schwierig wird’s dann, wenn man Diskriminierung im rechtlichen Sinne belegen möchte, dort ist es tlw. entscheidend, welches Anknüpfungsmerkmal herangezogen wird. Ist aus meiner Sicht nicht optimal, aber sehr schwierig aufzulösen (Benennungsdilemma).
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… Ich würde mich wirklich über eine Erklärung freuen, warum es „fake news“ ist zu schreiben, dass der Friedensprozess erst später endete als mit der Ermordung Rabins (das war aus meiner Sicht der Anfang vom Ende). Ich habe es so gelernt und bislang geglaubt, aber ich kann was falsches gelernt haben. … Teil gel. Mod.

Ich glaube, da ist was grundsätzlich unklar: die critical race theory bemüht sich unter anderem gerade um eine Dekonstruktion des Begriffs „race“. Dass man durch eine solche Thematisierung auch problematische Begriffe aufgreifen muss (und sie damit, zumindest logisch, auch erst mal affirmiert), liegt in der Natur der Sache. Die Alternative ist aber leider, sie nicht zu bearbeiten.

Also: wenn du den Begriff der Rasse problematisch findest, bist du bei Vertreter*innen der critical race theory in guter Gesellschaft.

Hallo zusammen,
ich fand, Michael Roth (SPD) hat am 10.10.23 im Interview im DLF mit Stefan Heinlein den Punkt an der Seite Israels zu stehen, sehr gut getroffen. Man merkt darin deutlich eine Empathie, darüber hinaus hat er auf dankenswerte Weise eine prägnante Sicht auf das Wort „Aber“ geliefert. Da ist sie nämlich, diese oberlehrerhafte, paternalistische Sichtweise in sehr großen Teilen des linken Bildungsbürgertums.
Im Nachgang dazu die beiden Folgen LDN (352 + 353) zu hören fand ich ebenfalls etwas befremdlich - und ich bin seit 2016 mit gutem Gewissen regelmäßig dabei.
Ist schon okay, sich so zu erklären wie Philip jüngst in Folge 353 erläutert hat: man schlüpft in verschiedene Rollen etc. etc. und hat dann als Journalist eben doch die Verpflichtung, sinngemäß „über den Dingen zu stehen“. Man kann jedoch auch als Journalist, wie Benny Ziffer es versucht, die Dinge aussprechen wie sie sind, taktlos und unmoralisch wie dass Verhalten von Žižek am Beginn der Buchmesse.
Interview Michael Roth
Benny Ziffer, Haaretz

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Empathie verdienen alle Opfer.

Israel „freie Hand“ zu lassen, wie Michael Roth es gefordert hat, finde ich extrem bedenklich.

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Ich habe das Interview mit Roth auch gehört. Mich hat es ehrlich gesagt erschreckt. Ja, Empathie ist wichtig. Auf ein völkerrechtskonformes Vorgehen zu dringen hat allerdings nichts mit einem Mangel an Empathie oder gar mit Paternalismus zu tun, im Gegenteil: Israel für seinen Kampf gegen die Hamas pauschal eine „Carte blanche“ auszustellen ist, vorsichtig ausgedrückt, politisch unklug, wenn das Ziel darin besteht, einen - auch für Israels Zukunft verheerenden - Flächenbrand in der Region mit sehr hohen Opferzahlen zu verhindern.

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Ich sehe es genauso wie Du. Roth hat auch aus meiner Sicht das Richtige gesagt.

Zum Thema „freie Hand“ hat er folgendes gesagt: „…Und ja, und das gehört eben auch zu unserer Solidarität mit Israel, müssen wir jetzt Israel freie Hand lassen, endlich der Terrororganisation Hamas das Wasser abzugraben und die Infrastruktur zu zerstören.“

Noch nicht einmal das gestehen weite Teile der Linken Israel zu. Auch in diesem Forum. Roth hat das Interview 3 Tage nach dem Angriff der Hamas gegeben. Der Angriff war noch nicht einmal ganz abgewehrt und die Leichenteile aufgesammelt.

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Das wäre auch naiv. Die Hamas wird mit Waffengewalt nicht zerstört werden können, da der Iran die Hamas jährlich mit 300 Millionen Dollar unterstützt.
Bei den Geldbeträgen in einer wirtschaftlich abgehängten Region bewirkst du viel.
Es werden sich also neue finden, die mit ihrem Tod den Hinterbliebenen ein Leben in Reichtum ermöglichen.
Du musst an die wahren Probleme in der Region. Und das ist der Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Die USA versuchten das zu lösen, indem sie Saudi-Arabien stärkten, die haben aber gar kein Interesse an einer Lösung des Konflikts, da das ewige Köcheln lassen das Volk beschäftigt und so die eigene Macht sichert.
Im Iran werden derweil die Proteste immer lauter gegen die Regierung. Vielleicht sollte man da mal vorsichtig ansetzen.

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300 Millionen sind in dem Kontext nicht viel Geld, nicht genug als das sie Hamas zu einer Kreatur des Irans machen würde.
Das als Einordnung einfach um die Größenordnungen zu verstehen.
Militärausgaben von Israel bis 2022 | Statista

Ist nicht Israel bekanntermaßen die einzige demokratische Ordnung dort in der Region? Weshalb sollte sich denn ausgerechnet dieser Staat gerade nicht an das Völkerrecht halten?

Das schützt nicht vor Völkerrechtsbruch.

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Wenn man die Lage in der und um die Schifa-Klinik verfolgt, kann man m.E. schon zu dem Schluss kommen, dass Israel hier das humanitäre Völkerrecht missachtet. Das Argument, dass sich Hamas-Kämpfer in oder unter der Klinik befinden könnten, soll den Tod Hunderter nicht zur Flucht fähiger Verletzter, sehr vieler Kinder und verzweifelter Ärzte und Ärztinnen rechtfertigen? Ernsthaft?

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Das ist ein aktuelles Geschehen, die Ermahnungen mit dem Völkerrecht gingen jedoch umgehend nach dem 7.Oktober los, als sich das Land auf eine Antwort vorzubereiten begann.

Wahrscheinlich nicht, jedoch wird die Betonung hierzu geradezu reflexhaft vorgetragen, das stört mich. Hat man denn dies betont, immer und immer wieder, im Falle der von Russland überfallenen Ukraine?

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