Linker Umgang mit Nahost

Hallo zusammen,
Ich möchte diesen Thread gerne nutzen um mal über den Umgang der linken Strömungen weltweit und hierzulande mit dem Angriff der Hamas auf Israel und den darauf folgenden Vergeltungsmaßnahmen zu sprechen.

Leider komme ich nicht drum herum festzustellen, dass die Dimension, Brutalität und Motivation der jüngsten Hamas-Attacken auf jüdisches Leben in Israel in den Diskussionen sehr schnell irgendwelchen „Kontext“-Debatten weichen mussten (siehe hierzu auch die Lage-Folgen vom 12.10 und 20.10).
In der aktuellen Folge wurde zum Glück versucht dem wieder etwas entgegenzusteuern, was mMn allerdings hauptsächlich an dem sehr guten Beitrag von Laura Cazés lag.

Hierzu noch ein, wie ich finde, recht treffender Artikel von Eva Illouz aus der SZ:

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Das ist ein sehr guter Themenvorschlag.
Da ich mich selbst eher links verorte, finde ich die gegenwärtige Entwicklung der Debatte unerträglich, da ich mich mit Aussagen mancher Personen, die ich zuvor geschätzt habe, so gar nicht mehr identifizieren kann.
Die Lage der Nation hat sich nur um Einordnung bemüht. Ich erkenne an Ulfs und Philips Äußerungen keinerlei Israelfeindlichkeit oder Antisemitismus.
Bei anderen aber schon. Das finde ich enorm beängstigend und bedrückend.

Weitere tröstliche und gute Gegengewichte + eine Einordnung zu genau diesem Threadthema sind in den aktuellen Podcast-Folgen der Wochendämmerung und des Piratensenders Powerplay enthalten.

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Die taz hat vor zwei Wochen eine Polemik dazu veröffentlicht:

Angesichts der aktuellen Ereignisse und des Terrorkriegs der Hamas gegen Israel präsentiert Ihnen die Wahrheit noch einmal eine kleine Handreichung, wie solch ein Text aussehen könnte, sowie ein paar – nennen wir sie: Stolpersteine, die Sie unbedingt beachten sollten, damit Ihre Publikation auch tatsächlich als israelkritisch wahrgenommen wird und nicht etwa als … na, Sie wissen schon.

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Besonders zu beobachten ist das meiner Auffassung nach in zwei Ländern:

  1. In Frankreich verharmlost Jean-Luv Mélenchon systematisch und wiederholt die Taten der Hamas, weigert sich die Hamas als Terroristen zu bezeichnen und schafft es nicht ein Statement ohne “Ja, aber” abzugeben.
  1. In den USA: Biden verliert aktuell bei demokratischen Wählern massiv an Zustimmung, aufgrund seiner - zumindest in den Anfangstagen- eindeutigen Unterstützung für Israel. Details siehe z.B. hier: Left revolts over Biden’s staunch support of Israel amid Gaza crisis | Joe Biden | The Guardian Im Unterschied dazu ist die Haltung der Republikaner relativ eindeutig, anders als z.B. bei der Unterstützung der Ukraine. Letztlich könnte die harte Linie der progressiven Linke in den USA hier letztlich das Gegenteil ihrer Ziele erreichen, wenn Biden als klassischer Broker für Kompromisse nächstes Jahr das Weiße Haus an Trump verliert.
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Fand ich auch super hörenswert! Falls andere da mal reinhorchen wollen ist hier der link zu der Episode in einem gängigen Webhosting Service für Podcasts:

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Hier ein Beitrag von Ulrike Winkelmann, die ähnlich kritisch auf manche Linke schaut.
https://taz.de/Die-Linke-und-die-Barbarei-der-Hamas/!5966540/

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Der Umgang ist von einem durch Kolonialismus und Rassismus Forschung geprägten Framework bestimmt.

Judith Butler ist dafür glaube ich ein gutes Beispiel:
… Zitat von Mod. gelöscht.
Die Linse vom Start an ist oft, die Palästinenser*innen als kolonialisiertes Volk zu sehen im Kontext der Indigenen Bevölkerung der USA oder Australiens.
Schon alleine aus diesem Unterschied resultieren einfach andere Bewertungen.

Heute im Presseclub wurde es (ich glaube von Ronen Steinke) mit dem David und Goliath Narrativ erklärt. Viele Linke meinen, sich mit den schwächeren Palästinensern solidarisieren zu müssen.

Mir erscheint Israel aktuell gar nicht (mehr) stark oder übermächtig. Und insbesondere die Juden als außerordentlich verwundbar und gefährdet. Aus meiner Sicht brauchen und verdienen sie vor allem nach dem 7.10. (auch) unsere Solidarität

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Die FAS hat das vergangene Woche auch so rausgearbeitet. Hinzu kommt, dass in einer Generation an jungen Linken, für die die „critical race theory“ eine Säule ihrer Weltanschauung ist, die Palästinenser als PoC, die durch weiße Israelis, kolonialisiert und unterdrückt werden, automatisch Unterstützung verdienen. Das erklärt auch diese irren Auswüchse, wie Black Lives Matter, die als Zeichen ihrer Unterstützung erstmal einen Hamas-Paraglider gepostet haben.

Die jüdische Bevölkerung in den USA fragt sich mittlerweile nicht zu unrecht, wieso sie sich eigentlich in fast allen Bürgerrechtsfragen in den vergangenen Jahrzehnten auf die Seite der marginalisierten Menschen gestellt hat, nur um jetzt von ebendiesen keinerlei Mitgefühl mehr erfahren.

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Es ist spannend in sofern, dass es sich auch um einen Konflikt über die Begriffs Hoheit (Kolonialismus, Apartheid, Siedlerkolonialismus (auch Zionismus an sich), Besatzung) handelt. Noam Chomsky‘s „on Palestine“ macht klar das die so zu beeinflussende öffentliche Debate Teil der Aktivistischen Strategie ist.
Man sollte dieses Framework aber nicht zensieren, sondern sich wenigsten mit ihm auseinander setzten. (soweit ich weiß sind Judith Butler, Noam Chomsky zumindest in Jüdische Familien hineingeboren genauso wie Ilan Pappen) und ebenfalls muss man die neueren Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft über Israel ernst nehme z.B. Rashid Khalidi von der Columbia Universität.
Die Argumentationslinie ist ebenfalls wichtig zu verstehen, da sie in der Arabischen Sicht auf Israel vorherrschend ist.
Der Link zu Judith Butlers Text was man immer noch von ihm halten mag:

PS: ich fände eine Diskussion darüber, ob diese Art der Kontextualisierung möglich ist, ohne den Hamas Terror auch nur ansatzweise zu rechtfertigen, den Schrecken klein zureden oder gar zu entschuldigen sehr interessant.
https://x.com/omri_boehm/status/1713464515130483129?s=46

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Wieso wurde hier ein Zitat von Judith Butler gelöscht?! Ist es aus dem unten verlinkten Text vom London Review oft Books?

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Hierzu The Atlantic:

The decolonization narrative has dehumanized Israelis to the extent that otherwise rational people excuse, deny, or support barbarity. It holds that Israel is an “imperialist-colonialist” force, that Israelis are “settler-colonialists,” and that Palestinians have a right to eliminate their oppressors. (On October 7, we all learned what that meant.) It casts Israelis as “white” or “white-adjacent” and Palestinians as “people of color.”
This ideology, powerful in the academy but long overdue for serious challenge, is a toxic, historically nonsensical mix of Marxist theory, Soviet propaganda, and traditional anti-Semitism from the Middle Ages and the 19th century. But its current engine is the new identity analysis, which sees history through a concept of race that derives from the American experience.

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Ja. Ist es. Es war extrem lang wörtlich zitiert. Besser verwendet ihr einen Link wie oben. :wink:

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Auch den folgenden Beitrag halte ich für lesenswert. Aus Sicht des Feminismus kann ich mir nur noch die Augen reiben:

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Sehr Spannend hast du zufällig einen Link?
Die Theoretische und Ideologische Vernetzung ist allgemein Spannend auch eine Spannende Frage wie sehr die Fronten in den Konflikten wirklich Personell ähnlich verlaufen

Um die Link-Sammlung noch zu verstärken, hier vielleicht noch ein m.E. recht lesenswerter Artikel aus der taz, der die aktuellen Debatten in der Linken anhand des Beispiels Rote Flora in Hamburg und insbesondere unter Bezug auf Shahak Shapira diskutiert.

Ein Punkt geht mir in der Debatte grundsätzlich etwas verloren. Auch dass so viele Artikel zu dieser Frage gerade in der taz erscheinen, ist ein Hinweis darauf: Die „linken Strömungen“ sind in der Frage der Israel-Solidarität seit jeher gespalten und in manchen Teilen vermutlich unrettbar zerstritten. Der Verweis darauf, dass die Linke ein Problem mit Antisemitismus und mangelnder Solidarität dem jüdischen Staat gegenüber hat, ignoriert, dass die erbittertste Kritik an dieser linken Einstellung vor allem innerhalb der Linken selbst formuliert wird.

Die jungle world hat sich einst u.a. aus diesem Grund von der jungen welt abgespalten. Die Partei Die Linke beherbergt einerseits Politikerinnen wie Anne Helm und Katharina König-Preuß, andererseits Inge Höger und Annette Groth, die mit der Marvi Marmara in den Gaza-Streifen fahren wollten. Die größten Israel-Freunde der Grünen kommen vom linken Flügel oder aus dem ökosozialitischen Milieu. Die Linken hatten die größten Kritiker ihres eigenen Antisemitismus immer in den eigenen Reihen, so wie ja auch heute einige der lautesten Kritiker des Linken Antisemitimus, wie die Amadeu Antonio Stiftung, sicher nicht zentristisch oder rechts sind.

Die Redaktion der konkret hat sich an der Bewertung des Russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gespalten. Die Auseinandersetzung zwischen Teilen der israelischen Linken mit Teilen der globalen Linken wiederholt dieses tiefer greifende Schisma in der modernen Linken, die sich über den Umgang mit dem jüdischen Staat noch nie einigen konnte.

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Beim Begriff „kritische Rassentheorie“ bin ich innerlich zusammengezuckt. Wie kann jemand der sich als „links“ bezeichnet von Rassen reden kann?

Es ist halt nicht immer sinnvoll, englischsprachige Begriffe 1:1 in Deutsche zu übersetzen. Bei aller Diskussion um das Konzept der „critical race theory“ sollte auf jeden Fall klar sein, dass diese „race“ als soziales Konstrukt versteht (also als eine Zuschreibung durch andere Menschen) und nicht als biologische Tatsache, siehe Critical Race Theory – Wikipedia.

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Das stimmt leider nicht, sorry. Race ist, z.B. im US Zensus, ein Selbstkonzept. In der Regel erklären sich Menschen einer „Race“ zugehörig, mit der sie sich soziologisch, kulturell, politisch am ehesten identifizieren.

Wir sind uns natürlich einig, dass das Konzept von Rassen im biologischen Sinne bei Menschen Quatsch ist.

https://m.faz.net/aktuell/politik/antisemitismus-im-westen-der-israel-hass-der-progressiven-19257390.html

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