LDN407 - Frauen in Vollzeit bringen

Vorweg, gebe ich gern zu, dass dieser Beitrag sicherlich eher eine Polemik wird. Dies gesagt, bekomme ich immer leichte Beklemmungen, wenn davon gesprochen wird, was für ein tolles Potential bei den Frauen zu heben sei, wenn man denn nur genug Kinderbetreuung hätte und das lästige Ehegattensplitting los wäre.

Ich bin nun nicht so eine Frau, aber eben in unserer Konstellation der hinzuverdienende, teilzeitarbeitende und hauptbetreuuende Teil der Familie. Und ganz im Ernst: Selbst wenn die Kita besser wäre, sehe ich nicht, wie das Leben mit noch mehr Arbeit irgendwie besser werden sollte. Der Tag hat für Eltern mit kleinen Kindern eh schon deutlich zu wenige Stunden und vielleicht will man 2-3 von denen ja tatsächlich dann auch mal mit seinen Kindern verbringen. Und bei meiner Elterngeneration reichten auch 1,3 Jobs für 2 Kinder, 2 Autos, einen Urlaub und vor allem eine Immobilie. Wenn das heute nicht mehr geht, dann ist die Lösung doch nicht mehr Arbeit, sondern die Rückabwicklung des Diebstahls der Produktivitätsgewinne der letzten 40 Jahre durch das obere 1%. Um es ganz plakativ zu machen: Bevor wir hier keine vernünftige Erbschafts- oder Vermögenssteuer bekommen, werde ich den Teufel tun, mehr zu arbeiten, um meine Kinder weniger zu sehen und mir trotzdem kein Haus leisten zu können. Denn ich frage mich im Angesicht der Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt ganz ehrlich, was genau die Vermieter davon abhalten sollte, gesamtgsellschaftlich die steigende Lohnsumme, oder auch Reallohngewinne durch sinkende Steuerlast einfach zu absorbieren. Um mehr Arbeit attraktiv zu machen, muss es eine Perspektiv geben, wie es zum Beispiel das Eigenheim früher war. Im Moment ist das höchste der Gefühle an Perspektive ja das besparen eines ETF-Depots, weil man neben den steigenden Sozialbeiträgen, dem Kinderkriegen für die Demografie und den 40% des Einkommens, das für’s Wohnen drauf geht, ja auch noch privat den bewussten Unwillen der Politik ausgleichen muss, besagtes oberes 1% und dessen Kapital für die Finanzierung der Rente heranzuziehen.

Und diesen Fatalismus erlebe ich im Bekanntenkreis langsam vermehrt. Die Frage, warum man sich mehr als nötig aufreiben sollte, ohne das Gefühl zu haben, dass es einen voran bringt. Und wenn man sich die Berichterstattung zum Zustand aktueller Eltern anschaut, dann reiben wir uns auch ohne die Absurdität von zwei Vollzeitjobs schon genug auf. Und die Erfahrung, während Corona die vorhandenen Jobs und Homeschooling und ein Kleinkind ohne Betreuung zu wuppen, ist bei vielen noch präsent. Dass man im Zweifel einfach vor den Bus geworfen wird, trägt jetzt auch nicht zum dem dringenen Bedürfnis bei, die Versäumnisse von 40 Jahren Demografie- und Sozialpolitik mit seinem knappen Gut Arbeitskraft ausgleichen zu wollen.

Kurzum: Bevor wir nicht einige Milliardäre gegessen haben, bekommt ihr hier so wenig von meiner Arbeitskraft wie nötig und meine Kinder so viel wie möglich. …

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Das ist zwar irgendwie eine verbreitete, kollektive Erinnerung, es ist aber schlicht falsch. Die Menschen unserer Elterngeneration (und früher) haben weniger in Wohneigentum gewohnt, die Wohneigentumsquote ist heute höher. Sie haben außerdem auf deutlich weniger Wohnraum gelebt und sind seltener und in deutlich kleineren Radien verreist. Die Anzahl Autos pro Einwohner ist ebenfalls seit langem steigend, war also früher auch geringer als heute.

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Hier treffen sicherlich wieder persönliches Empfinden und sachliche Statistik auseinander, was selten zur Übereinkunft führt.

Aber dazu mal eine offene Frage:

Von was für einem Familienbild gehen wir mit dieser „Forderung“ aus?

Nehmen wir ein Ehepaar mit zwei Kindern. Beide Eltern sollen Vollzeit arbeiten, also vermutlich 40h/Woche.
Die Kinder, sofern minderjährig, sollen demnach ganztags in eine Betreuung, im günstigen Fall gibt es noch Oma und Opa, die aber ja auch länger beide arbeiten sollen.

Was ist dann die Motivation dieses Paares für die Vollzeitarbeit? Mehr Wohlstand?
Was bedeutet dann Wohlstand?
Ein Eigenheim? Wie hoch müssten beide Vollzeitgehälter sein, um sich ein Eigenheim leisten zu können, Nicht-Akademiker eingerechnet?

Urlaub? Denn man dann mit den Ferienzeiten sowie Urlaubszeiten von zwei verschiedenen Arbeitgebern koordinieren muss.

Also kurz gesagt: es wird gefordert mehr zu arbeiten, weniger Zeit in Erziehung und Familienzeit zu investieren, die Kinder extern erziehen und betreuen zu lassen, um damit was genau zu erreichen?
Die aktuellen Rentenbeiträge zu erhalten, das ist klar.
Aber welche Motivation unterstelle ich den Paaren dann?
Und was ist mit Frauen die nicht Vollzeit arbeiten wollen, sondern lieber bei den Kindern bleiben wollen und die unbezahlte Care-Arbeit übernehmen?
Oder ist das gesellschaftlich dann unerwünscht?

Natürlich dürfen beide Partner Vollzeit arbeiten wenn sie das wollen oder müssen, das sollte möglich sein.

Aber wird es dann zwingend erwartet, um den Fachkräftebedarf zu decken?

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In dem Zusammenhang ggf auch zur an die Lebenserwartung angepasste Erhöhung der Lebensarbeitszeit:

Ist damit auch eine Verpflichtung für Arbeitgeber verbunden, Bewerber über 50-60 Jahre einzustellen, ggf auch mit altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen?

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Zumal nach meiner persönlichen Erfahrung und dem, was ich im Umfeld mitbekomme, zwei vollzeitarbeitende Elternteile spätestens ab dem zweiten Kind ein reines Schönwettermodell ist. Das klappt nur, solange keiner krank ist, beide Kinder glatt durchlaufen in Kita und Schule, keine Förderbedarfe haben etc. Geht irgendwas schief, brauchen Kinder ein bisschen zusätzliche Unterstützung, kommen Eltern schnell in einen Grenzbereich an Belastung, der nicht lange durchzuhalten ist. Noch blöder, wenn mal ein Elternteil länger ausfällt. Aber zum Glück geht in den ersten 5 Lebensjahren ja fast immer alles glatt…

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Genau das ist die Realität.

Ich kenne keine Familie (inklusive meiner eigenen) wo beide Elternteile, bei mehr als einem Kind, Vollzeit arbeiten gehen können, solange die Kinder unterhalb des Teenager Alters sind. Dabei wäre es im übrigen völlig egal wer jetzt beruflich kürzer tritt.

Ich habe das schon mal in einem anderen Thread ausführlich erklärt. Hausaufgaben, Schularbeiten, Krankheiten, sonstiges sozial leben, ab der 5. Klasse keinen Anspruch auf schulbetreung etc…

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Dazu evt auch folgender Aspekt:

Um eine Vollzeittätigkeit von Frauen vielfach erst möglich zu machen, ist eine entsprechend flächendeckend verfügbare und zuverlässige Kinderbetreuung nötig.
Dazu bedarf es einiger Investitionen in Personal, Infrastruktur und Rahmenbedingungen.

Bei der aktuellen Haushaltssituation und offenen Posten wie marode Infrastruktur, Verteidigung, Klimaschutz, schwächelnden Wirtschaft, Rente und Pflege, welchen Stellenwert hat da die Kinderbetreuung im kommenden Haushalten?

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Und da schließt sich der Teufelskreis. Wir haben die Leute nicht und die Leute, die wir bekommen konnten, schieben wir lieber ab. Jüngst 10 Pflegekräfte in Oldenburg, weswegen die komplette Einrichtung geschlossen wird. Ich vermute die Fans von schwarz-gelb und blau, die für diese Politik verantwortlich sind, verzichten zukünftig auf Betreuungs-und Pflegeplätze, weil sie ja auch große Fans von Eigenverantwortung sind.

Ein anderer Trend, der offenbar aus den USA rüberschwappt (und dort in konservativen Kreisen wohl erfolgreich ist), sind die sogenannten „Trad-Wives“, also Traditional Wives. Auf deutsch also die klassische Frau am Herd, die sich um Kind(er) und Haushalt kümmert, während der Mann arbeiten geht und das Einkommen sichert.
Auch wenn wir immer von der progressiven modernen Frau ausgehen, die Kind, Karriere und CareArbeit locker unter einen Hut bringt, scheint es Frauen zu geben die aus diesem Hamsterrad und Druck herauswollen und dem nostalgisch-friedvollen Bild der „Frau am Herd“ anheimfallen.

AfD und auch konservative Kreise von CDU und CSU sind einem solchen Rollenbild ja nicht abgeneigt.

Dazu ab Minute 15:40 etwa:

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Sie sind vor allem große Fans von Frauen hinter dem Herd. Und da ist es nicht zur AfD und JA sondern auch große Teile der Union. Natürlich nicht zu öffentlich, aber deren Pläne zeigen es.

Übrigens, wir haben 2 Kinder (1,5 und 3) und arbeiten 39 und 34 Stunden. Nicht weil es geil ist, sondern wir nicht klar kämen mit Inflation und allgemeinen Preissteigerungen. Zeitgleich werden Lohnanpassungen gestoppt wegen der Wirtschaftslage. Das ist übrigens mein Thema für die Wahl, wer tut was für Familien und normale Einkommen? Mich graut es vor den nächsten Sozialabgaben.

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Zu ermöglichen ja, gesellschaftlich „fordern“ nein. Wie viele davor schon geschrieben haben, mit zwei Kindern (die man ja auch sehen möchte) ist für beide Vollzeit nicht besonders erstrebenswert (es sei denn man muss, will zu wenig Geld in die Kasse kommt).

Diese Art der Entlastung ist nicht in Fokus der Politik, leider. Deutlich höhere Beitragsbemessungsgrenzen oder eben keine mehr müssen zwingend für die Sozialversicherungen her.

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Als jemand mit zwei Kindern in Betreuung: in den Kommunen, die das wollen, einen hohen. Das zentrale Problem ist überhaupt geeignetes Personal zu finden, In Baden-Württemberg steigt man als Erzieher mit 3600 EUR ein und verdient bis zu 4.500 EUR (Stufe 6 in S 8). Das dürfte im Dienstleistungsbereich ein vergleichbar gutes Gehalt sein und das ganze bei quasi absoluter Jobsicherheit, im Unterschied zur Industrie (dort kommt man allerdings auch nur über die ganzen Zulagen, wie z.B. für Schichten, auf höhere Gehälter).

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Das ist schon mal positiv. Interessant wird der Fokus dann auf Bundesebene sein

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Das ist Länderaufgabe und ich erkenne hier, aus eigener Erfahrung, auch keine klaren parteipolitischen Richtungen.

Wir haben jahrelang in einer Stadt mit grünem Bürgermeister gewohnt und die Situation war eine Katastrophe. Wir sind in einen Landkreis unter CDU-Führung umgezogen, und hier läuft es super. Meine Schwester wohnt in Tübingen, mit (ehemals) grünem Bürgermeister und grüner Mehrheit im Gemeinderat, und dort ist die Situation schlicht katastrophal, obwohl die Stadt bis vor kurzem große freie finanzielle Mittel hatte.

Heißt das, CDU = gut und Grün = schlecht? Natürlich nicht. Aber der lokale Erfolg im Ausbau der Kinderbetreuung hängt an enorm vielen Faktoren.

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Folgende Gedanken hierzu:

  1. Ich kann Deinen Unmut nachvollziehen und teile ihn. Die Situation, in der man sich als mittelalter Mensch zur Zeit wieder findet, in der z.B. Immobilienbesitz aus “normalen” Arbeitseinkommen kaum noch realistisch ist, ist beklagenswert. Aber: Du unterschätzt mit dieser Gleichsetzung die Größe der Probleme. Selbst wenn eine Vermögenssteuer und eine Erbschaftssteuer jährlich 50 Milliarden EUR zusätzlich einspielen würde, kann man damit die Unterdeckung der sozialen Sicherungssysteme nicht im Ansatz decken. Zumal es - eigentlich - politischer Konsens sein sollte, dass solche Einnahmen gerade NICHT für konsumtive (lies: soziale) Ausgaben, sondern für Investitionen genutzt werde sollen.

Zur Einordnung:
Die Krankenversicherung wird in den 2030er Jahren bereits eine Deckungslücke von über 20 Milliarden Euro überschreiten. Je nach Szenario werden es in der Pflegeversicherung bis Mitte des Jahrhunderts irgendwo zwischen 0 EUR und 40 Mrd EUR sein. In der Rente sieht es etwas anders aus, da werden einfach die Beiträge immer weiter steigen. Aber zur Einordnung: Ein Prozentpunkt mehr Rentenbeitrag entspricht etwa 2 Mrd EUR mehr Einnahmen.

https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Bund/DE/Presse/Presseseminare/2023-11-08-09-wuerzburg/08-11-rede-gunkel.pdf?__blob=publicationFile&v=5#:~:text=Nach%20geltendem%20Recht%20sinkt%20das,weiter%20auf%2045%2C4%20Prozent.

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pflege/Berichte/Bericht_Zukunftssichere_Finanzierung_der_SPV-2024.pdf#page45

  1. Deine Schilderung ist das, was man gemeinhin als “Tragik der Allmende” (“tragic of the commons”) bezeichnet. Deine Entscheidung mag für Dich sinnvoll erscheinen, aber für die Allgemeinheit ist der Entzug an Arbeitskraft eine Katastrophe. Das ist wie beim Klimaschutz. Ob man jetzt Fleisch isst, zwei Autos fährt und mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegt oder nicht, ändert das Klima nicht. Wenn sich alle so verhalten, allerdings schon. Wenn wir als Volkswirtschaft keine Antwort auf den demographischen Wandel finden und sich das Verhältnis an Arbeitenden zu Leistungsbeziehern so negativ wie prognostiziert verhält, steuern wir auf sehr, sehr schwierige Verhältnisse hin. Vermutlich wird es auch irgendwann zu noch stärkeren Auswanderungsbewegungen kommen, weil die Verbliebenen, die hier große Teile zur Produktivität beisteuern, keine Lust haben werden die Hälfte ihres Einkommens für die abzudrücken, die nicht arbeiten.

Die Politik muss letztlich eine Antwort darauf finden und Menschen in der Breite in die Arbeit führen und das umfasst Bürgergeldempfänger, Einwanderer, Flüchtlinge, Teilzeitkräfte, etc.

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Wo sind die Eltern und Familiendemos? Man muss sich sichtbar machen. Kann man sicher auch mit Lehrern, Betreuern, Bildung, Schülern und Pflegekräften verbinden.

Die Zivilgesellschaft muss die Themen setzen. Sonst wird das wieder ein Migrationswahlkampf.

Ich weiß, die Zeit der arbeitenden Eltern ist eh schon knapp. Hier sind wir wieder bei Wer kann sich politische Teilhabe und Aufmerksamkeit überhaupt leisten. Aber wir müssen für solche Themen, die die Gesellschaft zermürbt mobilisieren.

Da werden aber einfache populistische „Lösungen“ wie eine Sanktionierung über das Bürgergeld nicht wirklich ausreichen.
Oder? Zumindest vermittelt die Politik im Wahlkampfmodus aktuell diesen Eindruck

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Wenn du mit Leistungsbezieher jetzt Rente und Krankenversicherung meinst, gehe ich mit. Aber Leistungsbezieher aus Sicht Bürgergeld und Demografie zusammen zu bringen, halte ich für falsch.

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Wieso genau eigentlich nur die Politik? Arbeitgeber könnten ja mal besser zahlen anstatt wieder auf die Hilfen vom Staat zu warten. Es ist auch weiterhin nicht erstrebenswert die Kinder ganztägig in der Fläche fremd zu betreuen. Meine sind 7 Stunden weg, das reicht. Ich krieg doch keine Kinder um sie quasi nie zu sehen nur um Arbeitgebern zur Verfügung zu stehen.

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[quote="longfellow, post:16, topic:
Wo sind die Eltern und Familiendemos?
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Made my day. Die sind daheim ihre Kinder betreuen. Das ist ja das Fatale. Hier bei uns waren nur große Elternaufmärsche bei kommunalen Sitzungen. Ansonsten ist man 24/7 mit (viel zu schlecht) bezahlter Arbeit, (unbezahlter) Kinderbetreuung und (unbezahlter) Hausarbeit beschäftigt. Außerdem sind manche von uns wirklich noch so sozial Ehrenämter zu leisten wie ich. Wenn mehr arbeiten stirbt auch das Ehrenamt mit Ansage.

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