LdN395 Was wählen wenn die demokratischen Parteien versagen?

Bin nicht sicher, dass das VOLT tut…

Ich glaube, man macht sich etwas vor, wenn man glaubt, dass eine Partei, die von drei Ivy-League-Studis konzipiert wurde, sich groß um die ärmere Hälfte der Bevölkerung schert.

Ich bin mir aber sicher, dass es weder die SPD oder die Grünen tun, die FDP und die Union als Lobbyparteien eh nicht. Grüne und SPD haben mich für mein Empfinden betrogen und ich werde nur wegen einer 5% Hürde nicht mehr meine Stimme verschenken.

Sollte kein persönlicher Angriff sein, sondern lediglich meine Befürchtung wiedergeben, dass die Parteien mit den derzeit höchsten Umfragewerten ebenfalls keine Heilsbringer sein werde

Mein Verdacht ist, dass VOLT eine Mischung aus Grünen und FDP ist, was sicher nicht besser wäre.

Man muss sich nur mal Zeit nehmen, ein par Minuten länger mit Leuten, die behaupten, „die demokratischen Parteien“ würden „versagen“ unterhalten, dann sieht man, dass eher der Souverän bei der Auswahl seiner Repräsentanten versagt, als die Repräsentanten bei der Umsetzung des Willens der Wählerschaft. Der Maßstab ist für mich, was ein Wähler mit seiner Wahlentscheidung erreichen will. Für mich war als Teenager auf dem Land ein Augenöffner, als eine Frau sich bitter beklagte, „die Politik“ kümmere sich nicht um ihre Sorgen. Ihr Problem war, dass sie nach der Scheidung mangels Kinderbetreuung nicht mehr voll arbeiten konnte. Gewählt hatte sie bis dahin immer CDU, also eine Partei die damals (90er des letzten Jahrhunderts) nie mit übertriebenem Engagement für Kinderbetreuung aufgefallen war. „Kommunisten“ (SPD) und diese „zotteligen Hippies“ (Grüne) wollte sie aber auch nicht wählen. Und so ist es in meinen Augen meistens. Die meisten Wähler erinnern mich an durchschnittliche 3-5 jährige, die phasenweise der Welt mit einem „Ich will aber“ begegnen. Nur wählen die Erwachsenen irgendwann faschistisch, wenn sie nicht genug Lutscher an der Kasse der Demokratie geschenkt bekommen. Selbst wirklich was tun, will man nicht, man missversteht unser demokratisches System als Servicebetrieb, der gefälligst auch völlig illusorische Wünsche zu liefern habe und wundert sich dann, wenn es nicht funktioniert. Bestes Beispiel ist aktuell Brandenburg: Herausragende Wirtschaftsdaten, die Transformation ist auf einem guten Weg, es gibt erste konkrete Erfolge, aber trotzdem wählen nahe 30% eine sich immer weiter radikalisierende, rechtsextreme AfD mit einem Rechtsextremisten als Spitzenkandidat. Und zwar überwiegend Leute, die pro Woche keine 2 Migranten in der echten Welt treffen. Und die soll man dann ernstnehmen? Die nehmen sich doch selbst nicht ernst. Damit könnte ich leben. Ich verstehe das Gefühl: Ich will Klimaschutz, wie man ihn in einer Demokratie mit einer derart kurzfristig egoistischen, dummen Mehrheit (oder großen Minderheit) nicht bekommen kann. Ich hätte gern einen Umgang mit Rechtsextremisten, der auf deren Rechte genauso scheißt, wie es heute von AfD bis Grüne praktisch alle demokratischen Parteien gegenüber Migranten tun. Der Unterschied: Ich werde niemals eine Partei wählen, die mir Klimaschutz über das demokratisch mögliche hinaus oder legalisierte Menschenjagden auf Rechtsextremisten verspricht. Selbst dann nicht, wenn ich glauben würde, das beides möglich wäre. Weil man das als anständiger Mensch nicht tut.

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Ich glaube man macht etwas falsch, wenn man privilegierten Menschen grundsätzlich abspricht, sich um die ärmere Hälfte der Bevölkerung scheren zu können. Volt muss sich mMn erst noch beweisen, aber zumindest auf kommunaler Ebene habe ich bei der letzten Wahl interessanterweise große Ähnlichkeiten zu den kommunalen Forderungen der Linken gesehen. Auf den höheren Ebenen ist die Parallele wohl eher bei den Grünen - es wird sich zeigen, ob sich die Partei mittelfristig in eine „progressive FDP“ oder doch in eine soziale Alternative entwickelt.
Ich würde ihr dieses Potenzial auf jeden Fall nicht allein aufgrund der privilegierten GründerInnen absprechen.
In Zeiten des erstarkenden Nationalismus freue ich mich zumindest über die positive Vision eines gemeinsamen demokratischen Europas und damit einhergehend einer reformierten EU (ähnlich wie das linkere DiEM25 bzw MERA25 von Varoufakis, das leider nie wirkliche Relevanz erreichen konnte).

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Wie entwickeln sich eigentlich derartige „Rechte“ Strömungen im öffentlichen Diskurs sowie plötzliche Schwerpunktthemen wie Migration?

Entwickeln sich innere Bevölkerung steigend Ängste (Migration) und Unsicherheiten (Verlustängste), und politische Parteien greifen diese auf, verstärken diese?

Oder setzen politische Parteien/Akteure solche Themen und pushen Teile der Bevölkerung hoch?

Wer ist Henne, wer ist Ei?

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Da die (vermeintlichen) Ängste im Schnitt da am größten sind, wo praktisch keine Migranten anzutreffen sind, liegt die Antwort auf der Hand, denke ich.

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Ich würde auf diese Folge der Wochendämmerung vom 13.09.2024 verweisen (grob Minute 10 bis 23):

Holger umschreibt hier den Mechanismus der „Moral Panic“ und wie Populisten diesen Mechanismus nutzen, um eine Rechts-Außen-Agenda zu pushen, und wie die Medien da leider mitspielen, in dem sie das Thema ebenfalls prioritär behandeln. Er zieht dabei den Vergleich zu u.a. der „Satanic Panic“ in den USA: Es kommt zu einem Amoklauf, der Grund dafür wird in einem missliebigen Merkmal gesehen, gegen dieses Merkmal mobilisieren Gruppen und Parteien, die dieses Merkmal ablehnen - und die Medien geben ihnen die nötige Reichweite, bis die ganze Gesellschaft über kaum noch etwas anderes diskutiert.

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Was ist mit solchen Ängsten? Grund konservativ zu wählen?

Da man laut Bericht praktisch nichts über die Fälle weiß, würde ich meine Wahlentscheidung davon nicht abhängig machen. Es ist aktuell kaum zu bewerten, welche/ob politischen Entscheidungen zu den Ereignissen beigetragen haben, von daher kann man auch nicht bewerten welche Politik solche verbrechen künftig weniger wahrscheinlich machen kann. Wenn man aber will, dass sowas überhaupt nicht vorkommt (und jeder Fall dann Politikversagen ist), ist das in meinen Augen ein Beispiel für völlig überzogene Erwartungen.

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Sicher nicht aus faktischen Erwägungen, aber emotional könnte das sicher dazu führen, das die Bewohner dort am ehesten die Partei wählen, die am lautesten Sicherheit schreit. Ob diese was an der Situation ändert, scheint dann nachrangig.
Es geht oft um das Gefühl von Angst, ob rational oder nicht.

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Und genau dafür sind nicht die Parteien verantwortlich, sondern die Wähler:innen. Wenn ich mich bei der Wahl nicht für Tatsachen interessiere, kann ich mich schlecht beschweren, wenn die Politik dann nicht sachgerecht entscheidet, sondern wahlgerecht. Wenn das dann zu schlechten Ergebnissen führt, hat nicht "die Politik " versagt.

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Wenn aber die Parteien Wahlkampfversprechen machen und Programme bewerben und dann zum Teil gegenteilige Politik machen ist das sehr wohl Versagen der Politik. Und das haben diesmal alle Ampelparteien getan. Nur weil dir die Themen persönlich nicht wichtig waren sind sie es aber vielen anderen und dann ist das Vertrauen erstmal absolut zurecht weg.

Ich kann das Gefühl gut verstehen. Für mich war Klimaschutz das entscheidende Thema der letzten Wahl und „Klimakanzler“ „CO²-Preis und Klimageld“ FDP und die Grünen haben dazu wenig geliefert, dafür aber ein mutmaßlich verfassungswidriges Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht (oder schon verabschiedet? Da bin ich grade nicht sicher). Nur als Wähler der Grünen muss ich halt schon überlegen: Die hatten 15% der Stimmen. Konnten die unter den gegebenen Bedingungen dann mehr als 15% ihres Programms durchbringen? Und kann ich der Partei dann „Versagen“ vorwerfen, wenn das nicht die 15% sind, die ich unbedingt haben wollte? Ich finde nicht. Ich kann natürlich zu einer anderen Partei gehen, bei der die „richtigen“ 15% eher durchgesetzt werden könnten. Aber „Versagen“ ist hier trotzdem nicht die richtige Kategorie. Regierungsparteien sind dem ganzen Volk verpflichtet, nicht nur ihren Wählern und wir haben ja gesehen, was hier los war, wann immer die Grünen mal einen Trippelschritt in die richtige Richtung erkämpfen konnten… Soll ich denen jetzt vorwerfen, dass einfach zu viele Menschen im Land zu doof oder egoistisch sind, um Mehrheiten für wirksamen Klimaschutz zu finden? Oder dass sie sich angesichts dieser hysterischen Widerstände in manchen Politikfeldern dann eben eher da durchgesetzt haben, wo es leichter war/mehr Schnittmengen mit den Regierungspartner gab? Vorwerfen kann ich das den Grünen vielleicht, aber die Bewertung „Versagen“ muss sich schon auch an den Möglichkeiten einer Partei orientieren und die werden von den Wähler:innen bestimmt.

Ergänzend: Man ist den Versprechen einer Partei ja nicht wehrlos und unwissend ausgeliefert. Wenn bspw eine „Ausländer-Maut“ mein Motiv war, CSU zu wählen, kann ich natürlich sagen „Die CSU hat mich belogen!“ aber ich hätte sehr gut wissen können, dass so ein Projekt nicht kommen wird, also hat das nur funktioniert, weil ich auch betrogen werden wollte. Ich konnte als Grünen wähler schon deutlich wahrnehmen, dass für die Grünen die CO²-Bremse möglicherweise verhandelbarer sein wird, als der FDP die Schuldenbremse. Nicht bei jeder aber bei vielen Kritiken an „der Politik“ schwingt für mich deswegen viel sehr freiwillig selbstverschuldete Unmündigkeit mit.

Ich glaube, dass die kognitive Verarbeitung von Ereignissen so nicht funktioniert.
Wie bei Menschen auch gibt es ein „Konto“, von dem ich durch mein Handeln abhebe oder einzahle.

Manche Handlungen oder Unterlassungen heben stärker ab oder zahlen mehr ein. Dadurch entsteht Vertrauen oder Misstrauen.

In der Politik ist es gleich. Nicht das eine Ereignis wird bewertet, sondern eine Kette, ähnlich wie bei einem Tetris-Spiel. Menschen sind erstaunlich langmutig, aber wenn Vertrauen weg ist, ist es weg.
Und dann sind bestimmte Ereignisse Anlässe (Solingen), aber nicht die Gründe. Und so wie man bei einem Menschen, dem man Misstrauen entgegenbringt, nicht immer alle Ereignisse aufzählen kann, ist es beim Gemeinwesen noch komplexer.

Am Ende bleibt ein emotionaler Footprint, der über viele Jahre und einzelne Ereignisse entstanden sein kann.

Eine Wahlentscheidung ist daher immer emotional, weil sie eine Summe von Jahren Erfahrungen umfasst.

Wer glaubt, dass er rational entscheidet, unterliegt selbst einer Häufig eitlen Selbsttäuschung.

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Das ist doch egal, welche Wahl. Wenn eine Partei an der 5% Hürde scheitert, ist sie nicht drin und die Stimmen haben für die nächste Legeslaturperiode keine Relevanz - und ich habe mit diesem Halbsatz einfach nur zugegeben, dass ich bei meinem Kommentar davor die durchaus relevante Parteienfinanzierung übersehen habe, Matti.

Wie weiter oben schon geschrieben müsste meiner Meinung nach der Wegfall der 5% Hürde meiner Umstellung des Fraktionssystems in Anlehnung an das Europa-Parlament einhergehen.
Fraktionen wären dann wieder mehr Konzeptgruppierungen.
Das hätte den großen Vorteil, das die etablierten Parteien wieder mehr dazu getrieben würden sich dem Markt, also dem Wähler zu widmen.

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