LdN395: Wählen extremistischer und radikalpopulistischer Parteien

Erst mal danke für das Interview mit Steffen Mau, der an verschiedenen Stellen Klartext gesprochen hat: „Man sieht eben, dass etwas, was strukturell schon vorhanden ist, jetzt an die Oberfläche tritt. Und es wird jetzt sichtbarer als in der Vergangenheit. […] Politik ist dann eigentlich, dass die Politik mehr oder weniger Erfüllungsgehilfe der eigenen Wünsche ist. […] Die Frage ist: Lässt sich das jetzt alles noch mal umkehren? Ich wär’ da skeptisch, ob jetzt irgend’ne sozialpolitische Maßnahme zu Veränderungen führt. […] Da würde ich sagen, das lässt sich nicht so einfach wieder umdrehen.“ Usw.

Zur Behauptung, die Wähler extremistischer und populistischer Parteien wären wegen der von Ulf und Philip in ihrem Bestseller „Baustellen der Nation“ aufgezeigten Probleme frustriert, möchte ich mal die Gegenthese aufstellen.

Die Wähler extremistischer und populistischer Parteien interessieren sich gerade nicht (prioritär) für die Lösung dieser Probleme, sondern sie haben ganz andere Prioritäten (z. B. „Ausländer raus!“).

Wäre es nämlich anders, würden diese Wähler Parteien wählen, die konstruktive Lösungsvorschläge machen.

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Im Podcast wurde viel darüber diskutiert, dass die Menschen in Thüringen und Sachsen wegen verschiedener Baustellen unzufrieden sein, z. B. marode Schulen, schlechte Infrastruktur etc. Der Gedanke liegt nahe, aber wenn man sich die Umfragen ansieht, ergibt sich ein anderes Bild.

Zuwanderung und zunehmende Kriminalität, also zwei in Thüringen eigentlich völlig irrelevante Themen, spielen offensichtlich die Hauptrolle bei der Wahlentscheidung für die AfD. Als nicht Rechtsradikaler hat man immer das Bedürfnis, rechtsextremes Wahlverhalten zu rationalisieren, aber ich bin mittlerweile der Ansicht, dass das nicht funktioniert. Die Menschen wählen aus Angst und Hass, und das ist nicht rational.

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Ulf und Philip hatten richtigerweise erwähnt, dass das Thema Migration vor allem deshalb von Wählern als so groß empfunden wird, weil es in den Medien und in der Politik (und natürlich von der AfD) so groß gemacht wird.

Wenn es plötzlich aktuelle Themen gibt, die prominenter im der Öffentlichkeit diskutiert werden, verschwindet das Thema fast vom öffentlichen Radar, wie z.B. bei Corona. Und wenn das Thema Migration nicht so breit diskutiert und nicht auch von demokratischen Parteien gegen Migranten gehetzt würde, würde vermutlich auch die zitierte Umfrage etwas anders aussehen.

Das ist das Problem: Aktuell machen sie (außer evtl. die Linke) keine konstruktiven Vorschläge, sondern lassen sich von einer seitens der großen Koalition unter völlig anderen Rahmenbedingungen dummerweise in die Verfassung geschriebenen Schuldenbremse ihren Handlungsspielraum diktieren.

Und auch der Gestaltungs-Mut scheint zu fehlen.
Das gilt aber auch für die Union.

Ich glaube nicht, dass unzufriedene Menschen immer genau präzisieren können, warum sie unzufrieden sind. Wenn dann in der Öffentlichkeit der Sündenbock Ausländer angeboten wird, wird er auch gern genommen.

Dabei sind oft völlig andere Dinge Grund für Unzufriedenheit, z.B. fehlende soziale Strukturen.
Wenn ich es richtig sehe, wohnen die AfD-Wähler in Th und Sachsen überwiegend auf dem Land. Wo Läden schließen, Restaurants sowieso. Wo Jugendtreffs vermutlich fehlen und es keine gute öffentliche Mobilität gibt.

Bei jungen Ŵählern kommen dann noch Tiktok und die Nachwirkungen von Corona hinzu.

Die wirklichen Gründe sind vielfältig.

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Die kann nur keine Politik herstellen.

Der Staat kann ja schlecht Läden und Restaurants betreiben.

Und ich würde mal behaupten, dass die meisten auf dem Dorf per Pkw mobil sind. Ich würde vielmehr sagen, dass die AfD nicht gewählt wird, um den ÖPNV auf dem Lande zu verbessern.

Und dass AfD-Wähler mehr Jugendclubs fordern, wäre mir neu. Zumal es in vielen überalterten Gemeinden ja kaum noch Jugendliche gibt, für die es sich noch lohnen würde, einen Jugendclub zu betreiben.

Damit sage ich nicht, dass man das, an Orten, wo es sinnvoll ist, nicht trotzdem machen soll. Aber das wird eben keine Wahlentscheidung verändern.

Nur haben die AfD-Wähler diesen Sündenbock bereits mindestens mal übernommen. Daran wird sich doch auch nichts ändern.

Es ist gerade andersherum:

Oh doch. Der Staat kann selbstverständlich unterstützend und lenkend eingreifen.
Demokratieprojekte fördern. (Man wartet übrigens noch auf das versprochene Gesetz, glaube ich…)
Für autofreie Mobilität sorgen. (Nein, nicht alle haben ein Auto und können fahren… Kinder, Jugendliche, Alte, Kranke, behinderte Menschen, arme Menschen nicht. Und manche wollen übrigens auch nicht)
Vereine unterstützen, die Jugendtreffs oder Dorftreffs für alle organisieren.
Sozialarbeiter
Ausreichend Lehrer
Etc.
Dich, man könnte eine ganze Menge tun.

Die Frage ist ja nicht, ob man das tun sollte. Die Frage ist, ob das etwas am AfD-Wählen ändern würde. Vielleicht noch die Förderung von Demokratieprojekten, das wäre aber auch das Einzige, was zu einer Verringerung von AfD-Wählern beitragen könnte.

Das kann man nur in den Ortschaften selbst. Oder soll jetzt jeder Verein, der Treffs organisiert, mit Landes- oder gar Bundesmitteln unterstützt werden?

Einfach mal tun statt Hinderungsgründe suchen.
Meines Wissens gibt es Projekte.
Mobit. Polylux. Weltoffenes Thüringen. Migranetz u.a.
Da würde schon eine stabile Finanzierung helfen, denn die sind jetzt alle gefährdet.

Hinderungsgründe suche ich absolut nicht.

Und ich bin sehr für eine ausreichende Finanzierung antifaschistischer Vereine.

„Schaut euch die Schulen an, schaut euch die Wohnraumsituation an, schaut euch die Universitäten an, schaut euch die Krankenhäuser an, schaut euch die Arztpraxen an. Schaut euch an, was das für Konsequenzen hat, wenn ein Land durch Migration überfordert wird.“

CDU-Vorsitzender Merz bei einer gestrigen Wahlkampfveranstaltung im reinsten NPD-Sprech. Diese Partei muss man wohl eindeutig zu den „radikalpopulistischen“ zählen. Zusammen mit AfD und BSW sind wir dann bei weit über 50% - auch im Westen.
Quelle: x.com
[Edit: Weil auf X gerade noch ein anderer Ausschnitt der Rede kursiert und weil teilweise behauptet wird, diese Sequenz von Merz sei aus dem Zusammenhang gerissen: Ja, er referiert hier eine Position, allerdings die der CDU. Die ganze Rede findet sich hier, der Ausschnitt beginnt bei 0:44:44:

Dazu passend AfD-Chef Chrupalla gestern Abend bei Markus Lanz:

„Man kann genauso wenig sagen, dass jeder, der in der NSDAP war, ein Nazi war.“

Ne, wo kommen wir denn da hin, wenn man Mitglieder der Nazipartei jetzt schon als Nazi beleidigen darf. Irgendwann muss auch mal Schluss sein mit Hetze /Sarkasmus off

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Wie oben zitiert sagte der ostdeutsche Soziologe Steffen Mau sinngemäß, dass sozialpolitische Maßnahmen nicht zu Veränderungen (der Wahlentscheidung) führen würden.

Ganz ähnlich argumentiert sein Kollege Wilhelm Heitmeyer:

Der Begriff Protestwähler oder Protestpartei ist eine Selbstberuhigungsformel. Darin steckt: Wenn wir uns nur Mühe geben und vielleicht die Renten erhöhen, kommen die alle zurück. Das ist eine Fehleinschätzung. Die autoritären Einstellungsmuster, von denen die AfD profitiert, hat es schon lange vor ihrer Parteigründung gegeben.

Das hat m. E. damit zu tun, dass AfD-Wähler ganz andere Dinge als Probleme identifizieren, z. B. die angebliche „Überfremdung“.

Auch auf den Populismusforscher Cas Mudde wurde ja kurz eingegangen.

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Zu nennen wäre auch noch der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Der befürchtet jetzt auch mindestens Kürzungen und dass die Gewalt zunimmt.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ver­tre­te­r:in­nen von Opferberatungsstellen aus den drei Bundesländern sprach Heike Kleffner vom VBRG von einem potenziellen „Flächenbrand antisemitischer und rechter Gewalt.“ Schon im letzten Jahr wurde im Durchschnitt jeden zweiten Tag ein politisch rechts motivierter Angriff in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg verübt.

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Vielen Dank für diese erstklassige LdN, besonders aber für die Diskussion zur politischen Reaktion auf Solingen. Jedes einzelne Argument trifft den Nagel auf den Kopf, es gibt in der Politik anscheinend keine Stimme der Vernunft mehr, alle eifern danach, die absurden Vorschläge der anderen mit noch abwitzigeren Vorschlägen zu übertreffen und völlig enthemmt gegen Migration und Migranten zu hetzen, was letztlich nur AfD und BSW helfen wird. Von Steinmeier sowas zu hören wundert mich nicht im Geringsten, aber dass die Grünen dabei mitmachen finde ich mehr als irritierend. Mir gehen allmählich die politischen Optionen aus :frowning: … Trotzdem hat es mir gut getan zu hören, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine bin

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Das würde ich etwas relativieren wollen. Und zwar dahingehend, dass es von nicht-AfD-Parteien und den Medien erst seit der jüngeren Vergangenheit stärker in den Fokus genommen wird. Ich bin überzeugt das die Arbeit der AfD in den Sozialen Medien und dementsprechende Echokammern im Netz eine sehr viel entscheidendere Rolle spielen. Denn die AfD befeuert die Narrative seit Jahren. Tiktok, YouTube Shorts und Instagram Reels, also Kurzvideoformate und Memes, die dann auch in privaten Netzwerken weiterverbreitet werden, sind die eigentliche Krux denke ich. Man muss sich klarmachen das Menschen, die über die Algorithmen einmal in diese Kammern geschlittert sind, seit Jahren dauerhaft und in hoher Frequenz mit diesen Inhalten bespielt werden. Jeden Tag.

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Zum Thema mögliche Wahlfolgen:

Für den Wegzug aus besonders braunen Gegenden habe ich volles Verständnis.

Zumal solche Meldungen i.d.R. rein gar nicht Bedeutung finden. Deutsche Frau (mit psychischen Problemen) begeht Messerattacke und wird von 3 Frauen mit Migrationshintergrund überwältigt. Passt halt nicht ins Narrativ. Dann müsste man ja die wirklichen Probleme (überlastete psychische Einrichtungen, soziale Ungleichheit, etc.) angehen. Die Kriminalstatistik weist ganz deutlich darauf hin, dass es einen sozialökonomischen Zusammenhang mit Kriminalität gibt und keinen zur Staatsangehörigkeit.

Messerattacke Siegen: Beschuldigte äußert sich zu Motiv

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Nur so als Anekdote: Bei mir im (westdeutschen) Dorf werden alle verbliebenen Restaurants von Menschen mit Migrationshintergrund (indisch, italienisch, asiatisch) betrieben. Soziales und ehrenamtliches Engagement speist sich (mit Ausnahme des Sportvereins) zu wesentlichen Teilen aus Menschen mit linken/progressiven gesellschaftlichen Überzeugungen. Wer aus Frust über eine soziale und gesellschaftliche Vereinsamung des ländlichen Raums rechts wählt, ist Teil des Problems.

Das sagst du so. Diese Einstellung höre ich auch hier im Gemeinderat, ist aber meiner Meinung nach genau die Art von Phantasielosigkeit, die uns von einer Lösung vieler tatsächlich existierender Probleme abhält. Warum soll ein ländliche Gemeinde nicht ein Ladenlokal am Marktplatz kaufen/bauen und zum Betrieb eines gemeinnützigen Cafés mietfrei zur Verfügung stellen, wenn dem Ort ein solcher sozialer Treffpunkt fehlt? Warum können Kommunen nicht gezielt wichtige soziale Infrastruktur schaffen, wenn der freie Markt sie nicht bereitstellt?

Ich glaube es ist genau umgekehrt: natürlich würde eine neue Buslinie nicht unmittelbar zur eine Veränderung der Wahlergebnisse führen. Aber eine nachhaltige Re-Demokratisierung großer Teile (Ost- und West-)Deutschlands lässt sich meiner Meinung nach nur erreichen, wenn der Staat wieder seiner Verantwortung gerecht wird, eine stabile soziale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

(Was nicht heißt, dass ich gegen Demokratieprojekte bin, im Gegenteil. Ich halte sie aber nur für eine Notpflaster, dass die strukturelle Entfremdung zwischen Menschen und demokratischen Institutionen im besten Fall überdecken, aber nicht lösen kann.)

Das ist schon deshalb absurd, weil all diese Probleme strukturell schon vor der „Migrationskrise“ bestanden haben und teils auch schon öffentlich problematisiert wurden. Der „PISA-Schock“ für das deutsche Schulsystem datiert in das Jahr 2001 (!). Diskussionen über eine mangelnde Finanzierung der Krankenhäuser und fehlende Ärzte, besonders auf dem Land, kenne ich mindestens seit meiner Schulzeit (Abijahrgang 2005). Und wegen der unzureichenden Finanzierung der Unis mussten wir uns in den 2000er-Jahren mit dem idiotischen Experiment „Studiengebühren“ rumschlagen.

Übrigens alles Themen, die Herr Merz während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter (1994-2009) und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU (2000-20002) vielleicht hätte positiven Einfluss nehmen können. Hört man von ihm aber heute wenig zu.

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Kommunal kann sich eine Gemeinde ja dazu entscheiden. Wenn die Gesellschaft vor Ort dafür aufkommt, bin ich völlig okay damit.

Ich kenne Beispiele z. B. aus Österreich, wo etwa der kleine Supermarkt oder die kleine Schule im Dorf subventioniert werden oder wo fast jedes kleine Dorf im Gemeindehaus einen Raum hat, damit sich Leute treffen können ohne von einer Kneipe abhängig zu sein, die sich oft nicht rentiert. Da geht es oft gar nicht um viel Geld, sondern eher um das Gefühl, dass sich jemand kümmert. Aber das allein verhindert natürlich nicht, dass die Leute AfD-Propaganda attraktiv finden.

Und genau das ist der Punkt.

Sowas setzt aber nun mal bürgerschaftliches Engagement voraus. Wenn es das gibt und die Ortsansässigen sich kümmern, schließlich ist es ihr Gemeinwesen, dann werte ich das erst mal positiv. Doch weder Bund noch Bundesland müssen sowas subventionieren.

Ansonsten ist das ländliche Österreich natürlich kein gutes Beispiel für Resilienz gegenüber Rechtsextremismus:

Der Punkt für oder gegen was? Dass man es lieber gleich lassen sollte?

In dem konkreten Fall war es eher kommunal- und landespolitisches Engagement. Und die öffentliche Finanzierung spielt dabei schon eine Rolle. Ich verstehe nicht ganz, was du dagegen hast.
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen unterscheiden sich übrigens teilweise nicht unwesentlich von denen der Europawahl, daher verstehe ich auch diesen Link nicht ganz.

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