LdN392 - Spezial: Wie geht wirksame Klimapolitik? (Jens Beckert, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung)

Da der Blätter-Artikel vom Interview-Gast Jens Beckert nicht in den Shownotes verlinkt wurde, mache ich das mal hier:

Sicher gibt es auch einiges an Kritik, die kann dann ja gleich hier angehängt werden.

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Gut, dann mache ich mal den Aufschlag.

Obwohl Beckert seinen Ansatz beim Thema Klimaschutz nicht als „Resignation“ verstanden wissen will, laufen wesentliche Teile seiner Handlungsempfehlungen auf eine Art Kapitulation in Zeitlupe mit gutem Gewissen hinaus.

Das spiegelt sich auch im überwiegend vor Gemeinplätzen und Altbekanntem strotzenden Blätter-Artikel wider.

Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Psychologie, die ja im englischen Sprachraum zurecht zu den sciences gezählt wird, werden nicht (hinreichend) berücksichtigt.

Am Schluss steht eine konservativ pessimistische Grundhaltung, die sich in Formulierungen wie der folgenden zeigt:

[E]in gesellschaftlicher Umbau, der dazu beiträgt, den Anstieg der Temperaturen zu verlangsamen[!] und Gesellschaften an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen, könnte besser in Gang kommen. Nichts davon ist einfach, nichts davon ist wahrscheinlich[!], denn all dies muss sich gegen Strukturen behaupten, die solchen Veränderungen massiv entgegenarbeiten. Doch schon die schwache Hoffnung auf Verzögerung[!] und weitere Abmilderung des Klimawandels macht ein Engagement mit diesem Ziel folgerichtig und begründet auch eine moralische Pflicht dazu. Inwieweit dies tatsächlich gelingt, wird darüber entscheiden, wie unsere Kinder und Enkelkinder leben werden – und über uns urteilen.

Fürs Erste verweise ich noch auf folgenden schon geschlossenen Thread.

Interessant ist meines Erachtens noch, dass Beckert lt. Wikipedia ein Forschungsprogramm gemeinsam mit Wolfgang Streeck entwickelt hat. „Seit 2018 engagierte [d]er sich aufgrund einer Anregung durch Bernd Stegemann in Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung Aufstehen.“

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Boah finde seine Anfangstheorien zwar spannend aber sehr schwierig. Also, dass öffentliche Investitionen in mehr Klimaanpassung zu mehr eigenen Anstrengungen in Klimaschutz führen.
Der Zug hätte vlt vor 20 Jahren losfahren müssen, um sein Ziel 2050 noch rechtzeitig zu erreichen. Denke die Zeit diesen Wandel hinzubekommen haben wir nicht mehr. Sollen wir jetzt warten bis in jeder Stadt Maßnahmen umgesetzt wurden und anschließend dort mal Hochwasser, Dürre oder was anderes war? Wer weiß denn, dass in der Stadt neue Grünflächen, Blumenkästen etc zum Hitzeschutz und nicht einfach für Deko sind?
Dass ein ausreichend großer Teil dann noch zu der Erkenntnis kommt, dass sie selbst was tun können bezweifel ich.
Zumal er seine Theorie rein im Konjunktiv ist ohne Belege. Man könnte ja mal in den angesprochenen Städte, die was für Hochwasserschutz getan haben schauen wie die bei der EU Wahl gewählt haben. Dazu müsste Klima dann natürlich im Aufmerksamkeitsspektrum der Wählerinnen das wichtigste entscheidende Thema für das Kreuz sein.
Vlt bin ich zu sehr Pessimist bei dem Thema, aber halte es für eine schöne Theorie und mehr nicht

Edit
Zumal Experten sagen, dass ab einer gewissen Erwärmung (3°C aus dem Gedächtnis) die Klimaanpassungsmaßnahmen nicht mehr finanzierbar sind.

Ich denke wirksamer ist eine geradlinige erklärende Politik, die Vorgaben macht, aber alle sozial mitnimmt, so dass eben nicht die dicken Elektro SUV gefördert werden bei Menschen, die es sowieso nicht brauchen, sondern gerade die mit kleineren Geldbeutel, die weniger verursachen,sich aber aus eigener Tasche weniger anpassen können

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Beckerts Idee ist ja, sicht- und erfahrbare Klimaanpassungsmaßnahmen vor Ort tragen zu einem sukzessiven Bewusstseinswandel und schrittweise zu einer größeren Aufgeschlossenheit für Klimaschutzmaßnahmen bei.

Das ist an und für sich ja auch nicht verkehrt. Kann man ja machen.

Aber wie du richtig schriebst, haben wir die Zeit für einen langsamen Bewusstseinswandel nicht mehr.

Wir sind in einer Phase, in der alles gleichzeitig erfolgen muss.

Beckert suggeriert jedoch zumindest, dass wir noch mehr Zeit hätten und ja im Prinzip schon eine Verlangsamung ausreichen würde.

Wenn es im von ihm insinuierten Schritttempo vorwärts ginge, werden uns unsere Enkel verfluchen.

Nolens volens bedient Beckert Klimaverzögersdiskurse, schon allein, wenn er schreibt, „nichts davon ist wahrscheinlich“, und des Weiteren auf die „schwache Hoffnung auf Verzögerung“ verweist. Also, selbst für eine Verzögerung besteht nur „schwache Hoffnung“.

Die Gründe für die mangelnde Umsetzung von effektivem Klimaschutz sind vielfältig. Auf gesellschaftlicher und politischer Ebene führen so genannte Klimaverzögerungsdiskurse dazu, dass wirksamer Klimaschutz verhindert oder zumindest verzögert wird. Gesellschaftliche Akteur:innen (z.B. Politiker:innen, Wirtschaftsführer:innen), die solche Klimaverzögerungsdiskurse anführen, gehören nicht zur Gruppe der Klimawandelleugner:innen oder -skeptiker:innen. Vielmehr stehen sie Klimaschutz zwar grundsätzlich offen gegenüber, tragen aber mit ihren Argumenten dazu bei, dass die politische und öffentliche Unterstützung für ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen unterminiert und damit wirksamer Klimaschutz blockiert oder hinausgezögert wird.

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Das ist glaube ich ein grundsätzliches Missverständnis. Wenn man sich Interviews mit Beckett durchliest wird sehr schnell klar, dass er die Klima-Krise in ihrer Dringlichkeit vollumfänglich versteht und das auch genauso kommuniziert.
Hier geht es ja aber um seine Einschätzung, wie man Menschen dazu bewegen kann, Klimaschutz zu unterstützen. Und da ist seine These - ob er damit nun Recht hat oder nicht - eben, dass der schnelle Weg politisch nicht funktioniert. Der langsame dagegen schon, auch wenn er in seinem Ergebnis/ seiner Effektivität natürlich der schlechtere ist aber eben immer noch besser als nichts.

Das ist allerdings ein grundsätzliches Problem an solchen Interviews. Da gibt es unterschiedliche Strategien, so ein Gespräch zu führen. Hier ging es vor allem darum, Beckerts Positionen zu sehr vielen Themen abzuklopfen. Methoden haben da eine untergeordnete Rolle gespielt. Und wir haben auch wenig darüber erfahren, welcher Teil seiner Aussagen jetzt auf Forschungsergebnissen und welcher auf seiner persönlichen Einschätzung beruht. Das gilt aber - wenn man das mal beobachtet - für die allermeisten Lage-Interviews. Man kann das auch anders aufziehen, Methoden stärker hinterfragen und dem Interviewpartner auch den entsprechenden Raum für so einen deep dive geben. Dann wird das alles etwas wissenschaftlicher, aber man schafft halt auch weniger Themen.

Es freut mich, dass im Interview nach #Degrowth gefragt wurde - also ob Klimaschutz nur mit einem Systemwechsel (Weg vom Kapitalismus/Wachstumstreben, hin zu anderen Formens des Wirtschaftsens möglich sei. Aber hier zeigen sich exemplarisch zwei Problematiken, auf die ich in meiner Diskursforschung häufig treffe. Vorab gesagt: Das Interview fand ich trotzdem hörenswert und spannend! Jetzt zu meinen zwei Kritikpunkten:

  1. Es findet #Degrowth „dropping“ statt:
    Abgesehen von Allgemeinplätzen („Weg vom Wachstumsstreben“) bleibt im Dunkeln, was überhaupt #Degrowth oder #Postwachstum bedeutet, welche Policy Vorschläge gemacht werden, welche Forschung es gibt.

  2. Fehlende inhaltliche Auseinandersetzung:
    Obwohl Jens Beckert normativ durchaus mit #Degrowth sympatisiert, Wachstumsorientierung ablehnt & Suffizienz (weniger Ressourcenverbrauch) befürwortet, hält er es für politisch unrealistisch, „utpisch“, die Zeit sei knapp & er sieht die Gefahr sich in einer „Wohlfühlecke“ einzurichten. Fair enough. Das Problem ist, dass keine inhaltliche Argumentation im Podcast stattfindet. So bleibt auch die favorisierte These „Strategie der Klimaanpassung führt zu mehr Akzeptanz bei Klimaschutz“ ohne Belege. Letztlich wird man auf die Einschätzung eines Experten zurückgeworfen.

In seinem Essay im „Blätter“ schreibt Beckert, dass Befürworter „völlig offen“ ließen, wie der Übergang in eine Postwachstumsgesellschaft gelingen solle. „Solange die Systemwechsel-Forderung nicht als politikfähiges Programm ausbuchstabiert wird, ist sie nicht mehr als eine schöne Utopie, in die sich wohlwollende Leser kurzzeitig flüchten können.“
Man kann diese Meinung haben - aber sowohl zur Übergangsfrage als auch zu politischen Programmen gibt es inzwischen sehr viele Vorschläge und ein stark wachsendes transdisziplinäres Forschungsfeld. Wieso wird darauf nicht Bezug genommen? Welche inhaltlichen Argumente sprechen denn gegen neue Wohlstandsindikatoren, Arbeitszeiverkürzung, Jobgarantie, universelle öfffentlichen Dienstleistungen, Konsum- und Produktionskorridore, Sustainable Welfare Konzepte etc.?

Insofern ist die Zeit, mal ein:e #Degrowth oder #Postwachstumsexpert:in in die Lage einzuladen!
Vorschläge: Matthias Schmelzer (Uni Flensburg), Andrea Vetter (Uni Cottbus) oder Steffen Lange (Uni Siegen).

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Ich gebe dir zu 100% recht, und so wird es auch gesagt, dass man nicht auf „Deus Ex Machina“ vertrauen sollte.
Zu „alles gleichzeitig“ gehört für mich auch eine Klimaanpassung. Wenn das zu einer Aufbruchstimmung führt an der anschließenden auch jeder als Individuum teilhaben möchte, umso besser. Ausschließlich darauf zu vertrauen halte ich für falsch. Es darf durchaus auch die Aufgabe einer Regierung sein der Stimmung in der Bevölkerung voraus zu sein. Bei der Einführung der Mülltrennung oder Anschnallpflicht war die Mehrheit der Bevölkerung auch erst dagegen.

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Einen, wie ich finde, sehr interessanten Beitrag steuerst du hier bei.

Dass Beckert mit Degrowth sympathisierte, wenn auch normativ, wie du einschränkst, kann ich nicht erkennen.

Die Kritik, dass Degrowth-Befürwortende den Übergang in irgendeine Form der „Suffizienzwirtschaft“ nicht ausbuchstabiert hätten, kommt allerdings auch von Menschen wie Ulrike Herrmann. Ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, kann ich nicht einschätzen. Dazu bin ich einfach zu wenig mit entsprechenden Diskursen befasst. Aber vielleicht kannst du ja was Konkretes empfehlen und hier verlinken.

So erscheinen mir Bedenken, was das angeht, jedenfalls aus dem Bauch heraus (ja, ich weiß, das kann letztlich kein Beurteilungskriterium sein) nicht ganz unberechtigt. Auch gehöre ich erst mal nicht zu jenen, die ein den planetaren Grenzen verträgliches „grünes Wachstum“ für gänzlich unmöglich halten.

Aber ich freue mich über Anregungen in der einen oder anderen Richtung.

Das Interview lässt mich sehr desillusioniert zurück. Herr Beckert beschreibt die Situation für mich sehr realitätsnah, zeigt die Probleme auf und erklärt, wieso gewisse Veränderungen so schwer fallen. Nur hat er am Ende keine wirkliche Lösung. Die „dicken Bretter“ zu bohren heisst bei ihm eben stetig sehr langsam voran zu gehen. Ob wir die Zeit dafür haben kann auch er nicht sagen.
Am Ende bin ich froh kinderlos zu sein und bereits in meiner zweiten Lebenshälfte.

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Auf die Gefahr hin, ins Phrasenschwein einzahlen zu müssen, haue ich an dieser Stelle mal den Gemeinplatz raus: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“

Was mich an Argumentationen wie der von Beckert stört, ist diese Hintertürchenrhetorik, nach dem Motto: Wenn’s am Ende scheitert, will ich mit meiner zum Ausdruck gebrachten Skepsis doch wenigstens von vornherein recht gehabt haben.

Der Eindruck, der dadurch befördert wird, ist - anders lautenden Einlassungen zum Trotz - natürlich: Most likely, we’re all doomed!

Der renommierte Klimaforscher Michael Mann nimmt darauf wie folgt Bezug:

One motivation for the book, Mann says, is the rise of climate doomism: “We haven’t seen an end to climate denial, but it’s just not plausible any more because people can see and feel that this is happening. So polluters have turned to other tactics and, ironically, one of them has been doomism. If they can convince us it’s too late to do anything, then why do so?”

Wegen seiner negativen Wirkung auf Handlungsbereitschaft ist dies also ein gern bemühter Klimaverzögerungsdiskurs:

Doomism

Das ist natürlich - ob beabsichtigt oder nicht - alles andere als unproblematisch!

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Danke für das Interesse :slight_smile:

Beckert sagt wörtlich, dass er normativ mit solchen Ideen sympathisiert, sie aber politisch nicht für realistisch hält. Er sagt, dass er es für problematisch hält, dass das Wirtschaftssystem über das Prinzip des Wachstums funktioniert - knüpft dann aber nicht mehr daran an.

Ich kritisiere nicht Beckerts Meinung - sondern die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Gegenstand seiner Kritik. Er argumentiert nicht inhaltlich, sondern vermittelt den Eindruck, dass er Degrowth-Forschung überhaupt nicht kennt.
Natürlich ist die Umsetzbarkeit von Degrowth-Vorschlägen eine Herausforderung - die Klimakrise ist per se eine - wir haben es hier mit „imagined futures“ zu tun (einem Begriff den Beckert prägt). Das Problem ist: „Green Growth“ Positionen sind die „default position“, sie müssen sich nicht rechtfertigen, obwohl keine empirische Evidenz einen Trend zeigt, dass eine solche Strategie funktionieren wird.

Das stimmt - aber U. Herrmann hat ja gerade mit ihrem neuen Buch die These vorgelegt, dass ein Übergang in eine Postwachstumsökonomie mit Orientierung an der britischen Kriegswirtschaft im 20. Jh klappen könnte (hier die Kernthesen: Kapitalismus und Klimaschutz: Schrumpfen statt Wachsen - taz.de).
Einen Überblick über Policy Forschläge aus dem Degrowth-Diskurs gibt es bei Fitzpatrick et al:(2022): Exploring degrowth policy proposals: A systematic mapping with thematic synthesis. Journal of Cleaner Production. DOI:10.1016/j.jclepro.2022.132764).

Übrigens hatte ich schonmal hier eine Diskussion zu Degrowth/Postwachstum angestoßen und viele Literatur-Empfehlungen gegeben :slight_smile:

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Danke für den Hinweis zu Beckerts Intervieweinlassung, hatte die nicht mehr auf dem Schirm.

Ebenfalls vielen Dank für die Literaturhinweise! Muss mich da mal bei Gelegenheit reinnerden.

Die Kernthesen von Herrmann sind mir bekannt. Über deren tatsächliche Belastbarkeit im wissenschaftlichen Sinne habe ich bisher jedoch wenig in Erfahrung bringen können.