LdN374 Lösungsansatz zur Organspende

Hallo liebes Lage der Nation Team,
hallo an alle hier im Forum,

Ich verfolge die Debatte um die Organspende schon länger. Ich selbst bin Organspender und absoluter Befürworter von Organspenden. Gleichzeitig tu ich mir mit einer Opt-out Lösung ein wenig schwer. Dabei geht es für mich ganz grundsätzlich um das Verhältnis von Staat und dem eigenen Körper. Auch wenn es in diesem Fall viele Vorteile mit sich bringen würde, obliegt die Entscheidung über den eigenen Körper jedem selbst und sollte aktiv getroffen werden. Eine Verfügung des Staats über den Körper halte ich aus Prinzip für schwierig und sollte wenn möglich vermieden werden.
Daher ein Vorschlag, zu dem ich gerne mit dem Forum diskutieren würde:

Integration der Organspendebereitschaft im Personalausweis mit einhergehender Entscheidungspflicht bei Beantragung.

Wie könnte das aussehen?
Die Entscheidung, ob jemand Organe spenden möchte oder nicht, wird als Information auf dem Personalausweis gespeichert. Der Organspendeausweis fällt dadurch weg. Bei der Beantragung eines neuen Personalausweises muss man sich entscheiden, ob man Spender:in sein möchte oder nicht. Da jede Person in Deutschland einen Perso braucht, muss sich jede Person früher oder später mit der Frage auseinandersetzen. Das Problem, dass jemand unfreiwillig Organe spendet wird so gelöst (Hauptargument gegen opt-out). Der Staat „zwingt“ niemanden dazu, Organe zu spenden und aktiv widersprechen zu müssen. Stattdessen „erzwingt“ der Staat nur die Entscheidung dafür oder dagegen. Darüber hinaus muss sich jeder Mensch alle 10 Jahre erneut mit der Thematik befassen, wenn der alte Perso abläuft. So kann garantiert werden, dass die Bereitschaftserklärung immer halbwegs aktuell ist, und keine 40 jahre zurück liegt.
Zwar wären es dadurch sicher weniger Spender:innen als bei der opt-out Lösung aber sicher könnten die Spendezahlen gesteigert werden ohne den Grundrechtseingriff in Kauf nehmen zu müssen.

Bin gespannt auf eure Meinungen zu diesem Vorschlag.

Lg
Simon

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Problematisch wäre an diesem Ansatz, dass eine Änderung der Entscheidung nicht spontan möglich wäre (Dauer, Kosten, Bürokratie).

Eine solche Vorgehensweise dürfte auch großen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen.

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Das hat gewisse Datenschutzprobleme. Wenn die Information klar ersichtlich auf dem Personalausweis steht, dann ist es ziemlich schwierig, meine Entscheidung geheim zu halten, weil zum Beispiel ich aus einer stark religiösen Familie komme, die das nicht gutheißen würde.

Grundsätzlich finde ich die Idee nicht so schlecht, aber um diese Hürde müsste man irgendwie herumkommen.

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Die Familie würde es ja aber nach Ihrem Tod erfahren. Ist das nicht noch unschönen,? Ich finde, Angehörige sollten das wissen, denn das Verfshren beim Sterben ist ja grundlegend anders als bei einem „normalen“ Tod.
Aber vielleicht wäre die Info ja auch auf der Krankenkassenkarte alternativ gut aufgehoben. Das Argument, dass der Perso ja 10 Jahre lang nicht ohne Weiteres geändert wird (nervig!!) macht es ja schwierig, wenn sich meine Entscheidung ändert.

Nur so ein kleiner Einwand, die Wehrpflicht ist am Ende nichts anderes. Wo wäre also das Problem? Ganz im Gegensatz kann man m.E. sogar den Nutzen der Organspende deutlich besser sehen als den einer Wehrpflicht.

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Nicht für die Person, die es entschieden hat, die ist dann ja schon tot. Und um ihre Rechte geht es hier, nicht um die Befindlichkeiten der Familie.

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Wäre statt Personalausweis nicht die Krankenversichertenkarte logischer? Wär etwas „weniger staatlich“, und wenn man sich als Gesellschaft eine Elektronische Patientenakte im Europäischen Gesundheitsdatenraum zutraut, sollte sowas „kleines“ doch kein Problem sein. Bin mir sicher, ich überseh da was…

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Klar, wäre die Lösung mit Aufwand verbunden. Aber einmal implementiert scheint mir das doch recht nachhaltig.
In Sachen Bürokratie wäre es eine zusätzliche Frage, die auf dem Bürgeramt gestellt werden muss, wenn mab seinen Ausweis beantragt.

Die opt-out Lösung zieht ja ebenfalls einen organisatorischen Rattenschwanz mit sich. Immerhin muss die Infrastruktur geschaffen werden, mit der leute sich gegen eine Organspende aussprechen können.

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Müsste ja nicht aufgedruckt sein, kann im Chip stehen. Aber warum dann nicht gleich bei der Perso einen Eintrag ins neue Register vornehmen. Da kann man es auch in Self Service ändern.

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Klar, diese info muss nicht drauf stehen.

Genau wie die Fingerabdrücke, die auf dem Chip im Personalausweis gespeichert sind, könnte diese info dort abgespeichert werden.

Eine Änderung der eigenen Entscheidung könnte dann auch eventuell selbst über den ePerso erfolgen.

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Bei der Krankenkassenkarte würde man dann alle 5 jahre die Entscheidung bestätigen oder ändern.

Allerdings leidet dann natürlich die Einheitlichkeit ein bisschen (gesetzlich vs. Privat und verschiedene Anbieter). Eine Option wäre es natürlich

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Du hast vollkommen Recht. Genau deshalb ist die Wehrpflicht ja auch so problematisch.

Jeder Mensch ist frei und sollte grundsätzlich über seinen eigenen Körper verfügen. Eine Einschränkung muss schon sehr gut begründet werden. Ich persönlich halte Krieg für keine ausreichende Begründung. Bei Organspende ist es schon nicht mehr ganz so eindeutig. Deshalb finde ich die Personalausweislösung einen guten Kompromiss, um eben die Grundrechte überhaupt nicht einschränken zu müssen

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@tzimon_h
Finde Deinen Ansatz grundsätzlich interessant… Aber ein Opt-Out ist trotzdem die bessere, einfachere und deutlich weniger bürokratische Lösung.

Klar, ist auch schwierig… Aber ist es weniger schwierig, wenn Menschen sterben, die eigentlich gar nicht sterben müssten? Ich vermute mal, dass sich 99% der Bevölkerung für eine Organspende entscheiden würden, aber einfach keinen Ausweis haben.

  1. Menschen sterben
  2. 99% sind dafür

Für mich zwei SEHR gute Gründe

Nö… Die gibt’s ja jetzt - wie in der LdN beschrieben. Das könnte man ja im Grunde 1:1 so übernehmen. Nur eben mit dem Default-Case, dass man Organspender ist.
Warum sollen die 99% der Menschen den Ärger und das Geraffel haben, die ihre Organe der Gesellschaft zur Verfügung stellen und nicht diejenigen die sich da nicht solidarisch zeigen.

Sehe das bei mir… Hab in meinem Leben schon ein halbes Duzend Organspenderausweise gehabt. Dauernd verloren, oder verlegt… Gerade aktuell keiner vorhanden. PIN vom Perso weiß ich nicht mehr…
Und als Single-Dad habe ich gerade besseres zu tun als wegen sowas zum Amt zu rennen und tote Bäume durch die Gegen zu tragen, nur weil der Staat es gebacken kriegt die Passwort-Vergessen-Funktion weiter zu finanzieren?

PS:

Offtopic: Was viele bei der Diskussion vergessen: Wenn wirklich KRIEG herrscht, gelten eh ganz andere Regeln. Da kann der Staat auch direkt von der Straße holen (auch ohne Wehrdienst). Das wäre bei uns auch nicht anders als jetzt in der Ukraine!

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So optimistisch bin ich leider nicht. Umfragen zur Widerspruchslösung ergeben, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung für eine Widerspruchslösung sind. Ich gehe stark davon aus, dass ein beträchtlicher Teil des Drittels, das gegen eine Widerspruchslösung ist, eher gegen Organspenden sein wird. Andere Umfragen, die ich auf die Schnelle gefunden haben, kamen zum Ergebnis, dass 82% der Bevölkerung dem Thema Organspende positiv gegenüber steht.

Aber abgesehen von der Zahl gebe ich dir Recht, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für Organspenden ist und daher eine Widerspruchslösung folgerichtig ist. Wer so stark gegen Organspenden ist, wird auch die Zeit und Motivation finden, das aktenkundig zu machen…

Exakt, ich sehe nicht die Notwendigkeit, diese Information auf ein Dokument zu übertragen. Bei der Personalausweislösung müsste man sich fragen, ob die Krankenhäuser überhaupt das Recht haben, den Personalausweis auszulesen, bei der Krankenkassenkarten-Lösung haben wir wie gesagt das Problem der verschiedenen Krankenkassen, insbesondere der Privaten, die oft gar keine Karte haben.

Mehr aber noch: Welchen Mehrwert bringt die lokale Speicherung in einem Dokument gegenüber einer zentralen Speicherung, die nur autorisierte Stellen (also eigentlich nur die für Organentnahmen zuständigen Stellen der Krankenhäuser) abrufen können und die entsprechend gesichert sind? Immer wenn die betroffenen Dokumente vorliegen, ist die Person auch identifizierbar, sodass ein Abruf in einer zentralen Datenbank möglich ist… und wenn wir hier schon Sicherheits- und Datenschutzbedenken haben können wir das Projekt „Digitale Krankenakte“ gleich komplett vergessen…

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Weil diese leute nunmal ein Grundrecht darauf haben, dass über ihren körper, auch nach dem tod, nicht einfach verfügt werden kann. Und ein Grundrecht kann m.M.n nicht nur dann gelten, wenn man sich vorher darum gekümmert hat. Die menschen haben sozusagen ein Grundrecht in diesem fall unsolidarisch zu sein. Beim besten Willen, ich bin vollkommen bei dir und deinem Argument. Es wäre natürlich der größere Nutzen für die Gesellschaft, mehr Organspenden zu haben. Aber man würde halt einen einschnitt in die Grundrechte in Kauf nehmen, mit dem ich mich schwer tue.

Ich geb euch vollkommen Recht, dass ist der deutliche bessere Weg. Mir ging es bei dem Vorschlag auch weniger um die tatsächliche Logistik hinter dem ganzen (da scheint ein zentrales Register wirklich die sinnvollste Lösung). Mir ging es vielmehr um den Prozess, wie dieses Register mit Daten gefüllt wird.
Mein Gedanke war, statt der opt-out Lösung, die Entscheidung über die Spendebereitschaft mit einem verpflichtenden Ereignis (zb Personalausweiserneuerung) zu koppeln.

Ja, mit der opt-out Lösung wären es unterm Strich mehr Spender:innen. Aber ich finde es trotzdem die erstrebenswertere Lösung, wenn der Staat nicht die Entscheidung trifft (der man dann widersprechen muss) sondern nur eine Entscheidung verlangt.
Würde man die Entscheidung zb an die Personalausweiserneuerung koppeln (man wird im zuge der Beantragung gefragt und die Antwort wird ins zentrale Register eingetragen) würden sich alle deutschen innerhalb der nächsten 10 Jahre zwingend mit der Frage befassen und für sich eine Entscheidung treffen. (Ginge genauso mit der krankenkassenkarte, da wären es dann 5 jahre)

Ist glaube ich eine grundsätzliche Frage, inwieweit und mit welcher Begründung die Rechte des Individuums eingeschränkt werden können.

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Ich verstehe das Problem bei opt-out überhaupt nicht. Solange jeder die Chance hat ohne extra eingebaute Hürden und sicher zu widersprechen - nicht so wie bei der Kündigung eines Bezahlabos.

Dadurch verfügt ja keiner, man kann das früh genug ankündigen, bspw. jetzt für Anfang 2025 - dann hat jeder genug Zeit sich das zu überlegen und rechtssicher Gebrauch vom opt-out zu machen. Nachdem der Antrag von Jens Spahn vor einigen Jahren ja leider gescheitert ist, hätte die sich als progressiv verstehende Ampel ja eine gute Möglichkeit, da nochmal einen neuen Versuch zu starten :slight_smile: in vielen anderen europäischen Ländern klappt es ja auch.

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Im Parallelthread wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Regelung des Landes gilt, in dem man stirbt.
Ein Urlaub in einem Land mit opt-out-Lösung macht dich automatisch zum Spender. Einige dieser Länder schließen auch aus, dass Angehörige dem nachträglich widersprechen können. Frankreich weist darauf hin, dass das zwar geht, aber, da die Organe zeitnah entnommen werden, es dafür zu spät sein kann.

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Ja, ich glaube auch, dass hier Befindlichkeiten von Leuten die zum Zeitpunkt des Eintritts tot sind (es könnte ja vorkommen, dass jemand eigentlich nicht spenden will es aber verdaddelt hat das eintragen zu lassen) unangemessen hoch bewertet werden. Diesen Befindlichkeiten steht schließlich gegenüber, dass viele Menschenleben gerettet werden könnten.

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In der Diskussion zum opt-out-default geht leider oft unter, dass es keine Evidenz dafür gibt, dass es wirklich was nützen würde. Ist zwar kontraintuitiv, aber leider so (siehe die Studie unten).

Arshad, A., Anderson, B., & Sharif, A. (2019). Comparison of organ donation and transplantation rates between opt-out and opt-in systems. Kidney international , 95 (6), 1453-1460. Redirecting

Studies comparing opt-out and opt-in approaches to organ donation have generally suggested higher donation and transplantation rates in countries with an opt-out strategy. We compared organ donation and transplantation rates between countries with opt-out versus opt-in systems to investigate possible differences in the contemporary era. Data were analysed for 35 countries registered with the Organisation for Economic Co-operation and Development (17 countries classified as opt-out, 18 classified as opt-in) and obtained organ donation and transplantation rates for 2016 from the Global Observatory for Donation and Transplantation. Compared to opt-in countries, opt-out countries had fewer living donors per million population (4.8 versus 15.7, respectively) with no significant difference in deceased donors (20.3 versus 15.4, respectively). Overall, no significant difference was observed in rates of kidney (35.2 versus 42.3 respectively), non-renal (28.7 versus 20.9, respectively), or total solid organ transplantation (63.6 versus 61.7, respectively). In a multivariate linear regression model, an opt-out system was independently predictive of fewer living donors but was not associated with the number of deceased donors or with transplantation rates. Apart from the observed difference in the rates of living donation, our data demonstrate no significant difference in deceased donation or solid organ transplantation activity between opt-out versus opt-in countries. This suggests that other barriers to organ donation must be addressed, even in settings where consent for donation is presumed.

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Ist die Schlussfolgerung nicht falsch? Wenn die Ergebnisse ähnlich sind, man aber nur ein Drittel der Lebendspender braucht, ist das ein großer Erfolg.

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