LdN366 Politische Stimmung in Deutschland

Moin,

Ich verstehe den Frust über die Ampelkoalition und ihre Politik. Obwohl der russische Krieg ihre Agenda beeinträchtigt hat, erwarte ich, dass sie ihre Pläne dann halt einmal anpassen (kann auch paar Monate dauern) und dann konsequent umsetzen.

Zu den angesprochenen Punkten:

  1. Ihr kritisiert die Arbeitslosenquote als wenig aussagekräftig, nutzt sie aber trotzdem in der Argumentation. Dabei bedeutet „in Arbeit“ nicht zwangsläufig finanzielle Sicherheit.

  2. Deutschland/Europa hinkt in IT/KI/Cloud-Bereichen hinterher. Ohne starke Cloud-Anbieter verliert unsere Volkswirtschaft viel Wohlstand. Wie soll der Wandel von Industrie- zu Informationswirtschaft gelingen, wenn SAP unser technisches Aushängeschild ist?

  3. Die Vermögensverteilung in Deutschland ist extrem unausgeglichen. Hohe Assetpreise (Immobilien, Aktien) nützen nur denjenigen mit bereits hohem Vermögen.

  4. Als statistisch gutverdienender Haushalt ohne Erbschaft fühlt man sich als Hauptfinanzierer der Gesellschaft.

  5. Schlüsselindustrien wie Chemie und Automobil investieren zunehmend außerhalb Deutschlands und sicher halt international verglichen im Abstieg. Unsere Rückständigkeit in Software und Elektrifizierung ist besorgniserregend in der Automobilbranche.

Mein Frust rührt daraus, dass Verbesserungen möglich, aber durch festgefahrenen Schutz bestehender Strukturen blockiert werden. Ohne grundlegende Reformen wird die Wirtschaft weiter leiden, und höhere Steuern könnten Unternehmen vergraulen. Ist ein Teufelskreis.

Wir müssen wirtschaftlich, klimatisch, integrativ und bildungstechnisch Impulse setzen. Die Fokussierung auf oberflächliche Indikatoren wie die Arbeitslosenquote ignoriert die tieferen Probleme. Die Aussicht auf eine CDU-Regierung weckt bei mir keine Hoffnung, eher PTSD.

Positiv sehe ich die Wirtschaftspolitik unter Herrn Habeck.

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Hi, ihr habt Euch in der Sendung die Frage gestellt woran es liegt, dass die Ampel so schlechte Akzeptanz hat. Meiner Wahrnehmung nach hat das sehr viel damit zu tun, wie über Ausgaben gesprochen wird. Prominent hört man immer nur wieviel Mrd. für dieses Land und für jenes EU-Thema und noch das andere Land und diese Menschen aus Land XXX investiert werden. Aber wenn es um das Bildungssystem, Rente oder jetzt die Subventionen für Bauern oder andere „interne“ Projekte: Da heißt es immer geht nicht, sparen. Können wir nur viel weniger ausgeben, usw.
Ich vertrete diese Meinung nicht selbst, höre das aber sehr viel in meinem Umfeld und weiß dann aber auch nicht zu erwidern…weil es sich ja schon so anhört als hätten „ wir für alle Geld nur nicht für die eigenen Leute“. Was sagt man diesen Menschen??

Grüße Thorsten

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Ich denke schon das Kommunikation ein wesentlicher Punkt ist. Nicht der einzige und vielleicht auch nicht der entscheidende, aber schon wesentlich.

Zumindest verständlich erklären, warum man etwas macht mit welchem Ziel, oder auch warum man etwas (jetzt) nicht macht.

Den Menschen außerhalb des Bundestages einfach das Gefühl geben, man nimmt sie ernst und nimmt sie mit.

In einer Diskussionsrunde bei SWR3 heute fiel ein passender Satz:“Da kommen drei Männer morgens um 5 Uhr aus ihrem Kämmerlein und setzen ihren Beschluss dann mal um. Da kommt doch keiner wirklich mit!“

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So ungefähr sieht das in meinem Leben auch aus – abgesehen von der Halbzeitstelle. Aber Arbeitskollegen mit Familie befinden sich in einer ganz anderen Situation. Da reicht’s dann mit 1 ½ Vollzeitstellen so gerade eben, Urlaub ist vielleicht eine Woche Nord-/Ostsee in der Nebensaison, und wenn irgendwas Größeres kaputt geht oder eine Krise die Heizkosten verteuert, ist das erstmal mit deutlichen Einschränkungen verbunden.

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Das Thema hatten wir zufällig gestern beim Abendessen. Da sagte ein österreichischer Kollege, dass die Nazis es ja geschafft haben, mit dem Volksempfänger die Meinungshoheit zu manifestieren. Da mussten dann nur noch die Printmedien gleichgeschaltet werden. Mein Eindruck ist, dass es heute rechten Akteuren viel einfacher gemacht wird, weil Social Media Algorithmen Filterblasen fördern und zur Radikalisierung beitragen.

In der Nebensaison ist eine Woche Mallorca im Familienhotel für 4 Personen inkl. Flug für uns ca. 1000€ billiger als ein Hotel an der Nordsee ohne ICE-Ticket oder Spritkosten.

Das war bei mir im Studium auch so und es hat gepasst. Aber damals hatte ich auch das Ziel eines besseren Lebens vor Augen. Technische Mechanik war hart, Höhere Mathematik war hart, Thermodynamik war richtig hart aber ich habe mich immer mit dem glauben an ein besseres Leben motiviert und durchgebissen.

Ich bin Arbeiter- und Scheidungskind und ich habe mir damals in der Schule bei den Eltern meiner Freunde abgeguckt womit ich mir Wohlstand erarbeiten könnte. Ich bin Maschinenbauingenieur und nach IGM Tarif bezahlt. Ich denke ich verdiene mehr als 90% der Arbeitnehmer. Aber trotzdem werde ich meinen Kindern nicht den Lebensstandard ermöglichen können, wie es meine Peer-Group in den 90ern von ihren Eltern bekommen hat. Respektive von ihren Papas. Die Mamis haben sich ja damals nur um ihre Kinder gekümmert.

Aber mal sehen, Kita Gebühren zahlen wir ja nicht ewig und die Immobilienpreise kollabieren ja gerade. Vielleicht wird in Zukunft doch noch ein Haus drin sein.

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Ich würde noch eine zweite Frage stellen: warum hat die Union wieder so gute Umfragewerte?
Schließlich haben wir 16 Jahre Stillstand und katastrophale Industriepolitik (Solarenergie, Netzausbau, Digitalisierung, russisches Erdgas) hinter uns.

Die Union trägt einen Großteil der Verantwortung für die Lage, bringt seit zwei Jahren fast nur inhaltslose Polemik und ist trotzdem in einem Umfragehoch.

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Das könnte ich mir sogar noch herleiten.
Angela Merkel hatte durchaus das Talent, den Menschen das Gefühl zu geben, sie hätte alles im Griff und man brauche sich als Bürger/in um nichts mehr zu kümmern.
Dieses Gefühl möchten viele Menschen wieder haben und erwarten es eher von einer CDU.

Zudem haben wir auch ein eher älteres und zumeist konservatives Wählerklientel bei der CDU. Und vielen davon ist die Zukunft in 50 Jahren relativ egal, die denken nur daran, das es ihnen in den nächsten 10 Jahren mit dem selbst geschaffenen Wohlstand unverändert gut geht (die normale Lebenserwartung zugrundegelegt).
Um die Zukunft danach können sich die Folgegenerationen kümmern. Solche Sätze höre ich von konservativen älteren Wählern häufiger.
Jüngere konservative Wähler glauben oft den Erzählungen vom „besseren Früher“, wo alles besser und einfacher war, mit einfachen patriarchalen Regeln und „klassischen“ Tugenden wie Fleiß, Regeltreue und Folgsamkeit.
Das macht sicher einen erklärbaren Teil der CDU Befürworter aus.

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Aus meiner Sicht ist es Lebensqualität in einer pluralistischen Gesellschaft, in der man seine Meinung sagen darf und Einfluss nehmen kann, zu leben.
Es gibt Probleme, für die unterschiedliche Parteien unterschiedliche Lösungen haben. Demokratie bedeutet in der Regel Kompromiß. Vorallem aber ist die schwierige Situation neben den dich verschärfenden Rahmenbedingungen Folge der Wahlentscheidungen der Wähler der letzten Jahrzehnte. Die Mehrheit hat es so gewollt. Ein Volk bekommt die Politik, die es verdient.
Zwei Probleme, die mit der Stimmung im ich hier im Chat raushöre:

  • Demokratie ist nur dann gut, wenn sie (meine) materiellen Interessen bedient.
  • Die fehlenden „Komplettlösungen“ der etablierten Parteien werden gleichgesetzt mit der Demokratiefeindlichkeit der AFD.

Alles in allem leben wir immer noch in einem Land, indem es sich gut leben lässt,. In nicht so vielen Ländern gibt es ein solch ausdifferenziertes Netz an Hilfen.

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Hi.
Das sehe ich aber nur als Teil des Problems. Die Rechten sind einfach skrupelloser und können die Welt mit ihren scheinbar klaren Lösungen schnell erklären. Einfach die Migration als Mutter aller Probleme definieren und schon hat man die Lösung.
Dazu gibt es seit Jahrzehnten (auch schon vor social media) finanzstarke Akteure, die versuchen, aktuelle Probleme zu negieren, Wissenschaftler zu diskreditieren und Politiker, die wirklich erwas ändern wollen, zu blockieren (Bsp. Klimawandel).
Dazu kommt nach meiner Ansicht noch „Hobbing“. Die Bauern sind sicherlich nicht alle extrem, aber wenn sie wütend sind, dann wird mal extrem auf die Ampel geschossen. Völlig irrational: Bauern sind überproportional in den Parlamenten vertreten. Es gibt eine aktuelle Studie, die zeigt, dass der Bauernverband immer durchgesetzt hat, was er er für richtig hielt und verhindert hat, was er für falsch hielt. Aber: Schuld ist die Ampel, ach nee: Die Grünen, oder lieber gleich der Habeck. Den kann man dann gleich mal persönlich bedrohen.
Ich denke, dass Unzufriedenheit bewusst geschürt wird, um es dann auszunutzen. Schönes Beispiel sind die Britten mit ihrem Brexit - Sehenswerter aktueller Beitrag dazu: Brexit Brainwash (u.a. youtube).

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Das ist vielleicht einen Schritt zu weit verkürzt. Ich würde es so formulieren:
Eine Regierung ist nur dann gut, wenn es nach der Amtszeit allen ein bisschen besser geht.

Es gibt meiner Ansicht nach keine bessere Regierungsform als die Demokratie, aber wir haben gerade Schlagseite zugunsten der alten Industrie und der Generation 50+. Die Generation, der über 50-jährigen stellt soweit ich weiß aber auch den größten Anteil an den Wählern daher macht die Regierung aus ihrer Perspektive alles richtig.

Ich denke, in der Tat, dass die Botschaft der AfD: „wir machen es besser“ sich nur deswegen verfangen konnte, weil die Regierungen der letzten 20 Jahre so schlecht performt haben. Die von der AfD als solche deformierten „Altparteien“, machen sich ja nicht mal mehr die Mühe, den Leuten zu sagen, dass es dem Land besser gehen wird, wenn man sie wählt.

So gesehen kann ich den (unter)durchschnittlichen Wähler schon verstehen. Warum sollte ich eine Partei wählen, die mir sagt, das wird sowieso alles schlechter wird, wenn ich die Möglichkeit habe eine Partei zu wählen die mir sagt mit uns wird alles besser?

So schließt sich wohl der Kreis, es liegt wohl wirklich an der Kommunikation der aktuellen Regierungsparteien.

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Weil sie es anscheinend geschafft haben, dass die Wähler keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem aktuelle Stand des Landes heute mit der Politik der Merkeljahre herstellen. Und dass sie so tun, als wäre alles vor der Zeit Merz eine andere Partei gewesen.

Ich würde eher formulieren, das es um eine Anhebung des durchschnittlichen Lebensstandards oder allgemeinen Wohlstands geht. Wenn man Vermögenssteuern einführt und klimaschädliche Subventionen abschafft werden sich einige finden die sagen, uns geht es schlechter. Im Kern wollen wir m. E. auf dasselbe hinaus, es gilt hier die richtigen Parameter zu finden an denen man es festmacht.

Da bin ich ganz bei Dir. Wobei es in Teilen nicht nur die Kommunikation der Regierenden ist, sondern auch die Rezeption und Weiterverbreitung. Wenn aus einem Statement wie „Wir müssen uns jetzt einschränken und auf X, Y und Z verzichten, damit wir, unsere Kinder und Enkel in 10, 20, 30 Jahren noch gut leben können. “ nur der erste Halbsatz berichtet wird, liegt das nicht an der Person, die den Satz ausgesprochen hat.

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Aber die Leute, denen man das Geld wegnehmen würde, hätten ja dann immer noch Vermögenswachstum. Laut dieser Oxfam Studie konnten die reichsten Menschen in Deutschland, ihr Vermögen seit 2020 um 75% vergrößern, wohingegen die „ärmeren“ 80% Vermögen verloren haben.

Ich habe nichts dagegen, wenn die reichsten Leute ihr Vermögen jährlich um 10 % steigern, aber das Vermögen sollte für alle um 10 % steigen.

Jetzt sieht es nämlich so aus, als hätten die reichsten zwei Dezile ihre Gewinne auf Kosten der ärmeren acht Dezile gemacht.

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Das Problem scheint eher, das diese vermögenden Leute oft lieber keinen Cent abgeben möchten, sondern lieber noch mehr Reichtum anhäufen wollen.
Gemeinschaftssinn ist da oft nicht so explizit ausgeprägt

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Kommt dann drauf an, wie viel man wegnimmt. Es ist m. E. nicht zwingend, dass die am Ende noch Vermögenszuwachs haben.

Den Eindruck habe ich auch. Deswegen mein Vorschlag, andere Parameter zu wählen.

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Macht aber halt schon einen unterschied wenn ein Milliardär 100 Millionen bekommt oder jemand der nix hat 10% mehr nix hat.

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Kommunikation ist keine Einbahnstrasse. Es gibt Sender und Empfänger.
Wenn es überzogene Erwartungen (Uns muss es immer besser gehen) und die Politiker nur sagen sollen, was man hören will, ist klar, dass es zu Unzufriedenheit führt.
Ich erwarte von einer Regierung, dass sie mit den Problemen unter den gegebenen Rahmenbedingungen konstruktiv umgeht. Leider führt das nicht unbedingt zu mehr Wohlstand. Es gibt einfach zu viele Aspekte, die nicht in der Macht der Politik liegen.
Dazu ist es notwendig, Probleme klar zu benennen und nicht zu bagatellisieren.

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Da sind wir tatsächlich auch wieder beim Thema Kommunikation.

Trauen sich unsere Politiker mit Blick auf Wiederwahl, parteipolitische Erwägungen und persönliche Karriereambitionen nicht mehr, auch unangenehme Wahrheiten anzusprechen, oder nur wenn es nicht unangenehm wird für die eigene Klientel bzw. einflussreiche Gruppierungen, mit denen man es sich nicht verderben will,

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Das hat nach meiner Meinung nichts mit zutrauen zu tun sondern schlicht mit den Erwartungen. Wurde ja eben gut herausgearbeitet

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