Spannendes Interview mit Herbert Reul. Ich frage mich wirklich, wo die Reise hingeht, wenn der Großteil der Politiker*innen so denkt wie er. An einer Stelle spricht er davon, „ob es das Problem überhaupt gibt“. Er spricht immer wieder von „den Zahlen, die zu viele sind“, kann aber die Grenze nicht benennen, wann es denn genug ist. Alles Gefühlssache. Oder bei der „Clankriminalität“ spielt es für ihn keine Rolle, ob der Begriff ein „Problem“ korrekt beschriebt oder ob er gerechtfertigt ist. Es geht nur darum, dass „die Gesellschaft“ bestimmte Phänomene als „Problem“ versteht. Das reicht ihm wohl schon, es geht ja nur um Vertrauen. Da wundert es keinen mehr, dass migrantische Communitys post-politisch sind, weil am Ende jede Debatte zu ihren Lasten geht. Was meint er denn damit, wenn er sagt, „ob es stimmt oder nicht, ist mittlerweile egal“. Wo hört das denn bitte auf? Warum gibt es kein Bewusstsein dafür, dass Politik auch alternative Herangehensweisen anbieten kann (und vielleicht auch muss)?
PS: Joachim Gauck als moralischer Kompass – auch spannend.
PPS: Stilkritik vielleicht, die Frage zu den Palästina-Demos hätte es nicht gebraucht, ich finde die Verquickung Migration und extremistischen „Demonstrationen“ gefährlich.
Beim Hören des Interviews hatte ich ähnliche Gedanken. Sich an dem gefühlten Trend in der Gesellschaft zu orientieren und danach seine Handlungen auszurichen, wie nennt man das doch nochmal? War das nicht genau die Definition von Populismus. Gleich nochmal Walter Scheel zitieren:
„Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe der Politiker ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“
Das große Problem in unserer Zeit ist ja auch die öffentliche Meinung, die ja durchaus von Kampagnen gesteuert werden kann. Wenn die Bild-Zeitung die Migranten als Problem hinstellt und auch alle anderen Medien täglich über die sogenannte „Migrationskrise“ berichten und dabei die anderen Probleme vernachlässigen, dann ist das eine sehr einseitiges Bild.
Ich habe neulich mal in einem emotional aufgeladenen Forum unserr Lokalzeitung gefragt, welche Probleme wir denn wegen der Migraten haben. Oh, es ging los bei Wohnungsmangel, dann Amokläufe und ermordete Kinder, Inflation, ja, sogar die CO2-Bepreisung wurde den Migranten angelastet. Da bekommt man vom Kopfschütteln schon Schleudertrauma.
So geht heutzutage Politik . Maßnahmen beschließen, von denen man überhaupt nicht weiß ob sie wirken. Hauptsache dem Volk aufs Maul geschaut.
Kein Wunder, dass immer weniger Leute Bock auf Demokratie haben. Diesem Vorgehen werden Lösungen vorgetäuscht. Aber in einem Jahr ist der Sachverhalt ja immer noch der gleiche.
Also ich musste unfreiwillig etwas lachen. Erst bringt Ulf den Joke, dass man ja keine Mafiosi interviewen würde, und 10 min später erzählt Herr Reul unironisch wie toll sich die Türkei doch um die Flüchtlinge „kümmert“.
Fand ich auch sehr erhellend das Interview. Auf mich wirkte Reul wie ein sehr einfaches Gemüt. Ohne große Agenda, aber auch ohne Vision oder Ideen. Wie jemand, der irgendwie auf nen Posten gespült wurde und jetzt etwas unbedarft versucht, möglichst wenig anzuecken. Typ Verwaltungsbeamter.
Ich finde Reul ist mit einigen Aussagen zu leicht davongekommen.
Zun Beispiel bei der Frage, ob es nicht möglich wäre durch eine bessere Integration der Leute -z.B. in Arbeit- eine andere Erzählung zu schaffen. Reul erwidert, dass die Leute die positive Erzählung nicht mehr glauben. Aber es geht doch gar nicht um die „Erzählung“. Es geht darum, dass wir unnötige Hürden abschaffen, welche die Integration der Menschen praktisch verhindern. Würden diese abgebaut, dann müssten wir keine „Märchen“ (wie es Herr Reul nannte) erzählen, sondern die Geschichte erzählt sich von selbst.
Ich frag mich ein bisschen, was der Punkt bei dem Gespräch war, warum ihr gerade ihn eingeladen habt und was man da so rausziehen soll. Dass die Politik lösungsorientierter/pragmatischer über Migration reden sollte? Aber selbst dafür scheinen mir viele Prämissen falsch. Ihr habt ja selbst schon oft angemerkt, dass das Problem Deutschlands ja nicht ist, dass wir zu viele sind, sondern dass wir weniger werden, zumindest im Arbeitsmarkt jetzt schon, und dann in einigen Jahren auch in der Bevölkerung. Also warum wird das nicht im Interview hinterfragt? Genauso Thema Bildung: Ihr sprecht ja schon an, dass das System auch ohne migrantische Menschen kaputt ist, und Herr Reul gibt das gleich zu, dass da „in der Vergangenheit“ Fehler gemacht wurden, aber wo ist die Nachfrage, ob da jetzt massiv investiert wird? Und warum wird nicht nochmal nachgehakt, wenn zuerst gesagt wird, dass diejenigen, die Asyl wirklich brauchen (da wäre auch mal eine Definition spannend gewesen) das auch kriegen sollen, aber die „5%“ aus den „sicheren Herkunftsländern“ werden dann einfach so weggewischt? Und dass Gauck als moralische Instanz hingestellt wird, durch die anscheinend eine Aussage immer moralisch gut wird, egal was sie ist, ist dann ein bisschen lächerlich, aber ich verstehe, warum man das Fass nicht unbedingt aufmachen muss.
Wie dem auch sei, bin eigentlich großer Fan eurer Interviews, aber das hier lässt mich mit mehr Fragen (auch an die Interviewführung) zurück, als es beantworten konnte.
Also ich fand das Interview sehr gut und auch die Position Herr Reuls nachvollziehbar und ich konnte ihm in einigen Punkten auch zustimmen.
Weil ihm hier im Thread Populismus vorgeworfen wird, möchte ich sagen, dass ich dem hier klar widerspreche.
Mein Verständnis des Interviews ist: Herr Reul sorgt sich einfach um die Stimmung in der Bevölkerung und will die Leute nicht in das Boot der Populisten treiben. Dafür muss man diese Menschen wieder erreichen und ihnen zeigen, dass auch die demokratischen Parteien Lösungen für die Probleme finden können, welche die Menschen momentan umtreibt. Und momentan ist das Flüchtlingsproblem eben das was die Menschen am meisten umtreibt.
Ihm geht es dann darum, dass Problem auch wirklich zu lösen um wieder Vertrauen herzustellen. Auch die Lösungsansätze die er nennt, sind im Kern nicht populistisch, da sie das Problem tatsächlich beheben und grundsätzlich umsetzbar wären. Da ist natürlich noch viel zu klären und er nimmt die Probleme dort mMn zu stark auf die leichte Schulter. Nichsdestotrotz zeigt er eine Perspektive auf wie man zwei Probleme auf einmal lösen könnte: Die Flüchtlingsthematik und den Vertrauensverlust in die Politik.
Welche Lösungsansätze?
Irre ich mich oder hatte er gar keine echten Lösungsansätze? Was auch kein Wunder ist, denn die hat auch niemand anderer, der die Zuwanderung begrenzen will.
Wie will man gefühlte Probleme (oder diskursiv erzeugte Probleme) auch lösen. Die Lösund ist immer abhängig von den Gemüt derer, die das Problem erzeugen. Stattdessen muss Politik doch sortieren. Das heißt z.B. der Unterfinanzierung und Verwaltungsproblemen der Kommunen begegnen und nicht die Behauptung stützen, dass die Kommunen aufgrund von „Flüchtlingswellen“ überfordert wären.
Darum geht es ja nicht. Es ist ja etwas anderes, dass die Kommunen nicht vorbereitet sind. Darüber muss man reden und nachhaltige Lösungen finden (nach 2015 war ja eine Aufmerksamkeit hier). Ich wüsste aber nicht, wie ein Abschottungs- oder Stellvertreterdebatte dabei hilft.
Worum geht es dann? Meiner Erinnerung nach ist das genau das Problem was Herr Reul anspricht: die Kommunen sind überfordert mit der Anzahl an Flüchtlingen, was Unsicherheit in der Bevölkerung schafft.
Ich würde Aussagen des Innenministers von NRW durchaus als Quelle zulassen wenn es um die Kommunen von NRW geht, ehrlich gesagt.
Aber selbst laut deiner Quelle sind 40% der Kommunen im Notfallmodus, das ist jawohl eindeutig ein Problem.
Die Frage bleibt:
Löst das wirklich das Problem?
Riesige Elends-Lager an der Außengrenze der EU werden auch nur dazu führen, dass es zu mehr Grenzübertrittsdelikten kommt. Dann haben wir in ein paar Monaten einen Höcke als Bundeskanzlerkandidat, der den Bau einer Mauer fordert, die von den Flüchtlingen bezahlt werden soll - und möglicherweise ein durch dieses permanente Angst-Framing verängstigtes Volk, dass diesen Unsinn auch noch glaubt und wählt.
Ich habe vorhin im Auto das Interview mit Herbert Reul gehört und habe mit Faszination seiner Analyse bzw. Narration zum Thema Vertrauensverlust in die Politik vernommen.
Ich weiss natürlich nicht, inwieweit ich jetzt ein repräsentativer Bürger bin, aber mein persönlicher Vertrauensverlust liegt nicht im fehlenden Handlungswillen der Politik begründet. Dieser begründet sich tatsächlich viel mehr in diesem offensiven Desinteresse an Details. In diesem Spannungsfeld von einem Verständnis von Politik als von komplexen Fakten (oder auch, kompakter, “Details”) unabhängigen Kontext bewegen sich für mich Populismus, Fantasie-Politik, kurzfristige oder kleinteilige bis unzureichende Politikansätze, fehlendes strategisches Verständnis von dem was überhaupt erforderlich wäre und die unzureichenden Kommunikation von notwendigen Veränderungen (die ohne Details in den meisten Fällen nur sehr schwer zu vermitteln sind).
Ohne diese “lästigen Details” zu handeln bedeutet letzten Endes nicht einmal approximativ zu einer angemessenen Lösung kommen zu wollen. … Abs. gel. Mod.
Also die Probleme in seinen Aussagen sind sehr deutlich und wurden von Ulf und Philip auch klargestellt. Wenn es einem Politiker völlig egal ist was die Wissenschaftler*innen zu einem Thema sagen, kann man es auch einfach lassen.
Etwas was ich aber auch krass finde ist dass man völlig ignoriert was die Fachkräfte sagen. Ja, vielleicht sind die Kitas zB mehr belastet als sie wären, wenn man alle Ausländerinnen ausschließen würde. Aber ist das der Grund des Problems? Verlangen die Erzieherinnen wenigere Asylsuchende? Oder sollten lieber die Arbeitsbedingungen verbessert werden, damit die Stellen besetzt werden und eine Erzieherin nicht die Arbeit von 3 Leuten erledigen muss. Oder dass Erfahrungsstufen im öffentlichen Dienst übertragen werden können um mehr Quereinsteiger*innen zu bekommen.
Ich denke es trägt auf jeden Fall einen Teil zur Lösung bei. Denn somit kann man die Menschen die die Grenze übertreten direkt zurück schicken. Heutzutage existiert dafür keine Möglichkeit.
Klar, das Problem wird man damit nicht ganz beheben können, aber die Situation ist handhabbarer als jetzt.
In diese Aufnahmelager. Dort kann man dann mit der eigentlichen Rückführung beginnen, welche man etablieren sollte, um mit den dort abgelehnten Asylbewerbern umzugehen.