Both-Sideism. Joe Biden ist nun wirklich der zentristischste Politiker, den man sich vorstellen kann. Es ist halt genau eine von zwei Parteien in den USA, die Bipartisanship und „Zentrismus“ aufgekündigt hat und hart aus dem demokratischen System ausgebrochen ist.
Hier in Deutschland ist es noch nicht so extrem, aber die Tendenz ist dieselbe. Habeck und Scholz rollen doch der FDP in der Bundesregierung jeden Teppich aus, ihre Parteien koalieren in der Mehrzahl der Länder mit der CDU und man hört öffentlich praktisch kein schlechtes Wort, während ihre „Partner“ in jedem Bierzelt nicht müde werden zu betonen, dass Rot/Grün das absolute Böse und der Feind Nr.1 sind, der Deutschland vorsätzlich zerstören will und den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.
Damit hast du grundsätzlich Recht, aber warum ist denn die republikanische Partei nicht mehr dieselbe wie in den 90ern oder 2000er?
Trump war mit dem Slogan America first (besser geeignet wäre eigentlich americans first gewesen) erfolgreich, weil die Demokraten in den 90ern einwanderungsfreundliche Gesetze erlassen hat und den massenhaften Arbeitsplatzverlusten von Amerikanern im Zuge der Globalisierung von beiden großen Parteien nicht viel entgegen gesetzt wurde. Dazu kamen die Billionen Dollar teuren Kriege in Afghanistan und im Irak unter der Bush Administration, die von Obama fortgeführt wurden.
Wie auch hier ist bei vielen Amerikanern der Eindruck entstanden, dass es eine neue Partei braucht, um wieder Politik für sie zu machen. Aber da im zwei Parteien System der USA Parteineugründungen nicht erfolgversprechend sind, wurde die republikanische Partei gekapert.
Von der Tea Party Bewegung hast du sicher gehört oder? John McCain und Mitt Romney, die 2008 und 2012 Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und für US Verhältnisse „normale“ Mitte-Rechts Politiker waren, hätten heute keine Chance mehr.
Und übersehen dabei, dass durchaus Politik für Amerikaner gemacht wird, nur halt nicht für alle in der erwünschten Höhe.
Der Eindruck ist ein rein subjektives Messinstrument und beeinflussbar, je nachdem, wo die Messlatte angesetzt wird.
CDU beschließt in Thüringen gegen die Linke Regierung mit Stimmen der AFD eine Senkung der Grunderwerbssteuer.
Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hatte das Agieren der Thüringer CDU-Fraktion vor der Abstimmung verteidigt. „Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig“, hatte Merz am Donnerstagmorgen im Sender RTL gesagt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. „Dabei bleibt es auch.“
Ich bin mir sicher. Keiner hat die Absicht eine Brandmauer zu verschieben.
Letztlich profitiert davon die AFD und insbesondere Höcke, die dadurch legitimiert werden. Aber die Schuld nur bei der CDU zu sehen kommt zu kurz.
„Einen „Pakt mit dem Teufel“ wirft der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow den Christdemokraten vor. Das ist ein harter Vorwurf angesichts des eigentlich ziemlich normalen parlamentarischen Vorgangs, dass es auch der zweitgrößten Oppositionspartei erlaubt sein muss, im Werben um künftige Wählerstimmen einen in ihren Augen sinnvollen Antrag einzubringen und sich dabei nicht von der AfD-Drohung irremachen zu lassen, dem Antrag zuzustimmen.
Fügte sie sich dem von Rot-Rot-Grün verhängten Politikverbot und den Launen der AfD, könnte die CDU in der Tat einpacken. In Berlin jedenfalls hatten SPD und Grüne für eine ähnliche Vorlage gestimmt. Wenn Ramelow, Chef einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, nicht will, dass der Antrag der CDU mit den Stimmen von FDP und AfD durchgeht, hätte es ihm freigestanden, ihm selbst zur Mehrheit zu verhelfen.“
„Ganz ähnlich hatte es übrigens der Bundeskanzler im August im Interview mit der Zeitung „Thüringer Allgemeine“ ausgedrückt: „Das ist doch keine Zusammenarbeit“, antwortete Olaf Scholz auf die Frage, was wäre, wenn AfD-Stimmen für die Mehrheit benötigt würden. „Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.““
Zwei Dinge sprechen dagegen, das Thema klein zu reden:
Die CDU wusste, dass die anderen Parteien nicht zustimmen würden. Wie bei der Wahl von Kemmerich wurden die Stimmen der AFD bewusst eingeplant. Das ist natürlich eine Zusammenarbeit.
Im Merkur-Artikel oben steht u.a.: „Die CDU weist darauf hin, dass auch Rot-Rot-Grün bereits mit der AfD gestimmt hat: bei einer Änderung der Kommunalordnung und der Änderung eines Untersuchungsausschuss-Auftrags zur Personalpolitik der Regierung.“
Wenn da so ist, dann ist es leider mal wieder genau das Problem, was die AfD weiter stärken wird. Statt zusammen Politik gegen die AfD zu mache und Kompromisse zu finden, arbeiten dann scheinbar ALLE anderen Partien mal nach eigenem Anliegen mit der AfD zusammen und werfen es dem politischen Gegner jeweils vor.
Und was lernt der verunsicherte, einfältige Wähler… die sind eh alle gleich und heuchlerisch und die einzigen, die nicht A sagen und B machen sind die von der AfD, die sich über die Elfmetervorlagen auf das leere Tor schlapplachen.
Vielleicht lohnt es sich, angesichts dieses „die machen ja alle dasselbe“ mal einen Blick auf die Inhalte der jeweils mit Stimmen der AfD beschlossenen Gesetze und die Abstimmungsmodalitäten zu werfen:
Im März 2023 ging es bei einer Änderung der Kommunalordnung darum, ob Ausschüsser von Kommunalparlamenten auf eigenen Wunsch wieder öffentlich tagen dürfen. Bei vorherigen Abstimmungen an diesem Tag wurden 81 Stimmen abgegeben (von insgesamt 90 Abgeordneten, von denen Rot-Rot-Grün 42 stellt) Es ist also fraglich, ob die Stimmen der AfD überhaupt erforderlich gewesen wären. Fun fact: Kurz zuvor hat die AfD mal wieder einen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten zur Wahl gestellt und bekam 38 Stimmen, obwohl sie nur 19 Abgeordnete hat. Diese Stimmen kamen ziemlich sicher nicht aus der Regierungskoalition!
Im April 2023 ging es um einen Untersuchungsausschuss, der die Personalpolitik der Landesregierung kritisch unter die Lupe nehmen sollte. Das fand eigentlich auch die CDU ganz toll, bis zu dem Moment, wo Rot-Rot-Grün die Untersuchung auch auf die Personalpolitik der CDU-Vorgängerregierungen ausdehnen wollte. Da stimmte sie auf einmal gegen das Gesetz. Diese Chance hat sich die AfD in ihrem Populismus gegen „die da oben“ natürlich nicht nehmen lassen.
Bei der heutigen Abstimmung haben mit AfD, CDU und FDP drei Parteien, die vorher vehement den neuen Haushalt kritisiert haben und krakelten, es werde zu viel Geld ausgegeben, dafür gesorgt, dass das Land ohne Gegenfinanzierung schätzungsweise 50 Millionen Euro Steuereinnahmen pro Jahr verliert. Und es war die ganze Zeit klar, dass die Regierungsfraktionen das Vorhaben deshalb in dieser Form niemals mittragen würden und eine Mehrheit prinzipiell nur mit den Stimmen der AfD vorstellbar wäre.
Diese Infos mag jede für sich gewichten, ich finde es abenteuerlich, das auf eine Stufe zu stellen, zumal die CDU sich ja jetzt hinterher für ihr Vorgehen noch fett selber lobt.
Rot-Rot-Grün hat 42 Stimmen im Landtag, Schwarz-Gelb plus Fraktionslose 29(?). D.h. wenn RRG so einen Antrag stellt, und die AfD enthält sich (zum Teil), geht der Antrag durch. RRG ist also nicht darauf angewiesen, dass die AfD dafür stimmt, sondern bloß dass sie nicht (geschlossen) dagegen stimmt.
Dieser Antrag jetzt konnte dagegen nur eine Mehrheit bekommen, indem die ganze AfD-Fraktion gemeinsam mit CDU/FDP/sonstigen dafür stimmt, und es war offensichtlich auch abgesprochen, dass das passieren wird.
Wie man diesen Unterschied interpretieren soll, liegt sicherlich ein Stück weit im Auge des Betrachters, aber er existiert.
Stelle mir das schon schwierig vor.
In den Landtagen, in denen die AfD vertreten ist und mitentscheiden kann, wird sie sich ja irgendwie positionieren, nicht nur enthalten. Dabei wird sie ja nicht immer extreme oder gegenläufige Positionen vertreten, sondern ggf auch ganz sinnvoll für oder gegen etwas stimmen, wie alle anderen Parteien im Landtag auch. Wie reagiert man dann als Partei, die nicht mit der AfD zusammen in die gleiche Richtung stimmen will? Die Abstimmung boykottieren? Sich enthalten?
Für eine sinnvolle und ergebnisorientierte politische Arbeit stelle ich mir daß extrem schwierig vor.
Ich bin mir nicht sicher, ob ein bockiges „mit denen spiele ich nicht“ da wirklich hilfreich ist. Eine klare demokratische Diskussion, welche die fehlende Kompetenz und Lösungsorientierung der AfD aufdeckt, wäre (theoretisch) sinnvoller. Nur kommt das bei den Wählern so an, wie es sollte?
Die CDU müsste sich halt mit der Regierung zusammensetzen und ein Konzept erarbeiten. Das wurde in der Vergangenheit auch schon gemacht.
Ramelow ist da Pragmatiker und der Thüringer Verband bei weitem nicht so links wie andere Verbände.
Aber mal eben den Bürgern 50 Millionen schenken ohne Gegenfinanzierung ist schon ein Schlag für die Regierung.
Zumal es wohl nicht der entscheidende Hebel sein wird, ob ein Haus jetzt 426.000€ oder 420.000€ kostet, dass man es sich plötzlich doch leisten kann.
Das Problem ist wohl eher, dass die AfD auch „nicht dumm“ ist und das Spielchen mittlerweile verstanden haben: sobald sie irgendwo mitstimmen, befindet sich die jeweils beantragende Fraktion im Zwiespalt zwischen ihrer Aufgabe als Oppositionspartei und der Abgrenzung zur AfD.
Problematisch ist natürlich auch der Umstand, dass sich in Thüringen die Regierungsparteien und die CDU/FDP-Opposition nicht zum Thema Grunderwerbssteuer verständigen konnten.
Die Tatsache, dass es in Thüringen eine Minderheitsregierung gibt und es sich hierbei auch noch um den „Höcke-Landesverband“ der AfD handelt, macht es zum perfekten Ground-Zero für maximale Aufmerksamkeit in Fällen wie dem vorliegenden.
Da man der Opposition kaum zumuten kann die politische Arbeit einzustellen, weil ja die AfD zustimmen könnte, kann man auch argumentieren, dass es an der Regierung gewesen wäre, einen zustimmungs- und mehrheitsfähigen Kompromiss zur Grunderwerbssteuerreform zu verhandeln. Das war aber offenbar nicht gewünscht - auch eine Links-Grün-SPD Regierung kann den Skandal um die Vorgänge im Erfurter Parlament natürlich gut für ihre Zwecke ausschlachten. Insofern kann man kaum nur der Union den Vorwurf machen, irgendetwas billigend in Kauf zu nehmen.
Letztendlich schadet der Union die jetzige Diskussion am meisten. Es sei denn, es ging ihr darum, ein Zeichen zu setzen (was ich mal nicht hoffe).
Und bei dem Ergebnis stellt sich dann schon die Frage, ob das die Reform wert war.
Ja, klar. Dann kann die CDU immer alles durchsetzen was sie möchte, und die Regierung muss dem selbstverständlich zustimmen, denn ansonsten setzt die CDU das mit der AfD durch, und dann ist die Regierung schuld?
Die CDU wollte die Situation so, wie sie ist. Sie hat sich einer Koalition verweigert. Sie hat sich den eigentlich verabredeten Neuwahlen verweigert. Dass Rot-Rot-Grün ihr daher keine „Überregierungsposition“ zugestehen wollen, wo sie zwar am Ende alles bestimmt aber für nichts (bspw. Haushaltslücken) die Verantwortung trägt, ist nun absolut nachvollziehbar.
Das Problem ist halt, der Thüringer Landesverband der CDU würde sehr gerne sofort mit der AfD koalieren, aber Merz möchte die Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten lieber erstmal per Salamitaktik langsam normalisieren.
Dazu würde ich gerne auf einen Beitrag aus einem anderen Thread verweisen. Es ist nämlich mitnichten so, dass die Landesregierung nicht vorher ausführlich mit der CDU über einen Kompromiss in der Sachfrage geredet hätte: LdN349 -- Lage RRG und Opposition?