LdN325 Wissing torpediert Verbrenner-Aus

Die kürzlich erschienene Reportage über Volker Wissing auf der „Seite Drei“ der SZ hat einerseits eine originelle These zu Wissings Zurückhaltung gegenüber Veränderungen, deutet andererseits aber auch vorsichtig unterschiedliche Auffassungen zwischen Wissing und Christian Lindner an:

Wissing, blauer Anzug, blaue Augen, hohe Stirn, spricht erst mal über seine Heimat. Er ist im ländlichen Rheinland-Pfalz aufgewachsen, in einer calvinistischen Familie. Der Vater hat jeden Sonntag in der Kirche gepredigt, aber die Kinder mussten nicht mit in den Gottesdienst, nur wenn sie wollten. Gerade das aber habe ihn neugierig gemacht, sagt er. Als er älter war, sei er immer wieder zu Predigten seines Vaters gegangen. „Ich hatte das Gefühl: Er wollte mir dort etwas sagen.“

Im Zentrum des Calvinismus steht die Lehre von der doppelten Prädestination - einer Vorbestimmtheit in Gegenwart und Zukunft. Der Mensch kann mit seinem Handeln also nicht viel ändern am eigenen Schicksal. Für ihn sei diese Idee „lebensprägend“, sagt Wissing. „Sie verleiht einem eine große Gelassenheit. Ich habe immer versucht, mir das zu bewahren.“

Worüber die Grünen sich bis heute wundern, ist, dass die FDP den Erfolg am Ende ihnen überließ. Parteichef Christian Lindner reklamierte am Morgen nach dem Treffen vor den Kameras nur den Tankrabatt als Erfolg für seine Partei. Den allerdings verrissen ziemlich bald sämtliche Experten, während das Ticket zum Sommerhit wurde. Lange wusste niemand, dass Wissing hinter der Idee steckte. Die FDP hätte sich und ihren Minister feiern lassen können für die Aktion. Stattdessen lehnte Lindner eine Verlängerung mit der Begründung ab, er sei auch im Nahverkehr gegen „Gratismentalität“, und ließ sich erst sehr spät von Wissing vom 49-Euro-Ticket überzeugen. Bei den Grünen fragt man sich seitdem, welche Politik Wissing machen würde, wenn sein Parteichef etwas weniger gern Porsche fahren würde.

Die FDP muss sich endlich klar und eindeutig entscheiden:

  • wollen sie die libertären Wähler ansprechen („Freiheit“, „Technologieoffenheit“, …), die aber offenbar immer weniger werden und die FDP deshalb gefährlich nah an die 5%-Hürde abgleitet
  • wollen sie Wähler ansprechen, die Klimaschutz sehr wichtig und dringlich finden, aber möglichst mit marktwirtschaftlichen Instrumenten ansprechen. Die sind jetzt nämlich mega von der FDP genervt, weil sie die FDP als Blockierer des Klimaschutzes wahrnehmen. Ich behaupte: Dieses Wählerpotenzial ist viel größer.

Was mich sehr irritiert ist, dass ich diese Darstellungen nur hier im Forum lese.

Es kann doch nicht so schwer sein, dass immer wieder klarzustellen und das Framing damit auszuhebeln. Es sei denn, es ist doch nicht so.

Ich stimme zu, dass ein großer Teil der Autoindustrie als solche Probleme mit dem Verbrenner-Aus bekommt.

Kritisch sehe ich, dass die Zulieferer keine Argumente pro Verbrenner haben, sondern ihren Wirtschaftszweig retten wollen. Natürlich hängen da Arbeitsplätze und Know-How dran, es wäre nicht gut wenn die einfach so wegsterben würden.

Das Argument, mit Planungssicherheit arbeiten zu können, gewinnt in diesem Licht an Bedeutung: Wenn nicht der Markt für Verbrenner immer kleiner und kleiner wird (wegen CO2-Preis, besserer E-Infrastruktur etc), sondern ein klares politisches Signal kommt, können all die Zulieferbetriebe auch ihre Zukunft besser planen.

„Die Regierung“ in Gestalt von Olaf Scholz und der ganzen die Regierung anführenden SPD sagt dazu ja fast gar nichts. Die halten sich raus und hoffen, dass möglichst wenig an der eigenen Partei und ihrem Führungspersonal hängen bleibt.

Stattdessen ist es die FDP, die Krawll schlägt, nicht zur Erreichung konkreter Politikziele, sondern in erste Linie, um wahrgenommen zu werden als Anwalt aller, denen vermeintliche oder tatsächliche „linksgrüne“ Projekte nicht passen. Wolte die FDP tatsächlich etwas erreichen, hätten sie ja früher ihre Vorstellungen eingebracht, anstatt bereits beschlossene Projekte auf dem letzten Meter öffentlichkeitswirksam gegen die Wand zu lenken.

Die Grünen stehen mehr oder weniger fassungslos daneben und wundern sich, dass weder Koalitionsverträge noch bereits erzielte Einigungen auf EU-Ebene irgendeine bindende Wirkung für ihre Koalitionspartner haben.

Sprich: Unsere Regierung verfolgt hier keinen gemeinsamen Plan und kein gemeinsames Interesse, das sie irgendwie besser kommunizieren könnte. Stattdessen stehen wir bei der Klimapolitik vor einem Totalschaden.

Nein, das ist politische Realität.
Die EU-Umweltminister haben sich bereits im vergangenem Sommer (29.06.2022) darauf geeinigt:

Auszug:

Die EU-Kommission hat im Rahmen des Pakets „Fit für 55“ vorgeschlagen, die Vorschriften für die CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen fortzuschreiben. Demnach müssen die Hersteller ab dem Jahr 2030 anspruchsvollere CO2- Flottengrenzwerte erfüllen, als das bislang der Fall ist. Im Jahr 2035 beträgt die Minderung sowohl bei Pkw als auch bei leichten Nutzfahrzeugen 100%.

Dieser Vorschlag wurde dann am 27.10.2022 in dem sog. EU-Trilog erfolgreich bestätigt:
Erste Maßnahme zu „Fit für 55“ beschlossen: EU verschärft CO2-Emissionsziele für neue Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge - Rat der EU - 27. Oktober 2022
Auszug:

Vorbehaltlich einer förmlichen Annahme haben die Gesetzgeber sich auf Folgendes geeinigt:

  • ein CO₂-Emissionsreduktionsziel von55 % für neue Pkw und von 50 % für neue leichte Nutzfahrzeuge bis 2030 gegenüber den Werten von 2021
  • ein CO₂-Emissionsreduktionsziel von 100 % für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 2035

Und um noch mal ganz klar zu machen, dass es sich dabei um den Vorschlag handelt, der aktuell so heiß diskutiert wird, hier noch mal ein Artikel von Autobild, der auch schön das massive, aktuelle Framing zeigt:

Aber ganz hinten steht dann doch:

Ab 2035 sollen die sogenannten Flottengrenzwerte für Autos auf null sinken. […]
Wenn sich Hersteller nicht an die Vorgaben halten, müssen sie Strafe zahlen.

Und wie hoch sind die Strafen?

Das wird in der Verordnung über die Flottengrenzen von 2019 geregelt (Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union L 111/13, ab Seite 15):

Artikel 8 Abgabe wegen Emissionsüberschreitung

(1) Für jedes Kalenderjahr erhebt die Kommission von einem Hersteller […] eine Abgabe […], wenn die durchschnittlichen spezifischen CO2-Emissionen eines Herstellers dessen Zielvorgabe für die spezifischen Emissionen übersteigen.

(2) Die Abgabe […] wird nach folgender Formel berechnet:
(Überschreitung × 95 EUR) × Anzahl neu zugelassener Fahrzeuge.

Das liest sich erstmal so, als würde ein aktueller Golf (123 gCO2) ab 2035 eine Abgabe von
123 gCO2 * 95 € = 11685 €
bedeuten, die VW also auf den Neuwagen-Preis oben drauf schlagen müsste.

Aber es geht ja hier um die durchschnittlichen Flottenwerte. Würde also VW in 2035 bereits 50% Elektro-Autos neu zulassen, dann würde sich dieser Aufschlag auf die Hälfte, also knapp 6000 €, reduzieren, weil die E-Autos den Flotten-Ausstoß natürlich runter ziehen.

Es wird also die ganze Zeit lediglich über eine Verteuerung neuer Verbrenner diskutiert, die erst in 12 Jahren kommt.

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(Ich antworte hier mal auf eure Beiträge aber es ist auch eine Fortsetzung meines letzten, etwas längeren Beitrags.)

Warum dieser ganze Framing-Aufwand?

Dazu mal dieser Artikel vom Manager-Magazin von letztem Sommer, natürlich auch schon mit dem „Verbrenner-Aus“-Framing:

Auszug:

Die Aktien von Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW verloren am Mittwoch entsprechend überdurchschnittlich.

Und tatsächlich, die Aktie von Porsche hat in den Tagen nach der Einigung der EU-Umweltminister (29.6.22) über 10% verloren (Quelle).

Für mich ist es daher relativ klar, dass die Hersteller zwar langfristig auf E-Mobilität umsteigen müssen, aber kurzfristig versauen ihnen solche Gesetze und Verordnungen den Börsenkurs. Und danach werden ja u.A. ihre Boni bemessen. Und die aktuellen Aktionäre wollen natürlich auch nicht, dass der Wert ihrer Beteiligungen schrumpft.

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Das klingt ja geradezu nach einem marktwirtschaftlichen Mechanismus.

Das Ganze erscheint mir wie ein Kommunikationsdesaster. Selbst die Seite der Bundesregierung ist nur verständlich, wenn man bereits weiß, dass es nicht um ein Verbot der Zulassung von Verbrennern geht (wie Tagesschau und ADAC schreiben).

Es sollen keine mehr zugelassen werden, dafür bemüht man die Flottengrenzen. Man kann aber weiterhin Verbrenner zulassen.

Erschließt sich mir nicht, nicht deine Erklärungsversuche, sondern das Verhalten der Autohersteller.

Wir hatten doch in einem anderen Thread den Artikel vom ADAC, der auch in der Lage besprochen wurde, dass die Autobauer fast vollständig für sich den Abschied vom Verbrenner beschlossen haben.

Wenn jetzt dazu die EU das Verbrenner-Aus durch die Flottenwerte beschließt, müsste doch beiden Autobauern die Sektkorken knallen, weil die EU für ihr zukünftiges Geschäft den passenden Rahmen setzt.
Und bzgl den aktuellen Aktienkursen, da hält sich mein Mitleid doch eher in Grenzen. Wasch mich, aber mach mich nicht nass funktioniert halt da auch nicht.
Und nochmal danke für die nachvollziehbare Schilderung des Entwurfs, wie es ab 2035 geregelt sein soll in deinem vorherigen Post. . :+1:

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Morgen Abend hält der Europaabgeordnete Michael Bloss mit zwei weiteren EU-Politikern ein Webinar zum Thema: https://us02web.zoom.us/webinar/register/2616793111704/WN_M3F580-7QL2-k9bCLQ8UDg
Problem: Durch Deutschlands bzw. Wissings Nein zum Verbrenner-Aus beginnen nun andere europäische Staaten auch noch, andere Themen neu zu verhandeln…

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Was sich noch dazu kommt: der vereinbarte Vorbehalt zu E-Fuels kann durch die EU Kommission eigentlich erst nach Verabschiedung des Gesetzes/Verordnung erfüllt werden. Vorher ist es noch gar kein Auftrag an die Kommission.

Naja, das wäre ja quasi eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen. Ich denke mal wir alle wissen, wie viel die am Ende wert ist.

Genau, das ganze aktuelle EU-Vorhaben absolut gar nichts mit einem „Verbrenner-Aus“ oder „Zulassungs-Verbot“ zu tun. Es ist quasi nur eine zusätzliche CO2-Abgabe auf Verbrenner-Autos.

Zum Vergleich:
Es wurden damals bei dem FCKW-Verbot für Kühlschränke usw.direkt bis zu 2 Jahre Gefängnis für da Inverkehrbringen von z.B. Kühlschränken mit FCKW angedroht (Quelle: FCKW-Halon-Verbots-Verordnung §9 und Chemikaliengesetz §27). Das war ein richtiges Verbot.

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Ich denke, mit Menschen wie Wissing in Verantwortung haben wir keine Chance, das 1,5 Grad Ziel noch einzuhalten. Deshalb unterstütze ich die folgende Petition der Fridays

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Fakt ist aber auch, dass Habeck bzw. sein Staatssekretär Wissing den Rücken gestärkt haben und die EU indirekt aufgefordert haben seiner Bitte nachzukommen, weiterhin Verbrenner, die nur E-Fuels tanken zuzulassen. Wie erklärt sich die Rückendeckung Habecks? Ob es einen Deal gibt, dass die FDP dafür in einem anderen Punkt den Grünen entgegen kommt?

Kann es sein, dass wir uns alle zum Affen der FDP machen?
Soll Wissing doch seine eFuels durchdrücken, wenn am Ende die Industrie
kein Bock darauf hat und keiner ein flächendeckendes Tankstellennetz
fährt die Technik doch ohnehin an die Wand?

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Das Problem ist, dass wenn sich ein Politiker hinstellt und sagt: „wir müssen in dem Bereich Forschung zulassen“ meint „wir müssen in den Bereich Steuergelder investieren“

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Oder einfach nur genervt ist und hofft das endlich irgendwas umgesetzt werden kann?

Seien wir doch mal ehrlich: fast alle Hersteller steigen aus dem Verbrenner aus, was interessiert es da ob irgendwo im Gesetz steht man könnte ja mit einem Wunderstoff der nicht verfügbar ist doch noch Verbrenner bauen.

Ja Porsche will das unbedingt zur Marktreife bringen und wird da vielleicht auch ein paar Forschungsgelder abgreifen, aber auch da:
Wir brauchen die E-Fuels sowieso also stören die Forschungsgelder erstmal nicht die in den Sektor fließen.

Ich persönlich glaube, dass egal wie die Erlaubnis für E-Fuel PKW in das Gesetz geschrieben wird, niemand jemals ein solches bauen wird.

Das bischen E-Fuel was Porsche da in Chile produzieren will, werden die Fluggesellschaften dieser Welt mit Kusshand nehmen und da will der deutsche Michel einfach nicht mit konkurrieren auch nicht der wohlhabende Porsche-Fahrer (die sind wenn nicht ererbt dann doch in der Lage zu rechnen)

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Naja, das behaupten sie zumindest jetzt. Aber wie viel daran wirklich stimmt, wissen wir halt erst, wenn 2035 wirklich da ist. Vielleicht wollen sie hier und heute auch erst mal nur ihre Aktionäre mit solchen Aussagen beruhigen.

Und es geht bei der neuen Verordnung ja auch nicht nur um 2035. Es sollen ja auch schon 2030 die Flottenobergrenzen, um die es hier ja eigentlich geht, ein erstes Mal massiv auf 55 % des heute erlaubten Wertes gesenkt werden.

Was das für die Autobauer bedeuten könnte, das kann man anhand dieser Meldung aus 2020 überlegen, als das Gesetz über die CO2-Flottengrenzen gerade eingeführt wurde:

Und genau so etwas steht den Herstellern wieder ins Haus und zwar 2030 und 2035. Deswegen macht die FDP für die Hersteller gerade so ein Riesen-Fass auf.

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Warum taucht das in der öffentlichen Diskussion außerhalb dieses Forums nie als Argument auf? In Radio und Fernsehen und selbst in der taz heißt es immer, Verbrenner würden verboten. CO2-Schadenseinpreisung wäre ein geeigneterer Begriff. Auch in der Lage wurde das meiner Erinnerung nach nicht thematisiert.

Denke mal schon, denn ansonsten werden die Asiaten und Tesla den Markt komplett überrollen.

Ich denke so langsam sind die europäischen Hersteller aufgewacht und merken dass sie bei der E-Mobilität hinterherhängen.

Massiv Verbrenner (egal was verbrannt wird) kann sich kein Hersteller mehr leisten.

Auch die deutschen Verbraucher werden irgendwann merken dass ihr Verbrenner nix mehr wert ist.

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