Liebes Lage-Team,
vielen lieben Dank für diesen Beitrag. Es ist dermaßen ernüchternd, zu sehen, in welchem Zustand unser Bildungssystem ist. Vor allem, wenn ich daran zurückdenke, dass ich schon in den 90er-Jahren als Schülerin, unter dem Berliner Senator für Bildung Klaus Böger, auf Demonstrationen gegangen bin und eine Veränderung im Schulsystem eingefordert habe. Übrigens, auch sehr frustrierend, weil ich zu der Zeit das erste Mal die Erfahrung gemacht habe, das Gefühl zu haben, als würde sich die Politik für solche Demos und die Interessen der Bürger:innen und vor allem der Schüler:innen ohnehin nicht interessieren, weil offensichtlich danach nichts wirklich Konstruktives passiert ist.
Außerdem hatte ich nach dem Abitur es in Erwägung gezogen, Grundschullehramt zu studieren. Eine enge Freundin von mir, war schon mittendrin und hatte einige Prüfungen in Mathematik hinter sich und bereits da, waren wir gemeinsam schockiert über die inhaltlichen Anforderungen in Mathematik, die sie erbringen musste, die wirklich niemals in der Grundschule Thema sein werden.
Als ich mich dann für Grundschullehramt Musik beworben habe, stachen meine pädagogischen Fähigkeiten immer heraus, aber inhaltlich kam ich noch nicht an die Leistungen heran, die meine Mitbewerber:innen mitbrachten. Ich hatte mich umgehört und die Mehrheit waren Musiker:innen, die sich zum Lehramt alternativ bewarben, falls sie fürs Studium zur Berufsmusikerin oder zum Berufsmusiker nicht angenommen werden. Ich war erschüttert und enttäuscht und habe dem Schulsystem den Rücken gekehrt. Mir war einfach nicht klar, wieso pädagogische Fähigkeiten nicht absolute Priorität haben und alles andere in der Ausbildung noch nachgeholt werden kann. Dafür ist doch schließlich ein Studium/ eine Ausbildung da. Es geht doch hier schließlich um die Arbeit mit Menschen. Wer kennt das nicht, die Lehrkraft, die zwar super im Thema steckt, aber pädagogisch eine absolute Null ist und man deshalb auch nichts gelernt hat.
Mir ist es darüber hinaus bis heute ein Rätsel, warum Lehramt, zumindest Grundschullehramt kein Duales Studium ist. Das habt Ihr dankbarer Weise auch angesprochen!
Zu der Zeit, als die meisten in meinem Umkreis studierten und eben auch Lehramt dabei war, gab es ein immenses Defizit an Ausbildung in der Didaktik, sowie Pädagogik und eben all die Themen, die auch Herr Hornig angesprochen hat, die man benötigt, um solide als Lehrer:in tätig zu sein.
Ich gehöre tatsächlich zu den Menschen, die seit einigen Jahren immer wieder in Anbetracht der Lage darüber nachgedacht hat, doch noch Grundschullehramt zu studieren, allerdings kann ich es mir einfach nicht in dieser Form leisten. Würde die Regierung entscheiden, ab 2024 wird Grundschullehramt als Duales Studium angeboten, wäre ich sofort dabei. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diesbezüglich nicht die Einzige bin.
Abgesehen davon muss das Bildungssystem an sich schon lange reformiert und die Struktur und Inhalte dem 21. Jahrhundert angepasst werden. Auch das ist ein nicht unwesentlicher Faktor, warum viele den Lehrer:innen Beruf nicht anstreben, weil sie diese veralteten Strukturen einfach nicht unterstützen.
Ich habe über viele Umwege an Oberschulen und Grundschulen (vor allem an sogenannten Brennpunktschulen) in Berlin als Honorarkraft für extern eingekaufte Projekte gearbeitet und bin mit vielen Lehrer:innen und Schüler:innen ins Gespräch gekommen.
Was immer wieder Thema war, zu große Klassen, das Arbeitsklima vergiftende Verhältnis an Schulen von verbeamteten und nicht verbeamteten Lehrer:innen, die den gleichen Aufwand haben, aber unterschiedlich vergütet werden.
Bürokratie nimmt immer mehr zu und ist zum Teil unnötig und den Lehrenden geht wertvolle Zeit verloren, um den Unterricht vorzubereiten. Ihr habt es auch angesprochen, es gibt leider viele Familien, die ihre Kinder pädagogisch nicht unterstützen können, weil sie zum einen selber nicht die Kapazität haben oder/und sie finanziell Nachhilfeunterricht nicht leisten können. Vor 10 Jahren schon eröffnete mir eine Klassenlehrerin an einer Grundschule in Berlin-Reinickendorf, dass sie mit ihren Schüler:innen in der 4. Klasse Tests aus der 2. Klasse machen muss, damit sie diese überhaupt bestehen. Und dass die Mehrheit der Schülerschaft in der 6. Klasse mit einem Bildungsniveau der 4. Klasse an weiterführende Schulen geschickt wird. Grund zu große Klassen, bildungsferne Familien, zu wenig Unterstützung.