Die Ablehnung einer Übergabe zum jetzigen Zeitpunkt wird doch verargumentiert. Flugzeuge von neuem Typ sind erheblich komplizierter zu erlernen als Panzer eines neuen Typs. Du kannst in 6 Wochen offenbar einer Panzerbesatzung den Leo 2 beibringen, so dass die damit effektiv in einem Krieg kämpfen können - ich bin jetzt kein Flugtrainer, aber ich wage mich so weit aus dem Fenster, um zu behaupten, dass das mit F-16 nicht gehen würde. Vielleicht in 6 Monaten.
Und eine generelle Ablehnung „auf immer und ewig“ hat es nie gegeben. Ganz im Gegenteil: die Ukraine muss ihre Luftwaffe mittelfristig eh modernisieren, und F-16 waren dafür sowieso schon längere Zeit im Gespräch. Das ist überhaupt keine Neuigkeit, es wird jetzt nur von der Zauderer-Fraktion gerade wieder extrem als angebliche Neuigkeit gepusht. Ich meine sogar, dass es schon Ausbildungsvereinbarungen zwischen der Ukraine und den USA für ein Training an der F-16 gibt, und zwar schon seit Dezember letzten Jahres. Das weist schon in die Richtung, dass ein Erwerb von F-16 zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern durchaus konkret vorgesehen ist, und zwar nicht erst, seit jetzt die Panzerfrage geklärt ist.
Das ist falsch. Russland betrachtet die Unterstützterstaaten der Ukraine schon lange als Konfliktpartner, entgegen den völkerrechtlichen Regularien, nicht erst seit der Freigabe der Panzer. Russland gibt sich seit Monaten viel Mühe, den Konflikt kommunikativ zu einem „mit der NATO“ hochzustilisieren statt einem Krieg mit der Ukraine, schlicht weil das innenpolitisch weit weniger peinlich ist, wenn man gegen die NATO abkackt, als wenn man gegen die Ukraine abkackt.
Ist halt nur im Endeffekt völlig egal, was Russland diesbezüglich meint; so lange es sich aus Kosten/Nutzen-Abwägungen dagegen entscheidet, eine tatsächliche weitere Kriegsfront gegen westliche Staaten zu eröffnen, wird es außer Worten und Drohgebärden nix geben. Und so lange keine westlichen Staaten direkt mit eigenen Soldaten im Kampf mitmischen, fällt das Kosten/Nutzen-Verhältnis sehr schlecht für Russland aus. Rumzetern und Labern kostet halt anders als ein konkreter militärischer Großangriff nix, deswegen spricht aus Sicht Russlands nichts dagegen, den Westen rein rhetorisch als Kriegspartei zu behandeln, militärisch aber weiterhin die Füße still zu halten.
Gut, dass wir uns wenigstens in dem Punkt einig sind. Russland verschiebt seine angeblichen roten Linien auch ständig in der Gegend herum, wie es ihnen halt grad passt. Wie sagte Dmitrij Poljanskij neulich? „Der Westen hat schon einige rote Linien überschritten, die rötesten vielleicht noch nicht, aber schon einige weniger rote“. Aha.
Es gibt IMHO nur zwei reale rote Linien, die auch Russland als solche sieht, und das ist der direkte Angriff auf völkerrechtlich anerkanntes russisches Kernterritorium und zuvor der direkte Kriegseintritt westlicher Staaten mit eigenen Soldaten. Ersteres ist definitiv eine Linie, da brauchen wir nicht zu diskutieren, letzteres höchstwahrscheinlich - es ist für uns eine, da wir uns ans Völkerrecht gebunden fühlen, und völkerrechtlich nun mal genau dies als Kriegseintritt definiert ist, aber Russland gibt bekanntlich nicht allzu viel aufs Völkerrecht, so dass man da nur die Vermutung anstellen kann, dass Russland vermutlich in so einem Fall dann doch mal plötzlich großer Völkerrechtsfan wird und eine Beteiligung an den Kämpfen entsprechend zur deutlichen Eskalation nutzen würde. Diese Unklarheit macht es aus unserer Sicht hochgradig riskant, diese zweite Linie zu übertreten, weshalb sie aktuell keiner übertreten will. Schlechtes Risiko/Nutzen-Verhältnis.
Alle anderen angeblichen roten Linien sind Verschiebemasse bzw. Chimären, die zur Verbreitung von Angst und zur Abschreckung aufgebaut wurden. Das ist spätestens seit immer und immer wieder auf rote Linien verwiesen wurde, die mit Lieferung irgendeines Waffensystems angeblich überschritten wurden, wobei danach immer genau gar nix geschehen ist, das nicht eh im Kriegsverlauf geschehen wäre, klar.
Auf kühlen Risiko/Nutzen-Überlegungen. Genau wie die Russlands.