LdN318 Lützerath und das 1,5° Ziel

Hi Ihr Lieben, ich möchte Euch zu dieser sehr differenzierten Auseinandersetzung zum Thema Lützi gratulieren. Ich arbeite selbst an der Schnittstelle Wissenschaft (IPCC) und Politik (COP) und tiefgehender verfechter von ambitioniertem Klimaschutz.

Ein Aspekt hat mir aber bei Euch sehr gefehlt hat bzw. auch falsch dargestellt wurde und von Euch idealerweise noch korrigiert werden sollte, ist folgender. Es ist eben nicht „CO2 = CO2“, so wir es suggeriert habt, sondern es macht für die Umwelt und die Gesundheit einen riesen Unterschied, ob dreckige Braunkohle verbrannt wird oder sauberes (hoffentlich nicht russiches) Gas. Auch Steinkohle ist ein himmelweiter Unterschied. Ich finde, dass fehlt sehr in der allgemeinen Berichterstattung, aber leider eben auch in Eurer.

Hier z.B. https://www.env-health.org/wp-content/uploads/2018/12/HEAL-Lignite-Briefing-DE.pdf
5 Gründe, warum Braunkohle so unfassbar schädlich ist - WWF Blog

Ich komme aus der Region - und wenn ich aus der alten Heimat Heinsberg in die neue Heimat Köln fahre und an diesen Rauchschwarden (früher haben wir sie liebevoll Wolkenfabriken genannt) vorbeifahre, ist mir immer mulmig, was wir als Menschheit da wieder mal so anstellen.

Eine weitere Info, die mir gefehlt hat ist, dass Deutschland leider Weltmeister ist (und das früher noch mit viel größerem Abstand), was die Braunkohle Produktion angeht. Und das darf einfach nicht unser Anspruch sein. Und das, obwohl es in dieser Industrie nur um rund 21000 Arbeitsplätze geht (Stand 2015)!

Das darf doch einfach alles nicht sein. Deswegen war ich auch mit meiner dreijährigen Tochter letzten Samstag auf der Großdemo vor Ort mit dabei. Es ist einfach symbolisch ein Desaster, dass Lützi fallen muss, und das - wenn man wirklich den Strich drunter macht- nur, damit RWE noch ein bisschen billiger an die Braunkohle kommt. Es bleibt einfach ein fader Beigeschmack, dass Großkonzerne machen können, was sie wollen. Und das ist sicher auch ein großer Aspekt dieses Protestes, den ihr gerne mal beleuchten könntet.

Und, ja, es stimmt, dem Klima wäre leider nicht geholfen, wenn Lützi stehen bliebe. Da muss an anderer Stelle ran. Aber für den Aufbrauch wäre es schon ganz schick gewesen.

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Das treibt mich manchmal auch um: mit 30 Milliarden Euro 20.000 Arbeitsplätze abwickeln, da könnte ich jedem 1,5 Millionen Euro in die Hand drücken.

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Ich war von dem Beitrag zu Lützerath leider auch sehr enttäuscht.

Wenn Ulf und Philip ganz auf den Emissionshandel setzen wollen, müssen sie das Argument auch zu Ende denken. Warum sollte es konstruktiver sein, bessere Windkraftgenehmigungsprozesse zu fordern? Letzten Endes führt ja auch das lediglich zu reduzierten CO2-Emissionen, welche dann laut ihrer Analyse über den Emissionshandel wieder woanders in Europa ausgestoßen werden. Die Berufung auf den Emissionshandel heißt eigentlich, dass jegliche nationale Maßnahme zur CO2-Reduktion auf Nationaler Ebene (Tempolimit, Windkraftgenehmigungsverfahren etc) irrelevant sind. Ein deutlicher Widerspruch zu den eigenen Forderungen von Ulf und Philip. Wenn man das zu Ende denken will, ist die einzig sinnvolle Forderung, die Anzahl der Zertifikate zu reduzieren (wo wahrscheinlich niemand in Luetzerath was gegen hätte). Außerdem haben bereits andere Studien gezeigt, dass erst der Beschluss, Ausstöße zu reduzieren (bspw. Kohlekompromiss), zu einer Bereitschaft Deutschlands geführt hat, die Zertifikatsmenge weiter zu reduzieren. Die in der LdN dargestellte Dynamik zwischen Lützerath und Emissionshandel ist daher auf jeden Fall stark simplifiziert und wird der Komplexität des Problems nicht gerecht.

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Werte stammen aus Piratensender Powerplay. Keine Ahnung, ob die zuverlässig sind, aber wie Deine 5 min Recherche ergeben hat, sind es mindestens Milliarden an Gewinn. Berücksichtigt man noch, dass RWE die Kohle zu Strom veredelt, können die Zahlen auch hinkommen. Unabhängig davon ist es so viel Geld, dass der Polizeieinsatz dagegen vernachlässigbar ist.

Wenn der Kohlepreis steigt, dann wird die Kohle unter Lüzerath mehr wert. Statt verstromen könnte RWE die Kohle dann immer noch verkaufen.

Theoretisch ein möglicher Ansatz. In der Praxis würde ich aber sagen, dass es nicht den wirklichen Wert repräsentiert. Wo kein Handel ist bekommt man auch nichts dafür. Also ist der real realisierbare Wert auf diesem Weg Null (mal die paar und mengenmäßig nicht relevanten Veredelungsprodukte abgesehen).

Der Preis müsste dann aber dummerweise so extrem steigen, dass es sich plötzlich lohnt Braunkohle international zu handeln. Das ist doch mit Blick auf den gegebenen Kohlemarkt für Steinkohle aber doch recht unrealistisch. Zudem müsste es auch Abnehmende für Braunkohle geben und da wird sich potenziell so schnell niemand umstellen, weil es auch da zwar machbar ist aber doch einige Anpassungen mit sich zieht. Von daher sollte man, wenn man den Wert der Braunkohle beziffern will aus meiner Sicht über die Verdienstoptionen gehen. Das sind in dem Fall auch letztlich die, die den Gewinn von RWE bestimmen und nicht die eher akademische Betrachtung, was wäre wenn ich die Braunkohle doch handeln könnte.

Wie bereits an anderer Stelle hier ausgeführt ist es nicht ganz so einfach: Klimaschutz und Emissionshandel - #6 von TRq. In seiner ersten Form hatte das ETS in der Tat die Schwäche, dass zusätzliche Maßnahmen wie der EE Ausbau über das EEG nicht berücksichtigt wurden. Durch die Marktstabilitätsreserve ist da zumindest inzwischen ein Mechanismus eingebaut worden, mit dem es möglich ist, dass Zertifikate, die quasi durch den EE Ausbau nicht abgerufen werden dem Markt zu entziehen und ggf. auch komplett zu löschen (das ist an sich erst ab diesem Jahr vorgesehen, daher noch nicht erfolgt). Insofern sind auch nationale, ergänzende Maßnahmen nicht wirkungslos, aber trägt auch nicht unbedingt zu einem ansteigenden Preis im ETS und damit größeren Anreizen Technologien umzustellen bei.

Was aber auf jeden Fall diskutiert werden kann, ist ob man die Kappungsgrenze von derzeit jährlich 2,2% weiter erhöhen sollte. Damit würden die Zertifikate effektiv weiter reduziert. das wäre jedoch ein Punkt den die EU angehen müsste und da gibt es auch immer wieder Streit darum, ob die EU-Ziele eigentlich mit den Klimazielen konform gehen bzw. eine ausreichend große Sicherheit oder Unsicherheit schaffen dies zu tun.

Das ist wohl dem Format geschuldet :wink: . Um die Mechanismen komplett darzulegen bräuchte es eine gesonderte Sendung. Aber dafür wurden ja Expertinnen zitiert, die quasi die ganze Abwägung des sofort Löschens und nicht, Lutzerath abbaggern oder nicht, analysiert haben. Das Problem hier ist aber an sich auch vielschichtiger. Das ETS an sich führt zu einer Einhaltung der Reduktionsziele in den betroffenen Sektoren (nur eben die Frage, ob die ausreichend sind). Da es aber auch auf den Verkehr und Wärmesektor ankommen und dort eben keine ausreichenden Erfolge zu sehen sind ist das Argument von z.B. Claudia Kemfert, dass der Energiesektor noch mehr machen muss. Der Grund ist, dass es dort leichter ist zu Defossilisieren. Das ist soweit korrekt, geht dann aber über den reinen Teil des Emissionshandels hinaus und muss aus meiner Sicht dazu gesagt werden, wenn man sich darauf beruft, dass es hilfreich ist Lützerath nicht abzubaggern (und allgemein Braunkohle nicht mehr zu verfeuern).

Wo man wieder bei dem aus meiner Sicht viel spannenderen Punkt wäre: Sind die aktuellen Maßnahmen konform zum 1,5°C Ziel? Wo es aus Emissionshandelssicht wieder darauf hinauslauft, dass es nicht um Lützerath ja oder nein geht sondern eben darum was die noch ausstehende Menge an Zertifikaten ist. Da wiederum ist die Kappungsgrenze interessant, weil sie direkt beeinflusst, wie viel Zertifikate a) ausgegeben werden und b) die Löschung von Zertifikaten in der Marktstabilitätsreserve beeinflusst.

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Hallo ihr Lieben,
ich schätze den Input in der Lage immer sehr, doch dieses mal war ich etwas enttäuscht und auch verärgert über den Beitrag zu Lützerath in der LdN318. Mir hat eine gesellschaftliche und vielleicht auch ideologische Einordnung gefehlt.
Deshalb wollte ich an dieser Stelle gerne die Folge E112 (ab Minute 23) vom Piratensender Powerplay Podcast empfehlen - sicher gibt es auch dort Kritikpotenzial doch es werden wichtige Punkte diskutiert und veranschaulicht und der Fokus ist mehr auf dem gesellschaftlichen System in dem wir uns befinden.

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Ich muss mich der hier hauptsächlich vorherschenden Kritik leider anschließen. Die Argumentation ist unschlüssig. Insbesondere finde ich es unglücklich immer wieder das Argument zu bringen, dass Deutschland alleine nichts ausrichten könne, so habe ich es jedenfalls wahrgenommen.

Das gilt insbesondere, da das BVerfG in dem viel zitierten Klimabeschluss bereits anderes festgestellt hat.

„Der Klimaschutzverpflichtung aus Art. 20a GG steht nicht entgegen, dass Klima und Erderwärmung globale Phänomene sind und die Probleme des Klimawandels daher nicht durch die Klimaschutzbeiträge eines Staates allein gelöst werden können. Der Klimaschutzauftrag des Art. 20a GG hat eine besondere internationale Dimension. Art. 20a GG verpflichtet den Staat, eine Lösung des Klimaschutzproblems gerade auch auf überstaatlicher Ebene zu suchen. Der Staat könnte sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen. Aus der spezifischen Angewiesenheit auf die internationale Staatengemeinschaft folgt vielmehr umgekehrt die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, eigene Maßnahmen zum Klimaschutz tatsächlich zu ergreifen und für andere Staaten keine Anreize zu setzen, das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen.“

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html

Ebenfalls gibt es nun fundierte Presseberichte, die aussagen, dass RWE auch nach 2030 Kohle verfeuern möchte. Insoweit scheinen die Marktmechanismen nicht auszureichen. Ich frage mich sowieso, wie die lächerlich niedrigen CO2 Preise als wirklich wirksam angesehen werden können. Diese dienen in meinen Augen nur der Makulatur und sind wenig effektiv, da viel zu günstig.

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Und hinzu kommt noch dieser aktuelle Bericht der ZEIT über massiven internationalen Betrug mit CO2-Zertifikaten:
https://www.zeit.de/2023/04/co2-zertifikate-betrug-emissionshandel-klimaschutz
Ich glaube, dass die Darstellung zu den positiven Auswirkungen des Zertifikate-Handels aus dem letzten Podcast und auch zu den Folgerungen bzgl. Garzweiler II und RWE noch einmal überdacht werden müssten.
Womit ich nicht in Abrede stellen will, dass der Zertifikate-Handel im Prinzip ein sinnvolles Instrument ist (bzw. sein könnte).

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Du vermischst hier zwei komplett unterschiedliche Systeme von Zertifikaten. Die in dem Artikel angesprochenen Zertifikate sind eine Form der Kompensation von Treibhausgasemissionen und stehen quasi jedem offen und es gibt keine klar definierten Regeln dazu, was nun eine „klimaneutrale“ Maßnahme ist, die für ein Zertifikat notwendig ist. Das liegt daran, dass z.B. der Begriff klimaneutral nicht definiert ist. Bestes Beispiel sind Kompensationen von Flügen. Hier gibt es diverse Anbietende und jedes Angebot ist unterschiedlich teuer und nutzt andere Maßnahmen zum ausgleichen. Außerdem ist es eine Kann-Entscheidung den Ausstoß über Zertifikate auszugleichen. Der Ausstoß ist aber immer noch da.

Das ETS wiederum ist zum einen für den Energie- und Industriesektor (und Teile der Luftfahrt) verbindlich vorgeschrieben. Hier muss ein Zertifikat für den Ausstoß von CO2 erworben werden. In dem System gibt es eine Obergrenze an Zertifikaten, die damit inhärent dafür sorgt, dass ein vorgegebenes Limit an Gesamtemissionen nicht überschritten wird. Es gibt also ein Budget, das eingehalten wird und damit wird das Ziel erreicht. Kompensiert wird der Ausstoß aber nicht.

Wie oben schon angemerkt ist es eher eine Frage, ob die Gesamtmenge der Zertifikate eine ausreichende Sicherheit bietet auch das 1,5°C Ziel zu erreichen. Bei den Kompensationszertifikaten geht es nur um Ausgleichsmaßnahmen. Der Ausstoß an sich wird also nicht verhindert.

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Im Folgenden möchte ich ein wenig Kritik an dem Gesagten der letzten Lage zu Lützerath loswerden. Viele Dinge waren sehr kurz gegriffen, haben Gegenargumente und das „größere Bild“ vollkommen außer Acht gelassen.

  • Pariser Abkommen wird praktisch nicht erwähnt (…) Geltendes Recht ist doch im Endeffekt, sehr bald aus der Kohle auszusteigen, weil sonst Deutschlands Beitrag für die Klimaziele nicht eingehalten werden kann; und Paris ist Gesetz sowie moralisches Gebot! Ersteres ist doch durch das Urteil des BVerfG/ Klimaschutzgesetz bestätigt.
  • Das Argument mit „Dann wird die Kohle vielleicht in Spanien abgebaggert“, wie ihr es letzte Woche gemacht habt, ist im Endeffekt eine Aufgabe des 1.5-Limits. (…) Wollt Ihr …diese Ziele…so schnell auf(zu)geben wegen des Emissionenhandels in der EU? Sollte der Anspruch nicht viel eher sein, dass jede noch so kleine Möglichkeit, Emissionen einzusparen,- national und europäisch - verfolgt werden sollte? Vielmehr könnte man sich ja dafür einsetzen, dass diese Emissionen dann einfach vom europäischen Budget abgezogen werden (Was ja laut Claudia Kemfert sogar der Fall wäre). Es geht um Menschenleben, bei jedem Zehntel-Grad, das das Klima sich nicht erwärmt.
  • auch über 500 führende Wissenschaftler*innen haben mit ihrem offenen Brief ein Moratorium gefordert (es ist also nicht die Klimabewegung, die sich verrennt)
  • Es hätte andere Routen für Kohleabbau laut Claudia Kemfert geben, ohne Lützi dafür abbaggern zu müssen
  • Wie demokratisch war außerdem die Aushandlung des Deals? keine Protokolle, keine gesellschaftliche Debatte WÄHREND der Verhandlungen; dafür aber ein Statement von RWE aus dem Sommer, in dem sie ganz klar sagen, keine Befriedung mit der Klimabewegung zu wollen (oder nur Debatte), aus Angst, dass es dann insgesamt mehr Proteste gibt —> in Lützerath will das Unternehmen auf jeden Fall ein Exempel statuieren
  • Was außerdem wichtig ist zu erwähnen, wenn der Klimawebegung ein „falsches Symbol“ oder „Verrennen“ …unterstellt… wird: Wer vor Ort war, hat gesehen, dass die Proteste in Lützi aus einem total breiten Bündnis kamen, die viele Menschen unserer Gesellschaft abdecken: so eine Einigkeit von Anarchos, Klimaaktivistis, Politikinteressierten, Anwohner*innen aus dem Land, Alt-68er/Anti-AKW-Leuten. jungen Familien mit kleinen Kindern, besorgten Eltern, Teachers for Futures, alten Menschen. Das sollte vielmehr als Weg in eine mögliche Annäherung unserer Gesellschaft gesehen werden (…unangemessene Polemik hier gelöscht, @ExMod)
  • Darüber hinaus war Lützerath die letzten 2 Jahre ein Ort der Hoffnung, der Vernetzung von Gruppen aus der ganzen Welt, die an eine andere, solidarische Gesellschaft glauben. (…) Die Menschen, die in der Umgebung wohnen, müssen (…meines Erachtens…) außerdem enorm an Lebensqualität einbüssen, wenn das Loch des Tagebaus noch größer wird und noch näher an sie rankommt.
  • Was außerdem klar ist: Die Kosten des Räumung (Polizei, Räumungsfirmen usw.) sind ENORM und werden nicht für Investitionen in mehr Klimaschutz oder soziale Abfederung von Klimafolgen genutzt.
  • Zuletzt ist das Bild nach außen katastrophal, Deutschland als Klimaschützer - das auch anderen Ländern Klimaschutz vorschreibt, hat komplett an Glaubwürdigkeit verloren. Dabei auch insbesondere die Grünen, die eine komplette Generation an (Klima)politikinteressierten Menschen enttäuscht und verraten hat mit einem undemokratischen Vorgehen. Das Vertrauen in politische Parteien hat massiv gelitten.
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Was unterscheidet diese Selbstwahrnehmung eigentlich noch von „Wir sind das Volk!“-Rufen?
Ein Blick auf Wahlergebnisse ist in der Demokratie da als Realitätsabgleich hilfreich.

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Mal eine Frage zum 1 5° Ziel:

Handelt es sich um einen eher symbolischen Wert? Also ein hehres Ziel, aber wenn man bei 2° landet, sagt man halt, mehr war nicht möglich, aber wir waren bemüht?

Oder ist es ein empirischer faktischer Wert, der als übergeordnete Obergrenze zu betrachten ist? Dem sich Wirtschaft und Privatpersonen an festen Grenzen/Vorgaben richten müssen? Also wenn ein Industriebetrieb die vorgegebene CO2 Grenzen erreicht, muss er für den Rest des Jahres den Betrieb komplett einstellen? Oder wenn Privatleute ihr CO2 Kontingent je Haushalt erschöpft haben, bleibt das Auto ab november stehen und die Heizung aus?
Überspitzt formuliert…

Naja, wie soll es sonst laufen?

Ich denke es herrscht Einigkeit, dass jeder Zehntelgrad entscheidend ist, denn jeder Zehntelgrad mehr bedeutet messbar mehr Artensterben, Extremwetter und Meeresspiegelanstieg.

Auf der anderen Seite gibt es keine Weltpolizei, die alle Nationen mit unmittelbaren Zwang dazu bringen kann, seinen CO2-Ausstoß auf ein Maß zu reduzieren, mit dem das 1,5°-Ziel erreichbar ist. Es ist eine traurige Realität der internationalen Politik, dass solche Ziele immer nur „hehre Ziele“ sein können, die man versucht, einzuhalten - aber es eben keine Zwangsmechanismen gibt, um die Einhaltung der Ziele sicher zu stellen.

Natürlich könnten jetzt einige Länder vorbildlich sein und sagen: Wir erlassen Gesetze mit den von dir genannten Konsequenzen, sodass für dieses Land u.U. durch massiven Verzicht und Stilllegung der Wirtschaft das 1,5°-Ziel um jeden Preis erreicht wird. Das Problem ist aber: Das ändert Global wenig. Kein Land wird daher seine eigene Wirtschaft verkrüppeln, um das 1,5°-Ziel unbedingt zu erreichen, wenn gleichzeitig andere Länder wirtschaftlich davon profitieren, das 1,5°-Ziel nicht so ernst zu nehmen… dann sagen zu können: „Also wir sind nicht Schuld“ - naja, davon kann man sich nichts kaufen, wenn dann die Bevölkerung wegen des sinkenden Lebensstandards in Folge dieser Maßnahmen anfängt, zu revoltieren.

Es ist daher ganz klar, dass es sich um symbolische Marken handelt, die man sich als Ziel setzt, deren Verfehlen aber leider keine unmittelbaren Konsequenzen hat.

Die Klimakrise ist interessanterweise die erste große Krise, an der die internationale Politik erkennbar scheitert, weil es kein „Enforcement“ gibt, weil es mit „Schadstoffausstoß“ erstmals eine begrenzte „globale Ressource“ gibt, für deren faire Verteilung die Staaten keine durchsetzbare Lösung gefunden haben. Andere „globale Ressourcen“ sind z.B. Frequenzen / Umlaufbahnen für Satteliten, aber in diesen Fragen haben sich die Staaten auf UN-Ebene einigen können (siehe ITU) und ein Querschießen einzelner Staaten kann effektiv verhindert werden. Der Unterschied ist: Diese globalen Ressourcen sind zwar auch beschränkt, aber neutral messbar und daher Zuteilbar. Der CO2-Ausstoß (zusammen mit CO-Äquivalenten) ist hingegen deutlich schwerer messbar und deutlich leichter manipulierbar, zumal die Zuteilung extrem umstritten ist (besonders die Frage, ob die Staaten des globalen Südens ein Aufholrecht haben…).

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Hallo Ulf und Philip,

ich höre die Lage der Nation eigentlich immer gerne und schätze es auch, wenn ich anderer Meinung bin als ihr, weil ihr es oft schafft mir damit zumindest eine andere Sichtweise nahezubringen. Nicht so gut gelungen ist euch das in der letzten Folge mit dem Lützerath Thema. Tatsächlich habe ich schon mit viele Freunden darüber gesprochen und irgendwie haben wir uns da alle etwas über euch geärgert.
Ja Lützerath ist natürlich ein Symbol. Aber diese Symbole braucht es nunmal, um viele Menschen zusammenzubringen, zu motivieren sich bei strömenden Regen auf einen schlammigen Acker zu stellen, um gegen unzureichende Klimapolitik zu demonstrieren. Und ja, ich stimme euch zu, dass es mit Sicherheit sinnvoll wäre auch gegen Mindestabstände und wirklich miese Verkehrspolitik zu demonstrieren, aber versucht mal damit viele Menschen zu mobilisieren. Und diese Massen braucht es eben, um wirklich Druck zu erzeugen.
Der Themenblock in eurer letzten Folge hat sich eher angehört wie ein Aufruf nicht zur Demo zu gehen und das finde ich ganz schön schwach.
Ich war tatsächlich im Vorhinein nicht ganz sicher, ob ich zur Demo gehen sollte und eure Sendung hat mich da weiter verunsichert. Im Nachhinein bin ich aber total froh trotzdem gegangen zu sein. Allein zu sehen wie viele Menschen sich da auch durchaus friedlich versammelt haben hat mir wieder etwas Mut gemacht, den ich bei den ganzen Klima-Hiobsbotschaften in letzter Zeit etwas verloren hatte. Ich glaube das sollte man bei der ganzen Sache nicht vernachlässigen wie wichtig es ist zu sehen, dass man mit seinem Anliegen nicht allein ist.
Zu eurem Argument, dass die Emissionen, falls RWE sie nicht erzeugt, einfach an anderer Stelle anfallen, möchte ich noch anmerken, dass diese anderen Emissionen ja dann auch an einer Stelle emittiert werden können, an der es bisher keine Alternative gibt (z.B. Zementherstellung). Für Kohleverstromung gibt es diese Alternativen und wenn man z.B. Claudia Kemfert glaubt, was ich tue, wäre die Kohle unter Lützerath verzichtbar.
Würde mich freuen, wenn ihr dazu in der nächsten Sendung Stellung nehmt. Hab gesehen, dass schon sehr viele andere hier ähnliches Feedback gegeben haben.
(…)

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Wie sehen das die Klimaktivisten vor Ort in Lützerath und allgemein? Ähnlich realistisch oder eher ideologisch?
Soll keine Kritik an jenen sein, mir ist nur die hinterliegende Konsequenz dieser Proteste nicht klar. Wieviel Einschränkung würde die Mehrheit der Klimaprotestler sich selbst und der Gesellschaft zur Rettung des Klimas zumuten, und sind sie sich möglicher Konsequenzen (Widerstand der Gesellschaft,…) bewusst?

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Darauf werden dir verschiedene Protestierende natürlich verschiedene Antworten geben, aber ja: ich glaube die große Mehrheit der Protestierenden beschäftigt sich sehr intensiv damit, auch mit dem Widerstand der Gesellschaft.

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Verstehe diese form der argumentation nicht. Die Wahl ist niemals der einzige oder wichtigste Bezugspunkt einer partizipativen Demokratie. Der reine Dezessionsbezug ist was für Carl Schmitt Anhänger und ich persönlich kann mit dem Sauerland einfach nichts anfangen :wink:

Eigentlich wird dem pomo Teil der linken immer nihilistischer relativismus vorgeworfen aber den dann wird regelmäßig von zentrumsseite mit Hufeisen nach einem geworfen weil man sich anmaßt auf eine ähnliche legitimationstrategie zu berufen. Als gäbe es keine empirischen und normativen Unterschiede. Sowohl aus is als auch aus ought perspektive. Aus ersterer Perspketive weil die übergordneten Ziele zumindest abstrakt von einem großteil der Bevölkerung geteilt werden, die Fakten™ die Ziele unterstützen und der normative Anspruch sowohl von Verfassung als auch Bevölkerung größtenteils geteilt wird, bei den pegida und Coronaprotesten sieht das anders aus. Aus zweiterer weil ein breites Bündnis aus pegida oder Corona Demonstrierenden ein grundsätliches Legitimationsproblem hat, wenn es um die Fakten und ihre normative Grundlage geht. Da wird sofern die Berufung auf „Wir sind das Volk ™“ stimmen würde diese selbst zum Problem. Denn wenn ein Großteil der Bevölkerung die Fakten nicht anerkennt oder auf Leute an der Grenze schießen will dann ist das inakzeptabel für eine liberale Demokratie. Die Klimaproteste hingegen können sich darauf berufen, dass selbst wenn die Deutschen den Klimawandel vollständig leugnen würden, es immernoch notwendig oder zumindest wünschenswert wäre gegen den Klimawandel zu handeln. Ganz zugespitzt könnte man hier sagen zwei gewaltätige proteste einer linksextrem einer rechtsextrem, hättest du immer noch den unterschied dass eine Gruppe die Menschenrechte anerkennt und die andere nicht. Das macht den Protest nicht automatisch legitim erzeugt aber unterschiedliche Probleme für einen liberal demokratischen Staat. Das war übrigens auch die Ansicht der BPB bis dass Innenminsiterium zur Zensur gegriffen hat.

Man sollte nur weils etwas komplexer wird in der Unterscheidung nicht gleich zu einer Abwehrreaktion übergehen. Nur weil es an irgendeinem Punkt schlammig wird heißt das noch lange nicht dass man sich benehmen muss wie die Polizei NRW ^^

Btw ich hab mich hier nicht auf den konkreten Fall Lüzerath bezogen sondern dass allgemein formuliert, da die Besonderheiten vor den allgemeinen Zielen zurücktreten, wenn man dem Protest unterstellt rein symbolisch zu sein.

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2 Beiträge wurden in ein existierendes Thema verschoben: RWE fordert Schadensersatz von Klimaktivisten

Lieber Philipp und Ulf,

danke für euren Beitrag zu Lützerath. Ich selbst war in Lützerath bei der Großdemo am 14.01. und würde mich als einen der von euch beschriebenen Klimaaktivist:innen sehen.

Ich möchte euch an einer Stelle widersprechen bzw zu bedenken geben:

Der Emissionshandel beruht auf einem idealtypischen, theoretischen Modell. Es funktioniert in der Theorie perfekt. In der Realität würde ich daran (und dazu gibt es viel Literatur) sehr große Zweifel anmelden.

Euer bzw. das Fazit von Herrn Mathes kann ich so nicht stehen lassen, dass es KEINEN Unterschied macht, ob die Kohle unter Lützerath verfeuert wird oder nicht. Ich verstehe natürlich die Modell-Logik (Stichwort Wassermatratze).
Aber seid ihr euch bewusst, dass ihr euch dabei immer sehr darauf verlasst, dass das theoretische Modell in der Realität zutreffen wird?
Das ist massiv anzuzweifeln. Positiv gewendet, und wie von euch besprochen, hätten auch unter der Modell-Logik mit der Marktstabilitätreserve (Kemferts Argument) Emissionen gespart werden können.

Aber noch viel schlimmer, und das ist sind die massiven Zweifel negativ gewendet und wo ihr dem Modell einfach blind vertraut: Was ist, wenn die Zertifikate weg sind, aber der Energiesektor und die Industrie nicht transformiert? Machen die Betriebe dann zu? Lassen wir das als Gesellschaft zu, dass die Betriebe einfach zumachen? Um Gottes Willen, natürlich nicht! Das ist naiv und das ignoriert völlig die vorliegenden Machtverhältnisse. Natürlich werden, sobald ernsthaft die Zertifikate ausgehen, plötzlich neue geschaffen, denn wir müssen ja wettbewerbsfähig bleiben etc.

Und seid euch bewusst: Das einzige, was das Modell garantiert, ist, dass die ursprünglich ausgegebenen Zertifikate irgendwann weg sind. Es garantiert nicht, dass neue nicht ausgegeben werden und es garantiert mitnichten, dass sich die Industrie und der Energiesektor wie von alleine, automatisch transformieren. Das ist ökonomisches Vodoo. Das bedeutet: das theoretische Modell lässt eben völlig zu, dass die Zertifikate irgendwann weg sind, aber keine transformierte Wirtschaft da ist. Diese Option wird immer völlig außen vor gelassen, wenn vom Emissionshandel gesprochen wird. Dessen muss man sich doch einfach mal bewusst sein.

Gleichwohl habe ich auch zur Kenntnis genommen, dass ihr natürlich absolut für massive Staatsinterventionen seid und es nicht nur dem Markt mit einem Nachtwächter Staat überlassen wollt. Ebenfalls stimmt es ja schon, dass offenbar die bestehenden Regelungen (Emissionshandel) zu einer Verteuerung der fossilen Industrie führen. Das erfreut mich. Dennoch seid ihr mir zu wenig radikal, zu wenig kritisch.

Auch die Modellberechnungen, dass Ende 2039 die letzte fossile Energie verbrannt wird - eben eine Modellberechnung. Mit vielerlei Annahmen… Dass sich die Preise entwickeln, wie angenommen etc.
Es hat mich natürlich irgendwie auch positiv gestimmt, dass es den Anschein hat, dass gerade vieles in die richtige Richtung geht bspw. eure Anmerkungen zur Stahlindustrie.

Aber selbst wenn das alles so kommt: es ist immer noch zu spät! Es ist immer noch erst 2039. Wir müssen aber bis 2030 emissionsfrei sein.

Noch zwei weitere begriffliche Anmerkungen.

  1. klimaneutral: Der Begriff unterliegt eben wieder der zweifelhaften Logik des Emissionshandels. Ist der Emissionshandel sogar noch gespickt mit Offsets (also Gutschriften durch angebliche Einsparungen in Drittländern), wird es komplett zum Greenwashing. Lasst euch davon bitte nicht vereinnahmen.
  2. Vernachlässigbarkeit: Es ist gerichtlich (sicher kennt ihr das Urteil, ich weiß gerade nicht auswendig welches) geklärt, dass es im Zusammenhang mit CO2 Emissionen nicht mehr zulässig ist, das Argument der Vernachlässigbarkeit zu verwenden. Das riesige Problem entsteht eben (auch) durch jede noch so kleinste Emission, daher kann keine Emission vernachlässigbar sein.

Als allerletzter Punkt: Der Deal von RWE mit den Grünen. Warum sagt denn niemand, dass am Ende die Politik die Regeln macht? Ja, aktuell gehört Lützerath RWE und wegen des Eigentumsrechts kann es damit offenbar machen, was es will. Aber dazu ist es offenbar auch auf die Unterstützung des Staates (in Form von Schutz bzw. Räumung durch die Polizei) angewiesen. Man könnte ja als Landesinnenministerin die Polizei einfach anweisen, das nicht zu tun. Dann würde RWE vielleicht klagen, aber dann wollen wir doch den Spieß mal umdrehen und RWE klagen lassen. Mal schauen, wie weit sie kommen und wen genau sie eigentlich verklagen. Mit Leichtigkeit würden „wir“ -also die Politik-solche Prozesse gewinnen, weil man sich einfach auf das Gemeinwohl berufen könnte. Sorry, dass es hintenraus jetzt doch etwas polemisch wurde, aber wer sich auf den „Deal“ und die gültige Rechtssprechung zurückzieht, hat in meinen Augen ein etwas verschobenes Politikverständnis.

Ich hoffe sehr, dass ihr das lest und würde mich über eine Antwort oder gar die Aufnahme in die Sendung riesig freuen!

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