Das ist letztendlich das Herz des Problems, und der Grund warum jegliche Diskussion um die Verkehrswende ohne eine gleichzeitige Diskussion um eine Bauwende zum Scheitern verurteilt ist.
Mit dem Siegeszug der Individualmobilität durch erschwingliche Automobile für jedermann kam auch das Versprechen des Eigenheims mit Garten im Grünen für jedermann. Gefolgt ist eine beispiellose Zersiedelung des Landes bei gleichzeitiger Zentralisierung von Dienstleistungen und Angeboten. Dörfer, die früher multifunktionelle und autonome Entitäten waren verkamen zu Flickenteppichen von reinen Wohnsiedlungen. Autos haben somit Distanzen geschaffen, die nur von Autos überbrückt werden können.
Wenn man die „Stadtgrenze“ in einem beliebig großen Kreis um solche Gebiete zieht, und genug Einwohner erwischt, bekommt man auf dem Papier halt eine „Stadt“ raus. Dass sich aus diesen Behördendefinitionen nicht unbedingt urbaner Charakter ableiten lässt wurde hier im Thread ja schon ausgiebig erörtert.
Und es endet nicht da. Es ist schön, Berlin als Beispiel für Orte heranzuziehen, in denen autofreies Leben möglich ist und praktiziert wird. Allerdings ist Berlin nicht Berlin. Beliebte Orte wie Kreuzberg, in denen ein Großteil der Haushalte kein Auto besitzt haben eine dichte Bebauung und entstammen einer Zeit, in der nicht um das Auto herum geplant wurde, deshalb allein schon durch den Parkdruck der Besitzt eines Autos mit Unannehmlichkeiten verbunden ist. Dass sich hier die Anwohner weniger Durchfahrtsverkehr, weniger Krach und mehr Raum sich selbst wünschen ist nicht verwunderlich. Dann gibt es aber auch die ganzen Randgebiete, welche wiederum monofunktional als Einfamilienhaussiedlungen gebaut wurden. Für eigenen Raum ist gesorgt, alle haben ihr Auto mit Stellplatz, der ÖPNV kann aufgrund der flächigen Bebauung nicht effektiv agieren und alles was nicht Wohnen ist, findet weit entfernt statt, und deshalb wählt hier auch jeder die CDU oder FDP als Parteien, die diesen Lebensstil als den erstrebenswerten defacto Status Quo ansehen und entsprechend die Interessen von Eigenheimbesitzenden vertreten. Letztere freuen sich natürlich über Stadtautobahnen und ausreichend kostenlosem Parkraum.
Das traurige ist, dass diese Entwicklungen gewollte waren. Gebiete wie Kreuzberg und auch dahinterliegende Gebiete mit dichten Blocks in Randbebauungen waren auch einst Stadterweiterungen. Es war also nicht immer der Standard, dass die Erschließung von Randgebieten in Siedlungen hieß, dass 90% des Gebietes in 350 m² Parzellen für Eigenheime aufgeteilt wird, und der Rest ein Asphalthaufen aus 70% Parkplatz mit 30% Supermarkt wird. Mal schauen ob die Politik es schafft, diese Entwicklungen, wenn nicht umzukehren, dann zumindest einschränken können. Genug Modellprojekte gibt es ja mittlerweile wirklich. Freiburg mit Vauban und dem kommenden Dietenach, Wien mit dem Sonnenwendviertel und der Seestadt Aspern. Berlin will ein transtorientiertes Wohngebiet auf dem ehemaligen Flughafen Tegel bauen. Mal schauen wie das wird, momentan scheint ja der Tech-Bro-Innovationscampus im Vordergrund, aber man kann ja trotzdem optimistisch bleiben.