LdN310 Zwischenwahlen in den USA am 8.11.22

Im Repräsentantenhaus sieht es ganz nach einem Machtwechsel aus. Die Republikaner dürften die Mehrheit erreichen.

Im Senat ist es ein Kopf an Kopf rennen. Verlieren die Demokraten beide Kammern, verkommt Biden schon zur Mitte seiner Präsidentschaft zur Lame Duck.

Einschätzungen zur Wahl und die daraus resultierenden Folgen in der US und Weltpolitik gerne diskutieren.

Eine der meist aufgerufenen US Analyse- und Prognoseseiten:

Mehrheit des Senats ist ,on a dead heat,.
Zu 53% bleibt er blau. Das Momentum scheint aktuell wieder leicht Richtung Reps zu schwingen. Wird wohl brutal knapp.

Das House wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (zu 80%) rot.

Bei US-Umfragen gilt es immer auch, einen Blick auf das Umfrageinstitut zu werfen. Einige sind relativ neutral, andere überhaupt nicht. Bei Seiten wie FiveThirtyEight, die eine Zusammenfassung mehrerer Umfragen errechnen, spielt das eine Rolle, wenn wie etwa jetzt aktuell eine große Anzahl eher republikanisch zugeneigter Umfragen erscheinen und die Durchschnitte beeinflussen (böse Zungen mögen behaupten, um hinterher leichter von Betrug sprechen zu können wenn die Ergebnisse dann plötzlich doch die Demokraten stärker sehen).

Eine andere Betrachtung, die sich soweit möglich auf neutrale Umfragen beschränken will:

Vielleicht noch wichtig zu sagen, dass eine republikanische Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus, die 2020 jeweils extrem kleine demokratische Mehrheiten aufwiesen, das historisch absolut erwartbare und - wenn man so will - normale Ergebnis wäre. Zumal die relativ hohe Inflationsrate und das relativ schlechte ‚approval rating‘ von Joe Biden keine allzu guten Indikatioren für Demokraten sind. Die Republikaner haben es mit teilweise sehr schlechten Senats-Kandidaten, einer für die Demokraten dankbaren Senats-Periode und dem Backlash nach der Dobbs-Entscheidung geschafft, eine ihnen eigentlich auf dem Silbertablett servierte Wahl - zumindest im Senat - kompetitiv zu halten.

Naja, ein wesentlicher zusätzlicher Grund ist die strukturelle Ungleichwertigkeit der Stimmen zwischen Metropole und Land, Küstenregionen und Binnenland. So stellt bspw. Wyoming einen Senator auf 300k Einwohner, während sich in Kalifornien 20M Einwohner einen Senatssitz teilen müssen. Was das Repräsentantenhaus angeht, ist das Ausmaß an Gerrymandering teilweise einfach nur noch absurd. Das geht schon überwiegend sehr zu Lasten der Demokraten.

Naja, das ist in Deutschland nicht anders. Der Senat repräsentiert die Bundesstaaten, so wie bei uns der Bundesrat die Bundesländer repräsentiert. Und bei uns stellt Bremen einen Ratssitz auf 190k Einwohner, während sich in NRW 3M Einwohner einen teilen müssen.

Es trifft beides zu. Die Demokraten starten in beiden Kammern und im electoral college mit einem Nachteil, gleichzeitig gibt es in Midterms einen deutlichen Trend des Stimmenverlustes für die Partei, die das Weiße Haus besetzt. In den sieben Midterms seit 1994 hat sechs Mal die Oppositionspartei den popular vote im Repräsentantenhaus gewonnen, jeweils mit (zumeist) deutlichen Stimmenzugewinnen im Vergleich zur vorherigen Präsidentschaftswahl. Die einzige Ausnahme: Ein Zugewinn an Stimmen im Jahr 2002: ein Jahr nach 9/11 und mit einem irrwitzig populären Präsidenten George W. Bush. Wenn die Präsidentschaftspartei in Midterms Sitze dazugewinnen soll, müssen schon krasse Sachen passieren, wie eben 9/11 (oder der Boost für Bill Clinton als Reaktion auf den Republikanischen Umgang mit der Lewinksy-Affäre).

Selbst wenn die Demokraten im Hinblick auf den popular vote nur wenige Stimmen verlieren, wäre das historisch gesehen ein gutes Ergebnis. Die ohnehin kleine Mehrheit und der Gerrymandering-Vorteil der Republikaner würden freilich dafür sorgen, dass auch ein knapper popular vote-Sieg für die Demokraten eine Republikanische Mehrheit im Haus generieren würde.

Meine Lieblingslösung gegen den small state bias im Senat wäre, die beiden Dakotas einfach zusammenzulegen (dann würde da immer noch kaum jemand wohnen) und D.C. in den Rang eines Staates zu erheben.

Naja, je nach Größe haben die Bundesländer in Deutschland zwischen 3 und 6 Sitze im Bundesrat.

Das ist in den Berechnungen von @Eule bereits einberechnet.

Bremen hat 3 Sitze bei 570.000 Einwohnern (=190.000 pro Sitz)
NRW hat 6 Sitze bei 17.930.000 Einwohnern (=2.988.000 pro Sitz)

Das wird auch relativ regelmäßig in Diskussionen zu dem Thema kritisiert. Ich sehe das durchaus auch als Problem im Hinblick auf die Stimmgleichheit, daher den eigentlich klaren Wahlgrundsatz, dass jede Stimme gleich viel Gewicht haben muss. Aber eine wirklich überzeugende Lösung für dieses Problem gibt es auch nicht, denn ein klarer Pro-Kopf-Schlüssel, bei dem NRW dann 30 Mal so viele Stimmen hätte wie Bremen, wäre irgendwie auch nicht schön, weil die kleinen Bundesländer dann natürlich sagen würden, dass ihre Stimmen irrelevant wären, weil die „großen Brocken“ letztlich alles ohne die Notwendigkeit der Stimmen der „Kleinen“ durchsetzen könnten. Ähnlich wie manche EU-Staaten sich beklagen, dass eigentlich jede Initiative in der EU von der Achse Berlin-Paris ausgeht.

Daher hat @Eule schon Recht, dass diese Probleme im Hinblick auf den US-Senat uns Deutschen nicht allzu fremd sind.

Zwei mögliche Szenarien:

Es ändert sich eigentlich nicht viel: Die Demokraten verlieren die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat. Ob man Mehrheiten mit Kyrsten Sinema und Joe Manchin oder mit Susan Collins und Lisa Murkowski aushandeln muss, ist aber eigentlich kein großer Unterschied. Schattenpräsident Manchin ist für demokratische Großprojekte ohnehin nur dann zu gewinnen, wenn er sich von den Republikanern schlecht behandelt fühlt. Im Haus kann man sowieso kaum etwas durchsetzen, da wegen der winzigen Mehrheit alle Vorschläge so sein müssen, dass ihnen sowohl AOC als auch Jared Golden zustimmen können. Es wird ein bisschen mühseliger, ein bisschen langsamer, ein bisschen hässlicher und die Republikaner zicken bei der Ukraine-Hilfe rum, stimmen aber letztlich doch zu. Mit executive orders lässt sich - dem großen Vorbild Obamas folgend - zwei Jahre lang leidlich Politik machen.

Die Wahl wird zur ‚Schicksalswahl‘: Im Jahr 2023 stirbt Supreme Court Justice Clarence Thomas im Alter von 75 Jahren und nimmt seinen angestammten Platz in der Hölle zur Rechten des Teufels (= Antonin Scalia) ein: Die Republikanische Mehrheit im Senat zementiert die Republikanische Mehrheit im Supreme Court auf Jahre hinaus. Ein von den Demokraten kontrollierter Senar hingegen könnte dafür sorgen, dass die Mehrheit im Supreme Court für Demokraten mittelfristig wieder in Reichweite gerät.

Das kann der Senat allerdings nicht von sich aus, sondern es bedarf zunächst einer Nominierung durch den Präsidenten. Und Biden würde den Sitz sicher eher unbesetzt lassen (bzw. dessen ungeachtet eine liberale Person auswählen) als eine weitere Wunschpersonalie der Federalist Society vorzuschlagen, nur damit der Oberste Gerichtshof vollständig bestückt ist. Es gäbe halt zwei Jahre lang eine Menge 5:3-Entscheidungen statt 6:3, und manchmal 4:4 damit Roberts den Anschein der Mäßigung wieder aufrechterhalten kann.

Das war ja als worst case gedacht. Ich halte es zumindest nicht für unmöglich, dass die gerontokratische Führungsriege der Demokraten sich im Namen von bipartisanship zur Unterstützung eines ‚moderat‘ konservativen Kandidaten hinreißen lässt, der sich irgendwo um Roberts und Kavanaugh herum einsortiert. Dass die Demokraten hehre Anliegen mit strategischer Inkompetenz kombinieren wäre ja nicht präzedenzlos. Oder aber die Vakanz sorgt 2024 für einen roten Boost. Die Aussicht auf Supreme Court Nominierungen hat sich ja in der jüngeren Vergangenheit als Republikanische Turnout-Maschine erwiesen.

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Das Alter ändert nichts an der Kompetenz von Biden und Pelosi (eher im Gegenteil). Beide sind dahingehend die besten Besetzungen auf ihren Posten seit Jahrzehnten. Es stimmt sicher, dass Biden den Traum des Bipartisanships hartnäckig nicht aufgeben will (wobei ich schon denke, dass er in den letzten Monaten deutlich abgekühlt ist), andererseits hat er aber auch unmittelbar gesehen, dass die Strategie einer moderaten Personalie bei Obama krass gescheitert ist.

Zum letzten Punkt völlige Zustimmung; es bleibt ein Mysterium und eine große strategische Schwäche, dass der demokratischen Basis die Gerichte gewissermaßen traditionell komplett egal zu sein scheinen, wenn Wahlen anstehen. Um den Supreme Court dauerhaft zu sichern, hätten sie mindestens seit 2010 entsprechend zahlreich wählen müssen, von sonstigen Richterposten ganz zu schweigen (immerhin hat Biden bei Nominierungen ein heftiges Tempo vorgelegt).

Die Wahl wird zur ‚Schicksalswahl‘: Im Jahr 2023 stirbt Supreme Court Justice Clarence Thomas im Alter von 75 Jahren und nimmt seinen angestammten Platz in der Hölle zur Rechten des Teufels (= Antonin Scalia) ein: Die Republikanische Mehrheit im Senat zementiert die Republikanische Mehrheit im Supreme Court auf Jahre hinaus. Ein von den Demokraten kontrollierter Senar hingegen könnte dafür sorgen, dass die Mehrheit im Supreme Court für Demokraten mittelfristig wieder in Reichweite gerät.

Wer sagt denn das Clarence Thomas sterben wird?
Mal abgesehn davon könnte hier lediglich ein Konservativer durch einen Konservativen ersetzt werden. Schlimmer wäre es wie in den letzten Neubesetzungen das ein Liberaler Richter durch einen Konservativen ersetzt wird.

Das Problem ist, dass in diesem hypothetischen Szenario ein 75-jähriger Konservativer durch einen vermutlich 50-jährigen ersetzt wird. Dadurch würde die konservative Dominanz auf weitere 25+ Jahre festgeschrieben.

Selbstverständlich, das wäre der Super-Gau. Aber der älteste Richter ist aktuell eben Thomas (Jahrgang 48) gefolgt von Alito (Jg 50), erst dann kommt die Demokratin Sotomayor (Jg 54).
Die nächsten zwei Abgänge werden daher vermutlich (nicht: sicher) Republikaner sein und es ist einfach extrem wichtig, dass zumindest einer (idealerweise beide) deren Nachfolger wieder Demokrat wird, damit der Supreme Court zumindest wieder halbwegs ausgeglichen ist.

Bei 34:06 in der aktuellen Ausgabe wird von Wyoming als Swing State gesprochen, der „politisch ziemlich genau in der Mitte geteilt ist“ . Wyoming ist aber, jedenfalls meines Wissens nach, so ziemlich der dunkelroteste Staat auf der US-Karte. 1964 gewann hier das letzte mal ein demokratischer Präsidentschaftskandidat…
Liebe Grüße und herzlichen Dank für die wöchentlichen Folgen!

Ich vermute mal es war Wisconsin gemeint.

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Super interessantes Zahlenspiel von Five Thirty Eight das zeigt, wie eng manche Rennen im Senat und House sind.

To illustrate this, let’s look at what would happen if there was a normal polling error in favor of either Republicans or Democrats. Of course, in real life, the polling error will be different in every race. But, hypothetically, let’s say that Republicans do 5.4 points better than their current FiveThirtyEight-projected vote margins in every Senate race and 6.3 points better in every House race. This roughly happened in 2020, when polls underestimated the GOP by a record amount. In this scenario, Republicans would win 54 Senate seats. Pennsylvania, Arizona and New Hampshire would fall to the GOP. Meanwhile, in the House, Republicans would win 259 seats in this hypothetical scenario — a 46-seat gain.[3] Democrats would lose several districts that voted for President Biden by double digits, including New York’s 4th and California’s 9th, as well as several big-name incumbents, such as Reps. Marcy Kaptur, Katie Porter and Henry Cuellar. Even though no one is really talking about the possibility that Democrats will lose these seats, this list below shouldn’t be startling: Most of these districts have a less than 75-in-100 chance of going blue.
But again, we shouldn’t discount the possibility that polls will underestimate Democrats. So what would the election results look like if Democrats did 5.4 points better than the FiveThirtyEight forecast currently predicts in every Senate race and 6.3 points better in every House race? In this scenario, it would be Democrats who win 54 Senate seats — the ones in which they are currently favored plus Georgia, Nevada, North Carolina, Ohio and Wisconsin.
And in the House, Democrats would win 227 seats, while Republicans would win 208. In other words, Democrats would gain seats in the lower chamber, something the president’s party has done only twice since World War II. Those gains would include light-red seats like New York’s 1st and Ohio’s 13th.[4]
Some endangered Democratic incumbents (like Reps. Tom Malinowski and Tom O’Halleran) would also keep their seats.

Das bedeutet, dass innerhalb der Unsicherheit der Umfragen (Toleranzwert) zwischen den Szenarios, dass die Democrats beide Kammern halten und die Reps beide gewinnen, noch alles offen ist.
Es deutet aber schon recht viel darauf hin, dass das House rot wird.