LdN242 -- Fall Giffey nicht kleinreden

Die genaue gesetzliche Grundlage kenne ich nicht. Ich weiß nur von befreundeten Professor:innen, dass die Berliner Unis ihre Berufungslisten an den Senat weiterleiten und abgesegnen lassen müssen. Im Übrigen kann auch die Unileitung eine Berufung verhindern und dabei das Votum wissenschaftlicher Kommissionen ignorieren.
Bei Börzel beziehe ich mich auf die Angaben in Gätz Alys Kommentar.

Apropos „Schummeleien“: Man beachte, wie sich die Formulierungen auch im Laufe des Lage-Blocks ändern. Erst heißt es noch (von Philip Banse), Frau Giffey habe „zumindest unsauber gearbeitet, wahrscheinlich unredlich geschlampt, womöglich wissentlich betrogen, das müssen wir mal offenlassen“ (ab 39:04) bzw. „unstrittigerweise bei ihrer Doktorarbeit mindestens extrem schlampig gearbeitet […], wenn nicht sogar vorsätzlich betrogen“ (ab 41:07). Wenn dann am Ende des Blocks die Haltung der Lage zum ganzen Vorgang feststeht, klingt das, was Ulf Buermeyer sagt, schon deutlich harmloser: „was da bei ihrer Doktorarbeit schiefgelaufen ist“ (ab 41:38), „wenn die Leute sie wollen, trotz dieser Schummeleien: d’accord“ (ab 42:50). Alles also nicht so schlimm? Die rechtliche Bewertung und Sanktionierbarkeit würden mich jedenfalls auch interessieren.

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Warum gleich mit dem Strafrecht kommen? Zum einen will ich ganz sicher keine Gerichtsurteile die sich auf die Gutachten von Unigremien stützen. Zum anderen gibt es doch eigentlichen keinen Schaden den man irgendwie benennen könnte außer einem ideellen. Das Ansehen der Universität wird durch sowas nicht bestimmt sondern durch den Forschungsstechnischen Output. Weder das Bild der Forschung noch die Forschung selbst leidet darunter. Das Dissertationen als zitierfähig betrachtet werden ist doch eher selten. Hinzu kommt, dass Giffey nicht in der Forschung arbeitet und auch sicherlich nach einem solchen Verfahren an keiner Uni mehr arbeiten könnte. Mir kommt irgendwie latent das Gefühl, es ging hier um Leistungsethos also „ehrliche Arbeit/Leistung“ was in sich total albern ist, solche Abschlüsse haben mit der Stellung in der Sozialstruktur zu tun. Entsprechend wird es auch nichts bringen Ghostwriter zu bekämpfen. Es gibt einen Markt und Anreize dafür gewisse Abschlüsse zu bekommen also werden sich Möglichkeiten der Umgehung finden lassen. Die Probleme kommen aus der Struktur und werden sich nicht durch ein Individualstrafrecht lösen lassen.
Hinzu kommt, dass eine gute Textkollage immerhin kein Stichwortgeber ist für problematische Strukturen in der Gesellschaft. Was Teile der Evolutionsbiologie und Evolutionspsychologie als Wissenschaft bezeichnen dient breiten Teilen der chauvinistisch antifeministischer Strukturen, die losziehen um Frauen umbringen, als unmittelbare Begründung ihrer Weltsicht. Aber immerhin haben sie es selbst produziert auch wenn es noch so unwissenschaftlich ist…Die Wissenschaft und die Politik haben ganz andere Probleme als titelsammelnde Akademiker.

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Ich hoffe, dass du dir das nicht zu eigen machst („ohne nennenswerte wissenschaftliche Leistungen“), so habe ich das nämlich gelesen.
Wenn man den Aly-Kommentar liest, kann man den Eindruck bekommen, dass hier eine Fehde ausgefochten wird, weil Börzel angeblich daran beteiligt war, Aly keine apl.-Professur zuzugestehen. Über die Begründung kann man streiten, allerdings sehe ich Aly – trotz politikwissenschaftlicher Habilitation – nicht als Kronzeugen dafür geeignet, die Forschungs- und sonstigen wissenschaftlichen Leistungen einer IB-Professur zu beurteilen. Ein gewisser Verschwörungsduktus in dem Kommentar ist unverkennbar.

Leider betreibt Aly zudem (bewusste) Irreführung, denn

  1. ist der Katalog der DNB nunmal keine wissenschaftliche Datenbank, die die Aufsätze aus international referierten Fachzeitschriften oder Sammelbänden enthält [ein Blick auf ihre Seite der FU Berlin hätte genügt, um zur gegenteiligen Einschätzung zu kommen, zumindest, was den quantitativen Aspekt betrifft].
  2. Ist ihre Dissertation nicht (nur) online erschienen, sondern bei Cambridge University Press und
  3. sagt das alles nichts über die Qualität ihrer (Forschungs-)Leistungen aus.

Und bevor man sich obiges Urteil erlaubt, kann man erwarten, dass man sich die Schriften auch im Detail anschaut.

Fast schon surreal mutet es dann allerdings an, dass sie auf ihrer Seite einen Auszug aus einem Aufsatz hat, in dem es darum geht, wie man den richtigen Betreuer für eine Dissertation findet – sie war es offenbar nicht…
Kann man sich nicht ausdenken.

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Ich habe versucht zu motivieren, warum die Bevölkerung einem promovierten Politiker mehr zutraut praktikable Lösungen zu finden als einem nicht-promoviertem Politiker (cerebus paribus). Und insbesondere, dass das eben nicht (nur) auf die Fachexpertise zurückzuführen ist.

Was der Job eines Politikers ist, ist eine andere Frage (die sich aber vom eigentlichen Thema entfernt, weswegen wir an diesem Ort nicht weiter darüber diskutieren sollten).

Ehrlich gesagt, habe ich die Formulierung nicht mit allzuviel Bedacht gewählt. Ich stelle ja auch nicht infrage, dass Börzel wissenschaftliche Veröffentlichungen vorzuweisen hat. Das Argument war ja eher, dass die Machtposition, die sie de facto innehat (und die ja nicht nur bei der Einwerbung von Drittmitteln, sondern auch bei der Veröffentlichung in Fachzeitschriften etc. pp. „hilft“), sich nicht in erster Linie darauf gründet, dass sie wissenschaftlich so herausragendes geleistet hat, sondern eher darauf, dass sie sagen wir mal sehr gut vernetzt ist.
Ich finde Aly an dem Punkt plausibel, kann aber auch verstehen, wenn man eher den Eindruck hat, er habe Börzel eins reinwürgen wollen. Ich gebe auch zu, dass ich meine Sichtweise nicht belegen kann (ich habe auch ehrlich gesagt keine Lust, mir die Mühe zu machen), da ich wie andere hier den Fall Börzel (und den Fall Giffey) nur als eine Episode des real existierenden Wissenschaftsbetriebs ansehe.

Zur Erinnerung:

Bei Promotionen gibt es sehr viel Optimierungsbedarf, um es höflich auszudrücken. Für mich ist das was ich bisher über Frau Giffey gehört habe nicht mit Schlamperei oder Schummelei erklärbar. Eine Promotion ist ein Buch und kann leicht auch über 100 Seiten haben. Da passieren auch bei größter Sorgfalt Fehler, das weiß jeder. Wenn Frau Giffey eine goldenes Ei entdeckt hätte, dann wäre ein „Schlamperei“ bei Zitaten kein Grund den Titel abzuerkennen.
Das was ich aber verstanden habe, sieht nach Vorsatz aus, siehe Zitat von @MarS. Die Promotion ist DAS persönliche Aushängeschild. Sofer die Arbeit nicht unter Verschluss ist, kann die sich jeder durchlesen und einen Eindruck von der persönlichen Arbeitsweise erhalten. Was sagt das über jemanden aus, wenn er dabei betrügt?

  • War das das erste Mal, dass derjenige betrogen hat?
  • Wie verhält er sich, wenn er einen persönlichen Vorteil erlangen kann?
  • Wird er wieder betrügen?
  • Wird er sich an Regeln zu halten?
  • An Gesetze?

Sorry, aber ich persönlich möchte jemandem mit so einer Vorgeschichte kein politisches Amt anvertrauen. Kann immer sein, dass sich jemand ändert und er durch was auch immer eine andere, passende Lebenseinstellung erlangt. Aber dazu gehört eine ganze Menge und das sehe ich bei Frau Giffey überhaupt nicht.

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Das wollen wir doch mal stark hoffen, sofern es sich nicht um eine medizinische Dissertation oder was Kumulatives handelt… :grimacing:

Nochmal ein anderer Aspekt:

https://www.xing.com/m/Ru2FMRiUnaEZzd7Q9ddRAT

Zur Einordnung: ich will Frau giffey nicht für die Verfehlungen ihres Mannes in Sippenhaft nehmen. Als Wähler:in muss man aber Heuristiken nutzen, um die Integrität von Kandidat:innen zu beurteilen.

Das Menschen Normen insbesondere auch in Milieus, Gruppen und Netzwerken bilden und durch Vergleich mit anderen Menschen in diesen Zusammenhängen normalisieren und stabil halten, möchte ich die Hypothese formulieren, dass Frau giffey einer sozialen Gruppe angehört, in der „Schummelei“ zur Durchsetzung des eigenen Interesses als vertretbar gilt.

Dann kann sich jede:r selbst haben, ob man sie wählen möchte.

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„Dazu mal ein Vergleich: Falls ich das richtig verstanden habe, hat Frau Giffey einen Wikipedia Artikel übernommen, dieses Zitat aber Habermas zugeschoben. Das ist in etwas so, als würde eine Architektin eine Stahlkonstruktion entwerfen, zu Berechnung der Tragfähigkeit aber Werte übernehmen die von Holzmaterialien stammen. Hinzu kommt noch der geistige Diebstahl von dem Verfasser, der den Wikipedia Artikel geschrieben hat.“

Ich hätte dazu Mal eine Verständnisnachfrage:

Meine Annahme dazu ist, dass der Wikipedia-Artikel in einem gewissen Grad entweder auf der Arbeit des Habermas basiert oder aber diesen direkt im Zitat verwendet.

Wieviel hat sie denn überhaupt „übernommen“?

Warum wäre es Betrug, wenn sie aus dem besagten Wiki-Artikel ein Habermas Zitat übernommen hat?

Warum ist es geistiger Diebstahl wenn man die Recherchearbeit eines anderen übernimmt?

Also nehmen wir mal an ich diskutiere mit jemandem über ein Thema das in der Lage behandelt wurde und soll verwendete Fakten belegen: begehe ich dann geistigen Diebstahl wenn ich nicht die Lage als Quelle der Fakten angebe sondern die von der Lage verwendete Quelle weitergebe?

Wo verläuft da die Grenze und wie will man das bei einer Dissertation im Nachhinein noch überprüfen?

Das stimmt auch so nicht. Zum einen werden größere wikipedia Artikel von mehren Leuten geschrieben und das Prinzip von geistigem Eigentum auf Wikipedia anzuwenden würde die Idee von Wikipedia wohl unterlaufen.

Zum anderen bezieht sich geistiges Eigentum im Sinne des Diebstahls auch nur auf, sowas wie Verkauf oder öffentliche Veranstaltungen. Deswegen darf man ja auch eine private Kopie von Filmen und Musik etc. anlegen, aber halt nicht verbreiten.
Aber grundsätzlich hat das Eigentumsprinzip in der Wissenschaft auch nichts verloren. Die Angabe von Quellen dient der Überprüfung und Nachvollziehbarkeit, nicht der Feststellung von Eigentum. Das heißt man kann Anhand der Quellen nachvollziehen ob die Lektüre verstanden wurde bzw. (und das ist gerade bei sowis noch wichtiger) können die Begrifflichkeiten anhand ihrer Verwendung und historisch logischen Einordnung überprüft werden. Das ist halt bei den sowis meist die einzige Möglichkeit eine sinnvolle immanente Kritik zu formulieren. Ohne Verweise wirds unwissenschaftlich, aber das ist kein Diebstahl und daher ist die Strafbarkeit auch kein sinnvoller Ansatzpunkt.

Aber das ist halt das Problem, wenn man hier Begriffe aus dem Alltagsverständnis vom Strafrecht ableitet. Man verwendet die Quellen und Zitate ja trotzdem, wenn man Verweise benutzt. Es ist Betrug, weil man die falschen Verweise angegeben hat und es damit nicht überprüfbar ist bzw. auch verschleiert wurde, dass die eigentliche Quelle unwissenschaftlich ist. Mit anderen Worten der Betrug besteht darin, dass vorgegeben wurde sich an wissenschaftliche standards zu halten und es dann aber nicht gemacht/verschleiert wurde. Bei der Frage inwiefern das mit Vorsatz passiert ist, wäre ich vorsichtig. Promovieren ist extrem stressig und dass man sich Verweise falsch notiert oder weil man es vergessen im Nachhinein falsch zuweist kann halt schon mal passieren. Die Intension wird ja anhand der Häufigkeit konstruiert. Daher finde ich die moralische Empörung auch etwas albern.
Man sollte sich hier auch nichts vor machen, je höher die Leute in der Institutionellen wissenschaftshierarchie stehen, desto weniger rigide wird mit der Zitationsweise umgegangen.

Man überprüft die Wissenschaftlichkeit der Arbeit, das hat mit bürgerlichen Eigentumsrechten nichts zu tun. Dieser Gedanke ist auch ehrlich gesagt ziemlich anachronistisch. Die derzeitige Diskussion, um Paywalls, preprint etc. will ja gerade keine Eigentumsrechte und die Wissenschaft basiert zumindest normativ auf der Vorstellung das Wissen von der Allgemeinheit bezahlt und frei zugänglich sein sollte…

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Vielen Dank für deine Antwort hilft mir ganz gut zum Verständnis.

Ich will gern auch noch auf ein paar Punkte eingehen. Es geht in diesem Fall definitiv nicht nur um ein falsch übernommenes Zitat aus Wikipedia bzw. von Habermas, es ist aus meiner Sicht viel grundsätzlicher.

Zu Wikipedia (siehe etwa hier einen Artikel aus der SZ von Anfang 2019 zu Giffeys Übernahme): In akademischen Kreisen, also vor allem schriftlichen Arbeiten jeglicher Art, ist Wikipedia nicht zitierfähig (sofern es nicht selbst Untersuchungsgegenstand ist), weil es u. a. keine Zurechenbarkeit zu einer Autorin oder einem Autor bzw. Autorenkollektiv gibt. Wird Wikipedia als Quelle angegeben, kann bspw. die betreffende Stelle nächste Woche gelöscht sein (das lässt sich zwar nachvollziehen, spielt aber keine Rolle). Die dort enthaltenen Informationen sind nicht (immer) geprüft; ein Qualitätssicherungsprozess findet nur bedingt statt. Das alles weiß auch Frau Giffey, sonst hätte sie Wikipedia als Quelle angegeben (es handelt sich insg. um drei Einträge aus Wikipedia, die als Quellen nicht angegeben wurden). Sieht man auch daran, dass sie von Wikipedia selbst eine falsche Literaturangabe übernommen hat – was wiederum darauf verweist, dass sie die Literatur, die sie in ihrer eigenen Arbeit angibt, offenbar nicht gelesen hat (dazu mehr weiter unten). Als Einstieg und Anregung ist Wikipedia dagegen natürlich schon geeignet und enthält oft viele gute und auch umfangreiche Informationen. Man sollte es als Quelle halt nicht zitieren, sondern dann weiter in die entsprechende Originalliteratur gehen.

Insgesamt ist die Untersuchung von VroniPlag sehr gut dokumentiert, alles ist ins kleinste Detail nachvollziehbar (insb. Befunde), das liest sich teilweise wie ein Krimi, und zwar wie ein sehr guter:

Ergebnis bis jetzt:

Bisher (28. Mai 2021, 20:54:38 (UTC+2)) wurden auf 76 von 205 Seiten Plagiatsfundstellen dokumentiert. Dies entspricht einem Anteil von 37,1 % aller Seiten. Davon enthalten 11 Seiten 50 % - 75 % Plagiatstext und 1 Seite mehr als 75 % Plagiatstext.
Der Hauptteil umfasst ohne Abbildungen und Tabellen sowie deren Titel und Quellenangaben insgesamt 6282 Zeilen. Von diesen wurden 827 als plagiiert dokumentiert.5 Hieraus ergibt sich ein Plagiatsanteil von knapp 13,2 % des Textes im Hauptteil der Promotionsschrift.

Dass sie mehr als extrem schlampig gearbeitet sieht man u. a. an folgenden Stellen. Die Bemerkung, dass „Promovieren extrem stressig“ (@Hufschmied) sei, ist zwar (oft) richtig, sollte aber doch nicht dazu führen, Standards wissenschaftlichen Arbeitens und Schreibens nicht einzuhalten (btw: gibts dafür ja inzwischen Softwarelösungen usw.). Eigentlich wird das von Beginn an immer wieder eingetrichtert, man kommt daran gar nicht vorbei (s. die Verwendung der Zitierweise und ihre absurde Begründung). Und wenn man schon promovieren möchte, sollten diese elementaren Dinge eigentlich klar sein. Hier ist dann auch wieder auf ihre Betreuerin zu verweisen (s. unter Befunde – „Mögliche Versäumnisse bei der Begutachtung der Dissertation“)…

Ein wirkliches Highlight ist aber folgendes (Kontext: Kritik von VroniPlag am Schlussbericht eines von der FU eingesetzten Gremiums zur Überprüfung der Dissertation 2019, Anlage Klassifizierung):

  • 3. Die Attestierung methodischer Kompetenz ist fragwürdig:
    Auf S. 8 stellt das Gremium fest: „Gerade im empirischen Teil beweist die Autorin, dass sie durchaus in der Lage ist, eigenständig wissenschaftlich zu arbeiten und bei ihrem Vorgehen die methodischen Standards der empirischen Politikforschung anzuwenden. Bei einer Gesamtzahl von 27 Forschungsinterviews muss diese Eigenleistung auch als substantiell bezeichnet werden.“
    Die Verfasserin war während des Abfassens ihrer Dissertation Europabeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln. Die Einrichtungen, deren Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter interviewt wurden, waren zum Teil abhängig von finanziellen Zuwendungen dieses Bezirks (vgl. z.B. Plagiatsfall Giffey: Chronik eines fortgesetzten Versagens von Jochen Zenthöfer, F.A.Z. vom 12. August 2020). Dies wird in der Dissertation weder dargestellt noch kritisch reflektiert. Insofern muss hinterfragt werden, ob „die methodischen Standards der empirischen Politikforschung“ tatsächlich angewendet wurden

Das verweist auf meinen Eingangspost: Ihr fehlt die kritische und reflexive Distanz zu ihrer Forschung – und es ist nunmal das erste, was man in den Sozialwissenschaften lernt bzw. lernen sollte: Ich bin als Mensch, Forscherin etc. immer (mal mehr, mal weniger) in den Untersuchungsgegenstand involviert oder zumindest Teil der sozialen Wirklichkeit, die ich zu untersuchen beabsichtige. Das muss aber zwingend thematisiert werden!
Weiterhin ließe sich auch fragen, wieso sie ausgerechnet mit ihrer Ausbildung (Studium FHVR) in Politikwissenschaft zu genau diesem Thema mit der durchgeführten Methodik promovieren wollte (Stichwort: Europabeauftragte).

Die Befunde und der ganze Prozess an sich ist wirklich sehr gut und nachvollziehbar dokumentiert: Dcl/Befunde | VroniPlag Wiki | Fandom

Es werden willkürliche Referenzierungen vorgenommen (getätigte Aussagen lassen sich mit den angegebenen Quellen nicht belegen), Einträge aus dem Literaturverzeichnis wurden im Text nicht genannt, angegebene bzw. benutzte Quellen sind teilweise fast 30 Jahre veraltet, obwohl neuere Auflagen vorgelegen hätten. Das sind alles nur einige der Vorwürfe.
Die Zusammensetzung des damaligen Prüfungsgremiums des OSI wirft zudem weitere erhebliche Fragen auf.

Nach Durchsicht all dieser Befunde komme ich nicht zu dem Schluss, dass nur „schlampig gearbeitet“ wurde, es musste vielmehr schnell gehen, Vorsatz und Täuschung ist daher nicht auszuschließen.

Solange es nur um ‚Fakten‘ geht, sollte die Originalquelle verwendet werden, die dann auch der „Lage“ bekannt sein müsste. Es ist ja nicht auszuschließen, dass auch Fakten falsch wiedergegeben werden. Das ist aber nicht unbedingt ein Problem des geistigen Diebstahls, wie schon angemerkt wurde. Kniffliger wird es, wenn es um komplexere Dinge wie Argumente oder Argumentationsstrukturen geht. Man kann ja mit den gleichen Fakten durchaus (vielleicht sogar der Regelfall) zu anderen Bewertungen und Interpretation kommen.

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Als normative Forderung unterstütze ich das zu 100%. Aber in der real existierenden Wissenschaft haben wir es mit kommerziellen Unternehmen zu tun, die nichts anderes machen, sich mithilfe des Urheberrechts an Forschungsergebnissen zu bereichern, die vielfach durch öffentlich finanzierte Forschung zustandegekommen sind. Forscher:innen, die Karriere machen wollen, sind heutzutage gezwungen, viel zu veröffentlichen („publish or perish“, und zwar nicht irgendwo, sondern in möglichst renommierten Zeitschriften und Verlagen, für die es regelrechte Rankings gibt. Und das lassen sich die Verlage teuer bezahlen, über Abo- und Lizenzgebühren oder über sauteure OpenAcess-Gebühren (da kostet die Online-Veröffentlichung(!) eines Buches gerne mal 10.000 Euro, ohne dass der Verlag da wirklich nennenswert Arbeit investiert). Zudem haben die allermeisten Verlage regelrechte Knebelverträge, die die Autor:innen fast all ihrer Rechte berauben.
Zwar gibt es inzwischen Stiftungen und Körperschaften, die eine Veröffentlich als OpenAccess zur Bedingung für die Geldvergabe machen, aber von so etwas wie einer Verpflichtung zur Veröffentlichung unter Creative-Commons-Lizenzen hab ich noch nichts gehört.

Die Frage, wann man wo was zitieren darf, hat aber m. E. nichts mit Eigentum (also Urheberrecht) zu tun. Hier geht es ja um die sogenannten „Regeln guten wissenschaftlichen Arbeitens“. Streng genommen sollen Wissenschaftler:innen jeden Gedanken, der ihnen nicht selber gekommen ist, als solchen kennzeichnen und zwar mit Angabe der Quelle, aus der der Gedanke übernommen wurde. Eine solche wissenschaftliche Arbeitsweise ist eine der Qualifikationen, die man mit einer Doktorarbeit nachweist.
In der Praxis sieht es natürlich oft anders aus. Ich kann nicht mehr bei jedem Gedanken sagen, ob er mir selber gekommen ist, ob ich ihn in der Diskussion mit Kolleg:innen oder bei einem Vortrag aufgeschnappt habe oder ob ich ihn irgendwo gelesen habe - geschweige denn wenn.
Aber es gibt auch Fälle, in denen man ziemlich sicher weiß, dass man sich bestimmte Formulierungen, Begriffe oder ganze Analysekonzepte nicht selber ausgedacht hat. Ich hatte häufig sogar halbe Sätze im Kopf, von denen ich wusste, dass von irgendwem anders sind, aber ich wusste nicht mehr von wem. Dank Google Scholar und ähnlicher Datenbanken ist es inzwischen sehr viel einfacher, solche Sätze mit einer exakten Quellenangabe zu versehen. Dann ist der Sorgfaltspflicht genüge getan, auch wenn die zitierte Quelle vielleicht nicht meine originäre Inspiration war.
Das Hauptproblem bei Plagiaten in der Wissenschaft ist das sogenannte „Bauernopfer“, das so funktioniert: ich zitiere auf Seite 18 2-3 Sätze von einer Autorin, schreibe danach weiter, sage aber nicht, dass die gesamten Überlebungen auf den Seiten 18-22 1:1 von dieser Autorin übernommen sind. Das geschieht wissentlich und willentlich - und hat daher eine ganz andere Qualität als ein wirklich vergessenes oder falsch zugeordnetes Zitat. Ich kenne Giffeys Arbeit und deren Analysen nicht, vermute aber mal, dass es um sehr viel mehr als Letzteres geht, wenn ihr der akademische Grad wieder aberkannt werden soll.

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Ich habe mir mal die Zusammenfassung der Arbeit von Frau Giffey angeguckt, weil ich selber einen Eindruck erhalten wollte, worüber wir diskutieren.

Die ganze Arbeit gibt es hier: Refubium - Login wählen

Hier die Zusammenfassung:

Ich will zu dieser Zusammenfassung mal meine Gedanken mitteilen. Hier gleich der Hinweis, dass das meine persönliche Interpretation ist und natürlich auch anders erklärt werden kann. Die häufigste Erklärung ist, z. B. dass der Doktorand (noch) nicht richtig schreiben kann bzw. sich zumindest nicht verkaufen kann.

Absatz 1: Einleitung. Das ist die Hinführung zum Thema und eigentlich legt man darin auch dar, warum dieses Thema wichtig ist. Das ist hier nicht so gelungen.

Absatz 2: Aufgabenstellung und Herausforderung. Die These ist, wenn Bürger in der EU mehr mitbestimmen dürfen, dann ist die EU demokratischer und besser legitimiert. Darüber hat Frau Giffey eine Literaturstudie durchgeführt.

Absatz 3: Methodik. Wie wurde die Arbeit durchgeführt. Es wurde ein Analyseraster erstellt mit 4 Kriterien erstellt. Anhand des Bezirks Neukölln wurde dies überprüft.

Absatz 4: Ergebnis. Die Instrumente der EU sind nur bedingt geeignet die Zivilgesellschaft zu erreichen. Das ist jetzt nicht so verwunderlich. Eine Quanifizierung oder irgendwelche Zusammenhänge hätte ich an dieser Stelle erwartet. Irgendwelche Erkenntnisse, was für welche auch immer.

Absatz 5: Fazit: Was kam raus? „Lösungs- und Gestaltungsansätze“.

Ich bin hier nicht vom Fach und kann vieles nicht so richtig beurteilen. Aber was mir auffällt, ist dass in der ganzen Zusammenfassung viel zu viele allgemeine, pauschale Aussagen stehen., z. B. im Fazit: „Beteiligung ist in hohem Maße abhängig vom Willen und den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Bürgern und Organisationen der Zivilgesellschaft.“ Wieso steht in der Zusammenfassung zum großen Teil Allgemeinkram? Wenn man sich mehrere Jahre mit einem Thema beschäftigt und man dann nichts konkretes hat - muss ja nicht weltbewegend sein, dann kann da nicht viel herausgekommen sein. Gerade der 2. Absatz mit der Aufgabenstellung liest sich für mich so allgemein dahingeschrieben, dass ich nicht den Eindruck habe, dass Frau Giffey für das Thema brennt und ich sogar daran zweifel, wie sinnvoll sie dieses Thema selbst findet.

Selbstverständlich spricht diese Zusammenfassung auch nicht für den Gutachter.

Ich habe mich vielleicht etwas unscharf ausgedruckt: Man kann natürlich Texte von Wikipedia übernehmen ohne das dies geistiger Diebstahl ist. Aber, wenn man etwas von Wikipedia (order irgendeiner anderen Quelle) Texte übernimmt, es dann aber als eigene Literaturarbeit ausgibt, dann hat man im Endeffekt die Arbeit von jemand anderem übernommen und als eigene Arbeit verkauft. Ich denke, dies kann man als Diebstahl bezeichnen.
Platt ausgedrückt: Wenn man vorgibt Habermas gelesen zu haben, aber nur den entsprechenden Wikipedia Artikel gelesen hat, dann hat man sich die Arbeit gespart Habermas zu lesen und sich die vermeintlich Fachkenntnis aus dem Wikipedia Artikel geklaut. Man bekommt also den Doktor für die Arbeit von jemand anderem.

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Betrug ist nicht Diebstahl. Diebstahl setzt eine Form von Eigentum vor raus das man stehlen kann. Deine Verwendung ist eine normative Überspitzung des Eigentumbegriffs. Nachdem die Produktion automatisch zum Eigentum führt unabhängig von Quelle, Kontext und Verwendung. Außerdem ist nach der Vorstellung auch das zusammenschreiben von Zitaten in einen neuen Inhalt schon eine Form der Produktion ist.

Das war zu erwarten:

Zur Begründung für die Entziehung erklärte die Freie Universität, der Doktorgrad sei durch „Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung“ erworben worden. Es seien Texte und Literaturnachweise anderer Autorinnen und Autoren übernommen worden, ohne dass dies hinreichend gekennzeichnet worden sei.

https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2021/fup_21_109-ergebnis-pruefverfahren-franzsiska-giffey/index.html

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Hier auch ein Kommentar des Tagesspiegel-Wissensredakteurs Tilmann Warnecke dazu:

https://www.tagesspiegel.de/politik/giffey-verliert-ihren-doktortitel-diese-frau-will-eine-wissenschaftsmetropole-regieren/27276258.html

There seems to be a pattern:

https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_90655906/neue-vorwuerfe-gegen-franziska-giffey-spd-ein-flickenteppich-aus-plagiaten-.html

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