Lieber Philip, lieber Ulf,
danke für Eure sehr hörenswerten wöchentlichen Podcasts.
In LdN216 berichtet Ihr über die geplanten „Massenimpfungen“, für die mit Impfzentren nun der Weg im neuen IfSG geebnet wird. Ihr sprecht davon, dass 2021 das Jahr des sich Impfens wird, damit möglichst schnell eine hohe Durchimpfungsrate erreicht wird.
Ich schätze Euren Podcast, aber diese Darstellung erscheint mir einfach unreflektiert und simplifiziert. Das möchte ich begründen:
Die Diskussion über „Impfpflicht“ und auch über die Sinnhaftigkeit einer schnellen Druchimpfung ist aus mehreren Gründen eine ernstzunehmende.
Erstens: Zwar hat sich schon im Verlauf der Masern-Impflicht für Kinder gezeigt, dass die Einführung einer Impfpflicht als Eingriff in den Grundsatz der körperlichen Unversehrtheit rechtlich in Ordnung zu sein scheint ( Impfpflicht wäre rechtlich möglich ), jedoch sind Masern-Impfstoffe seit sehr langer Zeit etabliert und es gibt ein deutlich größeres Erfahrungswissen.
Man sollte sich ernsthaft die Frage stellen, ob eine schnelle Durchimpfung der Bevölkerung mit einem absolut neuartigen Impfstoff überhaupt sinnvoll ist, selbst wenn die kurzen Studien, die bisher nur als Preprints oder Pressemitteilungen veröffentlicht sind, erst einmal eine gute Verträglichkeit anzeigen. Es sollte vielmehr ein Abwägungsgrundsatz gelten, nach dem für einzelne Personen zu beurteilen ist, ob eine Impfung oder das Durchlaufen einer Infektion ein größeres Risiko birgt. Anders als bei der Masernimpfung können wir das für die neuartigen Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 einfach noch nicht wissen. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesärztekammer durch ihre Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zum Gesetzesentwurf die Aufnahme einer stringenten Pharmakovigilanz (Datenerhebung zur Beurteilung der Sicherheit verabreichter Impfstoffe NACH der Markteinführung) nach etablierten Verfahren im neuen Entwurf des IfSG gefordert hat. Die Einführung des Anspruches auf eine Impfung auch für Nicht-Versicherte ist ebenfalls sehr gut. Soweit ich das Gesetz verstehe, sieht es keine direkte Impflicht vor. Zu einer indirekten Impflicht habe ich ganz unten noch eine Frage. Also: Dass sich bald gefährdete Personen impfen lassen können, ist super! Heißt das, dass nun alle so schnell wie möglich geimpft werden sollten? Nein!
Zweitens: Neben den o.g. Bedenken zur Impfsicherheit, spielt es für die Gesellschaft auch eine Rolle, welches Vertrauen die Menschen in die Maßnahmen der Politik haben. Dabei ist auch wichtig, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu politischen Zwecken simplifiziert werden. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit medizinischen Hintergründen der Impfung ist für den größten Teil der Bevölkerung kaum möglich (man benötigt ein Minimum an biomedizinischem Grundwissen). Augenscheinlich könnte eine Verpflichtung zur Impfung (die ja nicht vorgesehen ist, aber für Masern de facto eingeführt wurde) anstelle einer ausgiebigen Aufklärung eine super Lösung sein. Hauptsache Herdenimmunität… Aus meiner Sicht erlaubt sich die Politik damit jedoch auch, eigene frühere Versäumnisse bei der Investition in flächendeckend gute Bildung und damit auch medizinische Grundkenntnis, einfach zu umgehen. Es ist extrem bedauernswert, dass jetzt schon viele Menschen demonstrieren, weil sie nicht glauben, dass es SARS-CoV-2 gibt oder weil sie der Regierung verschwörungstheoretisch sonst etwas unterstellen. Mein persönlicher Eindruck aus dem Bekanntenkreis ist jedoch, dass es vor allem viele Menschen gibt, die extrem verunsichert sind. Diese Menschen gehen nicht auf eine Querdenken Demo, aber fragen sich doch immer mehr, ob sie nun noch Vertrauen in das Vorgehen von Politik haben sollen oder nicht. Meiner Ansicht nach sollte die Politik darauf bedacht sein, nicht durch Diskussion einer direkten oder indirekten Impfpflicht für SARS-CoV-2 diese Menschen am Ende doch noch auf die Seite der Querdenker zu treiben. Obwohl ich Impfungen für eine der größten Errungenschaften der Medizin halte, finde ich deshalb Impfpflicht falsch und finde, dass diese den Menschen auch nicht als Szenario suggeriert werden sollte.
Allgemein betrachtet:
Ihr selbst habt im Podcast kritisch darüber gesprochen, dass die Maßnahmen des Lockdowns offenbar hauptsächlich die Wirtschaft schützen sollen. Ist der Aufruf zu einer schnellen Durchimpfung mit einem ganz neuen Impfstoff ohne Langzeiterkenntnisse nicht auch eher im Interesse der Wirtschaft als im Interesse der zu schützenden Menschen? Warum eigentlich hat die Politik nicht schon früher mehr Geld für Gesundheitsaufklärung und gleiche Bildungschancen unabhängig von sozial-ökonomischer Herkunft ausgegeben? Warum müssen eigentlich Krankenhäuser gewinnorientiert arbeiten? Warum sind denn Pflegekräfte unterbezahlt? Warum haben Altersheime hohe Belegungszahlen und warum können nicht mehr Menschen zu Hause im Alter gepflegt werden?
Statt also jetzt der Bevölkerung zu suggerieren: Wer sich nicht sofort impfen lässt, der handelt echt fahrlässig, sollte man schon offen diskutieren dürfen, dass es auch andere Wege zum Umgang mit einem solchen Infektionsgeschehen geben kann.
Meine Meinung:
Ein neuer medizinischer Wirkstoff, der einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Menschen bedeutet, sollte ausgiebig erforscht und mit großer Vorsicht, sprich langsam und gut überlegt, flächendeckend eingeführt werden. Daran ändert auch Covid-19 nichts.
Ich würde mir wünschen, dass dies auch im LdN Podcast noch etwas differenzierter betrachtet wird.
Nun noch meine oben angedeutete Frage:
Mir ist nicht ersichtlich, ob nun eine indirekte Impfpflicht (sprich: Mensch muss sich nicht impfen lassen, darf dann aber dies oder jenes nicht mehr machen) kommen wird oder nicht. Ich bin juristisch leider nicht geschult:
Aus Drucksache 19/23944 ( https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923944.pdf ) entnehme ich an mehreren Stellen Sätze, die mir als nicht juristisch geschulter Person nicht eindeutig klar sind. Z.B. auf Seite 36:
„Die Verordnungsermächtigung nach Absatz 10 Satz 1 umfasst die Möglichkeit, Einreisende im Sinne des Absatz 8 Satz 1 zu verpflichten, gegenüber den Beförderern, der zuständigen Behörde oder den in Absatz 11 genannten, mit der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden einen Nachweis über eine erfolgte Einreiseanmeldung nach Absatz 8 Satz 1 oder eine Ersatzmitteilung nach Absatz 8 Satz 3 vorzulegen
(Buchstabe a), eine Impfdokumentation hinsichtlich der in Absatz 8 Satz 1 genannten Krankheiten vorzulegen
(Buchstabe b), ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen oder Nichtvorliegen dieser übertragbaren Krankheit nach
Absatz 8 Satz 1 vorzulegen oder Auskunft darüber zu geben (Buchstabe c), ob bei ihnen Anzeichen für eine solche
Krankheit vorhanden sind (Buchstabe d)“
Frage an juristisch geschulte Personen: Bedeutet dies, dass de facto die Wahl besteht, ob man einen Impfnachweis ODER einen Nachweis über Nicht-Vorliegen der Krankheit vorzulegen hat? Demnach würde auch indirekt keine Impflicht bestehen?
Ich bedanke mich fürs Lesen und bereits vorab für Rückmeldungen.
Viele Grüße,
Chris