Ich kann mich der journalistischen Kritik nur anschließen. Ein derartiges wichtiges Thema unter der Überschrift „USA“ zu diskutieren, ist nicht nachvollziehbar. Das ist ein Thema, das in und für Deutschland eine eigenständige Bedeutung hat und dementsprechend auch Berücksichtigung finden sollte. Und warum diskutiert ihr diese Frage überhaupt, wenn ihr das Thema nicht wieder hochkochen lassen wollt? Schließlich: eine Anfrage bei Twitter (bezogen auf die Lage in Deutschland) macht noch keine hinreichende Recherche aus.
Diese journalistischen Probleme machen sich dann auch bei der weiteren Erörterung des Themas hinsichtlich der Lage in Deutschland bemerkbar. Ich möchte hier nicht die überwiegend berechtigten Kritikpunkte (Illegalität, Beratungspflicht, regelmäßig fehlende Kostenübernahme durch die Krankenkassen etc.), die bereits genannt wurden, wiederholen. Ich möchte aber auf zwei Aspekte hinweisen, die mir besonders wichtig sind: der Eine ist die historisch-rechtliche Herleitung des Themas, die hier leider zu kurz gekommen ist, der Andere die christlich-religiösen Implikationen, die leider auch keine hinreichende Rolle in Euren Ausführungen gespielt haben.
Zum historisch-rechtlichen Teil: Es gibt hier zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die leider gar nicht oder nur oberflächlich gewürdigt worden sind. Zum einen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den 70er Jahren, die ihr überhaupt gar nicht angesprochen habt, zum anderen die Entscheidung aus den 90er Jahren, die von euch kurz gestreift worden ist. Beide Urteile sind kein Ruhmesblatt des Bundesverfassungsgerichts und bedürften einer vertieften Darstellung, die hier aber unter diesem Thema (USA) offensichtlich nicht möglich war. Für einen ersten Einstieg empfehle ich das sehr lesenswerte Kapitel in Darnstädt, Verschlusssache Karlsruhe, Seite 329-374.
In meiner Leseempfehlung wird auch schon die religiös-christliche Komponente der ganzen Diskussion deutlich. Hierzu möchte ich aus einem Beitrag der GBS (Giordano Bruno Stiftung) zitieren, abrufbar unter „Es ist an der Zeit, die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch zu revidieren!“ | Giordano Bruno Stiftung
„Die religiösen Hintergründe der deutschen Gesetzgebung
Die eigentümliche Idee, bereits empfindungsfreien Zellformationen ein „Recht auf Leben“ zuzubilligen und schwangeren Frauen aufgrund dieses „Rechts“ ein „zumutbares Opfer“ abzuverlangen, beruht, so Schmidt-Salomon, auf dem Konzept der „Simultanbeseelung“, dem vermeintlichen „Eingießen des Geistes im Moment der Befruchtung“. Viele halten diese Vorstellung für „urchristlich“ – tatsächlich aber ist sie für Katholiken erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbindlich: „Viele Theologen, Bischöfe und Päpste waren zuvor von der alternativen Konzeption der ‚Sukzessivbeseelung‘ ausgegangen, wonach die ‚Seele‘ des Menschen erst am Ende des dritten Schwangerschaftsmonats voll ausgebildet ist, so dass Abtreibungen bis zu diesem Zeitpunkt religiös legitimiert werden konnten. Dann aber verkündete Papst Pius IX im Jahr 1854 das Dogma der ‚Unbefleckten Empfängnis Mariens‘. Offenkundig litt er in der Folgezeit sehr unter dem Gedanken, dass die angeblich ‚sündenfrei‘ empfangene Gottesmutter jemals ‚vernunft- und seelenlose Materie‘ gewesen sein könnte. Daher erhob Pius IX. im Jahre 1869 zu Ehren der ‚Heiligen Jungfrau Maria‘ die ‚Simultanbeseelung‘ zur verbindlichen ‚Glaubenswahrheit‘ – eine Entscheidung, über die man heute schmunzeln könnte, würde sie nicht noch immer die Gesetze des säkularen Staates bestimmen.“
Besonders absurd wirke die religiös aufgeladene Argumentation, wenn man sich vergegenwärtige, „dass etwa die Hälfte der Embryonen, die sich in der Gebärmutter einnisten, spontan wieder abgeht, was nur in knapp 20 Prozent der Fälle bemerkt wird“, meint Schmidt-Salomon: „Trotz der Häufigkeit des natürlichen Aborts und der logischen Klimmzüge, die christliche ‚Lebensschützer‘ ob dieser Tatsache eigentlich machen müssten (wäre der ‚liebe Gott‘ dann nicht der der ‚größte Abtreibungsarzt aller Zeiten‘?!), hat der deutsche Gesetzgeber den künstlichen Abort, den Schwangerschaftsabbruch, mithilfe von § 218 StGB verboten. § 218a StGB verfügt zwar, dass der Abbruch unter bestimmten Bedingungen straflos ist, das ändert aber nichts daran, dass der Staat sich auf der Basis überkommener religiöser Vorstellungen anmaßt, Frauen ins Gewissen zu reden (§219 StGB) und ihnen den freien Zugang zu relevanten Informationen zu verwehren (§219a StGB). Mit dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität ist dies unter keinen Umständen zu vereinbaren!“
Dem kann ich mich nur vollumfänglich anschließen. Auch diese religiösen Gesichtspunkte kommen in Eurem Beitrag leider zu kurz.
Zusammenfassend bin ich der Auffassung: Die bestehenden Regelungen sind Ausdruck einer misogynen, patriarchal paternalistischen Auffassung, die mit einer liberalen Gesellschaft nichts zu tun hat. Frauen werden hier kriminalisiert und entrechtet, letztlich wie Unmündige behandelt. Das darf so nicht stehen bleiben. Und last but not least zum taktischen Argument (zur Theologin Kathrin Göring-Eckhardt habe ich da nur geringes Vertrauen): Die Feinde einer liberalen Regelung werden nicht auf uns warten. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.