Die These
„Übernahme extremistischer Positionen durch demokratische Parteien hilft nur den Extremen“
mag politikwissenschaftlich immer wieder nachgewiesen sein, birgt aber ein schwieriges Dilemma:
Was, wenn die demokratischen Parteien ein Thema, dass der Bevölkerung sehr auf der Seele brennt, über Jahre ignorieren und die Rechtsextremen besetzen dieses. Haben sich dann die demokratischen Parteien der Möglichkeit beraubt, das Thema endlich zu lösen, weil diese dann nur die Extremen stärken würde?
Konkret, ob wir das mögen oder nicht: Etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sprechen sich dafür aus, die Aufnahme von Menschen aus stark kulturfremden Herkunftsländern (beziehungsweise insgesamt die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer) zu reduzieren.
Das Statistische Bundesamt und Statista bestätigen, dass ein Großteil der deutschen Wahlberechtigten die Kontrolle über die Einwanderung und die Frage, wer nach Deutschland kommt, als mangelhaft ansehen: Rund 85 Prozent sehen hier Defizite, wobei diese Zahl nicht direkt die Akzeptanz für Begrenzungen, sondern die Unzufriedenheit mit der Steuerung widerspiegelt:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1553239/umfrage/umfrage-zu-kontrolle-der-zuwanderung/
Diese Haltung hat sich insbesondere seit der gestiegenen Migration 2015/16 als stabil erwiesen und basiert vor allem auf der Sorge um ausreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Integrationskapazitäten - nicht primär auf grundsätzlicher Ablehnung von Migrant*innen als Menschen:
Daher kann man wahrscheinlich den Wunsch nach Reduktion der Migration einschränken „zumindest vorübergehend, bis die Integration gelingen kann“.
Dennoch bleibt parallel eine stabile Mehrheit offen für Migranten und sieht Zuwanderung durchaus als Chance, insbesondere für den Arbeitsmarkt und die Internationalisierung des Landes. Laut Befragungen lehnt nur eine kleinere Minderheit die Zuwanderung kategorisch ab.
Leider hat die Politik seit der Merkel-Regierung - also alle demokratischen Parteien - dies ignoriert (wie bei so vielen anderen Themen auch: Rente, Wohnen, Klima, Pflege, Krankenversicherung, Psychotherapie, Digitalisierung, Vermögensverteilung, Lobyismus, u.v.m.). Weder hat sie für ausreichende Bereitschaft, Kapazitäten und Fähigkeit zur Integration gesorgt. Noch hat sie die Menschen, die nach geltendem Recht kein Anspruch auf Einwanderung haben, von der Einwanderung abgehalten oder wieder ausgewiesen. Erst die Ampel-Regierung hat mit letzterem begonnen begonnen (oder die Zahlen sinken aus anderem Grund? das ist mir noch nicht ganz klar).
Die AfD hat das Thema Migration von Anfang an sehr erfolgreich besetzt - weil es aufgrund des Phänomens Xenophobie so einfach zu bespielen ist. Dabei ist es erst einmal egal, dass sie dabei gelogen hat, dass sich die Balken gebogen haben und selbst keine hilfreichen Lösungen anzubieten haben.
Politikwissenschaftlich gute beratene demokratische Parteien stehen nun vor dem Dilemma: Wenn sie dem Wunsch der großen Mehrheit der Bevölkerung endlich folgen, stärken sie die AfD - wie man ja aktuell gut beobachten kann. Das finde ich plausibel: „Siehst’e, die AfD wirkt.“ und vielleicht auch „Selbst wenn ich die gar nicht in der Regierung sehen möchte: Sie treibt die Regierung vor sich her“ (meine Hoffnung, dass nicht alle AfD-Wähler Rechtsextreme sind, stirbt zuletzt).
Eine Lösung aus diesem Dilemma wäre vielleicht:
- Die Integrationsfähigkeit der Bevölkerung, der Kommunen und der Wirtschaft ganz massiv zu stärken (was alles andere als einfach ist!) und,
- erst wenn das sichtbar massiv begonnen hat, die Zuwanderung zu begrenzen, bis es erreicht wurde - und zwar, ohne das große „an die Glocke zu hängen“
- Parallel massiv für Zuwanderung zu werben, weil hierzulande der Arbeitskräftemangel Wirtschafts- und Wohlstandshemmnis Nr. 1 ist.
- Parallel massive Maßnahmen ergreifen gegen Zuwanderer, die sich der Integration verweigern oder Haltungen und Werte aufrecht erhalten, die im Widerspruch zu unseren Werte stehen (z.B. im Hinblick auf Gleichberechtigung / Geschlechterrollen und Religionsfreiheit), und mit einer entsprechenden Gewaltbereitschaft kombinieren?