LdN 420 | Alternative Erklärung der Erfolge der AfD

Tatsächlich habe ich gestern mit befreundeten Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen, die die AfD WEGEN ihrer Wirtschaftspolitik gewählt haben.
Der Staat soll sich raushalten, Trickle Down Kapitalismus, Reiche sollen bitte gar keine Steuern zahlen, Deutschland ist durch seine Reglementierung zur Unproduktivität verdammt, der Mindestlohn ein Riesenfehler, Sozialhilfe ist Diebstahl an arbeitenden Bürgern, Elon Musk als Vorbild, etc.
„Und nicht wegen der Migrationspolitik, weil wir keine Nazis sind, aber wir mögen die Nazikeule ja ohnehin nicht.“

Ich habe auch mit denen zivilisiert diskutiert, das sind privat ganz tolle Menschen, aber da trennen einen politisch wirklich Kontinente.

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Ja, da kommt dann die universelle Verbreitung dieser neoliberalen Ideologie zum Tragen. Wir haben uns das alle gegenseitig so lange so oft mit so viel Überzeugung erzählt, dass das bei vielen (allen?) ganz tief verankert ist.

Ich glaube aber auch, dass das reversibel ist - und, dass das auch nicht so viele Menschen so tief glauben wie die von dir hier angeführten Beispiele. Wir sehen ja in Umfragen immer wieder, das ganz klassische linke Positionen - Mindestlohn, Vermögenssteuer, höhere Steuern für Reiche etc. - große Mehrheiten haben. Das Potenzial ist also eindeutig da.

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Wohltuender (weil kein blinder) Optimismus! Danke!

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Sorry, aber da habe ich immer so meine Zweifel. Wer ein solch asoziales Weltbild vertritt kann eigentlich kein „toller“ Mensch sein. Es gab auch keine netten Nazis, vielleicht gab es opportunistische Mitläufer, aber toll ist das nie.

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Nach den 2017er Wahlen druckte die ZEIT ein langes Interview mit einem PEGIDA-Veteranen. Christian Bangel und Martin Machowecz unterhielten sich mit Lars-Detlef Kluger, Jahrgang 1970, Schulleiter aus Dresden, der PEGIDA anfangs unterstützt hatte. Hier der Link:

„Es haben nicht nur Verlierer AfD gewählt!“

Kluger hat für seine alten Mitstreiter keine guten Worte:

Da standen auch Vollidioten auf der Bühne.

Man hört heraus, dass er damit Lutz Bachmann meint. Über Bernd Höcke sagt er:

Es ist unerhört, wenn Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal als eine Schande bezeichnet. Das Mahnmal ist keine Schande, sondern ein angemessener Umgang mit unserer Geschichte, auf den ich stolz bin.

Kluger ist offensichtlich kein Nazi. Aber es klingt durch, dass er AfD gewählt hat. Warum? Viele Gründe, das Interview ist lang. Da ist zum einen das, was er die „Erosion des Rechtsstaats“ nennt. Damit meint er nicht nur die Flüchtlingskrise von 2016, sondern er will die Staatsgewalt auch ganz konkret im Alltag erleben:

An jeder Bahnhaltestelle steht: „Danke, dass Sie hier nicht rauchen.“ Und vor dem Schild? Ein Meer an Kippen! Es müsste nur ab und zu jemand vorbeikommen und sagen: Du zahlst jetzt 50 Euro. Das würde sich rumsprechen. Wir bräuchten jeden Tag jemanden an mindestens einer Haltestelle, der abkassiert.

Er beklagt „das Messen mit zweierlei Maß in fast jeder politischen Frage“ und gibt als Beispiel das grüne Vorzeigeprojekt, den Kampf gegen die Kernenergie an:

Stellen Sie sich vor, man hätte Pegida so viel Verständnis entgegengebracht wie früher der Anti-Atomkraft-Bewegung. Letztere hat Gleise unterhöhlt, Schienen blockiert, Polizisten verprügelt – um eine aus ihrer Sicht falsche Politik zu verändern. Und diese Anti-Atomkraft-Bewegung hat man mit unendlicher Toleranz behandelt.

Das ist kontrafaktisch, die Polizei hat PEGIDA mit Samthandschuhen angefasst, und die „unendliche Toleranz“ sah in Grohnde und Brokdorf so aus:

Schlacht um Grohnde

Aber seine gefühlte Wahrheit ist halt so.

In seiner Welt gibt es Uns, und es gibt Die Anderen. Wer Wir sind und wer Die, das kann sich da von Thema zu Thema ändern. Aber immer gilt: Wir halten uns an Regeln, wir kämpfen für Freiheit und Rechtsstaat. Die hingegen halten sich an kein Gesetz. Die sind Politiker, die im Leben nur „Kreißsaal, Hörsaal und Plenarsaal“ gesehen haben, Die sind die „40 Drogendealer, die sich […] am Hauptbahnhof mit der Polizei geprügelt hatten, kurz festgesetzt wurden und am Abend wieder frei waren“. Die sind rot-grüne Journalisten, von denen „linke Entwicklungen beklatscht […] und konservative Entwicklungen kritisiert“ werden. Die sind „Stadtviertel mit Mehrheitsverhältnissen, bei denen Integration nicht stattfinden kann“

Rassismus? Eher Tribalismus. Die Sehnsucht, einem Stamm anzugehören. Deutsche, oder Sachsen, oder Dynamo-Dresden-Fans, Wir halt. Das Verlangen, der eigene Stamm möge stärker sein als Die Anderen. Die unendliche Kränkung, wenn eins dieser Bedürfnisse nicht erfüllt ist.

Das Interview ist zwar schon acht Jahre alt, aber immer noch aktuell.

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Danke dir für den Beitrag! Und ja, mir sind solche Interviews und Einsichten von AfD-Wählenden oder Sympathisanten auch bekannt.

Ich halte sie allerdings für überhaupt nicht aussagekräftig, und zwar ganz einfach deshalb, weil der Mensch grundsätzlich nicht besonders gut darin ist, sein eigenes Handeln und die Gründe dafür zu verstehen. Wenn das aber die Prämisse ist, dann kann ich durch ein Gespräch mit diesen Menschen, auch wenn sie ehrlich antworten, überhaupt gar nichts lernen, weil sie mir ja nichts über sich sagen können, was ihnen selbst verborgen ist. Oder anders: was steht denn hinter dem Tribalismus, warum ist der da?

Mit Sicherheit gibt es einen Haufen Rassismus und Tribalismus in dieser Klientel, das streite ich auch nicht ab - ich halte es nur nicht für ursächlich für das Wahlverhalten (schließlich gab es das vor 50 Jahren auch schon). Aber gerade Tribalismus ist meiner Auffassung nach eben eine Reaktion auf die von mir beschriebenen Ursachen (Alleingelassen mit permanenter Veränderung, Ungleichheit, keine demokratie-interne Systemkritik), denn Tribalismus ist ja z.B. ein astreiner Gegenpol für das „jeder für sich“-Credo, den Mangel an Gemeinschaft und Gemeinsamkeit, das ich als einen wichtigen Punkt bei der Überforderung mit den Disruptionsprozessen benenne.

@Flixbus hat mir in einer PM diese wunderbare Studie hier geschickt: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ajps.12865

Dort sieht man sehr gut einen Teilaspekt von dem, was ich hier beschreibe.

Und eine Anmerkung zu Höcke & Co: erstens gibt es natürlich definitiv auch einfach astreine Nazis dort, insbesondere unter den Funktionären der Partei. Und zweitens bezieht sich meine Analyse hier explizit nicht auf die Parteimitglieder und -vertreter*innen, sondern die Wählenden. Und auch dort selbstverständlich nicht alle, aber viele. Und ich entschuldige hier auch nicht die Folgen, die dieses Wahlverhalten erzeugen kann.

Ich versuche lediglich lösungsorientiert zu beschreiben, was meiner Einschätzung nach ursächlich ist und durch Rassismus und Migrationsfeindlichleit an vielen Stellen nur verdeckt wird, damit man politische Gegenmittel finden kann.

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Nur was soll man tun mit Menschen, die gegen ihre eigenen Interessen die AFD wählen? Sie wollen den „schlanken“ Staat. Was nur weiterhin bedeutet, dass sie mit ihren lokalen Problemen allein gelassen werden. Worauf sie dann wieder auf den „scheiß Staat“ schimpfen, circle complete.
menschen, die der Arbeiterklasse angehören und denen es durch die Krisen immer nur noch schlechter geht. Die dann aber eine Partei wählen, die den reichsten Menschen am meisten geben will. Die an „Trickle Down“ glauben, was historisch und wirtschaftspolitisch widerlegt ist. Denen also mit Argumenten nicht beizukommen ist.

Ich sehe keine Lösung.

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Ich verstehe deinen Frust und deinen Ärger, aber für mich ist das keine Option.

Wir können uns über das Wahlverhalten (berechtigt) aufregen, das tue ich auch regelmäßig, aber das bringt uns eben nicht weiter.

Auch teile ich deine Einschätzung nicht, dass die Leute den „schlanken Staat“ wollen. Sie wollen etwas von dem sie glauben, dass der „schlanke Staat“ ihnen das gibt. Das tut er nicht, und das wissen sie nicht.

Aber: Jede und jeder muss seinen und ihren persönlichen Umgang mit diesen politischen Realitäten finden. Meiner ist es, analytisch und lösungsorientiert zu sein. Aber es ist genauso in Ordnung, das nicht zu tun.

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Das möchte man so glauben, wenn man sich nicht aus der Blase rauswagt. Aber nicht jeder, der rechts wählt, ist privat ein Monster. Das sind in migrantische Communities eingebundene POC, die nicht ungebildet sind und privat sehr offen und auch sozial engagiert. Ich hätte nie gedacht, dass die die AfD wählen.
Die wissen auch, dass ich anders denke, aber die suchen mit mir den Austausch, weil sie wissen, dass ich die deshalb nicht aufhören werde zu grüßen.
Auch, wenn ich den Gedanken dahinter verstehen kann, aber das ist nicht so und das kann auch gar nicht so sein, denn dann wäre jetzt jeder 5. Wahlberechtigte ein Monster. Dieses Denken ist ehrlich gesagt weltfremd.
Und es ist genau dieser Fehlschluss, der diese Menschen von der Linken so wegtreibt. Dieser Zeigefinger, der sagt: wenn du nicht wie wir denkst, bist du ein schlechter Mensch. Das kann nicht grundsätzlich stimmen und das ist auch nicht hilfreich. Ich bin wirklich keine Apologetin rechter Politik, aber ich glaube dran, dass uns Dialog zumindest im privaten Rahmen sehr viel weiter bringt als weitere Blasenzementierung. Ich muss nicht jemandes Überzeugungen übernehmen, aber ich kann ihm zuhören, seine Gedanken nachvollziehen und ihm meine anbieten, ihm sagen, warum ich das alles total anders sehe als sie - und zwar ruhig. Davon lernen dann alle irgendwas, und wenn es nur ist, dass auf der anderen Seite auch nur Menschen stehen. Ich empfehle Ihnen das. Unsere Gesellschaft spaltet sich nur weiter, wenn wir einander die Menschlichkeit aufgrund unserer Meinungen absprechen.

Gerade bei diesen Leuten speziell sehe ich einen negativen Einfluss durch den Medienkonsum (Tiktok und Fake News - das eigentliche Problem aus meiner Sicht!), eine kulturelle Komponente (Risikofreude, Staatsferne) sowie die sozialräumliche Lebenserfahrung, dass man ehrgeizig und hart zu sich selbst sein muss, um weiter zu kommen, weil man es selbst nicht leicht hatte, und damit verbunden eine (für uns paradox anmutende) Ablehnung gegenüber einem Leben „von Staatskohle“. Und von diesen Menschen gibt es in Deutschland ganz viele, nicht nur, aber auch in migrantischen Communities!
Ich sehe daher das Potential der AfD bei weitaus mehr als 20%, auch wenn mich das gruselt. Aber es zu wissen, und die Gründe zu kennen, das finde ich wichtig.

Den Impuls zu sagen: die sind alle schlimm, die sind alle doof, die darf es nicht geben… Das verstehe ich. Das bringt uns aber nichts.

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Mit Verlaub, aber ohne sozialwissenschaftliche Grundlage geht es nicht.

Was sagen denn Studien darüber, was AfD-Wählende wollen?

Ihr könnt euch doch nicht einfach deren angebliche latente Motive zurechtbacken.

Autoritäre und gruppenbezogen menschenfeindliche Charaktere wollen nicht insgeheim Klassenkampf. Dafür gibt es keinen Beleg. Die wollen auch keinen starken inklusiven Sozialstaat.

Sie haben vielleicht eine Sehnsucht nach Gemeinschaft. Der Mensch ist eben grundsätzlich ein soziales Wesen. Aber deren Vorstellungen von Gemeinschaft sind eben nachweislich völkisch.

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Kannst du bitte konkret benennen, in welchem Beitrag genau du welche sozialwissenschaftlichen Grundlagen vermisst, bevor du lospolterst?

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Die meisten Dinge sind „sowohl als auch“, nicht „entweder oder“. Und Sozialwissenschaftliche Forschung die einige meiner Punkte stützt hatte ich sogar verlinkt, hier gern noch einmal: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ajps.12865

Weiter gehe ich darauf jetzt nicht ein.

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Habe ich etwas überlesen?

Auf welche sozialwissenschaftlichen Studien wird denn hier im Thread verwiesen?

Da ich ein Freund der Wissenschaft bin, finde ich es schon wichtig, Behauptungen auch wissenschaftlich untermauert zu sehen.

Ja, den von @JakobH geposteten Link von @Flixbus hast du wohl übersehen, Freund der Wissenschaft :slight_smile:
(So wie ich heute auch das eine oder andere übersehen habe …)

Allerdings finde ich, dass sich die Beiträge schon an sich durchaus niveauvoll und fundiert lesen.

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Für mich klingt die pauschale Rede von „die“ und „denen“ jetzt ehrlich gesagt nicht besonders wissenschaftlich. Wo ist denn zb der Nachweis, dass sämtliche 10,5 Millionen AfD-Wähler ein völkisches Verständnis von Gemeinschaft haben und dass niemand von denen materielle Interessen hat, die ein besser funktionierender Sozialstaat zumindest teilweise bedienen könnte?

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Apropos untermauern: Hier findest du unser Regelwerk, @Broesel :

Davon abgesehen erleichtert es prinzipiell die Kommunikation, wenn du konkret sagst, auf welchen Beitrag du dich jeweils beziehst.

Sorry, hatte ich im weiteren Threadverlauf übersehen. Mea culpa.

Auf der Grundlage kann man ja diskutieren, was diese Studie nun belegt bzw. welche Hypothesen sie nicht oder nicht hinreichend belegt.

Soweit ich das jetzt im Schnelldurchlauf überblicke, ist das eine solide Studie, die zumindest zeigt, dass Austeritätspolitik ökonomisch Vulnerable anfälliger fürs Wählen von (überwiegend) rechten Populisten macht.

Mir scheint allerdings, es spielen da auch noch andere Faktoren eine Rolle.

Dazu verweise ich mal auf folgende Aufbereitung mit einer ganzen Reihe weiterer Studien:

(Achtung: Paywall! Leider!)

Aber warum wählen die dann nicht FDP? Wenn ich so eine Wirtschaftspolitik will, aber nicht mit Nazis in einen Topf geworfen werden möchte, dann gibt es doch mit CDU und FDP Alternativen.

2020 ergab eine Befragung, dass 94 % der AfD-Wählenden manifest oder latent fremdenfeindlich eingestellt waren.

  1. „manifest oder latent fremdenfeindlich“ umfasst sehr viel mehr als „eine völkische Vorstellung von Gemeinschaft“.
  2. 2025 dürften locker mehr als doppelt so viele Menschen AfD gewählt haben als 2020.
  3. Selbst 94 Prozent sind nicht „die“ (aka alle).

Sorry, aber ich finde es einfach keine konstruktive Form der Diskussion, den Positionen anderer User ohne jegliche Begründung jegliche sozialwissenschaftliche Grundlage abzusprechen - obwohl diese geliefert wurde -, dann selber etwas zu behaupten ohne es zu begründen und es einfach als „nachgewiesene“ Tatsache zu deklarieren und darauf zu pochen, dass Argumente „wissenschaftlich untermauert“ sein müssen - dann aber nicht einmal auf Nachfrage in der Lage zu sein, diesen Nachweis auch zu erbringen.

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