Tatsächlich ist man als fachlicher Laie heutzutage bei praktisch keiner politischen Frage noch in der Lage, einen Sachverhalt noch „intuitiv“ zu verstehen. Auch wenn man sich das selbst (oder andere) vielleicht anders einredet. Entweder man macht sich schlau, oder man folgt einfach irgendwelchen Narrativen, die wenn man Glück hat einigermaßen stimmen.
Das heißt nicht, dass man als normaler Mensch die meisten politischen Problemstellungen nicht verstehen kann. Mit ein wenig Interesse sind zumindest die wesentlichen Punkte auch sehr komplexer politischer Fragen durchaus verständlich, aber man muss sich im Zweifel selbst um den Erkenntnisgewinn kümmern.
Aktuell (seit Januar 2014) gilt Dublin III. Und unter dieser Verordnung ist eben nicht immer der Staat zuständig, durch den jemand zuerst in die EU eingereist ist. Unbegleitete Minderjährige werden etwa immer dem Staat zugewiesen, in dem sich schon Familienangehörige aufhalten. Und Erwachsene können auf Wunsch einem Staat zugewiesen werden, in dem ein enger Angehöriger schon einen Schutzstatus oder ein Aufenthaltsrecht erlangt hat. In der Praxis ist aber in den meisten Fällen tatsächlich jener Staat zuständig durch den ein Antragsteller zuerst in die EU eingereist ist.
Außerdem können Geflüchtete gegen die Überstellung in ein anderes Land klagen, wenn ihnen dort Rechtsverletzungen drohen. Zum Beispiel wegen unhaltbarer Zustände in italienischen Auffanglagern.
Aus diesen Gründen muss ein Antrag auch erstmal in Deutschland geprüft werden, ein generelles Abweisen an einer innereuropäischen Grenze ist unter EU-Recht nicht zulässig.
Dublin III hat auch unter Merkel weiter gegolten, denn die Regierung Merkel hat sich – ganz offiziell und rechtmäßig – dazu entschieden, bei Syrern ab 2015 die Selbsteintrittsklausel auszuüben. Die erlaubt es einem Staat trotz fehlender Zuständigkeit das Asylverfahren an sich zu ziehen, wenn der Antragsteller sich schon im Land befindet. Ob das so sinnvoll war, darüber wird ja immer noch gestritten, im Widerspruch zu der Dublin-Verordnung steht es aber in keinem Fall.
Inzwischen wird diese generelle Anwendung der Selbsteintrittsklausel vermutlich nicht mehr durchgeführt. In vielen Fällen stellt Deutschland also ein Übernahmeersuchen an einen anderen Dublin-III-Staat. Im Jahr 2023 waren es zum Beispiel insgesamt knapp 75.000. Knapp 3/4 dieser Überannahmeersuche werden von dem anderen Staat dann auch offiziell akzeptiert. Auch hieraus ergibt sich also kein grundsätzliches „Scheitern“ von Dublin III.
Das Problem (wenn man es denn als solches betrachtet) liegt vielmehr auf deutscher Seite: im Jahr 2023 wurden nur gut 5.000 Antragsteller an andere Staaten überstellt, obwohl dies in mehr als 55.000 Fällen möglich gewesen wäre. Woran das liegt, ist unklar, aber ein Faktor dürfte der dafür nötige erhebliche Aufwand sein.
Erfolgt die Überstellung nicht innerhalb von 6 Monaten nach Zustimmung des anderen Staats, fällt die Zuständigkeit für den Fall automatisch und dauerhaft nach Deutschland.
Die Überforderung ist aber zu einem großen Teil politisch gewollt. Beispielsweise könnte Deutschland einfach bei erheblich mehr Geflüchteten die Selbsteintrittsklausel ausüben und damit das Verfahren deutlich verkürzen. Oder es könnte großzügiger in der Prüfung der Fälle sein und so viel Verfahrenszeit und auch die bei Ablehnung folgenden Klagen gegen diese Entscheidungen minimieren. Die Bürokratie ist aber zur Abschottung konstruiert worden und verwendet darum enorme Ressourcen auf die maximale Erreichung dieses Ziels.