LdN 395: Migration: Kann Deutschland Geflüchtete an seinen Grenzen zurückweisen

Danke für diese wieder einmal sehr gute Lage-Foge.
Beim Hören zum Thema „Abweisen an der Grenze“ kam mir en Gedanke:

Ist nicht eigentlich das Thema „solidarische Verteilung von Geflüchteten in der EU“ der große, unbenannte Elefant im Raum? Warum richtet sich der öffentliche Unmut nicht gegen die Länder, die sich der Solidarität verweigern (bspw. Ungarn?) Statista - abs. Zahlen

Zitat der bpd:
„Mit 334.000 entfielen nach EUAA-Angaben 29 Prozent der Asylanträge auf Deutschland. Mehr als zwei Drittel der Anträge wurden in lediglich vier EU-Staaten gestellt – neben der Bundesrepublik waren dies Spanien, Frankreich und Italien. Die Erstaufnahme von Geflüchteten, die Europa über das Mittelmeer erreichen, konzentrierte sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem auf die südeuropäischen Länder – weswegen fortwährend Forderungen nach einer gerechten Lastenteilung laut wurden.“ bpb - Infos zu GEAS

Weil die Menschen, die sich über Geflüchtete echauffieren, hier am liebsten das Gleiche machen würden wie Ungarn.

Eine gerechte Verteilung würde auch nicht wahnsinnig viel ändern. Deutschland ist eben das größte Land in der EU und würde deshalb auch dabei am meisten Leute aufnehmen. Du schreibst, dass 29% der Asylanträge in Deutschland gestellt werden - aber das BIP von Deutschland liegt eben auch bei 24,4% des BIP der gesamten EU.

1 „Gefällt mir“

Beim Hören der Folge habe ich mir eine Frage gestellt, und hoffe, dass die nicht zu naiv ist: Wenn sowohl die Frage der Grenzschließungen (Schengen) als auch die der Zurückweisung (Dublin bzw. Genfer Flüchtlingskonvention) auf internationalen Regeln basieren, wieso ist es dann anderen EU-Staaten möglich, beides zu machen? Oder habe ich nur fälschlicherweise den Eindruck, dass andere EU-Staaten das machen? Konkret kann ich mich nur an (zeitlich befristete) Grenzkontrollen etwa in Dänemark oder Schweden erinnern.
Hier fände ich es gut, mal zu erfahren, wie andere Länder das praktisch umsetzen.

5 „Gefällt mir“

Ja, dieser Eindruck täuscht.

2 „Gefällt mir“

Die Zahlen der Flüchtlinge lassen sich besser vergleichen wenn man die relativen Zahlen verwendet.
Hier z.B. vom Dezember 2023 bezogen auf 1.000 Einwohner:

Möge jeder seine Analyse aus den Zahlen ziehen, aber sagen wir es so:
Solidarische Verteilung der Geflüchteten sieht anders aus!

Ich denke der Knackpunkt ist hier die mangelhafte Umsetzung des Dublin-Verfahren.
Die Verfahren dauern gerade in Deutschland zu lange bzw. ist die Abstimmung mit den anderen EU-Ländern viel zu aufwendig.
Hier müsste Deutschland auf EU-Ebene Reformen anstoßen, wenn man wirklich etwas innerhalb Europas bei der Verteilung der Asylsuchenden verändern will.
Natürlich könnte man auch national noch härtere Maßnahmen festlegen bezogen auf Flüchtlinge.
Hier wäre vermutlich die Festsetzung der Personen bis zur Überstellung an das zuständige Land eine theoretische Möglichkeit.
Ob dies rechtlich, aber vor allem menschlich vertretbar ist… stark zu bezweifeln.

2 „Gefällt mir“

Verstehe ich euch da grad falsch? Es ist doch ein Fakt, dass an den Außengrenzen der EU (illegale?) Pushbacks stattfinden (zB erst kürzlich wieder in Zypern, aufgedeckt durch Human Rights Watch). Genauso ist es bekannt, dass zB Dänemark entgegen der eigentlichen EU-Regeln Grenzkontrollen durchführt.
Wieso täuscht dieser Eindruck?


Die Verwicklung in Pushbacks einzelner Mitgliedsstaaten hatte Frontex in eine tiefe Krise gestürzt. Der langjährige Direktor Fabrice Leggeri trat wegen der Vorwürfe 2022 von seinem Amt zurück. […] Wie die Recherche jetzt aber zeigt, gab es zuletzt [in 2024] mindestens zwei Vorfälle, bei denen Migranten offenbar zurück in türkische Gewässer geschickt wurden. […] Frontex leitete zu beiden Vorfällen sogenannte Serious Incident Reports in die Wege. - EU-Grenzschutzagentur - Neuer Ärger für Frontex | tagesschau.de

Das belegt ein aktueller Bericht von Human Rights Watch (HRW) mit dem Titel »Ich kann weder nach Hause gehen noch hier bleiben noch weggehen«. Demnach hindert das libanesische Militär in Zusammenarbeit mit zypriotischen Behörden die Menschen systematisch daran, Europa zu erreichen. Unter Missachtung internationaler Schutzstandards werden sie stattdessen nach Syrien abgeschoben. - Pushbacks aus Zypern: Neue Beweise für Kettenabschiebungen nach Syrien | nd-aktuell.de

3 „Gefällt mir“

Ich weiß es tatsächlich nicht, deshalb ja meine Frage. Mein Eindruck - ohne irgendwie besondere Ahnung vom Thema zu haben, also nur vom Medienkonsum und aus anekdotischer Evidenz - ist aber zumindest, dass andere EU-Staaten zumindest immer mal wieder zeitweise Grenzkontrollen durchführen (de facto natürlich nur stichprobenartig, also z. B. je nach Autokennzeichen oder Racial Profiling) und dass es Länder gibt, die sich eindeutig nicht an die Dublin-Verordnung oder an das Refoulement-Verbot halten und z. B. Pushbacks durchführen - ohne dass mir irgendwelche nennenswerten Sanktionen dafür bekannt sind. Genau deshalb fände ich es wichtig, mal genauer darauf einzugehen, wie es in der Praxis in anderen Ländern aussieht.

5 „Gefällt mir“

Die Äußerungen im Interview mit dem Rechtsreferendar, dass an den Binnengrenzen grundsätzlich keine Grenzkontrollen stattfinden dürfen, war für mich etwas missverständlich: gemäß Art 23 Schengener Grenzkodex SGK dürfen selbstverständlich auch im Grenzgebiet polizeiliche (Grenz-)Kontrollen durchgeführt werden. Diese Kontrollen finden auch statt. Sie dürfen nur nicht systematisch den Charakter von Grenzkontrollen haben, vgl auch Art. 23 Buchst. a) iii SGK, § 2 Abs.2 Nr. 3 BPolG.

Ja, das ist ein guter Punkt.
Auch das was aktuell in Niederlanden beschlossen wird (Einschränkungen bei der Migration nach Niederlande), kann ich mir von der aktuellen Regierung nicht vorstellen.
Aber die Niederlande ist auch in der EU und ist auch ein Rechtsstaat.

Ich glaube hier trifft das zu, was auch bei anderen EU-Regelungen zu beobachten ist: Deutschland setzt EU-Regelungen immer 180% -tig um und will immer Klassenbester sein. Andere Länder sind da entspannter und mach nur das umbedingt notwendige und stellen ihre nationalen Interessen nach vorne.

Wenn ein wirklicher politischer Wille vorhanden ist, dann kann man auch innerhalb der aktuellen EU-Regeln / Gesetze viel machen.

4 „Gefällt mir“

Sollte denn die Zahl der Einwohner oder nicht eher die Wirtschaftsleistung als Bezugsgröße verwendet werden? Die Aufnahme von Geflüchtete ist ja in erster Linie eine finanzielle Herausforderung. Zahlenmäßig fallen zum Beispiel die zuletzt unter 25.000 im Monat gestellten Asylanträge bei einer Bevölkerung von mehr als 82 Millionen Bewohnern nicht besonders auf.

Aber eben nicht an der Grenze. Und wenn man sie nur im „Grenzgebiet“ durchführt, dann sind die Leute per Definition schon eingereist. Mit allen Ansprüchen auf die Prüfung von Asylanträgen.

Das solltest du vielleicht mal der FDP und CSU klar machen ;-). Ich sage nur „Ausländermaut“.

1 „Gefällt mir“

Ach ja?

1 „Gefällt mir“

Das halte ich ehrlich gesagt für einen Mythos.

1 „Gefällt mir“

Die Wirtschaftsleistung ist definitv auch eine wichtige Kenngröße bei diesem Vergleich.
Also dann mal verglichen rein bezogen aufs BIP (2023 / EU Top 5):

Deutschland: 4.121 Mrd €
Frankreich: 2.803 Mrd €
Italien: 2.085 Mrd €
Spanien: 1.462 Mrd €
Niederlande: 1.032 Mrd €

[1]

Asylbewerber im Jahr 2023 in diesen Ländern:

Deutschland: 329.035
Frankreich: 145.095
Italien: 130.565
Spanien: 160.460
Niederlande: 38.320

[2]

Setzt man das ganze wieder in Relation, kommt man auf folgende Ergebnisse, zugegeben in einer seltsamen Einheit (Asylbewerber / BIP in Mrd €):

Deutschland: 80 → (73% bezogen auf Spanien)
Frankreich: 52 → (47%)
Italien: 63 → (57%)
Spanien: 110 → (Vergleichsgröße / höchster Wert)
Niederlande: 37 → (34%)

Sprich: Rein aufs BIP bezogen war Spanien 2023 deutlich am meisten belastet unter den wirtschaftlich stärksten Ländern der EU.

Allerdings ist dieser Vergleich (rein bezogen auf das BIP der Länder) meiner Meinung nach etwas unterkomplex.
Denn es wird nicht berücksichtigt, wie viele Kosten denn tatsächlich für das aufnehmende Land entstehen.

Hierfür müsste man noch die jeweiligen Leistungen für die Asylbewerber hinzuziehen und wie lange jeweils die Verfahrensdauer in den Ländern ist (Stichwort abgelehnte Asylbewerber).

Ebenfalls die Anerkennsungsquote der jeweiligen Länder bzw. wie viele Asylbewerber auch tatsächlich in den Ländern bleiben dürfen.

Zu den Leistungen habe ich etwas beim MDR gefunden [3]:

Aber bevor dieser Post hier noch länger wird, will ich an dieser Stelle festhalten:

Um die Belastung bzw. die Verteilung der Asylbewerber innerhalb der EU zu vergleichen gibt es sicherlich verschiedene zulässige Methoden.

Ob es die eine richtige gibt, bezweifle ich, es kommt halt immer darauf an welche Aspekte man betrachten möchte.

Quellen:
[1] EU – BIP in Europa 2023 | Statista
[2] EU - Asylbewerber in den EU-Ländern | Statista
[3] Asyl-Leistungen in Deutschland: Wie attraktiv sind sie im Vergleich zu anderen EU-Ländern? | MDR.DE

2 „Gefällt mir“

Warum? Welche Leistungen für Asylbewerber erbracht werden, die Verfahrenslänge und Anerkennungsquote unterliegt doch dem Einfluss der einzelnen Länder und ist zumindest bei den Leistungen wiederum meist nur eine Funktion der wirtschaftlichen Stärke und dem allgemeinen Sozialstaat. So schreibt Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention vor: „Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren.“

Entsprechend macht es für meine Begriffe am meisten Sinn, allen EU-Staaten Geflüchtete im Verhältnis ihrer Wirtschaftskraft zuzuweisen. Staaten, die gemessen an dieser Vorgabe nicht genug Geflüchtete aufnehmen, müssen die anderen Staaten dafür finanziell ausgleichen. Und zwar in Höhe der Kosten, die der Staat durchschnittlich tatsächlich für einen Geflüchteten an direkten Leistungen und Kosten aufbringt. Wenn also Ungarn einen zugewiesenen Geflüchteten nicht aufnimmt und dieser stattdessen in Deutschland landet, muss Ungarn die Kosten des deutschen Staats übernehmen. Ich nehme an, dass würde die mangelnde Motivation mancher Länder schnell beseitigen.

Genau aus dem Grund würden aber wohl viele EU-Regierungen dem nicht zustimmen. Für eine solche Einigung müsste also unter anderem Deutschland wohl mehr leisten als andere, also indem wir mehr Geflüchtete aufnehmen, als unter strikt proportionaler Aufteilung gemessen an der Wirtschaftskraft nötig wäre. Womit wir praktisch wieder beim Status Quo wären.

Entsprechend können wir auch einfach aufhören zu maulen, in ordentliche Integration investieren und uns darüber freuen, dass wir offensichtlich ein Land haben in dem recht viele Menschen leben wollen.

1 „Gefällt mir“

Hallo,
ich möchte einmal ein paar Punkte aus der Folge aufgreifen, die meines erachtens nicht gut beleuchtet worden sind.

  1. Ich bin kein Jurist und bin ganz ehrlich, dass ich völlig verloren bin welches Recht bei Flüchtlingen (Aysl) eigentlich noch Anwendung findet. Darum nehme ich die Rolle des politisch Mitdenkenden ein und daraus folgen meine Frage; Wie soll ein „normaler“ Bürger noch verstehen, warum Flüchtlinge nicht an der Grenze zurückgewiesen werden können? Wir sind von sicheren Dritt- Staaten umgeben, dass Dublin Abkommen ist seit Merkel zwar faktisch ausgesetzt, aber immer noch vorhanden. Darum kann in der Theorie ein Flüchtling gar nicht als erstes an der Deutschen Grenze nach Asyl gesucht haben. Das ist faktisch nur möglich, wenn dieser Flüchtling unbemerkt durch einen sicheren Drittstaat gekommen ist. D.h. für mich der Flüchtling muss mindestens in einem anderen Staat schon ein Asylgesuch angegeben haben. Damit sind doch automatisch auch die Genfer Flüchlingsregeln erfüllt, weil sonst könnte ja jeder (Extrempunkt) Flüchtling in ein beliebiges Land seiner Wahl gehen bzw. von Land zu Land weiterziehen, wenn sein erstgesuch abgelehnt wurde. Bsp.: Italien hat abgelehnt, schnell in den Bus nach Österreich, neues Gesuch, ebenfalls abgelehnt, schnell in den Bus nach Deutschland usw.
    Darum verstehe ich diese Zusammenhänge, welche in der Folge diskutiert worden gar nicht.

  2. Es wurde ein Aspekt in der Folge komplett ausgeblendet, was mich eigentlich wundert. In dieser ganzen Thematik Flüchtlinge, Anträge, Unterbringung, Abschiebung usw. liegt ein massives Behördenversagen vor. Egal wo man in allen Fällen hinsieht, ist es immer ein Umsetzungs und damit Behördenversagen. Da kann die Politik noch x neue Ideen und Gesetze erlassen, die Behörden sind völlig überfordert und meiner Meinung nach Ursache aller Probleme.

  3. Die zeitliche Perspektive. Es wird gut beschieben, was alles nötig wäre für eine gute Integration. Gehe ich auch voll mit. Nur Wohnungen, Schulen (Lehrer*innen), Sozialarbeiter usw. sind heute nicht vorhanden und es würde selbst mit Supersondervermögen ein Jahrzehnt dauern, um diese Ressourcen zu erhalten. Die Zeit haben jedoch die Kommunen nicht einmal im Ansatz. 1/3 der Kommunen fühlen sich komplett überfordert und 2/3 kommen grade klar (ZDF am letzten Sonntag in einer Grafik) mit den Flüchtlingen.

  4. Die Politik sollte sich ehrlich machen, war eine These. Gedankenspiel: Union, Grüne, SPD, FDP und Linke treten vor die Presse und sagen gemeinsam, jawohl wir können faktisch den Flüchtlingsstrom nicht stoppen, die Behörden versagen in diesem Zuge am laufenden Band und die Lösung ist mehr Investitionen in Schulen, Sozialearbeit usw. Dann kann man das Wording und Framing und Spinnen machen wie man will, die AFD und der BSW werden die absolute Mehrheit bei der nächsten Bundestagswahl bekommen. Beide Parteien waren noch nie in irgendeiner Regierungsverantwortung und können locker Aussagen, 16 Jahre Union mit SPD und FDP und 4 Jahre Ampel, dazu die gesamten Landesregierungen haben diese Situation hervorgerufen. Dazu wirtschaftliche Abstiegsängste und fertig ist die Bombe.

4 „Gefällt mir“

Tatsächlich ist man als fachlicher Laie heutzutage bei praktisch keiner politischen Frage noch in der Lage, einen Sachverhalt noch „intuitiv“ zu verstehen. Auch wenn man sich das selbst (oder andere) vielleicht anders einredet. Entweder man macht sich schlau, oder man folgt einfach irgendwelchen Narrativen, die wenn man Glück hat einigermaßen stimmen.

Das heißt nicht, dass man als normaler Mensch die meisten politischen Problemstellungen nicht verstehen kann. Mit ein wenig Interesse sind zumindest die wesentlichen Punkte auch sehr komplexer politischer Fragen durchaus verständlich, aber man muss sich im Zweifel selbst um den Erkenntnisgewinn kümmern.

Aktuell (seit Januar 2014) gilt Dublin III. Und unter dieser Verordnung ist eben nicht immer der Staat zuständig, durch den jemand zuerst in die EU eingereist ist. Unbegleitete Minderjährige werden etwa immer dem Staat zugewiesen, in dem sich schon Familienangehörige aufhalten. Und Erwachsene können auf Wunsch einem Staat zugewiesen werden, in dem ein enger Angehöriger schon einen Schutzstatus oder ein Aufenthaltsrecht erlangt hat. In der Praxis ist aber in den meisten Fällen tatsächlich jener Staat zuständig durch den ein Antragsteller zuerst in die EU eingereist ist.

Außerdem können Geflüchtete gegen die Überstellung in ein anderes Land klagen, wenn ihnen dort Rechtsverletzungen drohen. Zum Beispiel wegen unhaltbarer Zustände in italienischen Auffanglagern.

Aus diesen Gründen muss ein Antrag auch erstmal in Deutschland geprüft werden, ein generelles Abweisen an einer innereuropäischen Grenze ist unter EU-Recht nicht zulässig.

Dublin III hat auch unter Merkel weiter gegolten, denn die Regierung Merkel hat sich – ganz offiziell und rechtmäßig – dazu entschieden, bei Syrern ab 2015 die Selbsteintrittsklausel auszuüben. Die erlaubt es einem Staat trotz fehlender Zuständigkeit das Asylverfahren an sich zu ziehen, wenn der Antragsteller sich schon im Land befindet. Ob das so sinnvoll war, darüber wird ja immer noch gestritten, im Widerspruch zu der Dublin-Verordnung steht es aber in keinem Fall.

Inzwischen wird diese generelle Anwendung der Selbsteintrittsklausel vermutlich nicht mehr durchgeführt. In vielen Fällen stellt Deutschland also ein Übernahmeersuchen an einen anderen Dublin-III-Staat. Im Jahr 2023 waren es zum Beispiel insgesamt knapp 75.000. Knapp 3/4 dieser Überannahmeersuche werden von dem anderen Staat dann auch offiziell akzeptiert. Auch hieraus ergibt sich also kein grundsätzliches „Scheitern“ von Dublin III.

Das Problem (wenn man es denn als solches betrachtet) liegt vielmehr auf deutscher Seite: im Jahr 2023 wurden nur gut 5.000 Antragsteller an andere Staaten überstellt, obwohl dies in mehr als 55.000 Fällen möglich gewesen wäre. Woran das liegt, ist unklar, aber ein Faktor dürfte der dafür nötige erhebliche Aufwand sein.

Erfolgt die Überstellung nicht innerhalb von 6 Monaten nach Zustimmung des anderen Staats, fällt die Zuständigkeit für den Fall automatisch und dauerhaft nach Deutschland.

Die Überforderung ist aber zu einem großen Teil politisch gewollt. Beispielsweise könnte Deutschland einfach bei erheblich mehr Geflüchteten die Selbsteintrittsklausel ausüben und damit das Verfahren deutlich verkürzen. Oder es könnte großzügiger in der Prüfung der Fälle sein und so viel Verfahrenszeit und auch die bei Ablehnung folgenden Klagen gegen diese Entscheidungen minimieren. Die Bürokratie ist aber zur Abschottung konstruiert worden und verwendet darum enorme Ressourcen auf die maximale Erreichung dieses Ziels.

6 „Gefällt mir“

Diese Probleme haben nur bedingt etwas mit Geflüchteten zu tun. An unserer Grundschule gibt es Wissens nach unter 250 Schülern keinen einzigen Geflüchteten – zu wenige Lehrer aber trotzdem. Das selbe in den Kitas hier im Ort. Insgesamt ist die deutsche Bevölkerung seit 2015 nur um rund 1 Millionen Menschen gewachsen – ein Plus von gerade mal 1,2%.

Dass zum Beispiel Kommunen die Ankunft von Geflüchteten Probleme bereitet liegt also nicht in erster Linie an deren Zahl. Sondern an der völlig unzureichenden generellen Versorgung der Kommunen mit Finanzmitteln und Infrastruktur, z.B. Kita- und Schulplätze. Letzteres ergibt sich wiederum aus Jahrzehnten von de facto Austeritätspolitik, die ja auch bei der physischen Infrastruktur (Schiene, Straße, Internet) zu enormen Engpässen geführt hat.

Meine persönliche Überzeugung ist, dass die Wahrheit immer noch am meisten überzeugt. Ich sehe diese Konsequenzen entsprechend anders als du. Aber wir werden es nie erfahren, denn Union und FDP sind von einer solchen verwantwortungsbewussten Handlung weit entfernt.

4 „Gefällt mir“

Das Kind ist doch in den Brunnen gefallen. Da können wir noch hundertmal über die Verfehlungen unter Merkel sprechen. Fakt ist, dass es zu wenig Wohnungen und Schulen und Lehrer jetzt akut gibt und das es Jahrzehnte dauern wird, dieses Situation zu lösen.

Das ist Statische spielerei. Hier in Hamburg haben in manche Stadtteilen Klassen 50% Geflüchtete (wie Urkainer) und dazu schlecht Deutsch sprechende Kinder mit Migrationshintergrund. Die haben keine Schuld an der Situation, ausdrücklich nicht, nur wird damit der soziale Konflikt immer schärfer, weil Eltern sehen, dass in den Klassen ein Unterricht gegeben wird, der nicht ansatzweise dem Lehrplan entspricht.

Das ist genau so ein Argument was ich nicht verstehe. Deutschland hat keine Grenze mit Italien oder Griechenland oder Spanien, wo zu Recht auf die unwürdige Lage in den Lagern hingewiesen wurde und auch geklagt werden sollte. Aber warum können die in Deutschland darauf klagen? Da liegt immer ein Land noch zwischen, welches passiert werden muss.

Ganz naiv gesprochen: Kommt ein Flüchtling an die Deutsche Grenze und sagt er gesucht Asyl. Dann muss es doch binnen 7 Tagen möglich sein zu prüfen, ob ein gesuch schon in dem Land vorliegt woher er die deutsche Grenze übertritt… In den meisten Fällen kann die Antwort doch nur lauten, ja gesucht liegt vor. Konsequenz Rückführung in dieses Land.

Genau das ist nicht mehr vermittelbar, weil es den kompletten Kontrollverlust der deutschen Verwaltung (Behörden) bescheinigt. Wenn dieser Punkt wirklich einmal politisch hochgepuscht wird, dann hat das AFD Verbot, welches auf Grundlage von Verfassungsschutzinformationen keine Relevanz mehr. Das Vertrauen in die Verwaltung wäre dermaßen Nachhaltig erschüttert.
Wüst und Reul haben es schon nach Solingen angedeutet, dass sie es überhaupt nicht nachvollziehen können, was in den verschiedenen Behörden alles schief gelaufen ist und eine Prüfung wird komplex. Das sind Zitate von Beiden.
Wie gesagt, sollte die Behörden systematisch versagen oder überfordert sein (wie auf den Bauämtern) und das bei der Inneren Sicherheit, wird das Sicherheitsgefühl der Menschen (Maslowsche Bedürfnishierarchie) getroffen. Weiter will ich gar nicht schreiben.

3 „Gefällt mir“

Kannst du das belegen? Ich habe nämlich letztens in einem podcast gehört, dass es maximal 15% wären und die hohen Zahlen nur entsünden, wenn man alle mit Migrationshintergrund in einen Topf schmeißt - da wären aber dann auch Leute dabei, die hier in zweiter und dritter Generation leben.

1 „Gefällt mir“

Das ist die Art von Umgang mit politischen Diskussionen die ich mit diesem Statement gemeint habe:

Ich bezweifle stark, dass es in Hamburg normale Schulklassen mit >50% Geflüchteten gibt. Der Anteil aller ausländischen Schüler:innen an Hamburgs Schulen ist 18.3%. Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse besuchen in Hamburg zudem mindestens ein Jahr eine Willkommensklasse, nicht den normalen Unterricht. Der Anteil der Geflüchteten an den Schulen war im letzten Jahr insgesamt stark rückläufig.

In jedem Fall sollte man so eine Zahl nicht posten, ohne Kontext oder Quelle dazu zu geben. Sonst trägt man im Zweifel nur zu uninformierten Aufregungszyklen bei.

Selbst wenn aber an jeder Schule Hamburgs >50% Geflüchteter wären stellt sich aber doch die Frage, was uns das sagen soll. Du schreibst, dass „Eltern sehen, dass in den Klassen ein Unterricht gegeben wird, der nicht ansatzweise dem Lehrplan entspricht.“ Ist das tatsächlich so? Wenn ja, hat das denn ursächlich was mit den Flüchtlingen zu tun? Dazu gibt es sicher Statistiken und Studien, die könnten interessante Einblicke in diese Fragestellungen liefern.

Ich kenne diese Art der Argumentation aus dem Bereich der Inklusion. „Behinderte Kinder drücken das Lernniveau“ ist da ein beliebtes Argument. Tatsächlich lässt sich das aber in keiner Weise nachweisen, schon gar nicht mit einer so generellen Aussage.

Und welche Relevanz hat die (für die Betroffenen sicher wichtige) Erfahrung an einzelnen Hamburger Schulen für den Rest von Deutschland? An unserer Grundschule gibt es wie gesagt keine Flüchtlingskinder. Im ländlichen Thüringen und Sachsen unter Garantie praktisch auch nirgendwo.

Nein, ist es nicht. Wir haben heute nicht wesentlich mehr Menschen als noch 2015. Auch der Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung ist nur marginal gestiegen (12,9 statt 12,2% in 2015). Es gibt deutlich mehr Lehrer:innen als noch 2015.

Wir stehen also nicht vor Problemen, die „Jahrzehnte“ für die Lösung brauchen. Das ist doch absurd, in „Jahrzehnten“ sind die Lehrer, die wir heute ausbilden schon praktisch wieder in Rente.

80% der Herausforderungen könnte man vermutlich innerhalb von drei Jahren lösen, wenn man dafür das nötige Geld bereitstellen würde und die bürokratischen Prozesse deutlich entschlackt.

2 „Gefällt mir“