LdN 338: Justiz und rechte Gewalt

Ein kleiner Hinweis bezüglich des Themas, da ihr das mit der Strafverfolgung rechter Straftaten etwas oberflächlich und allgemein gehalten habt: man kann das recht konkret am Beispiel des Angriffs auf Leipzig-Connewitz 2016 und der eher halbherzigen juristischen Aufarbeitung des Ganzen festmachen. Man auch Sachen wie die Gruppe um Lina E und die ihnen vorgeworfenen Straftaten nicht verstehen, solange man sich nicht mit diesem Thema befasst hat. Das ganze hat nämlich in der Leipziger Szene zu einer Radikalisierung geführt, weil er in den Augen vieler gezeigt hat, dass man eben nicht auf den Staat und sein Gewaltmonopol vertrauen kann, sonder die Dinge selbst in die Hand nehmen muss.

vgl. dazu:

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Ich hab jetzt nur den Wikipedia Artikel überflogen, aber habe ich das richtig verstanden, dass kaum jemand verletzt wurde ?

Und die Behauptung in der Lage, dass man ja von außen gar nichts dazu sagen könnte, ob bei dem Prozess um Lina E. alles sauber war, finde ich auch ziemlich dreist.

Die Strafe ist viel viel härter, als sämtliche bisherige Verurteilungen für vergleichbare Straftaten von rechts.

Und der Prozess ist natürlich ganz offensichtlich politisch. Sachsen will die Linke Szene einschüchtern.

Dabei ist jedes Mittel recht. Zum Beispiel gab es einen Deal zwischen dem entscheidenden Kronzeugen und den Behörden (der Kronzeuge war vorher Teil der Gruppe wurde wegen Gewalt davon ausgeschlossen).

Die Aussage des Kronzeugen ist somit unbrauchbar.

Als ich das gelesen habe, dachte ich erst, jetzt kommen eine konservative Tirade darüber, dass man ja wohl dem Urteil des Gerichts glauben müsse. Aber nein, es ging in die andere Richtung.

Das ist normal und findet auch in rechtsextremen Gruppen statt. Auch im NSU-Prozess gab es z.B. Kronzeugen, die natürlich eine mildere Bestrafung versprochen bekommen, wenn sie aussagen. Dabei gilt aber immer, dass man die Aussagen dieser Kronzeugen, gerade weil sie im eigenen Interesse aussagen könnten, immer überprüft. Kronzeugen-Aussagen werden nie im Vakuum als „wahr“ akzeptiert, sondern jede Information des Kronzeugen wird mit anderen Beweismitteln und Aussagen abgeglichen. Das Ergebnis ist dann, inwiefern der Kronzeuge glaubwürdig ist. Wenn er kein nachvollziehbares und überprüfbares Insider-Wissen hat, ist er auch nicht glaubwürdig. Wenn seine Schilderung hingegen mit den anderen Beweisen übereinstimmt…

Würdest du so auch bei Kronzeugen in Mafia- oder Rechtsextremismus-Fällen urteilen?
Ja, Kronzeugen-Regelungen sind immer ein schmaler Grat und moralisch durchaus fragwürdig, aber sie sind fester Bestandteil nahezu aller Rechtsordnungen.

Fakt ist, dass es hier zu einer potenziell lebensgefährlichen Körperverletzung kam. Das unterscheidet viele andere Fälle, in denen Rechtsextreme als kriminelle Vereinigung verurteilt wurden, von diesem Fall.

Wenn es hier ein Problem gibt, dann tatsächlich, dass der Staat in vergleichbaren Fällen rechtsextremer Gruppen oft zu lasch agiert hat. Wobei ich hier den Fall der Freien Kameradschaft Dresden nennen würde, in dem es durchaus zu ähnlichen Strafhöhen kam. (sogar 6 Jahre für den Anführer)

Fünf Jahre und 3 Monate waren im Fall Lina E. keine besonders milde Strafe, aber auch keine besonders harte (wie z.B. die 8 Jahre, welche die Staatsanwaltschaft forderte). Es war eine Strafe im Mittelfeld des denkbaren. Ob die Strafe geringfügig höher oder niedriger hätte ausfallen können, kann man ohne sämtliche Daten (auch die Einlassungen der Beteiligten bei den 97 Verhandlungstagen) tatsächlich nicht sagen. Fakt ist aber, dass die Strafhöhe im normalen Bereich für die verurteilten Straftaten liegt.

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Bei https://piratensenderpowerplay.podigee.io/ wird der Prozess insgesamt etwas eingeordnet. Es ist ein Indizienprozess der schon den Eindruck macht, dass man versucht hat alles zusammenzukratzen, was es gibt, so beruhten z. B. Anklagen auf Fehlinterpretationen und haben Menschen ausgesagt, die sich als Rechtsextremisten herausgestellt haben.

Besonders deutlich macht Friedemann die Situation durch folgende Beschreibung:

  • Wir haben Nazis in Deutschland
  • Diese Nazis morden in Deutschland
  • Der Rechststaat ist nicht in der Lage diese ermordeten Menschen zu schützen

Das als Hintergrundinfo fand ich für die Einordnung des Prozesses nützlich und gleichzeitig auch bedenklich.

Ausführlicher und m. E. auch etwas fundierter als im „Piratensender Powerplay“ beschreiben hier zwei Anwält:innen aus dem „Antifa Ost“-Verfahren, was daran so alles merkwürdig war. Dabei geht es auch um den in der Lage ja kürzlich diskutierten § 129 StGB. Wenn ich es richtig verstanden habe, kam hier zumindest bei einem Angeklagten die Haftstrafe ohne Bewährung ausschließlich durch die Aussage des Konzeugen zustande.

FRN: "Dann wird es ... in Zukunft häufiger Anklagen wegen 129 geben" - Interview mit RA Werner (Verteidiger im Antifa Ost Prozess) RA
und
FRN: "Angegangen wird [die Linke] schon seit geraumer Zeit" Interview mit RAin Rita Belter (Verteidigerin im Antifa Ost Prozess)

Der Prozess fand unter einer großen (Medien-)Öffentlichkeit statt. Natürlich versucht die Verteidigung, wie in jedem Fall, in dem der Täter nicht mit blut-tropfenden Händen auf frischer Tat ertappt wurde, die Beweislage als Indizienprozess darzustellen. Das ist normal - und haben auch die Anwälte von Zschäpe z.B. versucht. Der gesamte NSU-Prozess war ein reiner Indizienprozess, an dessen Ende eine lange Haftstrafe stand. Seid ihr auch dagegen? Oder ist es in diesem Fall okay? Hätte man Zschäpe freisprechen sollen, weil es keine „Smoking Gun“ gab, sondern nur unzählige Indizien und Aussagen von Kronzeugen, die sie belastet haben?!?

Ganz offensichtlich nicht. Indizienprozesse sind etwas normales, denn eindeutige und völlig unbestreitbare Beweise gibt es fast nie. Die Frage ist immer nur: Reichen die Indizien, um daraus einen Tathergang zu konstruieren, von dem der Richter überzeugt ist. Überzeugt bedeutet in diesem Kontext weder 100% sicheres Wissen, noch „nur überwiegende Annahme“, sondern, dass er mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Taten so, wie sie rekonstruiert wurden, stattgefunden haben. Es dürfen keine erheblichen Zweifel bestehen, minimale Restzweifel hingegen werden immer bleiben.

Vor diesem Hintergrund muss auch dieser Prozess bewertet werden. Dass die Anwälte der Verteidigung und diejenigen, die mit Lina E stark sympathisieren, natürlich hier deutlich größere Zweifel sehen als andere, ist völlig normal.

Selbst wenn einzelne Aussagen und Indizien sich im Nachhinein als falsch erweisen sollten, bedeutet das nicht, dass das Urteil falsch sein muss. Bei 97 Verhandlungstagen und hunderten Beweisen und Zeugenaussagen werden selbstverständlich Punkte dabei sein, die mit guten Argumenten angreifbar sind. Und als Verteidiger wird man natürlich auf diese Punkte zeigen und deshalb einen Freispruch fordern bzw. hinterher das Urteil kritisieren. Aber der Verteidiger darf eben „einseitig blind“ sein, er darf - wie auch die Sympathisanten - den Fall einseitig betrachten und darstellen.

Man sollte jedoch in diesem Fall weder als Verteidiger, noch als Sympathisant der Angeklagten, den Fehler machen, davon auszugehen, dass der Rest der Welt diese einseitige Betrachtung teilt.

@FlorianR und @Veche , mich würde hier mal interessieren: Seid ihr nach allem, was ihr zu dem Fall wisst, wirklich überzeugt, dass Lina E. unschuldig ist? Oder seid ihr nur unzufrieden damit, dass sie verurteilt wurde? Oder mit dem Strafmaß?

Ich für meinen Teil bin mir - selbst mit den begrenzen Informationen, die wir als Nicht-Prozessteilnehmer haben - zumindest ziemlich sicher, dass Lina E bei den ihr zur Last gelegten Taten maßgeblich involviert war. Daran gibt es eigentlich gar keinen Zweifel - Zweifel gibt es allenfalls daran, welche Rolle sie hatte, daher ob sie Rädelsführerin war oder nicht.

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Was mich ehrlich gesagt mehr interessieren würde ist die Dynamik innerhalb der Soko linx bzw. deren Verhältnis zur Regierung.
Denn die Soko Linx hat ziemlich lange sehr unerfolgreich und fragwürdig ermittelt zu linksextremismus in Sachsen, da würde mich schon die Frage des politischen Drucks interessieren gerade um vergleich zur Soko rex/OAZ und deren Verhältnis zur Politik.

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Ich verstehe Deinen Fragen an mich ehrlich gesagt nicht. Ich sehe keine Notwendigkeit, entweder zu sagen „Es muss alles genau so bewertet werden, wie das Gericht es getan hat“ oder „Die Angeklagten waren allesamt komplett unschuldig“ - die Realität wird höchstwahrscheinlich irgendwo zwischen diesen beiden Extrempositionen liegen. Hierzu habe ich aber aus guten Gründen gar keine Aussage getroffen und es war auch überhaupt nicht mein Thema.
Ich finde es auch etwas merkwürdig, wenn Du einerseits betonst, als Nicht-Prozessteilnehmer eigentlich nichts sagen zu können, aber gleichzeitig sinngemäß zu sagen, dass der Argumentation von Staatsanwaltschaft und Gericht im Wesentlichen zu folgen ist, derjenigen der Verteidigung aber nicht.
Dass Du dazu ausgerechnet den Vergleich zum Münchner NSU-Verfahren ziehst - das auf seine ganz eigene Art eine Besonderheit darstellt (und gleichzeitig exemplarisch für den entpolitisierenden juristischen Umgang mit Rechtsterrorismus in der BRD steht) - zeigt aus meiner Sicht deutlich, dass die politische Dimension dieses Verfahrens - um die es mir primär ging - längst nicht allen bewusst ist.
Um es nochmal deutlich zu sagen: Es gibt aus meiner Sicht gute Gründe, zu hinterfragen, ob es neben den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht auch beim Prozess vor dem OLG Dresden Besonderheiten gab, die auf eine - nennen wir es mal „besondere politische Motivation“ hindeuten.

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Das ist definitiv eine Möglichkeit, wobei ich nicht glaube, dass die Politik sich da „die Hände schmutzig macht“, denn die dadurch erzeugten Skandale könnten im Falle, dass nur einer der betroffenen Polizisten es öffentlich macht, ganz schnell auf die Politik zurückfallen.

Eine wahrscheinlichere Möglichkeit ist mMn, dass Polizeibeamte und Staatsanwaltschaften, die tendenziell eher konservativ geprägt sind, einfach eine größere intrinsische Motivation haben, gegen Linksextreme zu ermitteln als gegen Rechtsextreme, dass hier also eine deutlich höhere Motivation vorliegt. Wenn man selbst Mitte-Rechts bis Rechts im politischen Spektrum steht, ist „Linksextrem“ halt deutlich weiter von der eigenen Position entfernt als „Rechtsextrem“ - und auf Demonstrationen werden Polizisten ja auch eher mit dem Feindbild Links als mit dem Feindbild Rechts konfrontiert, weil Nazis bei ihren Demos i.d.R. nicht den Konflikt mit der Polizei suchen. Das prägt natürlich auch die Beamten.

Der Vergleich mit dem NSU-Prozess bezieht sich auf die Tatsache, dass beides klassische Indizienprozesse waren und in beiden Fällen die Verteidiger die gleichen Dinge kritisiert haben (Indizienprozess, hohe Strafforderungen der Staatsanwaltschaft, politischer Prozess…). Es geht ausdrücklich nicht um die inhaltliche Ebene, die ist in beiden Verfahren ganz anders zu bewerten.

Der NSU-Prozess ist ein guter Vergleich, weil bei beiden Prozessen sehr klar wird, warum es 97 bzw. 430 Verhandlungstage brauchte. Eben weil es Indizienprozesse waren. Wenn klare und nahezu unbestreitbare Beweise vorliegen („Die Mordwaffe wird im Haus des Täters gefunden“; „Der Täter wurde auf frischer Tat ertappt“) braucht man nicht so viele Verhandlungstage, diese Prozesse sind entsprechend schnell vorbei.

Die vielen Verhandlungstage zeigen aber eben genau, dass es sich das Gericht nicht zu leicht gemacht hat.

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Klar, natürlich sollte man darauf schauen. Aber mein erster Beitrag hier richtete sich eben gegen den Beitrag von @nicolasb , dessen Kritik am Prozess und der Beurteilung des Prozesses mir zu weit geht. Wenn man schreibt, der Prozess sei „offensichtlich politisch“ und diene dazu, „die linke Szene einzuschüchtern“ verkauft man - durchaus mögliche - Mutmaßungen als sicheres Wissen - und dafür gibt es im Hinblick auf die Öffentlichkeit des Prozesses wenig Grund. Auch das kategorische Ausschließen von Kronzeugenregelungen oder das Beharren darauf, dass es im Rahmen eines Indizienprozess ein Problem sei, dass „man versucht hat, alles zusammenzukratzen“, sind eben problematische Argumente. Es ist der Job des Gerichts, bei einem Indizienprozess alle Informationen zusammen zu kratzen, die man irgendwie bekommen kann - und Kronzeugenregelungen sind einfach eine (problematische) Normalität.

Wie gesagt, das sind Dinge, die jeder Verteidiger in jedem Fall kritisieren würde, egal ob links oder rechts. Und mit denen kein Verteidiger durchkommen würde. Und die auch die meisten, die hier diese Dinge als kritisch hervorheben, nicht als problematisch erachten würden, wenn es um einen Nazi-Prozess ginge. Wie gesagt, niemand, der hier den „Indizienprozess“ kritisiert, kritisiert den „Indizienprozess“ im Fall Zschäpe. Denn es geht nicht darum, dass der „Indizienprozess“ das Problem sei, sondern es geht darum, eine Unzufriedenheit mit dem Ausgang auszudrücken.

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Ich habe ihn nicht kritisiert, weil ich mit dem Ergebnis zufrieden war, aber ein ungutes Gefühl, dass sie ein Bauernopfer war, weil man die wahren Täter nicht fassen konnte, blieb schon. Ich möchte nicht ausschließen, dass sie mit einem milderen Urteil davon gekommen wäre, wenn die anderen beiden nicht tot, sondern mit im Gerichtssaal gesessen wären.
Für mich war da schon offensichtlich, dass der Rechtsstaat seine Wehrhaftigkeit beweisen wollte.
Die Anzahl an Verhandlungstagen zeigen das auch.
Ich finde den Artikel leider nicht mehr. Aber die Gerichtsjournalistin der SZ hat sich mal mit zwei Fällen gegen rechte Gewalt beschäftigt, die eingestellt wurden, weil die Verhandlungen zu lange dauerten (Befangenheitsantrag, Richter krank, kein Saal frei…) Da wünschte man sich dann mehr mediales Interesse, denn dann funktioniert es anscheinend.

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Genau das ist ja das Problem - ich vermute wie gesagt, dass das in gewisser Weise auch für Gerichte gelten könnte und daher Auswirkungen auf das Verfahren gehabt haben könnte. Genaz deshalb lohnt es sich aus meiner Sicht, sich dieses genauer anzusehen. Das heißt auch, sich genauer anzuschauen wie die Indizienkette konstruiert wurde. Und da es keine umfassende Dokumentation gibt, finde ich die Äußerungen der Verteidigung dazu hilfreich. Da gehen die Einwände a) es sei normal, dass es Indizienketten gibt und b) dass die Verteidigung immer was zu meckern hat ehrlich am Thema vorbei bzw. sie wirken auf mich so, als ob Du dir das genau nicht näher anschauen willst.

Der Vergleich mit dem NSU-Verfahren macht denn auch nur Sinn, wenn es um die Frage „Indizienprozess ja oder nein“ geht, die aber zumindest mein Thema gar nicht ist. Bei so ziemlich allen anderen Punkten hinkt dieser Vergleich gewaltig. Nur um es mal kurz zusammenzufassen:
Beim NSU gab es jahrelang politisch-ideologisch motivierte Morde, Terroranschäge und andere Gewalt- und Straftaten. Das Ganze zumindest zum Teil mit Wissen und in einigen Fällen sogar unterstützt von Geheimdiensten. Zudem folgten die Ermittlungsbehörden zumindest in Teilen dem rassistischen Mindset der Täter:innen und verdächtigten lange Zeit vor allem das Umfeld der Opfer. Der Prozess war stets bemüht, genau diesen politischen Skandal aus dem Verfahren herauszuhalten - das betrifft insbesondere das Versagen bzw. die Mitschuld staatlicher Organe, aber auch das besagte Mindset. Auch wurden nur eine Handvoll Personen aus dem sehr viel größeren NSU-Netzwerk überhaupt zum Gegenstand des Verfahrens. All das ist dank privater ziviligesellschaftlicher Initiativen wie NSU Watch bestens dokumentiert.
Auf der anderen Seite haben wir es mit einem Verfahren zu tun, das schon im Vorfeld bewusst politisiert wurde: Nicht nur die Gründung und Arbeitsweise der „Soko Linx“ (obwohl in Sachsen der Rechtsextremismus eine unvergleichbar höhere Gefahr darstellt), auch die Art der medialen Vorverurteilung (erinnert sei nur an Lina E.s Flug nach Karlsruhe) - die sogar die konservative FAZ als solche klar benennt. Und nicht zuletzt wurde - eben ganz im Gegensatz zum NSU-Verfahren - wirklich alles „zusammengekratzt“ - sei es auch noch so hanebüchen, wie etwa ein Tatvorwurf, von dem die Ermittlungsbehörden wussten, dass er nicht stimmen kann, da der Beschuldigte zur Tatzeit von einer polizeilichen Maßnahme an einem anderen Ort betroffen war.

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Das ist zumindest nicht meine Kritik. Auch hier unterscheiden sich die beiden Verfahren deutlich. In München (NSU) wollte das Gericht die Sache politisch möglichst klein halten. Und in Dresden sehe ich eher das Gegenteil. Die Frage, wie viel Verhandlungstage die Erörterung bestimmter mutmaßlicher Tathergänge „verdient“, entzieht sich meiner Kenntnis und halte ich auch nicht für so relevant.

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Das lag daran, dass der Angriff stattfand während es in der Leipziger Innenstadt eine Pediga-Aufmarsch mit reichlich Gegenprotest gab. Dadurch war in Connewitz recht wenig los zu dem Zeitpunkt.

Ein Treppenwitz, dass der Hauptverdächtige einer Serie von rechtsextremen Brandanschlägen im sog. Neukölln-Komplex vor einigen Monaten freigesprochen wurde, weil die jahrelang zusammengetragenen Indizien (inklusive Telefonüberwachung) dem Gericht gerade nicht ausgereicht haben. Verurteilt wurde der Hauptverdächtige schließlich nur für die Taten, die zweifelsfrei dokumentiert werden konnten. (Lustigerweise auch deshalb, weil die Videoüberwachung bei einem Linken gefilmt hat, wie Morddrohungen an dessen Haus geschrieben wurden.)

Beim Thema „Jusitz und rechte Gewalt“ wäre der Neukölln-Komplex nochmal ein eigenes Kapitel wert. Was die mutmaßlichen Kooperationen mit rechtsextremen Akteuren angeht, steht die Berliner Polizei der Soko Linx jedenfalls in nichts nach.

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Für mich liest sich das wie eine rechtfertigung, für die Verbrechen die Lina E. und ihre Gruppe begangen haben. Und damit tue ich mich sehr schwer.

Ich denke man sollte der Argumentation des Richters bei der Urteilsverkündung folgen. Und falls diese aus irgendwelchen Gründen kein Sinn ergben sollte, vor der nächst höheren Instanz dagegen Klagen. Die Argumentationen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sind ja beides bei Design biased oder ?

Was bedeuted für dich genauer anschauen ? Grundsätzlich würde ich dir zustimmen das sich das jemand anschauen sollte aber ich wüsste nicht wie jeamnd anderes als die Verteidigung bzw. das nächst höhere Gericht das machen sollte

Eine mögliche Erklärung ist noch nicht gleich eine Rechtfertigung.

Man darf gerne dann auch schon während die Berufung oder Revision läuft schon Kritik äußern. aber ich gebe dir Recht, dass man erst Mal auf die schriftliche Urteilsbegründung warten sollte, da man erst dann halbwegs nachvollziehen kann, ob das Urteil nachvollziehbar und frei von offensichtlichen Rechtsfehlern ist.

Was ich nicht mag, ist, wenn einem Urteil, das erst Mal solide erscheint, pauschal das Vertrauen entzogen wird, weil man sich ein anderes Urteil gewünscht hätte. Das schadet einfach auch dem Rechtsstaat. Im Grundsatz müssen wir schon darauf vertrauen können, dass die Urteile unserer Gerichte den rechtstaatlichen Standards genügen, zumindest kritisiere ich ein Urteil erst, wenn es mehr als ein paar lose Indizien gibt, dass dem nicht so sein könnte.

Im vorliegenden Fall machte alles, was ich von dem Richter gelesen habe, den Eindruck, dass er definitiv bemüht war, einen neutralen Prozess zu führen. Alleine schon, dass er positiv anerkennt, dass die Motivation, gegen Rechtsextremismus zu kämpfen, ehrenwert sei, spricht für sich (und bringt vermutlich viele Konservative auf die Barrikaden)

Das ist eher ein berechtigter Kritikpunkt:
Denn die Staatsanwaltschaft sollte gerade nicht biased sein (§ 160 Abs. 2 S. 1 1. HS StPO: „Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln“), sondern ergebnisoffen und ähnlich neutral wie das Gericht. Das war im vorliegenden Fall meines Erachtens fragwürdig, alleine schon, wegen der absurd hohen Strafforderung der Staatsanwaltschaft. Kritik an der Staatsanwaltschaft in diesem Sinne macht mehr Sinn als Kritik am Gericht. Wobei das nicht fall-spezifisch ist, es ist ein generelles Problem, dass Staatsanwaltschaften oft nach amerikanischen Vorbild als reine „Ankläger“ auftreten und nur die Position der Anklage vertreten.

Vielleicht seitens der Staatsanwaltschaft und der Medien, aber kaum seitens des Gerichts. Das einzige, was hier angeführt werden kann, wären die hohen Sicherheitsvorkehrungen. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass einige Angeklagte (u.a. der Freund von Lina E.) seit Jahren untergetaucht sind und massive Proteste zu erwarten waren (und ja auch stattgefunden haben) kann ich absolut verstehen, dass man hier lieber auf „Nummer Sicher“ gegangen ist.

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Wozu dieses Schwarz-Weiß-Denken, das ich schon in meiner Antwort an Daniel gestern kritisiert habe? Ich kann auch staatliches Handeln kritisieren und gleichzeitig die mutmaßlichen Taten der Beschuldigten.

Hast Du auch ein Argument, warum man die Sichtweise des Gerichts ungerprüft übernehmen sollte?

Du bist also grundsätzlich dagegen, dass Journalist:innen, die Zivilgesellschaft, eine kritische Öffentlichkeit oder wer auch immer Gerichtsverfahren beobachtet und sich eine eigene Meinung dazu bildet? Auch hier bin ich gespannt auf die Gründe.
Zudem ist es gerade Merkmal dieses Verfahrens, dass es quasi gleich in der dritten Instanz begann. Es ist nur noch eine Revision vor dem Bundesgerichtshof möglich. Diese darf aber per se nicht untersuchen, wie genau die Verhandlung geführt wurde. Das hat ein RA in den von mir verlinkten Interviews ausgeführt.