Der Prozess fand unter einer großen (Medien-)Öffentlichkeit statt. Natürlich versucht die Verteidigung, wie in jedem Fall, in dem der Täter nicht mit blut-tropfenden Händen auf frischer Tat ertappt wurde, die Beweislage als Indizienprozess darzustellen. Das ist normal - und haben auch die Anwälte von Zschäpe z.B. versucht. Der gesamte NSU-Prozess war ein reiner Indizienprozess, an dessen Ende eine lange Haftstrafe stand. Seid ihr auch dagegen? Oder ist es in diesem Fall okay? Hätte man Zschäpe freisprechen sollen, weil es keine „Smoking Gun“ gab, sondern nur unzählige Indizien und Aussagen von Kronzeugen, die sie belastet haben?!?
Ganz offensichtlich nicht. Indizienprozesse sind etwas normales, denn eindeutige und völlig unbestreitbare Beweise gibt es fast nie. Die Frage ist immer nur: Reichen die Indizien, um daraus einen Tathergang zu konstruieren, von dem der Richter überzeugt ist. Überzeugt bedeutet in diesem Kontext weder 100% sicheres Wissen, noch „nur überwiegende Annahme“, sondern, dass er mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Taten so, wie sie rekonstruiert wurden, stattgefunden haben. Es dürfen keine erheblichen Zweifel bestehen, minimale Restzweifel hingegen werden immer bleiben.
Vor diesem Hintergrund muss auch dieser Prozess bewertet werden. Dass die Anwälte der Verteidigung und diejenigen, die mit Lina E stark sympathisieren, natürlich hier deutlich größere Zweifel sehen als andere, ist völlig normal.
Selbst wenn einzelne Aussagen und Indizien sich im Nachhinein als falsch erweisen sollten, bedeutet das nicht, dass das Urteil falsch sein muss. Bei 97 Verhandlungstagen und hunderten Beweisen und Zeugenaussagen werden selbstverständlich Punkte dabei sein, die mit guten Argumenten angreifbar sind. Und als Verteidiger wird man natürlich auf diese Punkte zeigen und deshalb einen Freispruch fordern bzw. hinterher das Urteil kritisieren. Aber der Verteidiger darf eben „einseitig blind“ sein, er darf - wie auch die Sympathisanten - den Fall einseitig betrachten und darstellen.
Man sollte jedoch in diesem Fall weder als Verteidiger, noch als Sympathisant der Angeklagten, den Fehler machen, davon auszugehen, dass der Rest der Welt diese einseitige Betrachtung teilt.
@FlorianR und @Veche , mich würde hier mal interessieren: Seid ihr nach allem, was ihr zu dem Fall wisst, wirklich überzeugt, dass Lina E. unschuldig ist? Oder seid ihr nur unzufrieden damit, dass sie verurteilt wurde? Oder mit dem Strafmaß?
Ich für meinen Teil bin mir - selbst mit den begrenzen Informationen, die wir als Nicht-Prozessteilnehmer haben - zumindest ziemlich sicher, dass Lina E bei den ihr zur Last gelegten Taten maßgeblich involviert war. Daran gibt es eigentlich gar keinen Zweifel - Zweifel gibt es allenfalls daran, welche Rolle sie hatte, daher ob sie Rädelsführerin war oder nicht.