Sieh es in Verbindung zu deinem ersten Post in diesem Thread, dass es nicht das erste Mal wäre, dass die Münchner Staatsanwaltschaft politisch agiert.
Ich denke die Tatsache, dass friedliche Demos in der Tendenz weniger ausarten als solche mit signifikanter Gewaltbereitschaft, es aber noch andere Faktoren gibt, die eine Eskalation auch beeinflussen, ist außerhalb von totalitären Diktaturen (hoffentlich) eine Trivialität. Anders gesagt: wenn das kein Minimalkonsens ist, dann sähe ich schwarz für die Diskussion. Spannender wird die Frage, wie einflussreich die anderen Faktoren (quantitativ) gegenüber der „Friedlichkeit“ sind.
Bei den meisten „friedlichen“ Demonstrationen liefert uns die Statistik ein paar Idioten, die irgendwann aus der Reihe tanzen. Die interessante Frage ist nun, ob die Polizei bei Demonstration A das ganze sehr lange gelassen hinnimmt und vielleicht sogar aktiv deeskaliert und ob sie bei Demonstration B schon bei vergleichsweise kleinen Provokationen „zuschlägt“. Diese Tendenzen gibt es in jedem Fall – die Frage ist nur, wie stark sie sind. Eine starke Tendenz könnte dann schon dazu führen, dass ich mich bei Demonstration B trotz friedlicher Absichten als Demonstrant nicht in Sicherheit wiegen kann, denn das Vorgehen der Polizei gegen „Störer“ ist ja durchaus nachvollziehbarerweise selten ein präziser chirurgischer Eingriff in die Demo.
Ich stimme in fast allem zu was du schreibst. Aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Polizei ein Eingreifen oft (oder meist?, auf jeden Fall nicht immer) vorher ankündigt, damit der als „friedlich“ (von der Polizei wahrgenommene) Teil sich vom Rest separieren kann.
Es ist ja nun wirklich nicht so als würde die Eskalation stets vom Himmel fallen, sondern meist bahnt sich das leider an. Verantwortlich sind meist Idioten auf beiden(!) Seiten. Ich habe in der Vergangenheit Polizisten davon Reden hören, wie geil es ist auf Demos auf Chaoten loszugehen. Und ich war früher mit gänzlich unpolitischen Antifas befreundet, die nur wegen der möglichen Ausschreitungen auf Demos gingen.
Und ich kenne einen Polizisten der Bereitschaftspolizei (Bruder eines ehemaligen Kommilitonen), der von Demonstranten einen Pflastersteine gegen den Kopf geworfen bekam und im Krankenhaus aufwachte. Der hat keinen Hass auf Demonstranten, aber er hat natürlich Angst vor ähnlichen Situationen. Daher wird er vermutlich eher eingreifen bevor eine Demo außer Kontrolle gerät.
Das Thema ist halt kompliziert und wird oft viel zu undifferenziert, aber dafür von beiden Seiten mit viel politischem Bias, beleuchtet. So wird das nichts…
Anyway, wir entfernen uns vom Thema. Lasst uns doch wieder über die LG oder über die Staatsanwaltschaft München sprechen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-05/letzte-generation-razzia-polizei-aktivismus-radikalisierung
Ja, das Land dreht nach Rechts
(Teil 1)
Verstehe. Zitier doch gern beim nächsten Mal den entsprechenden Beitrag, damit ich dir nicht fälschlicherweise Derailing vorwerfe.
Aber zum Thema Münchener Staatsanwaltschaft und der Amoklauf 2016: Wenn ich mir die Chronologie der Diskussionen zum Tatmotiv
anschaue , dann erscheint mir das schon etwas komplizierter als in deinem Artikel dargestellt.
So gab es Gutachten, die zwar den rassistischen Rahmen der Tat bemerkten, den Auslöser aber in Rachegelüsten infolge psychischer Störung und Mobbing sahen (Horn und auch der VS Bayern).
Unabhängig davon kommt die Amokforscherin Bannenberg zur Einschätzung, die Tat sei ein klassischen Amoklauf und spricht dem Täter sogar die rechtsextreme Gesinnung ab.
Auch die drei in deinem Artikel benannten Gutachter kommen zwar zur Einschätzung Rechtsextremismus, scheinen hier aber keinen mustergültigen Fall gesehen zu haben.
Kopke sah es ähnlich wie Horn, sieht aber Kriterien für ein Hassverbrechen aus Definitionsgründen erfüllt.
Quent bemerkt, dass der Radikalisierungsprozess nicht zu klassischen Rechtsextremen passt.
(Teil 2)
Und auch der dritte Gutachter hat zwar ein klares Urteil, weicht dafür aber von Standardkonzepten ab und plädiert für eine grundsätzliche Neubewertung des Rechtsterrorismus.
Ich will die Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft München nicht rechtfertigen. Aber ich kann die im Artikel und von dir unterstellte Eindeutigkeit der Einschätzung nicht wirklich nachvollziehen. Wenn es Fachleuten so schwerfällt, den Fall in eine Schublade zu stopfen, wieso darf die Generalstaatsanwaltschaft dann keinen Fehler machen, ohne dass ihr Böswilligkeit unterstellt wird?
Vielen Dank für die juristische und rechtspolitische Aufarbeitung der Problematik der Anwendbarkeit des § 129 StGB in der LdN 337. Ein Aspekt hätte aus meiner Sicht noch erwähnt werden sollen:
Nach h.M. und ständiger Rechtsprechung ist § 129 StGB nur anwendbar, „wenn die Straftaten, auf deren Begehung die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und somit unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sind. Maßgeblich für diese Beurteilung ist eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände, die, wie insbesondere auch die Tatauswirkungen, für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können“ (BGH NJW 1995, 2117, vgl. auch BGH StV 2018, 95). Diese Einschränkung wird aus dem Schutzzweck der Norm (Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung) sowie der Bedeutung von § 129 StGB als Katalogtat für bestimmte strafprozessuale Maßnahmen hergeleitet.
In der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 129 StGB im Jahr 2017, bei der u.a. die Mindesthöchststrafe von zwei Jahren für Bezugstaten eingeführt wurde, hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für Bezugstaten diese Einschränkung weiterhin gilt, neben der Anforderung, dass diese im Höchstmaß mindestens mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren bedroht sein müssen (BT-Drs. 18/11275, 10). Es ist also keineswegs so, dass dieses Erfordernis mit der Gesetzesänderung weggefallen wäre (aA Thomas Fischer in der aktuellen medialen Diskussion, der es eigentlich besser wissen müsste).
Die rechtspolitisch wünschenswerte Einschränkung des Anwendungsbereichs ist daher nach ständiger Rechtsprechung aufgrund dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals durchaus gegeben. Ob die Aktivitäten der LG diese Anforderungen erfüllen, ist letztlich Tatfrage.
Im Grunde läuftdoch alles auf eine Güterabwägung hinaus. Was ist also das höhere Gut das es zu verteidigen gilt: Der Klimaschutz oder der Rechtsstaat. Und bevor Missverständnisse aufkommenden, ich bin voll auf der Seite der Aktivisten wenn es um Maßnahmen geht das Klima zu schützen solange sie auf dem Boden des Grundgesetzes beiben. Aber man kann sowas nicht durch die Erpressung der Regierung erreichen. In dem man die Strassen blockiert gefärdet man die öffentliche Ordnung. Ein Staat der sowas zulässt mach sich demokratiegefärdend angreifbar.
Selbst wenn alle (!) Parteien in der Regierung die Forderungen de LG unterstützen würden, machen sie sich in dem Moment unglaubwürdig, in dem sie einer Erpressung nachgiebt.
Das Problem ist aber leider, dass sich die Regierungen ständig erpressen lassen, nämlich von der Wirtschaft. Dort wird selbst bei eigenem Verschulden immer mit Entlassungen und hoher Arbeitslosigkeit gedroht oder aber der Abwanderung in Billiglohnländer. Und diese Erpressung trägt immer wieder Früchte in unnötigen Subventionen, verwässerten Gesetzen, Steuererleichterungen und ähnlichem. Also ich finde das Argument die Regierung kann auf Grund einer angeblichen Erpressung nicht nachgeben absolut nicht mitgehen.
Merke: Wenn ein paar Hundert Leute mit ihren Aktionen mediale Aufmerksamkeit generieren und die Regierung an ihre eigenen Zusagen erinnern, ist das „Erpressung“. Wenn Blechlawinen Straßen nicht wie gewöhnlich aufgrund „überhöhten Verkehrsaufkommens“, sondern wegen einer Sitzblockade verstopfen, ist das eine „Störung der öffentlichen Ordnung“ - aber ideologisch sind natürlich immer nur die anderen
Du solltest nicht vergessen, dass sich die Bundesregierung, und zwar nicht erst in dieser Legislaturperiode, selbst zu Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet hat (Quelle: Bundes-Klimaschutzgesetz von 2019), den Pariser Klimavertrag unterzeichnet hat und dass das Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz verfassungsrechtlich verbrieft hat (Quelle: MDR).
Was die Aktivisten auf der Straße fordern, ist also das, was in den Gesetzen und Verträgen steht. Die Rechtsbrecher sitzen wohl eher in den Ministerien und Behörden.
Da ist sie wieder die Abwägung der Rechtsgüter. Zum einen das Grundrecht auf Klimaschutz (Art.2 GG) und zum anderen das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit (Art.11 GG). Wobei man bei den „verklebten“ Strassen noch die blockierten Rettungswagen bedenken sollten (wieder Art.2 GG).
Ich fürchte das Argument „Grundgesetz“ hat sich für diese Art der Aktionen erledigt.
Und da sind sie wieder, die Pseudo-Argumente der Bildzeitung. Wurde doch gerade erst in der LdN-Folge widerlegt.
Deutschland hat 830.000 km Straßen und weil da an ein paar Stellen jemand auf der Straße sitzt, siehst du dein Recht auf Freizügigkeit (freie Wahl des Wohnortes) bedroht? Was hat die LG dir getan? Sich an einem Samstag strategisch so auf Straßen um deine Wohnung geklebt, dass du mit deinem Umzugs-Transporter nicht mehr weg gekommen bist?
Das wäre schon fast lustig, wenn es nicht um ein so wichtiges Thema ginge.
Da sind wir wieder bei der Güterabwägung. Für die meisten PKW in Großstädten wie München oder Berlin gibt es Alternativen, die in Städten nicht langsamer in der Fortbewegung sind. Und der Weg wäre frei für Rettungswägen.
Die Aussage mit dem „lustig“ bezog sich auf dein „GG Art. 11“ - Argument. Das war wirklich übertrieben.
Und was das zu spät kommen angeht: Es kommen jeden Tag tausende Deutsche zu spät auf Arbeit, viele wegen Staus, viele wegen Problemen/Bauarbeiten bei den Öffis oder weil sie am Abend vorher ein Bierchen zu lange geblieben sind.
Damit kommt unsere Gesellschaft ja auch klar. Also braucht hier niemand so zu tun, als würde die LG hier eine perfekt geölt laufende Maschine aus dem Tritt bringen.
Ist diese Betrachtung nicht etwas eindimensional? Nur weil unsere Gesellschaft mit einer bestimmten Problematik, die sich ohne gerichtete Intention in einem komplexen System ergibt, zurechtkommt oder sie hinnehmen muss, darf ich diese Problematik dadurch ja noch nicht zwangsläufig bewusst und intendiert hervorrufen.
Ein nicht ganz ernst gemeintes, überhöhtes Beispiel: Es kommen täglich Knochenbrüche vor, deren Versorgung für unsere medizinische Versorgung meist Tagesgeschäft sind, trotzdem darf ich nicht herumlaufen und den Menschen die Knochen brechen.
Ich möchte mich nicht zum Urteil versteigen, dass sämtliche Proteste der LG rechtswidrig seien. Letztlich sind sie aber meiner Meinung nach sehr kurzsichtig, da sie in einem zunehmenden Maße die Gesellschaft gegen die LG - und manche auch gegen Klimaschutzmaßnahmen generell - aufbringen. Ich halte es auch für nicht ganz unwahrscheinlich, dass die LG letztendlich zu den aktuell sehr starken Umfragewerten (in einigen Umfragen noch vor den Grünen…) der AfD zumindest mittelbar beiträgt.
Wer sich davon gegen Klimaschutzmaßnahmen wendet, hat aus meiner Sicht eh darauf gehofft, dass nichts passiert.
Die LG ist halt ne total plausible Ausrede:
Also, ich bin ja für Verbrenneraus, aber die Kleber bringen mich davon ab. Ich will den Achtzylinder wieder. Usw.
Und das wird auch noch geglaubt. Wie d… muss man sein, dieser Ausrede zu akzeptieren.
Aus meiner Sicht sorgen die Parteien schon selbst dafür. Union, insb. CSU, sind ja schon lange auf dem Standstreifen unterwegs und halten Diskussionen über Gendern, Ausländer, LGBTQ am Köcheln. Nie lösungsorientiert. Und jetzt der LG dies in die Schuhe zu schieben.
Die blockierten Rettungswagen sind aber nicht Schuld der „verklebten“ Straßen, sondern den Insassen der Blechlawine die keine Rettungsgasse bilden können.
Den Artikel musst du also allen Kraftfahrzeugführern um die Ohren hauen.
Jein. Man würde wohl hier allen Beteiligten eine Mitschuld geben.
Juristisch wird immer gerne auf die Kausalität und die objektive Zurechenbarkeit abgestellt (oder zivilrechtlich Äquivalenztheorie und Adäquanztheorie). Kausalität liegt fast immer vor - würde man die Klebeaktion wegdenken, wäre es nicht zu diesem konkreten Stau gekommen, daher liegt Kausalität relativ klar vor. Der Knackpunkt ist immer die objektive Zurechenbarkeit, also die Frage: Musste der kausal Verantwortliche mit diesen konkreten Konsequenzen rechnen?
Die Frage beantwortet man sich letztlich selbst, wenn man feststellt, dass bei Staus regelmäßig keine korrekte Rettungsgasse gebildet wird. Es muss jedem „absichtlichen Verursacher“ eines Staus auf einer Autobahn klar sein, dass mit einer hohen Wahrscheinlichkeit keine Rettungsgasse gebildet werden wird - das liegt jedenfalls eindeutig im Rahmen der üblichen Lebenserfahrung. Das typische Beispiel mangelnder objektiver Zurechenbarkeit wäre z.B. „A schlägt B und bricht ihm den Kiefer. B begibt sich daraufhin zu Fuß in’s Krankenhaus. Wegen einer starken Windböe löst sich ein Dachziegel und erschlägt B“. Hier wäre das Ergebnis recht klar: Auch wenn ich jemanden den Kiefer breche muss ich nicht damit rechnen, dass er auf dem Weg in’s Krankenhaus von einem Dachziegel erschlagen wird - ich bin zwar kausal, aber der eingetretene Erfolg ist nicht objektiv zurechenbar.
Zurück zum Fall mit der Rettungsgasse heißt das natürlich nicht, dass der Autofahrer nicht auch Schuld daran wäre. Aber weder bei zivil- noch bei strafrechtlichen Sachverhalten schließt die Schuld einer Person es aus, dass nicht auch eine andere Person schuldhaft gehandelt haben könnte. Kommt z.B. eine Person durch eine blockierte Rettungsgasse erheblich zu Schaden, ist es für diese Person natürlich umso besser, wenn sie zivilrechtliche Ansprüche gegen mehrere Verursacher - idealerweise als Gesamtschuldner - stellen kann, sodass wenn der stau-verursachende Aktivist Pleite ist, er sich zumindest an den Autofahrer richten kann, der konkret zu doof war, eine Rettungsgasse zu bilden.
Man muss hier etwas aufpassen, es sich nicht zu leicht zu machen, indem man die Schuld oder Verantwortung für Schäden einfach auf andere abwälzt, die „mehr Schuld“ tragen…
Diese juristischen Überlegungen sind auch auf moralische Schuldfragen übertragbar - so viel Ehrlichkeit gehört schon dazu, dass ich akzeptiere, dass wenn ich eine disruptive Aktion mit dem Ziel, einen Stau zu erzeugen, begehe, ich auch akzeptiere, dass ich daran eine Schuld trage, wenn es durch diesen Stau zu erwartbaren negativen Konsequenzen kommt. Man macht es sich zu einfach, wenn man diese Schuld mit Verweis auf den Autofahrer, der konkrete Fehler gemacht hat, einfach abstreift.
Das hört jetzt wahrscheinlich keiner gerne. Aber wer ein Auto führt, sollte dazu auch in der Lage sein. Und wenn jemand so grundlegende Dinge nicht hinbekommt, muss der Schein halt auch mal weg.