LdN 330 | Faire Regel bei den Tagessätzen

Hallo

Ich finde, das Interview ist echt interessant (und ein bisschen schockierend).

Mein Vorschlag für eine faire Regel bei den Tagesssätzen wäre: Man lässt den Angeklagten entscheiden, ob er die Geldstrafe bezahlen will oder lieber eine angemessene Bewährungsstrafe haben möchte.

Wie findet ihr die Idee?

Schöne Grüße,
Iago (10 Jahre alt)

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Ich finde deine Idee sehr gut @Iago.
Wahrscheinlich wollten die Personen, die die Gesetze geschrieben haben, genau so etwas erreichen: Wer die mitgeteilte Geldstrafe möchte, sagt nichts dagegen und sucht sie so aus. Nur leider verstehen nicht alle Menschen den Brief oder lesen ihn nicht.
Aus Sicht der Angeklagten wäre eine Bewährungsstrafe wirklich gut. Das heißt ja, dass sie erstmal nicht ins Gefängnis müssen und die Möglichkeit bekommen, ab jetzt alles richtig zu machen. Aber dann müssen sie aufpassen, nicht noch einmal etwas Verbotenes zu tun.

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Na ja, die Idee beim Strafen ist halt, dass der Angeklagte sich die Strafe nicht aussuchen können soll. Dafür gibt es Gründe und ebenso viele Gründe, die dagegen sprechen.
Das ist ja das große Problem beim Strafen: Der, der bestraft, muss entscheiden, was für den anderen die „richtige“ Strafe sein soll. Das ist tatsächlich nicht leicht, und man lernt es im Jurastudium - und leider auch danach - nie von Menschen, die einen Blick aus einer anderen Richtung darauf haben.

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Sehe ich ähnlich wie @Schnabel

Eine Bewährungsstrafe führt natürlich dazu, dass es bei Verstoß gegen die Auflagen NOCH härter wird. Und wer kein Geld hat, hat damit auch eh keine echte freie Wahl und wird daher auch wahrscheinlicher wieder rückfällig…

Spannend finde ich allerdings auch die Frage, ob man die Tagessätze - wie in der Folge erwähnt - nach OBEN begrenzen muss?

WHY?

Warum kann irgendein Weltstar nicht auch 100.000 EUR Tagessatz zahlen, wenn er entsprechende Kohle hat?

Oder noch besser: Tagessätze bei irgendwelchen Multimillionären gleich abschaffen: Einfach mal ein Monat Knast!

Muss ja nicht lange sein, aber wenn ein Nationalspieler mal wirklich einsitzen muss, tut das VIEEEEL mehr weh, als irgendwelche Geldstrafen, und er wird sich das in Zukunft drei Mal überlegen.

Und darum geht es ja eigentlich

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Ich finde den Deckel auch unnötig.
Aber wieso muss man dann nur in den Knast, weil man reich ist? Das wäre doch auch diskriminierend.

Ich finde ihn nicht nur unnötig, sondern sogar verfassungsrechtlich fragwürdig im Hinblick auf die Gleichbehandlung.

Strafe muss für den Täter spürbar sein - da herrscht wohl Einigkeit. Daher kann es bei Geldstrafen nur auf das Verhältnis von Einkommen (und eigentlich auch Vermögen) und Tagessatz ankommen. Durch einen Deckel ist dieses Verhältnis für diejenigen, die extrem viel verdienen (und hohe Rücklagen haben), nicht mehr vorhanden. Die Strafe von z.B. 90 Tagessätzen trifft sie signifikant weniger, als sie einen Arbeitnehmer oder Transferleistungsempfänger treffen würde.

Zugegeben, der Deckel wurde 2009 von 5.000 auf 30.000 Euro erhöht, seither ist das Ganze etwas erträglicher, da man schon ein Jahresgehalt im 8-stelligen Bereich braucht, um ohne Berücksichtigung des Vermögens auf über 30.000 Euro Tagessatz zu kommen (30.000 * 365 = 10,95 Millionen), sodass es kaum Fälle gibt, in denen es problematisch ist.

Aber ich denke auch, dass das Vermögen in diesen Ausnahmefällen von extrem reichen Personen Berücksichtigung finden muss. Denn ein riesiges Vermögen macht die Strafwirkung auch völlig zu Nichte. Das StGB ermöglicht bei einer sinnvollen Auslegung auch die Einbeziehung des Vermögens:

„In der Regel“ bedeutet hier halt „im Normalfall“ eines typischen Arbeitnehmers. Da macht das auch Sinn. Menschen mit gigantischen Vermögen hingegen sind nicht dieser Normalfall, hier ist eine Abweichung von dieser Regel gerade im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz geboten, weil die Geldstrafe diese Menschen sonst eben im Verhältnis nicht so hart treffen würde wie einen Arbeitnehmer oder Transferleistungsempfänger. Und zu den wirtschaftlichen Verhältnissen gehört eben auch das Vermögen.

Diese Kappungsgrenze bei 30.000 Euro lässt sich hingegen gar nicht rechtfertigen. Wenn wir davon ausgehen, dass sie so hoch ist, dass sie ohnehin niemanden treffen wird, brauchen wir sie auch nicht. Diese Kappungsgrenze ist ein typisches Beispiel für ein Gesetz, welches reiche Menschen ohne jeden Sachgrund bevorzugt, ein reines Privileg für die Super-Reichen. Daher schließe ich mich der Frage an: Warum?

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Dem würde ich ebenfalls zustimmen.
Die Forderung, Reiche sollten gar keine Geldstrafe bekommen, sondern direkt eine Haftstrafe, ist definitiv auch nicht mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz zu vereinbaren.

Wenn man zu der Meinung gelangt, dass Geldstrafen bei massivem Vermögen nicht ausreichen, um Superreiche spürbar (dh. vergleichbar mit Arbeitnehmern und Transferleistungsempfängern) zu bestrafen, wäre die Wiedereinführung einer Vermögensstrafe denkbar. Eine solche existierte von 1992 bis 2002, wurde dann aber für verfassungswidrig erklärt. Dabei gilt das gleiche wie bei der Vermögenssteuer: Es ist nicht die Vermögensstrafe selbst, die für verfassungswidrig erklärt wurde, sondern die konkrete Ausgestaltung. In beiden Fällen hat das BVerfG auch explizit erklärt, dass Vermögensstrafe und Vermögenssteuer mit der Verfassung vereinbar sein können, wenn sie richtig ausgestaltet werden.

In diesem Sinne könnte man Superreiche dann auch mit dem Entzug von Teilen ihres Vermögens bestrafen, wenn die Geldstrafe nicht ausreicht, um eine Strafwirkung zu erzielen, weil eine im Verhältnis zum Einkommen riesige Vermögensmasse im Hintergrund liegt.

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Das ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot für Strafen, vgl. Art. 103 Abs. 2 GG. Das hat das BVerfG erst 2002 für die Vermögensstrafe entschieden:

Der relevante Teil dürfte dieser sein:

Die Festlegung einer absoluten Obergrenze, die wie im Falle der Tagessätze so hoch ist, dass vermutlich nur eine dreistellige Zahl von Menschen in Deutschland diese Grenze überhaupt erreichen könnte, erscheint mir im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot wenig pragmatisch, sondern rein dogmatisch gedacht. Wenn das Ergebnis dann noch ist, dass die wenigen Menschen, für die diese Grenze überhaupt eine Bedeutung erlangen kann, davon profitieren, während die Strafrahmenobergrenze von 30.000 Euro/Tag für 99,99999% der Bevölkerung quasi nichtexistent ist, haben wir ein klassisches Beispiel von einer ziemlich unsinnigen Verfassungsauslegung.

Im Hinblick auf die Vermögensstrafe machte die Argumentation des BVerfG noch halbwegs Sinn, weil diese rechtspolitisch ja relativ klar das Ziel verfolgte, zu Unrecht erworbene Vermögen schon bei bloßem Verdacht eines Straftatzusammenhangs abzuschöpfen und ohne eine klare Grenze natürlich der Willkür Tür und Tor geöffnet ist, das gesamte Vermögen des Täters enteignen zu können.

Im Hinblick auf eine Geldstrafe oder eine Vermögensstrafe, die nicht das Ziel der Abschöpfung, sondern des Strafens hat, ist die Argumentation meines Erachtens nur schwer übertragbar, da die feste Obergrenze wie gesagt für 99,9999% der Bevölkerung keine wirksame Einschränkung ist und bei den restlichen 0,0001% eine Strafwirkung verhindert. Sie ist daher in 100% der Fälle Irrelevant oder sogar schädlich.

Aber gut, das Urteil des BVerfG zur Vermögensstrafe hatte ja nicht umsonst drei Sondervoten…

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Jede Person muss in unserem Rechtsstaat wissen, welche Strafe sie bekommen kann, wenn sie eine Straftat begeht. Deshalb muss es eine Obergrenze geben.
Aber ich kann deinen Einwand verstehen. Vielleicht könnte man die Obergrenze viel höher ansetzen als im Augenblick.

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Kannst Du mal erläutern was das im Klartext bedeutet? Der Link ist eine Bleiwüste und da werde ich nicht schlau raus. Was versteht man unter „Bestimmtheit“?

Schau mal ein paar Zeilen höher :wink:

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Oder hier. Die Bundeszentrale für politische Bildung ist immer eine gute Quelle
https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/recht-a-z/323146/bestimmtheitsgebot/

Es geht doch eben darum, Leute mit normalen oder geringen Einkommen NICHT zu diskriminieren. Also darun, dass die Strafe dem Multimillionäre genauso weh tut wie dem Studierenden.

Jemand der 50 Millionen auf dem Konto hat, dem tun auch 60 Tagessätze á 30.000 (keine Ahnung was da übliche Wert esind) nicht sonderlich weh - und das darf nicht sein. Denn zwei fehlende Monatsgehälter dürften selbst einen Normalverdiener schon in ECHTE finanzielle Schwierigkeiten bringen.

Aber wenn der Vorstand einer Firma oder ein Nationalspieler mal einfach zwei Monate fehlt, weil er einsitzen muss, häte das eine ganz andere Wirkung

Wie ich in der direkten Antwort ja schon schrieb, verfehlt eine Obergrenze von 30.000 Euro dieses Ziel eklatant, weil diese Obergrenze für den absoluten Großteil der Bevölkerung so absurd hoch ist, dass sie faktisch keine Wirkung entfalten kann, während die wenigen, die tatsächlich an diese Grenze stoßen könnten, von ihr geschützt werden.

Eine relative Grenze (z.B. „Ein Tagessatz wird auf mindestens einen Euro und höchstens ein Dreißigstel des Monatsnettolohns festgesetzt.“) wäre in diesem Fall ebenso bestimmt, würde allerdings eine Offenlegung der Steuerdaten erfordern (was ich persönlich im Rahmen eines Strafprozesses nicht als problematisch sehe, da werden auch noch viel privatere Dinge ausgeforscht…). Andere Lösungen, die Sache verfassungsgemäß auszugestalten, sind meines Erachtens in jedem Fall möglich - und gerade im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot auch sinnvoll, da die aktuelle Regelung wie gesagt in 100% der Fälle entweder keine effektive Obergrenze ist oder den Strafzweck vereitelt.

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genau das hat das BVerfG anders gesehen: Bestimmtheit heißt danach „absolut bestimmt“, nicht relativ zum Vermögen. Kann man falsch finden, aber sich so offen gegen Karlsruhe zu stellen kann man dem Gesetzgeber nicht empfehlen.

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Genaugenommen hat das BVerfG in diesem Urteil zwar in der Tat auch grundsätzliche Aussagen zum Thema „Bestimmtheit von Strafrahmen“ konkretisiert, aber letztlich ging es um die Vermögensstrafe.

Gerade die Absätze 79ff, bei denen es dann um die konkrete Bewertung des alten § 43a StGB geht, zeigen schon, dass das Fehlen absoluter Grenzen bei der Vermögensstrafe deshalb als nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar angesehen wurde, weil die Vermögensstrafe relativ willkürlich neben einer Haftstrafe angeordnet werden konnte und aufgrund ihres Schätz-Charakters (es ging ja gerade darum, in unklaren Fällen Vermögenszuwächse aus krimineller Quelle abschöpfen zu können) gar nicht begrenzt war, daher: theoretisch konnte hier das gesamte Vermögen des Täters entzogen werden, wenn der Richter das Vermögen nicht richtig einschätzen kann, konnte das auch arg über’s Ziel hinaus schießen. Es war in der Tat ein Problem der Bestimmtheit, sodass ich dieses Urteil auch richtig finde.

Diese Problematiken haben wir bei der Geldstrafe nicht, da das Einkommen im Gegensatz zum Vermögen deutlich bessere festgestellt werden kann.

Dass die absolute Bestimmung eines Höchstsatzes bei der Geldstrafe in einer Höhe, die nur für ein paar Dutzend Menschen im Land jemals relevant sein kann, seinen Zweck verfehlt, da dieser Höchstsatz somit in nahezu jedem Anwendungsfall gerade keine Bestimmtheit gewährleistet, ist eigentlich auch unbestritten. Forsch gesagt: Der maximale Tagessatz könnte auch 5 Mio Euro betragen und wäre damit auch - theoretisch-dogmatisch betrachtet - hinreichend bestimmt, würde praktisch aber in noch weniger Fällen eine tatsächliche Begrenzung bewirken. Gerade wenn es um Aspekte wie das Bestimmtheitsgebot (und damit zentrale rechtstaatliche Prinzipien) geht muss aber die tatsächliche Anwendbarkeit im Vordergrund stehen, da sonst ihr rechtstaatlicher Schutzweck verfehlt wird.

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Aber widerspricht das nicht dem gesamten Konzept von Tagessätzen? Die sind ja per se „relativ“…

ja, aber sie sind bestimmt, solange die maximale Höhe im Gesetz steht.