Hallo ihr Lieben,
ich wollte mich als Biologin dazu auch zu Wort melden, weil 1 bis 2 Jahre für „uns“ auch absolut unrealistisch sind. Ich kann natürlich nichts zu Geistes- oder Rechtswissenschaften sagen, daher ist die Information, dass eine Jura-Promotion in 2 Jahren gut (?) machbar ist schon gut, um das einzuordnen.
In der Biologie - und soweit ich das bei Freunden und Bekannten mitbekommen habe auch in vielen anderen Naturwissenschaften, Molekularbiologie, Biochemie, Physik, etc. - beträgt die „Regelpromotionszeit“ normalerweise 3 Jahre, das heißt, die Projekte sollen so geplant werden, dass man sie in 3 Jahren abschließen kann. Je nach Promotionsordnung und Studiengang und natürlich auch Projekt ist es aber durchaus üblich, dass die Promotion eher 3.5 bis 4 oder 4.5 Jahre dauert. Labormethoden wollen etabliert oder angepasst werden, bei Feldversuchen müssen Daten und Proben gesammelt und später am Rechner oder im Labor analysiert werden, Auswertungen, Statistik, Ergebnisse auf Konferenzen präsentieren, Paper schreiben, Lehre, Soft-Skill Kurse, das muss alles in der Zeit erledigt werden. Und oft läuft natürlich nicht alles nach Plan und man muss das Projekt anpassen, oder ein anderes Experiment starten, etc., so dass die 3 Jahre oft einfach nicht ausreichen.
Witzig finde ich auch als Ergänzung, dass die 3 Jahre bis zur Habilitation reichen sollen. Ich bin gerade als PostDoc an der Uni Ulm tätig, bei den Biologen werden 4 (!!!) Jahre für die Habilitation veranschlagt, in der Habilitationsordnung. Und - bitte mit sarkastischem Ton lesen, ist aber nicht böse gemeint, da das mit Sicherheit auch fach- oder habilitationsordnungs-spezifisch ist, und das ganze Segment war ja eher locker und flapsig vorgetragen, was total in Ordnung ist und beim Hören sehr geholfen hat
- 3 bis 4 Paper für die Habil ist auch süß: In unserer Ordnung stehen 10 Paper, die man braucht, um seine Habil einreichen zu dürfen…
Und wie man in den ersten drei Jahren 10 Paper zusammenkriegen soll, wenn man den Anspruch hat, dass die wissenschaftlich auch was taugen, bzw. wie das Ministerium sich vorstellt das das gehen soll, ist mir auch ein Rätsel - (vor allem, wenn man (wie ich zum Beispiel) nebenbei noch Mama und daher zwecks Kinderbetreuung in Teilzeit arbeitet, das hilft total beim Paper schreiben (nicht ;-))… vielleicht schafft man das, wenn man nicht mehr schläft oder isst, und keine Podcasts mehr hört, dann könnte das gehen… und Freunde treffen geht natürlich auch gar nicht, die Zeit kann man viel besser in Arbeit stecken (Sarkasmus aus).
PostDoc heißt oft eben nicht nur, dass man in seinem Forschungsfeld weiterarbeitet, sondern auch, dass man (wie in euren Wortbeiträgen auch sehr gut rauskam) nebenbei eine ganze Menge zu tun hat, was die persönliche Entwicklung angeht. Sich in ein neues Team einfinden, neue Methoden lernen, eigenes Geld für Prokjekte eintreiben, ein eigenes Forschungsprofil entwickeln, Paper, die aus der Diss liegen geblieben sind, fertig machen, Netzwerken, Lehrveranstaltungen planen, organisieren, durchführen, Konferenzen…
Mit Corona und der Mehrbelastung an Organisation in der Lehre und einem kompletten Lockdown der Uni für ein paar Monate, so dass die Laborarbeiten erst liegengeblieben sind (und sich dann eben gestaut haben und man dadurch nochmal mehr Zeit verloren hat) wäre das absolut unmöglich gewesen, eine Habil in 3 Jahren zu machen, zumindest, wenn man alles andere (Lehre, Kollegen unterstützen, Konferenzen etc. ) noch halbwegs gut machen möchte… Und es sollte ja nicht drum gehen, auf Biegen und Brechen X Paper rauszuhauen, die sollen ja auch anständig sein und Hand und Fuß haben und das Feld voranbringen.
Phu, die geplanten Änderungen machen mich echt wütend, und ich schweife ab. Abschließend bleibt aber zu sagen: Ich liebe meinen Job in der Wissenschaft, ich würde nichts anderes machen wollen, das Projekt ist großartig, die Arbeit ist spannend und abwechslungsreich und das Team in unserem Institut fantastisch, aber die Rahmenbedingungen, gerade mit einer jungen Familie, sind - nett ausgedrückt - wirklich schwierig. Man macht weiter, weil das Herz dran hängt und man einfach auf Grund der Hoffnung, dass sich schon was ergeben wird, weitermacht, so lange es geht, aber Planbarkeit und Sicherheit sehen anders aus… und man arbeitet nicht effizienter, wenn man nebenbei immer die Augen offenhalten muss, wie es am Ende seines zwei Jahresvertrages weitergehen soll, besonders weil die Bewilligung von Anträgen auch gerne mal ein paar Monate bis 1 Jahr oder länger dauern kann und Projektanträge zu schreiben je nach Projekt auch ein Vollzeitjob ist…
Danke auf jeden Fall für das Segment und die Information, und die nette Art, das zu präsentieren, das hat über die emotionale Reaktion auf die Inhalte der geplanten Reform zumindest ein bisschen hinweggeholfen.
Liebes Lage-Team, ihr macht einen großartigen Job, weiter so!