Dieser Thread hat sich ja ein wenig zum Kirchenaustrittsdiskussion entwickelt.
Als Kirchenmitglied mache ich mir schon so meine Gedanken, inwiefern ich durch meine Mitgliedschaft mitverantwortlich bin für Missbrauch und strukturelle Gewalt, die von der Kirche ausgeht. Und genauso wie ich es kritisch sehe, wenn Kritiker der Coronamaßnahmen zusammen mit Rechtsradikalen demonstrieren, muss ich mich auch fragen, ob ich mich schuldig mache, indem ich eine Organisation stütze, in der all dies Unheil geschah und geschieht, in der auch sehr rechtes Gedankengut in den traditionellen Kreisen gepflegt wird (und z. B. wurde erst gestern bekannt, dass die in der Vergangenheit fundamentalistisch auftretende Katholische Pfadfinderschaft Europas durch die deutsche Bischofskonferenz fatalerweise anerkannt wurde, ein weiterer Punktsieg der Konservativen). Und ja, damit mache ich mich mitschuldig.
Und doch ist die katholische Kirche für viele Menschen der Ort, an dem sie ihre Glaubensgemeinschaft pflegen, an dem sie sich diakonisch engagieren, der ihre Heimat ist, trotz allem. Und Initiativen wie Maria 2.0, #OutInChurch, überzeugende Personen und sinnvolles soziales Engagement halten den Docht für viele am Glimmen. Hinzu kommt, dass die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche nach ihrer Lehre heilsnotwendig ist, der Austritt beispielsweise die Exkommunikation nach sich zieht. Darüber kann man sich natürlich reflektiert hinwegsetzen, aber ein solches Selbstbewusstsein erfordert einen inneren Weg der Emanzipation, der nicht leicht zu durchschreiten ist bei entsprechender Sozialisation. Ich kann die Kirche nicht so einfach verlassen, auch wenn ich täglich neu mit mir ringe.
Ein Fortschritt wäre es aus meiner Sicht, wenn Kirchenmitgliedschaft nicht mehr an das Entrichten von Kirchensteuer gekoppelt wäre. Und wenn Mitgliedern Mitsprache in der Verwendung ihrer Beiträge eingeräumt würde. Wenn also demokratische Strukturen eingebaut würden. Und wenn es Gewaltenteilung gäbe. Und wenn die Weiheämtern alle zugänglich wären. Und wenn der Klerikalismus überwunden wäre. Und wenn… und wenn… und wenn… Gibt es sie noch, die Perspektiven? Und vor allem - sind sie noch berechtigt? Ich weiß es auch nicht, ich hoffe.