LdN 275 Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche

Danke. Einfach mal ein großes Danke für die klaren Worte bezüglich der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Die Vertuschung derer und die absolut irrwitzigen arbeitsrechtlichen Sonderregelungen, die noch, wie ihr schon sagt, im Mittelalter festhängen, können absolut überhaupt nicht mehr sein und ich kann jedem Menschen in dieser Kirche nur raten, das nicht mehr weiter finanziell zu unterstützen und endlich den Austritt zu beantragen. Eine gruslige Organisation.

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Ich fand es auch sehr gut. Gestört hat mich allerdings die dauerhafte Verwendung des Wortes Kinderschänder. Hier aus Wikipedia: Das Wort Schändung nimmt Bezug auf das Wort der Schande als Gegenbegriff der Ehre. Das kindliche Opfer sexueller Gewalt wird somit im Wortsinne mit Schande überzogen mit der es fortan leben muss, verliert also seine Ehre.
Auch wird dieser Begriff vor allem in Nazi-Kreisen verwendet (mir ist völlig klar, dass die Lage da nicht reingehört, ich wollte nur für den Begriff sensibilisieren).

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Mir sind zwei Aspekte zu diesem Thema aufgefallen.

  1. Soweit ich es richtig verstanden habe, hat die katholische Kirche arbeitsrechtlich legal gehandelt, da ihr im Grundgesetz diese Freiheit eingeräumt wird. Dies hat das BVerfG festgestellt. Dieses Urteil wird im der Lage kritisiert. Meinem Verständnis nach muss doch das höchste deutsche Gericht nach den rechtlichen Maßstäben entscheiden, die durch das Grundgesetz vorgegeben werden.

Nicht nach diesen Maßstäben zu entscheiden, sondern nach moralischen Prinzipien, würde doch dem Rechtsstaatsprinzip widersprechen. Die Kritik an dem Urteil scheint mir tatsächlich der moralischen Sicht zu entspringen. Oder sind diese kirchlichen Freiheiten im Arbeitsrecht so offen gehalten?

Philipp spricht dies an einer Stelle an, wenn er darauf verweist, dass die regierenden Parteien es versäumt hätten, das Grundgesetz zu ändern. Könnte dahinter nicht eine systemische Strukturschwäche stecken? Einige Gesetze in einigen Bereichen scheinen nur damit geändert zu werden, wenn es einen Anlass gibt. Wäre es nicht sinnvoll, einen Mechanismus zu etablieren, der dafür sorgt, dass Gesetze in regelmäßigen Abständen auf ihre Passung hinsichtlich möglicher neuer Situationen überprüft werden?

  1. Zu dieser rechtlichen Perspektive gesellt sich der Aspekt, dass das europäische Recht in diesem Fall über dem Grundgesetz steht. Dieser Aspekt würde mich nochmal interessieren. Dies scheint mir doch ein starker Eingriff in dir rechtliche Souveränität der BRD zu sein. Ich bin jedoch juristischer Laie. Vielleicht kann jemand dazu erhellende Gedanken beisteuern?

Um mich richtig verstanden zu wissen, will ich sagen, dass ich das Verhalten der katholischen Kirche nicht gut heiße. Mich interessiert dazu dazu rechtliche Perspektive und der Wunsch verschiedene Perspektiven (moralisch, rechtlich und politisch) deutlich zu benennen.

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Man kann es auch so sehen, dass jeder der geht, so eine mächtige Organisation den Mafiosi überlässt.
In meinem Bekanntenkreis empfehle ich immer, wenn man schon plant, aus der Kirche auszutreten, stattdessen die Gemeinde vor Ort mit Spenden zu unterstützen.
Hat den Vorteil, dass das Geld an der Basis ankommt, wo es auch wirklich Gutes bewirken kann.

Also ich würde sagen, dass das ist eigentlich die Regel ist, z.B. bei der Vorratsdatenspeicherung, oder dem „Privacy“-Shield, also der Daten-Austausch-Vereinbarung zwischen Amerikanern und EU war jeweils ein europäisches Gericht die letzte Instanz, wenn ich mich richtig erinnere. Die BpB schreibt dazu (Link):

Das Verhältnis zwischen EU-Recht und Grundgesetz kann bis auf den heutigen Tag als nicht eindeutig geklärt bezeichnet werden. Obwohl das europ. Recht prinzipiell Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht genießt (auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht), steht es nicht »über« dem Grundgesetz.

Das sehe ich anders, solange die kath. Kirche genug Mitglieder hat, wird sich nichts ändern. Die Ablehnung durch ihre Mitglieder in Form von Austritten halte ich für den besten Weg Reform-Druck aufzubauen. Es beraubt die kath. Kirche sowohl der finanziellen Mittel als auch der gesellschaftlichen Legitimation.

edit:
Sprachlich präzisiert.

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Was meinst du mit dem Argument genau? Wie steht das Argument in deinen Augen da, wenn man es auf andere Organisationen überträgt? Wenn etwa jemand aus der AFD austreten möchte, würdest du ihm auch davon abraten aus diesem Grund? Oder, für die andere Seite: Wie ist es mit der Linkspartei? Wie mit der CDU?`

Na, das ist doch aber nicht so schwarz und weiß, wie die Trennung moralisch-vs-rechtlich suggeriert. Als Beispiel: In den 50er Jahren hätte das Verfassungsgericht wahrscheinlich nicht entschieden, dass queers ihren Herzensmenschen auch sowas wie heiraten können müssen.

Man mag dazu sagen, dass das Verfassungsgericht der 50er halt einen Justizirrtum begangen hätte, aber mir erscheint es plausibler, dass das Verfassungsgericht eben das sich ändernde Gesellschaftsselbstverständnis aufgreift und sich über die Zeit hinweg dadurch auch widersprechen kann. Das kann man gut oder schlecht finden, auf die Dauer ist es aber wohl unvermeidlich. Schließlich möchten wir Gesetze von vor 500 Jahren wirklich nicht mehr anwenden. Ich verstehe die Kritik von Philipp und Ulf daher nicht so sehr als das Emporheben der Moral über das Gesetz sondern als Forderung, den in ihren Augen eklatanten Widerspruch zwischen den juristischen Vorrechten der Kirche und dem sonstigen gelebten Verfassungsrecht (Ehe für alle, Diskriminierungsverbot,…) auszuräumen.

Mir geht das durchaus ähnlich, es ist in meinen Augen seltsam, wenn wir sonst das Diskrimierungsverbot etwa sehr wichtig nehmen aber dann plötzlich sagen „diese Organisation da, die darf das, weil… ha’m sie halt schon immer so gemacht“.

Wohlgemerkt, ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, dass das die einzig richtige Sichtweise ist. Man muss, denke ich, anerkennen, dass auch Verfassungsgerichtsentscheidungen einem gewissen Zeitgeist unterworfen sind, der zum Glück weniger hektisch wechselt als die Tagespolitik und der mir meistens (aber nicht immer, siehe diese Entscheidung) ganz gut passt. Wie das alles genau zustande kommt, ist spannend, aber schwer untersuchbar, wegen des Beratungsgeheimnisses. Es gibt da aber eine Habilitationsschrift, die vielleicht interessant ist, ich habe mal einen Vortrag vom Autor gehört: https://www.amazon.de/Hinter-Schleier-Beratungsgeheimnisses-Entscheidungsprozess-Bundesverfassungsgerichts-ebook/dp/B00F65Y44W

Vielleicht kann jemand, der wirklich Ahnung hat (@vieuxrenard hat ja mal am Verfassungsgericht gearbeitet), sagen, ob das Buch gut oder Quatsch ist. Das weiß ich leider nicht.

Moin, ich bin nicht religiös und habe nichts mit der Kirche zu tun. Ich frage mich aber trotzdem, wenn es um das Arbeitsrecht und die komischen Gesetze geht ob man da nicht mal das „big picture“ ansehen muss. Ich habe mal gehört, dass die EU Länder längst nicht mehr so wichtig sind für die Kirche und das gerade in Süd Amerika und Afrika die Anzahl an Christen viel wichtiger ist. Kann es nicht vielleicht so sein, dass die Gesetze der Kirche global gelten? Es gibt ja auch nur eine Katholische Kirche, die Richtlinien für alle Gläubigen erlässt. Auch wenn die Richtlinien bei uns in Deutschland aus der Zeit gefallen sind. In Osteuropa können sich bestimmt mehr Menschen mit diesen Gesetzen identifizieren als bei uns. Ich habe manchmal das Gefühl, dass bei manchen Diskussionen wir deutschen denken, dass wir das „non plus Ultra“ sind für die Kirche. Wenn wir uns so darüber aufregen, dass die Kirche blödsinnige Gesetze hat und Rechte hat, die wir heute nicht mehr teilen, ob wir es dann nicht so machen sollten wie Frankreich und die Kirche und den Staat komplett trennen sollten. Und ich rede hier nicht über den missbrauch von Kindern.

Für mich wird die Diskussion, soweit sie sich auf den Kirchenaustritt begrenzt, zu eng geführt. Der Mißbrauch Verantwortlicher in der katholischen Kirche hat einen Umfang, der mehr als erschreckend ist. Ganz furchtbar ist auch, daß den Betroffenen kaum Raum dabei gegeben wird. Die Kirchenverantwortlichen haben sich offensichtlich beinahe ausschließlich nur um die Täter, aber nicht um die Opfer gekümmert. Das ist ein Verhalten, das mit dem christlichen Menschenbild nicht zu vereinbaren ist. Und dennoch, die Kirche, in der die gläubigen Christen eine Heimat haben und ihn dort nicht nur leben können, er auch bewahrt wird, zu verlassen, weil es unwidersprochen unfaßbare Mißstände gibt, halte ich, als gläubiger Christ, für den wahrlich falschen Weg. Will man daran etwas ändern, muß man in der Kirche bleiben. Nur als Mitglied der Kirche kann man Einfluß nehmen. Zu behaupten, nur ein Kirchenaustritt beraubt der Kirche die notwendigen finanziellen Mittel, übersieht völlig, warum wir in der Kirche sind. In der Kirche sind Menschen zusammen, weil sie an Gott und den Wiederauferstandenen glauben und weil dort die Glaubensinhalte bewahrt werden, und nicht, weil sie unbedingt Kirchensteuer zahlen wollen. Auch wenn es eine erschreckend große Zahl von straffälligen Verantwortlichen in der katholischen Kirche gibt, so gibt es viele Verantwortliche, die eine gute Arbeit in der Kirche leisten, und auch für Kinder und Jugendliche eine wertvolle Stütze sind. Mit einer Ablehnung der Kirche, etwa durch einen Kirchenaustritt würden auch diese Menschen und Christen getroffen werden.

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Die katholische Kirche hat 1,3 Mrd. Mitglieder, die 20 Mio. Deutschen haben ein gewisses Gewicht in Rom, aber wie viele zahlende Mitglieder noch dabei bleiben, hat da kein großes Gewicht.
Die Besucher in den Gottesdiensten sind jedenfalls kein Argument mehr, dort noch jemanden hinzuschicken.
Ich habe für Bayern eine Lizenz, in evangelischen Kirchen ehrenamtlich predigen zu dürfen und im Rahmen ökumenischer Gottesdienste auch in der katholischen.
Die Strukturen oben kann ich nicht ändern, aber zumindest an der Basis kann ich daran erinnern, wofür das Evangelium eigentlich steht.
Damit bewirke ich mehr, als ich meiner Kirche die 30 € Mitgliedsbeitrag monatlich vorenthalten würde.

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Exakt. Der Missbrauchsskandal tangiert keinen der Gründe, warum (gläubige) Menschen in der Kirche sind. Er ist kein religiöser Inhalt, kein liturgischer Ritus, kein gelebter Glaube, sondern steht dem vielmehr entgegen. Er betrifft die Kirche als Verwaltung, nicht die Kirche als Glaubensgemeinschaft. Wegen des Missbrauchsskandals aus der Kirche auszutreten ist ungefähr so, als würde man wegen der Existenz der AfD die Demokratie ablehnen.

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Finde ich falsch, denn du unterstützt damit die Verwaltung die hier offensichtlich bis heute versagt.

Es gibt auch christliche Glaubensgemeinschaften außerhalb der Verwaltung Kirche.

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Um ehrlich zu sein, glaube ich das nicht. Du als Einzelner bewegst sicher wenig, ob du nun austrittst, oder nicht. Allerdings gilt das fast immer und überall. Wenn nun aber tatsächlich spürbar Menschen aus der Kirche austreten, mag das dem ein oder anderen Kleriker, der für Aufklärung ist, ein willkommener Rückenwind sein, wenn er gegen Vertuschung vorgehen möchte a la „Wir können nicht so weiter machen, wie bisher, seht, wie die Gläubigen uns den Rücken kehren“.
Davon abgesehen, ob ein Austritt nun was bringt, oder nicht, kann ich Menschen gut nachvollziehen, die für sich entscheiden, dass sie beim nächsten Skandal sich selbst nicht vorwerfen wollen, dass sie der Organisation, die Kindervergewaltigung deckt, jeden Monat Geld überweisen.
Die Sache ist für dich vielleicht anders, du scheinst ja sehr aktiv tatsächlich Dinge zu bewirken. Aber für Menschen, die nur noch so aus Feelgood-Gründen in der Kirche sind, finde ich diesen Skandal einen naheliegenden Grund, aus der Kirche auszutreten.

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Hier möchte ich Dir auch explizit Recht geben.
Eine Mitgliederbereinigung würde wirklich mal Not tun, damit die Verantwortlichen mal sehen, wer eigentlich noch wirklich hinter der Kirche steht.

Falsch finde ich aber, wenn man sich mit der Botschaft identifiziert und wegen, wie es @Bemoel richtig schreibt, Verfehlungen in der Verwaltung der Kirche den Rücken zu kehren.
Und, sollte man wirklich Magengrimmen bei dem Gedanken bekommen, dass nun diese Verwaltung die Kirchensteuer bekommt, kann man immer noch austreten und trotzdem den Betrag in Höhe der Kirchensteuer an die eigene Gemeinde überweisen.
Allerdings haben die evangelischen Kirchen hier mehr Freiheiten, diese Menschen weiter in der Gemeinde einzubinden.
Bei der katholischen gibt es ja sogar schon eine Verwarnung, wenn er zum Abendmahl geht.

Und tatsächlich Dinge bewegen…man freut sich an den kleinen Dingen :smiley:

Wieso, das ist doch so. Niemand will der Kirche vorschreiben, wie z.B. ihr Gottesdienst aussehen soll.

Was allerdings das z.B. Arbeitsrecht angeht, hat die Kirche natürlich keinerlei, irgendwie gearteten „göttlichen“ Anspruch auf Sonderrechte. Sie sind ein Arbeitgeber wie jeder andere auch und haben sich an die ganz normalen Gesetze zu halten.
Leider übernehmen „wir“ nach Art. 140 GG Teile der Weimarer Reichsverfassung, und räumen damit Glaubensgemeinschaften ein besonderes Arbeitsrecht ein.

Ach so? Wann und wo fand denn die Mitgliederbefragung zur letzten Papstwahl statt? Werden in Gottesdiensten offene Diskussionen über die Kirchengesetze z.B. zu Wiederverheiratung oder Abtreibung abgehalten? Wo können sich Leute bei päpstlichen Konzilen als Besucher analog zum Bundestag anmelden?

Die kath. Kirche ist doch vollkommen undemokratisch und vom Beharren auf teils Jahrhunderte-alte Traditionen geprägt. Während z.B. die Politik zumindest versucht, in einem permanenten Prozess von Gesetzesänderungen die sich verändernde Wirklichkeit abzubilden.

Nein ich bin mir sicher, die kath. Kirche kann nicht von Innen reformiert werden, sondern nur durch massiven Druck von außen. Solange aber ca. 25% der Deutschen in der kath. Kirche (und 25 % in der ev. Kirche) sind, traut sich leider auch der Staat nicht, hier auch nur die vorhandenen Gesetzte voll durchzusetzen, geschweige denn, den Kirchen ihre undemokratische und verfassungsrechtlich bedenkliche Sonderstellungen wegzunehmen.

Ich habe gar nichts gegen Spiritualität oder Religion. Jeder soll glauben und handeln wie er es für richtig hält, solange er sich dabei an geltendes Recht hält. Und wenn sich die Kirchen irgendwann in ferner Zukunft rein über Mitgliederbeiträge finanzieren, sich an das Gesetz halten und es natürlich auch keine Sondergesetze mehr für sie gibt, dann ist alles gut. :slight_smile:

edit:
Die Formulierung „strafrechtlich verheerende Sonderstellung“ war falsch, sorry dafür und danke @vieuxrenard für den Hinweis :slight_smile:

edit 2:
Sprachlich präzisiert.

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Um es nochmals zu sagen: die gibt es nicht. Dass in den Kirchen so wenig ermittelt wird ist einfach eklatantes Versagen der zuständigen Staatsanwaltschaften. Rechtlich findet sich dafür kein Grund, nirgends.

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Ich denke, ich kenne den Laden recht gut aus der Innenperspektive. Nicht nur ihr seid entrüstet, auch in den Gemeinden bricht die Wut durch und das will schon was heißen, denn tendenziell sind wir Katholiken loyal gegenüber unseren Hirten und auch dahingehend sozialisiert, die konservativen und eher autoritären Strukturen als gegeben hinzunehmen.

Das Münchner Gutachten hat nicht wirklich Neues erbracht und doch scheint es der Tropfen zu sein, der ein schon seit langem bis zum Rand gefülltes Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Da ist die lange Dauer der Beschäftigung mit dem Thema, ohne dass wirklich Fortschritte gemacht wurden. Seit dem ersten öffentlichen Bekanntwerden von Fällen sexueller Gewalt am Berliner Canisiuskolleg und dem ersten Münchner Gutachten sind 12 Jahre vergangen. Die Reaktionen von Bischof Marx auf der gestrigen Pressekonferenz sind aber im Grunde genommen fast identisch mit seinen Äußerungen im Jahr 2010. Sicher wurden seither gerade im Bereich Prävention große Fortschritte gemacht, aber in der Anerkennung und Wiedergutmachung gegenüber den Betroffenen ist viel zu wenig passiert.

Es fehlt noch immer die Übernahme persönlicher Verantwortung und Konsequenzen durch Verantwortungsträger. Einige Bischöfe haben dem Papst ihren Rücktritt angeboten, dieser hat die Gesuche abgelehnt. Ein gutes Zeichen wäre es, wenn Bischöfe nun dennoch zurückträten, sich also nicht vom päpstlichen Placet abhängig machen würden in ihrer Entscheidung. Es ist ja nicht zu erwarten, dass der Papst dann die Schweizer Garde mit Säbeln über die Alpen schickt. Warum treten sie nicht zurück? Es ist ein falsches Verständnis von Gehorsam gegenüber dem Papst, aber auch eine gewisse Hybris, was die eigene Person und Rolle angeht. Rücktritte, verbunden mit dem Bekenntnis „ICH habe gefehlt“, wären starke Zeichen, die auch einen Neuanfang ermöglichen würden.

Dieses Mea culpa sucht man auch in der 82seitigen Stellungnahme des Ex-Papstes vergeblich. In einer kleinkarierten und kalten kirchenrechtlichen Betrachtungsweise wird hier in einer - nicht nur für Außenstehende - absurden Sichtweise argumentiert, wenn etwa zwischen verwerflichen, aber nicht strafbaren sexuellen Handlungen VOR und justiziablen Handlungen AN Kindern unterschieden wird. Zumal das staatliche Recht in der Betrachtung keine Beachtung findet, obwohl sich das Bistum München Freising ja in Deutschland befindet. Dass Ratzinger nichts gewusst haben will, ist in keiner Weise plausibel. Über solche Fälle wird in den entsprechenden Konferenzen gesprochen, auch und gerade mit dem Bischof. Und sollte er tatsächlich nichts gewusst haben, wäre Ratzinger ein miserabler Bischof gewesen, der nicht nur kein Interesse an seinen Mitarbeiten hatte, sondern auch seine Dienstaufsicht gravierend vernachlässigt hat. Auf jeden Fall hätte man sich gerade in den skizzierten Fällen mit wenig Mühe ein Bild machen können. Wollte man aber scheinbar nicht.

Neben der Hybris der Amtsträger vermute ich, dass ein Grund für die Vertuschung durch Verantwortliche auch darin liegt, dass die Kirche nach katholischem Verständnis selbst Sakrament ist, so wird sie bereits im Konzil von Konstantinopel bezeichnet als „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Folgt man dieser Sichtweise, muss das Ideal der Heiligkeit geschützt werden und darf nichts sein, was die Heiligkeit strukturell in Frage stellt. Vielleicht meinte das Bischof Wilmer, als er davon sprach, dass „der Missbrauch in der DNA der Kirche begründet“ liegt.

Die Aktion #OutInChurch, bei der sich am Montag 125 pastoral Mitarbeitende (nicht 150, wie in eurem Beitrag gesagt) als LGBTQ geoutet haben, ist mutig. Sie war gut vorbereitet und auch der Zeitpunkt war gut gewählt. Wie ihr richtig ausführt, kann es sich aktuell keine Bistumsleitung leisten, repressiv auf dieses Outing zu reagieren. Die Generalvikare treten ja einer nach dem anderen mit Stellungnahmen an die Presse, dass die sexuelle Ausrichtung der Mitarbeitenden akzeptiert würde. Manchen kann man’s glauben, bei anderen ist Skepsis angebracht. Entscheidend wird jedoch sein, ob diese Zusagen auch im Arbeitsrecht der Kirche verankert werden, denn nur dann haben Mitarbeitende die Sicherheit, die sie brauchen, um angstfrei leben und arbeiten zu können. Ohne das befinden sie sich in einer Grauzone und Grauzonen unterliegen Ermessensspielräumen, sind somit Zonen der Macht und Abhängigkeit. Spannend wird sein, wie man sich in den Bereichen der Verkündigung und der Pastoral verhält. In Bereichen wie Kindergärten und Krankenhäusern bin ich optimistisch, in der Pastoral skeptisch und insbesondere gegenüber den Klerikern pessimistisch.

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Das Folgende gehört noch zu meinem vorherigen Beitrag. Ich hatte die maximale Zeichenzahl überschritten, daher hier der Rest:

… Ich denke, in der katholischen Kirche Deutschlands wird gerade ein realer Kulturkampf ausgefochten. Die einschlägigen rechtskonservativen Lager wollen die gescheiterten autoritären Strukturen retten, die reformorientieren Kreise setzen auf wirkliche, strukturelle Reformen. Rom wird ein Zerreißen der Kirche nur verhindern können, indem notwendige Veränderungen zugelassen werden, zumindest regional. Andernfalls droht eine neue Kirchenspaltung.

Was die Aufklärung der sexuellen Gewalt angeht: Die Kirche hat in den letzten 12 Jahren bewiesen, dass sie es nicht auf die Kette bringt. Rein mit den Staatsanwaltschaften, weg mit Privilegien, vielleicht sogar mit der Kirchensteuer. Es könnte ein Befreiungsschlag sein. Für die Betroffenen sexueller Gewalt, letztlich aber auch für die Kirche und diejenigen, die darin ihren Glauben leben wollen.

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Ich will hier eigentlich kommentieren, nicht antworten. Finde aber kein Angebot.
Für mich ist argumentatives Nebeneinander stellen von Straftaten gegen schutzlose Minderjährige und Diskriminierung und Entlassung von Erwachsenen wegen ihres Lebensstiles eine Herabminderung des Straftatbestandes einerseits; und zu nah an der Gleichsetzung von Sodomie und Homosexualität, wie es traditionell getan wurde andererseits.
Es wird dem Ausmaß des Verbrechens in keiner Weise gerecht.
Die katholische Kirche ist eine Einrichtung, die Verbrechen möglich macht, Verbrecher schützt und deckt und sich selbst diesbezüglich mit Machtmöglichkeiten außerhalb des Rechtsraumes hält. Wenn das Gleiche von einem türkischen Clan gemacht wird, ist allen klar, dass es sich hier um organisiertes Verbrechen handelt.
Das Thema ist noch lange nicht groß genug.

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Wie auch an anderer Stelle möchte ich hier um etwas mehr Präzision bitten. Nicht „die“ Kirchen sind undemokratisch, sondern (in weiten Teilen) die katholische Kirche. Die evangelische Kirche ist dermaßen basisdemokratisch organisiert, dass ich oft genug in die Tischkante beißen will, weil jedes Thema mit jeder Person diskutiert und abgestimmt werden muss. Schlimmer kann es bei den Grünen oder der SPD nicht sein :wink:

Ich bin ein Fan demokratischer Strukturen, aber die evangelische Kirche scheint es mir manchmal zu übertreiben und aus meiner Sicht macht gerade das Basisdemokratische sie so unbeweglich - und nicht die jahrhundertealten Traditionen.

Ich weiß, die evangelische Kirche ist hier nicht das eigentliche Thema, sie kriegt aber vieles ungerechterweise mit ab. Das „Kirchenbild“ in der Öffentlichkeit ist extrem katholisch geprägt (wie ein Pfarrer mal zu mir sagte: Die katholische Kirche kann Marketing einfach besser.). Dabei sind die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Kirchen enorm.