LdN 271 - Oppositionsrecht der AfD, Ausschussvorsitze - Eine neue Perspektive

Eure Darstellung der Gretchenfrage, ob die Nichtwahl der AfD-Vorschläge eher eine Verteidigung oder ein Bärendienst an der Demokratie ist, fand ich sehr interessant und abgewogen. Euer Fazit war, dass es das „nicht wert“ ist, der AfD diese Vorlage zu geben für mögliche Klagen und Opferrollen.

Ich kann diese Ansicht so nicht teilen, aber ich habe auch gemerkt, dass mir eine Perspektive gefehlt hat: Die Perspektive der anderen Abgeordneten.

Wie sollen die anderen Parlamentarier*innen im Zweifel einen AfD-Vorsitz akklamieren oder eben wählen, wenn sie das mit ihrer politischen Grundhaltung und ihren Grundwerten nicht vereinbaren können? Ich würde in keinem politischen Amt eine Person wählen oder akklamieren, die in der AfD engagiert ist, zumindest, wenn es eine Wahl gibt, das nicht zu tun. Und die gibt es hier.

Eine Akklamation und die Möglichkeit bestimmte Ausschussvorsitzende nicht- oder abzuwählen wurden ja sehr bewusst eingeführt, weil die Parlamentarier*innen immer noch als Repräsentanten des Souveräns handeln und Ausschussvorsitzende im Einzelnen ablehnen können.

Ist die AfD ernsthaft an Ausschussvorsitzen interessiert, muss sie ihre politische Kultur eben so ändern, dass sie dafür auch wirklich die Zustimmung der anderen Parlamentarier*innen erhalten.

Das BVerfG soll hier gerne urteilen und die juristischen Details bewerten. Aber politisch halte ich es für durchaus angebracht, wenn Parlamentarier*innen ihre Rechte und Wahlmöglichkeiten in diesem Sinne auch voll ausschöpfen.

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Ich halte es unverändert für einen Fehler, einer Oppositionspartei von Dingen auszusperren, über die es bislang im Parlament einen Konsens gab. Das gilt insbesondere, weil ich bislang keinerlei Anzeichen sehe, dass Ausschussvorsitzende tatsächlich einen signifikanten Einfluss hätten oder Schaden anrichten könnten.

Und wenn doch ein Schaden eintritt, dann steht es dem Ausschuss ja immer noch zu, den Ausschussvorsitzenden wieder abzuwählen (wie das ja schon mal passiert ist) - dann aber mit einer konkreten, nachvollziehbaren Begründung. Das hätte ein geringeres Märtyrer-Risiko und Wagenburg-Effekt.

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Ich finde es spannend, dass das Thema jetzt so hoch kocht. Auch in den letzten Legislaturperioden hatten die AfD Vorsitzende in Ausschüssen. Das ist nun einmal so, jede Partei hat die, denn so funktioniert unser Parlament.

Ganz genau!
Es wäre doch auch keine Wahl, wenn man jemanden wählen MÜSSTE.

Die AfD versucht, mit allen Mitteln unsere Demokratie zu bekämpfen.
Da ist es nur legitim bzw. sogar notwendig und die Pflicht einer/s jeden Demokratin/en, die AfD mit allen (legalen) Mitteln zu bekämpfen.
Zumal Deutschland als Mitglied der Vereinten Nationen dazu verpflichtet ist, Rassismus zu bekämpfen!

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Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es normalerweise keine Wahl.
Allerdings kann der Ausschuss den vorgeschlagenen Kandidaten ablehnen und eine Wahl fordern.

Ich sehe auch das grundsätzliche Problem, dass, wenn sich die Regierungsparteien einig sind, sie alle Oppositionskandidaten ablehnen könnten und mit ihrer Mehrheit eigene Kandidaten wählen könnten. Aus Sicht der Demokratie ist das also kein Erfolg gewesen.

Normaler Wähler hier.

Ich fand die Argumentation auch befremdlich, dass die AFD jetzt dringend Ausschussvorsitzende stellen müsse oder die Demokratie nimmt Schaden.

Ich erwarte von der Partei, die ich gewählt habe, dass sie Nazis außerhalb und innerhalb des Parlaments bekämpft. Ich möchte weder AFD-Ausschussvorsitzende noch -Bundestagsvizepräsidenten sehen.

Wenn wir als Gesellschaft der Meinung sind, dass diese Posten jeder im Bundestag vertretenen Fraktion zustehen, sollten wir die Gesetze entsprechend ändern. Aber nur aus Tradition würde ich nicht wollen, dass wir jetzt Extremisten und Feinde der Demokratie in diese Ämter bringen.

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Eine Frage und eine Anmerkung:

Warum sind die Grünen alleine schuld an diesem Desaster? Es hätten doch auch SPD, Union und FDP den Innenausschuss wählen können. Warum ist in der Berichterstattung der Fokus auf den Grünen? Ist der Innenausschuss immer der dritte Ausschuss, der gewählt wird?

Meine Anmerkung ist, dass es einen Abgeordneten frei stehen muss, einen Vorsitzenden zu wählen oder nicht. Und außerdem ist mir das Argument der Opferrolle ein bisschen dünn, um das als Grund gegen eine Nichtwahl ins Feld zu führen.

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Man darf sich im Umgang mit der AfD nicht der Illusion hingeben, es handele sich um eine legitime Partei. Sie mag legal sein, aber das ist nicht das gleiche. Wenn man sich die absurd hohen Hürden anschaut, die für ein Parteienverbot mittlerweile gelten (siehe das letzte Urteil des Verfassungsgerichts zum NPD-Verbot) und die mindestens ambivalente Bilanz der deutschen Justizbehörden im Kampf gegen Rechtsextremismus zusammen, wäre die NSDAP erst verboten worden, wenn die Wehrmacht schon in Warschau steht. Wenn man einsieht, dass hier auf Grund einer nur scheinbar wehrhaften Demokratie eben eine Gruppierung im Parlament sitzt, die ausschließlich aus Leuten besteht, die Rechtsextremisten sind oder sich mit diesen gegen unser System verbündet haben, kann man auch aufhören, so zu tun, als handele es sich um eine legitime Oppositionspartei. Denn eine legitime Opposition muss man sich auch in der Regierung vorstellen können, ohne dass das den Widerstandsparagrafen des Grundgesetzes triggert. Das wäre aber bei einer AfD-Regierung (meiner Meinung nach) sicherlich der Fall. Wenn man meine Sicht auf diesen Sauhaufen teilt, gibt es keinen Grund, denen irgendwas zu geben, wenn man dazu nicht aus juristischer Sicht gezwungen ist. Das ist weder beim Vizepräsidenten noch beim Ausschussvorsitz der Fall. Zumal doch der Umgang mit Vorschlägen von Union und Linkspartei eindeutig zeigt, dass hier nicht eine Regierung versucht, die Opposition von allen Ämtern fernzuhalten, sondern eben die Kandidaten einer Partei, die entweder offensichtliche Rechtsextremisten sind, oder Kollaborateure, soweit es irgendwie möglich ist, auszugrenzen. Und das finde ich genau richtig.

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Mich persönlich würde auch überraschen, wenn das Verfassungsgericht die anderen Parteien verdonnern würde, die AfD-Kandidaturen für diverse Ämter zu unterstützen. Welchen Wert hätte denn bitte die Gewissensfreiheit der Abgeordneten dann noch, wenn sie genötigt wären, solches Pack zu wählen?

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Ich habe auch gleich mit dem Finger auf die Union gezeigt (die AFD hatte nämlich im letzten Bundestag den Vorsitz im Haushaltsausschuss, den dieses Mal die Union hat).
Aber die AFD war letztes Mal größte Fraktion und hatte damit Erstzuschlagsrecht beim Haushaltsausschuss.
Die Union hat nach der SPD gewählt (und als größte Oppositionspartei den Haushaltsausschuss gewählt) und konnte erwarten, dass FDP oder Grüne den Innenausschuss nehmen.
Allerdings fand ich den Aufriss, den sie danach gemacht haben, für unnötig. Wie Philipp und Ulf ja auch ausgeführt haben, geht vom Vorsitzenden nicht zwangsläufig Gefahr aus. Die AFD hat mit dem Vorsitz im Haushaltsausschuss keineswegs die politische Arbeit behindert.
Und als Herr Brandner es mit dem Zündeln übertrieben hatte, wurde er abgewählt.

Die SPD stellt schon die Innenministerin, da ist es nicht verkehrt, wenn der Ausschussvorsitz an eine andere Partei geht. Und der Union hat als diesmal größter Oppositionsfraktion traditionell der Vorsitz im Haushaltsausschuss zu (da wird das Geld verteilt, das ist also von großer Bedeutung für die Rolle der Opposition als Kontrollorgan gegenüber der Regierungsmehrheit).

Man könnte noch anfügen, dass man keine Angst davor haben muss, die AfD zum „Opfer“ zu machen. Die Strategie, die AfD auszuschließen, sie zu stigmatisieren und an den Rand zu drängen schadet der Partei; jede Form von Einbindung, Beteiligung und Anbiederung gegenüber Rechtsextremen leistet ihrer langfristigen Etablierung und Normalisierung Vorschub. Dafür ist es auch vollkommen unerheblich, ob der Ausschussvorsitz nun ein Amt mit Handlungsmacht ist oder ein rein zeremonielles. Ein Parlament, das AfD-Politiker:innen in Ämter hebt oder dieselben an Entscheidungsprozessen beteiligt, arbeitet aktiv an seiner eigenen Delegitimierung.

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Ich würde zu dem Thema gerne etwas ergänzen.

Die AfD hat einen erkannten Rechtsextremisten in den Verteidigungsausschuss gesetzt. Das finde ich viel problematischer als das Thema Ausschussvorsitze, aber es findet viel weniger Beachtung. Ich glaube viele haben das deshalb gar nicht mitbekommen.

Hier nochmal zum Nachlesen: AfD-Fraktion nominiert Gnauck: Extremist im Verteidigungsausschuss | tagesschau.de

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Ich schätze, du meintest hier die CDU/CSU. Aber mach dir nichts draus, ich verwechsele die auch häufig.

EDIT: Es geht um die größte Oppositionsfraktion, die traditionell den Haushaltsausschussvorsitzenden stellt, und das war im letzten Bundestag nunmal die AFD. Da habe ich wieder was gelernt.

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2017 :wink:
Da war die Union mit der SPD in der Regierung.

Oh, ich hatte gar nicht auf dem Schirm, dass der Haushaltsausschussvorsitz traditionell der größten Oppositionsfraktion gegeben wird. Und deshalb dachte ich, du redest tatsächlich von der insgesamt größten Fraktion.
Schade, ich hatte mich so über meinen Kalauer gefreut.

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Hallo zusammen, aus meiner Sicht wurde einem konkreten AFD Abgeordneten die Wahl zum Ausschussvorsitzenden verweigert und der Partei nicht grundsätzlich das Recht abgesprochen, eine entsprechende Position zu besetzen. Möglicherweise würde das Rennen ja anders ausgehen, wenn es einen gemäßigteren Kandidaten gäbe.
Um meine Sicht gleich selbst zu relativieren - ich war erstaunt, dass gleich in mehreren Ausschüssen dies der Fall war.

Das ist doch formalistisch argumentiert, eine Haarspalterei. Es geht um die kommunikative Wirkung in der Öffentlichkeit. Und die ist: Die [je nach Sichtweise] demokratischen / etablierten Parteien torpedieren der AfD die Rechte, die sie für alle Parteien vereinbart haben und allen anderen Parteien zustehen.

Nachdem die Rolle des Ausschussvorsitzenden offenbar so wenige Einfluss hat und bislang kein Schaden durch einen Ausschussvorsitzenden der AfD bekannt geworden ist (die meisten Ausschussvorsitzenden - aller Parteien! - sind der Öffentlichkeit nicht bekannt), ist der Schaden, der durch die kommunikative Wirkung dieses Verhaltens in der Öffentlichkeit viel größer als ein Schaden, der dadurch entsteht, dass ein paar AfDler ein paar Ausschüsse leiten.

Und wenn ein Ausschussvorsitzender der AfD seine Position als Vorsitzender tatsächlich zum Schaden des Ausschuss oder des Parlaments oder der Demokratie missbrauchen sollte, dann können doch die Ausschussmitglieder den Vorsitzenden abwählen. Dann mit einem in der Öffentlichkeit gut vertretbarem Argument, dass auf Fakten beruht.

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Definiere Schaden. Ich finde den Schaden viel größer, wenn demokratische Abgeordnete AfDlern irgendwelche Stimmen geben, als wenn die AfDler mal wieder ihr übliches Jammernarrativ pflegen, was inzwischen so abgelutscht ist, dass es außer AfDlern selber mittlerweile doch auch kaum noch jemanden mehr interessiert.

Davon abgesehen besteht die Arbeit eines Auschussvorsitzenden ja nicht nur darin, alle paar Jahre mal ein 10-Sekunden-Statement in der Tagesschau abzuliefern, wenn Minister und Staatssekretäre zum Thema gerade keine Zeit haben. Dass du die Namen nicht kennst, heißt doch nicht, dass die nichts zu tun haben.

Stell dir z.B. vor, der Innenausschuss hat ein Thema wie rechtsradikale Gewalt auf der Tagesordnung und möchte dazu Opfer oder deren Angehörige anhören, die dann die Einladungen dazu von einem faschistischen AfD-Hansel zugesendet bekommen und mit dessen Büro den Termin abklären müssen. Ungeil.

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Schaden ist (in meinen Augen), wenn AfD mehr Rückhalt, v.a. bei Wählern, erhält.

Und Rückhalt kann sie bei ihren Anhängern und Ähnlich-Denkenden, wenn sie mit Recht darauf verweisen kann, dass die Politiker der anderen Parteien sie diskriminiert (ihnen zustehende Rechte verwehrt), nur weil sie die AfD ist. Und genau dieses Argument hat man ihnen jetzt auf den Silbertablett serviert.

Der Schaden wäre geringer, wenn man sich an die parlamentarischen Regeln hält, zähneknirschend der AfD einige Ausschussvorsitze zubilligt, deren Tätigkeit kritisch begleitet und wenn klare Grenzen überschritten werden, dies dann konsequent, zeitnah abwählt - mit einer orchestrierten PR über den oder die Grenzübertritte.

Ich habe bis jetzt niemals gehört, dass ein Ausschussvorsitzender der AfD in seiner Rolle als Vorsitzender einen objektiven „Schaden angerichtet“ hätte. Z.B. im Namen des Ausschuss AfD-Narrative verbreiten, obwohl sich der Ausschuss völlig anders geäußert hat. Z.B. AfD-ferne Agendapunkte weglassen AfD-Nahe oder hinzufügen (es sei denn, der Vertreter der AfD im Ausschuss hat dies regelkonforme beantragt). Das trauen die sich nämlich nicht. Weil die Ausschussmitglieder sie jederzeit abwählen können. Oder weil das in einem PR-Desaster enden könnte.

Die werden nicht vom Bundestagsabgeordneten der AfD eingeladen, sondern vom Vorsitzenden des Innenausschusses (blöder Weise in diesem Fall halt von der AfD). Und ich denke, für die Opfer von rechtsradikaler Gewalt ist es egal, ob der Nazi bei der Anhörung als normales Mitglied rassistische, sexistische oder sonstwie bescheuerte Äußerungen von sich gibt oder als Vorsitzender. Wichtig ist, dass viele andere Mitglieder sofort und vehement widersprechen.