LdN 228 Lockdown Gegenposition Quality adjusted life years

Ich empfand die Darstellung der Gegenpositionen in der Lockdown Diskussion wenig geschickt. Es passiert generell schnell, dass nur auf die lautesten und irrationalsten Aspekte eingegangen wird. Ulf und Philip, die ich sowieso sehr schätze, waren hierbei besser als viele. Trotzdem fehlte mir hierbei etwas.

Ich selbst bin als Oberarzt in einer Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie tätig, was meinen Blick eventuell etwas verzerren mag. Ich denke aber, dass es nicht sinnvoll sein kann als Ziel einer Politik Inzidenzwerte oder Todesfälle durch eine bestimmte Erkrankung zu verwenden. Gibt man einem solchen Aspekt das Primat in der Entscheidung von so komplexen und schwerwiegenden Fragestellungen, ist nahezu vorprogrammiert, dass man irgendwann den Blick für andere Aspekte verliert.

Was also tun? Ich will ja nicht nur meckern ohne eine Alternative vorzuschlagen.

In der Medizin wird oft mit sogenannten qualitätskorrigierten Lebensjahren oder QALY gearbeitet. Ein QALY von 1 bedeutet ein Jahr in voller Gesundheit. Wenn wir also unsere Ziele der Pandemiepolitik darauf auslegen möglichst wenig Verlust an QALY zu haben, so sind offen dafür Aspekte einfließen zu lassen die über direkte COVID Folgen hinausgehen.
Dies könnte z.B. konkret bedeuten, dass das vorzeitige Ableben eines Covid Patienten 5 Jahre vor seiner biologisch zu erwarteten Lebenszeit ein Verlust von 5 QALY sind. Wenn ein Grundschulkind in einer sozial benachteiligten Familie Gewalt durch Überforderung der Lehrer erlebt und dadurch Folgen in seiner psychosozialen Gesundheit über 7 weitere Lebensjahrzente erfährt die seine Lebensqualität um 10% einschränken, so wären dies 7 QALY [Massiv vereinfacht]. Wenn wir also „Leben schützen“ wollen, so müsste der Schüler mehr zählen als der Verstorbene. Wenn man nun extrapoliert und angemessene Modellrechnungen zu den Schluss kämen, dass selbst hunderttausende verstorbene unter Covid nicht den selben Verlust an QALY hätten wie die zu erwarteten Folgen bei Schulschließungen, dann könnte das heißen, dass EGAL wie hoch die Inzidenz ist, die Schule offen bleiben muss. Ob das so der Fall ist vermag ich natürlich nicht zu sagen. Aber entsprechende Studien könnte man in Auftrag geben und fördern. Aktuell gibt es dafür aber keinen Anreiz, da NUR die Covid Fälle zählen.

Diese Art zu rechnen mag kalt wirken. Und niemandem der seinen Vater, Ehemann oder Kind verliert will ich damit absprechend dass dieser Mensch ihm wichtiger sein darf als alle Anderen. Aber die Politik hat eine Verantwortung für alle und sollte sich hier entsprechend utilitaristisch verhalten.

Was denkt ihr dazu?

Nur um meine Position nicht falsch wirken zu lassen. Ich habe im direkten Bekanntenkreis schwer betroffene Covid-19 Kranke. Auch wenn ich selbst als mitte 30 jähriger statistisch nicht schwer erkranken würde, sorge ich mich um Spätfolgen der Infektion mit Fatigue, Konzentrationsschwäche usw. Ich würde vom Bauchgefühl her sagen, dass auch bei Betrachtung der QALY ein harter Lockdown mit zeitlicher Begrenzung besser wäre. Aber die psychischen Folgen insbesondere der Kinder mit Leid das über ein Leben lang Folgen haben kann und wird besorgt mich. Wenn man finden sollte dass eine Schließung von Kita und Schule usw. am meisten QALY schützt, würde ich dahinter stehen und dies auch vertreten. Wenn aber immer nur mit den direkten Toten durch Covid argumentiert wird finde ich das zum kotzen.

Das Beispiel in der Sendung dass man bei der (absurden) Idee der Herdenimmunität hunderttausende Tote in Kaufnehmen würde und dies undenkbar sei, fällt meiner Meinung nach in diese Falle. Wir nehmen ständig Tote in Kauf in der Güterabwägung zu anderen Aspekten. (Wirtschaft vs. klima, Unfalltote vs. Mobilität, Herzerkrankungen vs. „freie Wahl“ beim Essen usw. usf.) Das soll kein Whataboutism werden und daher sind mir die anderen Beispiele für die hiesige Diskussion nicht so wichtig.

Ich würde mir von Ulf und Philip wünschen, dass sie noch klarer verdeutlichen, dass jede Strategie Leben kosten wird. Egal ob harter Lockdown, freie Fahrt für Corona oder was auch immer. Und dazu gehört, dass man auch den Verlust an Lebensqualität und nicht nur direkte Todesopfer zählt.

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Hallo confused_medic,
danke für den guten Beitrag, der eine andere Perspektive und Herangehensweise aufzeigt. Als jemand, der gerade (in einem anderen Kontext) mit dem QALY-Konzept arbeitet sehe ich allerdings folgende Probleme:
1.) Solche Studien müssten, weil Langzeitdatenerhebungen in der aktuellen Situation ja nicht zielführend sind, um aktuelle Probleme zu bewerten, extrem viele Modellrechnungen und damit Annahmen enthalten. Faktisch befragen kann man vielleicht einige tausend Menschen, aber dann nur als Querschnittstudie. Jede Annahme hat aber das Problem, die Ergebnisse zu verzerren und die Generalisierbarkeit der Ergebnisse massiv einzuschränken. Wären das nur ein, zwei Annahmen - kein Problem. In Studien, die große Bevölkerungsgruppen einschließen sollen, wird sich aber vermutlich Annahme an Annahme reihen. Diese Vermutung meinerseits rührt daher, dass selbst in Studien zur Evaluation der ökonomischen Sinnhaftigkeit von neuen pharmazeutischen Interventionen für seltene Erkrankungen, wo ja, um einen Gutteil der Gesamtpopulation abbilden zu können nur vergleichsweise wenig Patient*innen befragt werden müssten, Annahme um Annahme genutzt wird. Sicher, da mag auch ein ökonomischer Aspekt hinter stecken - Annahmen können auch genutzt werden, um den Nutzen einer Maßnahme und damit die „willingness to pay“ zu erhöhen. Nur, wie können wir sicher stellen, dass das bei Bewertung von Lockdown-Maßnahmen nicht auch in die ein oder andere Richtung geschieht?
2) Allein die Konzeption von Studien und Fragebögen dafür dauert Monate, wir brauchen Ergebnisse aber eigentlich besser vorgestern.

Insgesamt stimme ich insofern zu, dass wir solche Untersuchungen sicherlich brauchen - nur glaube ich, dass sie für die Evaluation der aktuellen Situation nicht geeignet sind. Vielmehr können sie uns helfen, uns auf zukünftige Pandemien vorzubereiten und vorab die Sinnhaftigkeit gewisser Maßnahmen wissenschaftlich beleuchten.

Danke! Ein guter Einfall, den ich gerne ein wenig stützen würde.

Ein großes Problem sehe ich bei Corona darin, dass wir stetig unter großem moralischen Druck mit Äpfeln und Birnen rechnen müssen. Jemand, der fragt, ob man denn das Virus nicht einfach laufen lassen könne, wird mit dem Argument (derart hat) gescholten, das koste ja so und so viele Menschenleben, das könne ja keine Lösung sein. Wer argumentiert, dass auch die leidende Wirtschaft Menschen schade, der bekommt mit der Neoliberalistenkeule eins auf die Rübe, und so fort.

Die selbe Diskussion ist in der Medizin(ethik) schon oft geführt worden. Wie rechnen wir den Tod des einen gegen das Wohlergehen eines anderen auf, kurz: wie verteilen wir ein knappes Gut (medizinische Versorgung) auf zu viele Bedürftige. Ein nicht unumstrittener, aber doch sehr egalitärer Vorschlag sind die QALYs, die vor allem den Charme haben, Maßnahmen egal welcher Art annähernd vergleichbar zu machen.

Ich wünsche mir mehr solcher Ansätze auch in der aktuellen Diskussion, weil wir mit moralischen Totschlagargumenten einfach nicht besonders weit kommen. Auf die lange Sicht sind wir gezwungen, die ausbleibende Schulbildung, die psychologischen Folgen, die wirtschaftlichen und finanziellen Nöte, sowie die medizinischen Konsequenzen dieser Pandemie einmal global zu betrachten. Und zu akzeptieren, dass kein Diskussionsteilnehmer mit gesundem Menschenverstand Coronatote besser findet als den Euro in der Tasche. Nur dass er vielleicht versucht, eine Variable mehr mitzudenken.

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Ich glaube auch hier liegt wieder einmal ein großes Missverständnis vor:
NoCovid (wozu sich die Lage ja bekennt) will die Einschränkungen unseres Lebens und die damit verbundenen Kolleteralschäden langfristig und nachhaltig minimieren. Der Kern von NoCovid ist ja, dass wir die Inzidenz auf ein geringes Niveau drücken, wo wir für R<=1 viel weniger Beschränkungen brauchen, als bei einer hohen Inzidenz.

Was Sie in Ihrer Rechnung absolut vernachlässigen ist, dass wir als großes Hauptziel eine Überlastung des Gesundheitswesen vermeiden wollen, was uns alle treffen würde. Sobald das Gesundheitswesen überlastet ist, gehts nicht mehr nur um Corona-Fälle, sondern auch um den Schlaganfallpatienten, den Krebskranken oder das Kind, was vom Fahrrad gefallen ist. Es betrifft uns alle!

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Hallo,

das Konzept der QUALY ist interessant und erinnert mich daran, wie wir im Volkswirtschaftsstudium über gesellschaftlichen Nutzen gesprochen haben. Das QUALY-Konzept ist ein strikt utilitaristisches Konzept (die positiven und negativen Nutzen aller Mitglieder der Gesellschaft werden einfach addiert), zu dem es sehr viel berechtigte Kritik gibt. Bevor ich jetzt das Rad neu erfinde:

@Felix_Heinrich dein Kommentar verwundert mich schon, weil wir doch in einem anderen Thread über QUALY, DALY gesprochen haben.
Ein solche Studien wurde doch gerade vom RKI veröffentlicht und du hast kommentiert. Sicherlich auch interessant für @confused_medic da ist die Studie verlinkt. : Durch Tod und Krankheit verlorene Lebensjahre in Deutschland im Verlauf der Pandemie

Ich finde diese Diskussion sehr interessant und alle Fragen berechtigt. Aber was ist mit dem Lebensqualität von den Kindern die durch Covid einen Elternteil verlieren könnten? In diesem Fall eine Entscheidung zu treffen ist wirklich wie ein " Gambling". Wäre es nicht besser 2 Monate auf die Schule zu verzichten, statt eine Kindheit ohne Mutter zu haben?

Aber die QALY finde ich nicht kalt oder sinnlos. In dieser Folge von Tim Harford’ s " Cautionary Tales" wird dieses Konzept mit einem sehr guten Beispiel wirklich verständlich erklärt.

Hier ist das Info zur Episode:

„Clive Stone was dying, and the drug that might help him was unavailable: a spreadsheet somewhere said that the numbers didn’t add up. But Clive Stone wasn’t a man to accept that sort of decision without a fight.How do we value human life? What happens when we turn flesh-and-blood people into entries on a spreadsheet? And, perhaps just as worryingly, what happens when we don’t?“

Eine der schlimmsten Reaktionen ist aus meiner Sicht das, was leider vielfach praktiziert wurde, nämlich den Kindern zu sagen, dass sie quasi Schuld sind am (möglichen) Tod ihrer Eltern oder Großeltern, wenn sie sich nicht drastisch einschränken. Der enorme psychologische Druck, der dadurch versursacht wurde, wirkt sich definitiv auch auf die QALY aus.

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Mir ist das QALY-Konzept grundsätzlich sympathisch, was wohl auch daran liegt, dass ich mit Herz und Seele Utilitarist bin.
Es gibt allerdings genau eine bedeutende Schwäche des Utilitarismus, die ich als solche gelten lasse: Nämlich, dass man die wenigsten Werte, die man bei der Maximierung von Glück, Zufriedenheit oder Lust bzw. der Minimierung von Abwesenheit desselben oder Leid (je nach Lesart) ins Kalkül zieht, gegeneinander aufrechnen kann. Z.B. kann ich nicht sagen, ob ein Jahr mit Zahnschmerzen schlimmer ist als ein Jahr ohne den Ehepartner. Man kann sich solchen Fragestellungen durch psychologische Experimente zwar annähern, aber es bleiben Näherungen, die keine wirklich lebensrelevanten Berechnungen erlauben.
Die QALYs bieten hier ein besonders gutes Beispiel: Ich behaupte, es ist geht beim Verlust von Leben nicht um die Lebenszeit des Verstorbenen (dem es, nachdem es nunmal schon tot ist, herzlich egal ist, wieviel länger es noch leben hätte können), sondern um das Leid der Hinterbliebenen. Dieses Leid ist nun sicher abhängig vom Lebensalter des verstorbenen Angehörigen, aber bestimmt nicht proportional zur angenommenen verbleibenden Lebenszeit. Ein kleines Kind, das stirbt, wird sicher von seinen Eltern ganz besonders betrauert, aber vielleicht nicht von besonders vielen anderen Menschen, während der Tod eines Dreißigjährigen, das mitten im Leben stand und viele Bekannte und Freundys hatte aber keine nahen Angehörigen, zwar nicht bei ein paar wenigen extrem viel Trauer hervorruft, aber dafür bei sehr vielen eine gehörige Portion Traurigkeit. Schon diese Gefühle, die ich hier mit Trauer und Traurigkeit bezeichnet habe, lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen. Noch viel schwieriger wird es, wenn man die Trauer mit Long Covid oder Impfnebenwirkungen verrechnen wollte. Was sage ich - schwieriger - es wird schlichtweg unmöglich.
Und trotzdem behaupte ich, dass genau das unsere Aufgabe oder/und die Aufgabe der Politik ist: Ein Gefühl dafür zu entwickeln, auf welche Weise das Leid minimiert werden kann. D.h. man kann es nicht ausrechnen, aber schätzen. Und dabei kann ein Konzept wie die Quality Adjusted Life Years schon helfen, wenngleich man nicht beim einzelnen Menschen stehen bleiben darf, und dessen Lebensglück im Blick haben, sondern immer auch sein Umfeld mit einbeziehen muss.

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Himmm, aber ich habe gar nicht gesagt, daß die Kinder daran Schuld wären, wenn die Eltern sterben. Das muß selbstverständlich jedem klar sein, daß die Gedanke total absurd ist. Es geht hier darum, das es nunmal eine absolut " reale Gefahr" ist , daß Eltern angesteckt werden und sterben können. Wenn man die Lebensqualität von einem Kind in den Pandemie Zeiten rechnet, wie kann man das größte Risiko ignorieren? Nämlich daß das Kind im schlimmsten Fall ohne eine Mutter oder ein Vater aufwachsen müsste.

Jedenfalls Danke für deine Nachricht und alles Gute.

Ich habe ja auch gar nicht behauptet, dass Du das gesagt hättest. Ich habe es aber oft genug erlebt, bis hin zu Familien, in denen die Großeltern darauf bestanden, ihre Enkel:innen zu sehen und diese geradezu Angst hatten, durch einen solchen Besuch quasi Schuld am Tod ihrer geliebten Oma ihres geliebten Opas zu sein. Und diese Angst ist aus meiner Sicht ein Produkt des Umgangs mit der Pandemie - der eben zu einem Großteil auf Angst basiert und nicht auf Vorsicht, was zwei grundlegend verschiedene Dinge sind. Und das beeiniträchtigt das Leben der Kinder definitiv. Ist nur halt nicht so „schön“ messbar.

Wir leben in einer Zeit, wo Angst zu haben.von manchen als eine „Untugend“ gesehen wird. Ich glaube das zeigt, wie eitel wir Menschen geworden sind. Aber „mutig zu sein“ ist nicht das Gegenteil von " ängstlich zu sein". Eigentlich, der Mensch der zu seinen berechtigten Ängsten steht ist der Mutige.

Du sagst, daß Vorsicht und Angst zwei grundlegend verschiedene Dinge sind. Aber sie hängen doch zusammen:
Man ist „vorsichtig“ , weil man vor den Konsequenzen seiner Handlungen „Angst“ haben muß, wenn man sich nicht richtig verhält. Ich glaube es macht wenig Sinn, den Kindern um Vorsicht zu bitten, ohne die Angst dahinter zu begründen und zu erklären.

Man kann ihnen sicherlich auf einer pädagogisch richtigen Art erklären, daß sie an nichts schuldig sind, daß die Situation beängstigend ist , aber man die Möglichkeit hat, sich und seinen Lieben zu schützen. Die Großeltern muß man schützen, auch wenn sie selbst leichtsinnig werden und glauben, daß es ihnen nichts ausmacht, wenn sie ihre Enkelkinder weiterhin treffen.

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Ich habe auch nie gesagt, dass Angst etwas grundsätzlich schlechtes ist und Menschen keine Angst mehr haben sollen. Auf der indivuellen Ebene kann Angst in bestimmten Situationen sehr hilfreich sein, manchmal sogar lebensrettend. Auf der anderen Seite leiden Menschen, die zu oft oder zu viel Angst haben oft auch sehr stark darunter. Mann könnte viellecht sagen, dass Angst auf der individuellen Ebene als Warnsystem dient, aber niemals alleine handlungsleitend sein sollte.
Ganz anders sieht das m. E. auf der gesellschaftlichen Ebene. Hier überwiegen aus meiner Sicht die negativen Auswirkungen von Angst, weil diese sich eben nicht auf direkt selbst erlebte Situationen bezieht, sondern durch andere (sei es durch Gespräche oder Medien) vermittelt und dann quasi auf Situationen im eigenen Leben projiziert wird. Beispiel Kriminalität: Hier zeigt die Forschung eindeutig, dass die subjektive Wahrnehmung, was wann wo gefährlich ist völlig abweicht vom tatsächlichen Risiko. Und dass diese Angst gerade durch das (Über-)Thematisieren dieses Risikos entsteht. Das ist aber etwas grundsätzlich anderes als Vorsicht, die ich so definieren würde, dass ich versuche, ein Risiko realistisch einzuschätzen und dann mein Handeln darauf einzustellen, es zu minimieren. Der These, dass Angst ein notwendiger Bestandteil von Vorsicht ist, würde ich also widersprechen. Negative Folgen von risikoreichem Handeln lassen sich auch anders einschätzen als durch Angst und - wie das Beispiel Kriminalität zeigt - oftmals sogar besser. Gleichzeitig wird aber diese Unterscheidung zwischen Angst und Vorsicht u. a. beim Thema Corona aus meiner Sicht viel zu selten getroffen, und das sollte das mein Beispiel mit den Kindern zeigen. Sicher kann man das anders machen und hoffentlich wird es auch oft anders gemacht, aber leider habe ich mir diese Fälle nicht ausgedacht.

Was Dir - mit Verlaub (ist nicht persönlich gemeint) - in etwa genauso viel Kompetenz beim Thema Pandemiebekämpfung gibt, wie mir, der ich Unternehmensberater in der IT bin…

Ich bin bei Dir, dass man nicht nur mit Todesopfern rechnen kann. Aber so eine QALY-Rechnung wäre ohnehin nicht realistisch anzustellen, weil sie einfach zu komplex würde. Das Kind im Lockdown verliert zwar vielleicht 7QALY, steckt aber in der Grundschule vielleicht 30 andere Kinder an, wodurch am Ende drei 40-jährige an, die an Corona sterben…

Wie will man das realistisch vergleichen, oder gar ausrechnen.

Und wenn wir einfach von Anfang an einen harten konsequenten Lockdown gefahren hätten, statt diese weichgespülte Rumgeeiere der Politik, wenn wir letztes Jahr nach(!) dem ersten Lockdown gezielt neue Schulkonzepte erstellt hätten anstatt mit der Brechstange zu versuchen alles beim Alten zu lassen, wenn man versucht hätte hier eine NEUE „Normalität“ zu schaffen, anstatt zu versuchen zur alten gewohnten zurückzukehren, weil das „ja schon immer so war“…
…dann hätten wir auch weit weniger Probleme mit psychischen Folgen.

Solche QALY-Rechenbeispiele kann man machen, wenn KEINE Pandemie ist. Hier muss man Konzepte entwickelt. Im Krisenmodus funktioniert das nicht.

Sehe das wie @Lukas3 NoCovid und ähnliche Konzepte sind die einzig richtige Antwort.

Und hey, in meiner kleinen Familie drehen hier gerade total am Rad, und meine Ehe geht gerade wegen diesem schei** Viurs vor die Hunde… Trotzdem bin ich der Meinung, dass Einschränkungen der richtige Weg sind!

Mach Dir mal den Spaß und sprich mal mit Familien wo genau DAS passiert ist… Familie besucht Oma, steckt Oma beim Besuch an, Oma stirbt an Corona.
Das Leid und die psychischen Folgen die damit einhergehen kann man sich nicht vorstellen…

Daher bin ich der Meinung, dass uns etwas Angst in Bezug auf Corona gerade nicht schaden kann.

Die Leute haben Angst, vor dem Ruin, Angst, kein Klopapier mehr zu bekommen, Angst, dass Ihr Lieblingsrestaurant pleite geht…

Aber Angst vor Corona? Sehe ich gerade nirgendwo… Nur Leichtsinn und Ignoranz…

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Vielen Dank für den Anstoß confused_medic, die Einbeziehung anderer Parameter als nur der rein körperlichen Gesundheit ist sicherlich sehr sinnvoll.

Eine Ergänzung zu Ihrem Beispiel mit den Kindern: Wir wissen noch nicht viel über mögliche Langzeitfolgen von COVID-19, auch nicht bei Kindern. Es kann sein, dass wir durch die Verhinderung von Infektionen in dieser Altersklasse dort körperliche Gesundheit und damit QUALYs erhalten. Ganz akut sind die Kinder eine der am meisten unter den Maßnahmen leidenden Gruppen, es kann aber sein, dass wir ihnen damit langfristig einen großen Gefallen tun - wir wissen es schlicht noch nicht.

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Hallo Kai. Vielen Dank, daß du dir die Zeit genommen hast mir das so ausführlich zu erklären. Du hast natürlich Recht. Angst soll nicht alleine handlungsleitend sein. Da gibt es ein sehr schönes Gedicht von Hafiz wo er sagt:

“Fear is the cheapest room in the house.
I would like to see you living
In better conditions.”

Das Beispiel mit der Kriminalität fand ich auch sehr gut. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es in diesem Fall wirklich passt. Die Wahrscheinlichkeit ,daß man durch einen Menschen getötet wird ist sehr gering. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß man sich mit dem Virus ansteckt, vor allem wenn man in einem Hotspot wohnt ist groß. Das kann jeder Zeit passieren, wenn man nicht aufpasst. Da ist die Angst auch auf „gesellschaftlicher Ebene“ gerechtfertigt um auf dein Beispiel zurückzukommen. .

Ich stimme auch zu, daß es niemandem gut tut wenn man zu viele Medien konsumiert. Da sollte jeder selbst kontrollieren, was er in seinem Kopf reinlässt.

Ich wollte aber auch sagen, daß es manchmal nötig ist, daß die Medien zeigen wie schlimm die Konsequenzen sein können. Da habe ich letztens diesen Artikel in BBC Brasil gelesen, über eine junge Frau die fast an Corona gestorben ist. Sie ist Zahnärztin und eine top fit Sportlerin. Weil es dort so viele Menschen gibt die den Virus nicht ernst nehmen , sie hat ihre Fotos veröffentlicht. Ich füge den Artikel hinzu, wegen den Bildern. ( Aber wenn du so was verstörend findest, ich kann es auch verstehen. Dann guck nur das erste Bild, da ist sie noch gesund. )

Jedenfalls nochmal Danke für den Gedankenaustausch. Bleib gesund!