Ich finde ebenfalls, dass der Impfstoff-Block relativ schlecht und mit viel Halbwissen angefüttert war, insbesondere, wenn es um den BioNTech-Stoff geht, bei dem ich mich, da seit März 2020 durchgängig überzeugter Aktionär der Firma (betrachtet das bitte als Disclaimer, meine Perspektive mag dadurch durchaus eingefärbt sein), etwas besser auskenne als bei dem ebenfalls besprochenen Mittel von AstraZeneca.
Punkt 1: Lizenzierung bzw. Zwangslizenzierung
Was meiner Ansicht nach korrekt angesprochen wurde ist, dass es hochgradig zweifelhaft ist, inwiefern die Patent- und Lizenzierungslage jetzt der bremsende Faktor sein soll. Zum Einen geht es schon damit los, dass es gar nicht „das Patent“ gibt - die Technologie hinter mRNA-Impfstoffen ist (wie praktisch jede andere Hochtechnologie auch) durch zig Einzelpatente geschützt, die unterschiedliche Firmen besitzen (auch nicht nur der Impfstoffhersteller, in diesem Fall BioNTech) und für deren Nutzung bereits Abkommen zwischen den Inhabern bestehen. Es müsste daher nicht „ein Patent“ freigegeben werden, sondern eine ganze Reihe, und ich wage schon zu bezweifeln, dass die Regierung überhaupt in akzeptabler Zeit eine Liste dieser Patente zustande bringen könnte. Das wäre aber eine Voraussetzung, um überhaupt eine irgendwie geartete Aussetzung des Schutzrechts in Betracht zu ziehen.
Weiter geht es damit, dass das ja immer noch eine rein rechtliche Betrachtung ist, und die rechtliche Betrachtung ist in der Praxis gar nicht das zentrale Problem. Eine Lizenz macht noch keinen Hersteller; wenn eine Firma wie BioNTech einen Teil der Impfstoffherstellung (dazu komme ich später noch) an Subunternehmer auslagert und will, dass dieser Subunternehmer schnell in der Lage ist, qualitativ akzeptable Ergebnisse zu liefern, dann geschieht das in den seltensten Fällen, indem man einfach einen Ordner mit einem „Rezept“ an den Subunternehmer gibt und sagt „nu mach mal“. Diese Art Partnerschaften involvieren Know-How-Transfers, und zwar Know-How, das in den Köpfen der Mitarbeiter von BioNTech steckt, nicht in einem Patent oder irgendeinem anderen öffentlich zugänglichen und damit „zwangsfreigebbaren“ Dokument. Soll man also parallel zur Patentfreigabe auch noch BioNTech dazu zwingen, jedem, der - überspitzt gesprochen - in seiner Garage ein bisschen Impfstoff für die Nachbarschaft herstellen will, ein Expertenteam zum Aufbau der Produktion an die Hand zu geben, so wie das bei „richtigen“ Produktionspartnerschaften gang und gäbe ist? Das ist wohl unrealistisch; wer entscheidet also im Zweifel, welcher selbsternannte Third-Party-Hersteller es „wert“ ist, dass ihm personelle Hilfe des Herstellers zuteil wird? Und mit welchem Recht zwingt man BioNTech überhaupt zu diesem Schritt? Das Rechtsmittel der Freigabe von Patenten wird dafür ja kaum eine Handhabe bieten.
Und schließlich sagtet ihr (also Ulf und Philip) ja selbst schon korrekterweise, dass BioNTech schon dabei ist, weitere Unternehmen einzubinden. Zu Sanofi, die ihr genannt habt, kommen aber noch diverse weitere, die schon länger und mit weniger Medien-TamTam drumrum für BioNTech arbeiten und entscheidend an der Erhöhung der Produktionskapazität weltweit beteiligt sind: Allergopharm, Dermapharm, die Siegfried-Gruppe, auch Pfizer selbst ist ja unter anderem ein Produktionspartner. Gibt sicher noch weitere, das sind nur die, die mir gerade aus dem Stand einfallen. Selbstverständlich hat BioNTech ein großes, auch finanziell motiviertes Interesse daran, so schnell wie möglich so viel Impfstoff wie möglich zu produzieren, da es absehbar irgendwann zu einer Sättigung des Bedarfs kommt; wer also schneller mehr produziert, kann insgesamt mehr seines Stoffs am Weltmarkt unterbringen als jemand, der die Produktion über die Zeit streckt.
Punkt 2: "Die Produktionsstraße"
Es gibt keine „Impfstoff-Produktionsstraße“. Die mRNA-Impfstoffe werden nicht an einer Art Fließband produziert, das man sich irgendwo an einen Ort hinstellt, vorne kippt man Rohstoffe rein und hinten fällt Impfstoff raus. Impfstoffproduktion findet in Produktions-Netzwerken statt, und zwar örtlich wie organisatorisch. Sanofi beispielsweise, von denen ihr sagtet, sie würden „den Impfstoff produzieren“ produziert tatsächlich überhaupt nichts, sondern füllt den fertigen Stoff „nur“ ab! Das ist ein hinreichend komplexer Vorgang, dass es dafür eines separaten Unternehmens und einer separaten Produktionsanlage bedarf, unter anderem wegen der extremen Temperaturanforderungen und der Erfordernis einer sterilen Umgebung sowie höchster Präzision bei der Mengenbemessung. Sanofi hat eine derartige Anlage, weil sie ihren eigenen Impfstoff, der ja bekanntlich eine Nullnummer war, schließlich auch hätten abfüllen müssen, dementsprechend helfen sie künftig in diesem Schritt, bei dem das BioNTech-Produktionsnetzwerk offenbar einen Flaschenhals hatte, aus. Ähnlich sieht es mit den anderen Schritten bzw. beteiligten Unternehmen aus. Die mRNA, also der Kern des Impfstoffs, wird z.B. ausschließlich in Mainz bei BioNTech hergestellt (so weit ich weiß gilt das sogar für Pfizer, d.h. selbst Pfizer stellt die mRNA nicht her, sondern packt nur den Stoff von BioNTech in die Lipid-Nanopartikel und füllt das Ergebnis ab; korrigiert mich bitte jemand, sollte sich an dieser Situation inzwischen was geändert haben). Dann gibt es Unternehmen, welche die mRNA reinigen, und wieder welche, die sie mit der Lipid-Hülle versehen, und wieder welche, die das Zeug abfüllen, und wieder welche, die Ergebnisse testen und Qualitätsanforderungen überprüfen, und so weiter und so weiter. Jede Aufgabe hat individuelle Anforderungen an den dafür nötigen Maschinenpark und das nötige Know-How; allen gemein ist wohl nur, dass sie sterile und für Medikamentenherstellung geeignete Produktionsorte benötigen, die aber auch schon wieder eine enorme Herausforderung darstellen - so weit ich informiert bin, dauert es etwa ein Jahr, eine solche Produktionsstätte von Grund auf aus dem Boden zu stampfen bis zu dem Punkt, an dem der Ort die nötigen Tests durchlaufen und Freigaben erhalten hat, dass da wirklich etwas pharmazeutisches produziert werden kann. Aus all diesen Gründen ist das Hinstellen neuer „Produktionsstraßen“ ein aussichtsloses Unterfangen, wenn es darum gehen soll, in halbwegs naher Zukunft, sagen wir dieses Jahr noch, den Impfstoff-Output signifikant zu erhöhen. Der einzige Weg dazu besteht darin, das Produktionsnetzwerk an den Stellen, an denen Flaschenhälse sind, durch neue Partner, die schon vorhandenes Know-How und vorhandene Anlagen mit ins Spiel bringen, zu stärken. Und nichts anderes tut BioNTech (und Moderna macht übrigens exakt dasselbe, deren Situation ist die gleiche, außer dass sie keinen zentralen großen Primär-Partner wie Pfizer haben, sondern praktisch nur mit „sekundären“ Produktionspartnern arbeiten).
Punkt 3: 5 Dosen vs. 6 Dosen
Vielleicht hat’s der eine oder andere mitbekommen: BioNTech/Pfizer haben bis Anfang des Jahres noch von 1,3 Milliarden geplanter Dosen in 2021 weltweit gesprochen, und irgendwann im Laufe des Januars wurde diese Prognose auf 2 Milliarden ausgedehnt. Eine Komponente dieser Erweiterung war, wie in Punkt 1+2 schon beschrieben, die Ausweitung des Produktionsnetzwerkes, die nach wie vor im Gange ist und diese Menge weiter erhöhen dürfte. Der andere Grund für diese plötzliche Erhöhung des geplanten Outputs ist aber ganz simpel die Freigabe von 6 Dosen pro Fläschchen bei Beibehaltung der abgefüllten Menge! Man kann also mitnichten davon sprechen, dass irgendwer jetzt irgendetwas „gekürzt“ hätte - im Gegenteil, die Kunden erhalten jetzt ihren bestellten Impfstoff schneller (BioNTech liefert nach einwöchiger Absenkung der Mengen in künftigen Wochen mehr als zuvor vereinbart und wird laut Plan schon im ersten Quartal 2021 mehr als die zunächst fürs Quartal vereinbarte Menge abliefern) und insgesamt erhalten sie exakt dieselbe Anzahl Dosen wie bestellt. Und es bleibt hintenraus, im aktuell noch nicht fest bestellten Kontingent, mehr übrig, das zukünftigen Bestellungen zugute kommt. Ich kann da nichts negatives erkennen, außer natürlich, wenn man sich schon diebisch gefreut haben sollte, dass man nun aus unverhoffter Quelle einen „6 für 5“-Rabatt bekommen würde, dann kann man natürlich enttäuscht sein, aber ehrlich gesagt fehlt mir das Verständnis für diesen Standpunkt. Und insbesondere fehlt es mir für Aussagen wie die, dass hier „kapitalistische Interessen der allgemeinen Gesundheit schaden würden“, wie es von euch im Podcast recht plakativ in den Raum gestellt wurde. Selbst unter Berücksichtigung des Problems mit dem Spritzenmaterial, das jetzt höheren Ansprüchen genügen muss, kann ich nur konstatieren, dass es an der EMA und somit der EU gewesen wäre, die Freigabe für 6 Dosen statt 5 eben NICHT zu erteilen, wenn diese 6 Dosen nicht unter Nutzung von Material, dessen Anschaffung möglich und bei dem eine Verpflichtung zur Verwendung realistisch machbar ist, gewährleistet werden können! Diese Bewertung ist nicht der Job von BioNTech, dafür haben wir Regulierungsbehörden, die im Falle von Medizinprodukten weitreichende Kompetenzen besitzen, solche Dinge zu regeln.
Abschließend noch ein Satz zu den unsäglichen geheim gehaltenen Verträgen: da bin ich ganz bei euch, das ist ein Unding, und ich kann eurer Schlußfolgerung da nur zustimmen. In meiner Eigenschaft als EU-Bürger würde ich sehr gerne Einblick in diese Dokumente haben, schließlich fließt unter anderem mein Geld an die Firmen und ich soll den Stoff irgendwann in den Arm bekommen. In meiner Eigenschaft als Aktionär kann ich den Wunsch der Hersteller nachvollziehen, dass die letztlich gezahlten Preise vielleicht nicht überall öffentlich werden sollen, auch um ein Art „Race to the Bottom“ zu vermeiden, der letztlich auch irgendwann die Deckung der Produktionskosten beeinträchtigen würde und somit die Impfstoffproduktion selbst. Aber zumindest die sonstigen Konditionen sollten öffentlich für jeden einsehbar sein!