LdN 223 Impfstoffbeschaffung

Das Thema wurde in der Lage sehr zaghaft angesprochen, sollt m.E. aber gross gemacht werden. Die reichen Länder haben (wieder einmal) den Rest der Welt düpiert. Obwohl vereinbart wurde, dass Impfstoffe über COVAX finanziert und weltweit gerecht verteilt werden sollen, haben sich EU, USA und UK umgedreht und jeweil so viel für sich wegbestellt, dass die Anderen in die Röhre schauen müssen. Für Afrika wurde berechnet, dass die Impfungen dort 2023(!) abgeschlossen sein könnten.

Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion hier teilweise irritierend. Der Egoismus bricht sich Bahn. Dabei wäre es klug, sich um die ganze Welt zu kümmern (wie das in allen wichtigen Belangen klug wäre). Denn wenn wir das nicht tun, wird uns der Egoismus auf längere Sicht sehr schaden. Das ist keine Frage der „Ethik“, sondern eine Frage der sozialen Intelligenz.

(Dazu sehr guter Beitrag in einem „Hintergrund“ des DLF von letzter Woche. Hatte lange darauf gewartet …)

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Danke für diesen Kommentar! Die globale Perspektive der Impfstoffdebatte mE in der aktuellen Debatte auch viel zu kurz. In der aktuellen LdN wird zwar zumind. kurz auf die globale Situation mit Blick auf die Mutation eingegangen, aber der Brückenschlag, was das dann für die Verteilung des Impfstoff bedeutet kommt leider viel zu kurz. Wenn nur in den reichen Industrieländern geimpft wird, nicht aber in Afrika, dann wird es schwer gegen Mutationen vorzugehen.

Hierzu kann ich auch folgenden Kommentar empfehlen: https://www.oefse.at/publikationen/aktueller-kommentar/aktueller-kommentar-jaenner-2021/, Der Beitrag zeigt auf, dass es nicht nur im Sinne einer globalen Solidarität, sondern auch aus ökonomischen und politischen Gründen zu kurz gedacht ist, wenn der Impfstoff nur in den Industriestaaten ankommt und geimpft wird. Der Beitrag macht zudem auch eine weitere Perspektive auf die (globalen) Produktionskapazitäten und das Zusammenspiel mit internationalem Patentrecht auf.

Eine übersichtliche Darstellung der Produktionskapazitäten bzw der Impfstoffentwicklung hat das Covid-19-Dashboard von Unicef: https://www.unicef.org/supply/covid-19-vaccine-market-dashboard

Ich fänds super, dann dieser Aspekt in der nächsten Lage diskutiert würde!

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Hier eine bestimmt sehr interessante Veranstaltung zu diesem Themenkomplex:
(https://gruenlink.de/1xg5)
Das ist ein Webinar von Sven Giegold, MEP (Grüne), mit meistens hochkarätigen Teilnehmern. Patente sind eine weitere heilige Kuh der extremen Marktiwirtschaft. Ich habe viele Patente angemeldet und einige davon wurden patentiert. Ich weiss also, was „Erfindungshöhe“ bedeutet, und genau die kann ich mir bei Medikamenten (und sonstigen Patenten auf Pflanzen z.B.) schlecht vorstellen. Das sind idR keine Erfindungen, die einen ganz neuen Denkansatz für die Lösung eines Problems erfordern, sondern Ergebnisse von langen Versuchsreihen, die zwar aufwändig sind und hochqualifizierte Leute erfordern, die aber deswegen nicht NEU sind im Sinne des Patentwesens.

Hier hat extreme Lobbyarbeit (mit extrem viel Geld) es geschafft, extreme Gewinne für nur wenige Firmen zu sichern, zum Schaden der Allgemeinheit. Solche Patente sind eigentlich illegale Monopole, an denen die Nutzniesser so lange geschraubt und gedreht haben, bis sie sich zu legalen Patenten verwandelt haben.

Wie ich schon anderswo hier gesagt habe, müsste mE Pharmaforschung aus einem teilweise staatlich und teilweise von erfolgreichen Pharmafirmen gefüllten Fonds finanziert werden, um extreme Gewinnabschöpfungen von sehr wenigen Firmen zu vermeiden und das Risiko einer erfolglosen und dennoch teuren Forschung herauszunehmen. Dass nur der Anreiz eines Supergewinns genug Motivation für gute Forschung biete, halte ich für eines der zahlreichen Märchen der Verteter dieser Art von Marktwirtschaft. (Dass sie vielleicht selbst daran glauben, heisst nicht, dass das Märchen wahr ist).

Schade, dass ich den Hinweis auf Sven Gigolds Webinar zu spät gesehen habe. Vielleicht hätte ich dann verstanden, woher der Anreiz kommen sollte, noch nennenswerte Summen in die Entwicklung von Medikamente zu investieren, wenn danach jeder Generikahersteller in der Welt dieses Medikament kopieren, produzierend und vermarkten darf. Wir haben schon heute das grundsätzliche Problem, dass an Medikamenten für seltene Krankheit mangels kommerziellem Interesse nicht geforscht wird (was für die genannten Fonds spricht).

Was oft vergessen wird: Das Geschäftsmodell von Pharmaunternehmen ist ein Hochrisikogeschäft (in diesem Sinne vergleichbar mit z.B. Venture Capital): Die meisten Forschungsprojekte scheitern, das oft sehr viele investierte Geld verpufft ohne jeden Ertrag. Pharmafirmen sind nur deshalb bereit, diese Risiken einzugehen, weil sie an einigen wenigen Projekten so viel mehr verdienen, dass sie die Verluste in den anderen Projekten mehr als ausgleichen und für die Bereitschaft, dies Risiken zu tragen, überproportional „vom Markt vergütet“ werden.

BTW, oft liegt die Erfindungshöhe gar nicht im Medikament selbst, sondern in Verfahren der Synthese oder Herstellung.

Patente haben eine sehr wichtige Funktion in einer marktwirtschaft organisierten Wirtschaft. Solange wir kein besseres Wirtschaftssystem finden, das imstande wäre, die unzweifelhaften Schwächen der Marktwirtschaft zu vermeiden und zu vergleichbaren effizienten Ergebnissen bei der Ressourcenallokation zu kommen, brauchen wir diese Absicherung von Gewinnen aus Erfindungen und Innovationen.

Hat ihnen aber auch nix gebracht… Die hinken genauso hinterher…

In welcher Welt hinken die USA hinterher, besonders im Vergleich zur EU?
Kein Land der Welt hat in absoluten Zahlen mehr Impfdosen verabreicht als die USA, mehr als doppelt so viel wie die gesamte EU, mehr als drei mal so viel pro Kopf.
Laut Präsident Biden soll jeder US-Amerikaner bis Juli die Möglichkeit haben geimpft zu sein und sie werden voraussichtlich allein von den beiden bereits zugelassenen Impfstoffen bis dahin genug erhalten um dieses Ziel zu erreichen.
Kanzlerin Merkel spricht von September.

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Ich habs zu spät gepostet… Ja, es war interessant wie immer, obwohl die vorgetragenen Argumente ziemlich auf meiner Linie lagen (trotzdem glaube ich nicht, in einer Blase festzuhängen).

Die Anreize könnten in Form von Prämien gegeben werden für erfolgreiche Entwicklungen. Die können beträchtlich sein, wenn man bedenkt, wie viel das Gemeinwesen im Nachhinein für Medikamente ausgeben muss. (Wobei zumindest in USA die Hälfte des Budgets der Pharmafirmen befremdlicherweise für Marketing ausgegeben wird).

Stimmt, müsste aber nicht so sein. Die Idee mit Fonds und Prämien würde nach meiner Vorstellung beeinhalten, dass insgesamt Pharma-Forschungen aus dem Fonds finanziert wird, also auch die erfolglosen Versuche, unter der Bedingung, dass die Versuche nach Einschätzung einer Kommission (vergl. StIKo) sinnvoll und einigermassen erfolgversprechend sind. Das nähme das hohe Risiko heraus und damit hätten auch die extremen Preise für gewisse Medikamente keine Rechtfertigung mehr. Es ist ja doch unter dem Strich so, dass beim heutigen Stand nicht nur das hohe Risiko gut bezahlt wird, sondern so übermässige Gewinne den Volkswirtschaften entzogen werden und wahrscheinlich nicht zum Wohl der Menschheit wieder investiert werden.

Im Webinar wurde sehr betont, dass die Pharmaforschung zu einem nicht kleinen Teil staatlich finanziert ist, unter anderem die Grundlagenforschung fast ausschliesslich. Aber die Regierungen wagen es nicht, von den erfolgreichen Firmen irgendwelche Nachlässe in die Verträge hineinzuverhandeln. Z.B. hat USA 40 Mrd. Dollar für Corona-Impfstoff an die Firmen gegeben, ohne eine Gegenleistung in den Verträgen zu haben.
(Dahinter steckt wohl auch ein skurriler „Industrienationalismus“, dass nämlich den Regierungen das jeweilige nationale Prestige so viel wert ist, die eigenen Firman zu schonen, damit sie die anderen niederkonkurrieren können und nicht umgekehrt - Altmaiers „Weltmeister“.)

Stimmt. Hier sind Patente gerechtfertigt.

Ja. Ich bzw. wir wlürden uns nicht reinhängen in dem Wissen, dass jeder unsere Entwicklungsarbeit gratis nutzen kann. Es ist wirklich ein schönes Gefühl, für eine Weile Ruhe vor Nachahmern zu haben und ggf. abgesichert verhandeln zu können.

Aber selbst hier könnte ich mir immer mehr ein System in der oben beschriebenen Richtung vorstellen. Patente werden leider auch missbraucht, gerade von grossen Konzernen, die damit den Forschritt durchaus hemmen.

Kann man aber für die aktuelle Lage so nicht stehen lassen. Erstens haben kleine „Startups“ die eigentlichen Produkte entwickelt, und wurden dannn nachher mehr oder weniger von den grossen Pharma-Riesen anektiert. Und zweitens wurde diese Forschung mit allein in Deutschland 500 Millionen Euro vom Staat finanziert. Tut mir leid, da sehe ich doch ziemlich wenig Risiko. Was ja auch gut so ist. Am Ende zahlt der deutsche Bundesbürger dann auch noch ordentlich Geld für den Impfstoff. Ich weiss, der muss hergestellt werden, das kostet Geld. Aber ich denke mit Rückblivk auf die üblichen Geschäftspraktiken der Pharmakonzerne lässt sich schon vermuten, dass die am Ende ganz fett Reibach machen werden.

Aber ist ja fast überall so: Kosten sozialisieren, Gewinne privatisieren.

Wer etwas dazu wissen will kann auch mal Die Anstalt vom Februar schauen, da wird das auch noch einmal fein dargestellt.

Vergleicht man Israel mit USA und Deutschland ist der Unterschied zwischen den letzten beiden nicht sonderlich groß:

Gebe aber zu, dass die Sache gerade etwas an Fahrt aufnimmt seit Biden nochmal 300 MIllionen Dosen bestellt hat.

Die exportieren aber auch keinen Impfstoff, anders als Deutschland.

Hier ein sehr schöner Artikel für all die, für die die Pharmabranche oder gleich die ganze Marktwirtschaft der Schuldige ist, warum nicht sofort im Januar allen ein Impfangebot gemacht werden konnte - am Besteh noch allen Bürgern aller Entwicklungsländer dazu:

Tut mir leid aber einen Unterschied von wie bereits erwähnt Faktor 3 ist für mich ein erheblicher.
Das hieße für Deutschland 12 Mio. statt knapp 4 Mio. Impfdosen stand gestern. Jeder in der Gruppe der höchsten Priorität hätte dann bereits heute seine erste Impfung erhalten können. Wir hätten schon mit der Gruppe der hohen Priorität begonnen.
Das wäre eben auch in der Praxis ein riesiger Unterschied.

Der Witz an der Bestellung von Biden ist ja das sie bis Juli komplett ausgeliefert sein soll.
Während die Nachbestellung der EU bei Biontech/Pfizer von vor ein paar Tagen bis Ende des Jahres geliefert werden soll.
Es liegen da einfach Welten zwischen der ganzen Herangehensweise und das von Anfang an.

Die USA hat auch den Vorteil das Pfizer als Partner von BionTech große Produktionskapazitäten in den USA besitzt und die USA einen faktischen Exportstopp dieser dort produzierten Mengen verhängt hat. Europa hat das Problem das wir solche Produktionskapazitäten eben nicht besitzt. Hier liegt eigentlich das Grundproblem der schlechten Versorgung mit Impfstoff. Hier sollte man in Zukunft mal drüber nachdenken den Aufbau solcher Kapazität zu fördern da sie anscheinend ein wichtiges strategisches Gut darstellen.

Viele Grüße

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Die exportieren aber auch keinen Impfstoff, anders als Deutschland.

Absolut richtig.

Die USA hat auch den Vorteil das Pfizer als Partner von BionTech große Produktionskapazitäten in den USA besitzt und die USA einen faktischen Exportstopp dieser dort produzierten Mengen verhängt hat. Europa hat das Problem das wir solche Produktionskapazitäten eben nicht besitzt.

Es ist einfach nicht richtig, dass es in der EU keine Produktionskapazitäten gibt.
Man schaut in der EU nur fröhlich dabei zu wie eben dieser hier produzierte Impfstoff exportiert wird.

The EU had exported millions of vaccines to several countries including Britain, Israel, China and Canada before the monitoring scheme was set up, according to customs data cited in an EU internal document seen by Reuters.

Nations that received COVID-19 vaccines produced in the EU since Jan. 30 are: Australia, Bahrain, Canada, Chile, China, Colombia, Costa Rica, Ecuador, Japan, Kuwait, Malaysia, Mexico, New Zealand, Oman, Panama, Qatar, Saudi Arabia, Singapore, the United Arab Emirates, the United Kingdom and the United States.

Sogar die USA werden trotz ihres eigenen Exportstopps weiter beliefert.
Da muss man sich über zu wenig Impfstoff eben auch nicht mehr wundern.

Ich weiß nicht, wie diesbezüglich die aktuelle Rechtslage ist, aber man sollte meinen: Wenn Forschung, die massiv mit öffentlichen Geldern finanziert wird, zu Ergebnissen mit patentierbarer erfinderischen Höhe führt, sollte (a) der Staat an den Einnahmen beteiligt werden, (b) der Patentinhaber die Forschungsgelder zurückzahlen oder (c) das Patent gegen Aufwandsentschädigung in Höher der Aufwände, die der Patentinhaber getragen hat, vergesellschaftet werden.

So viel Grundsätzliches zum Thema Patente.

In diesem Fall würde das nichts bringen. Dazu verweise ich auf Florian Aichner, ein eifrig twitterers Wissenschaftsjournalist aus unserem Nachbarland Österreich:

So gerne und mit viel Genuss ich „Die Anstalt“ gucke: Das sind weder Investigativ- noch Wissenschaftsjournalisten, sondern (gute) Satiriker, deren Witz häufig in einer platten Vereinfachung liegt.

https://www.zdf.de/assets/faktencheck-2-februar-2021-100~original?cb=1613298784195

Ich habe heute einem Artikel der Süddeutschen gelesen, dass un den USA überhaupt keinen Exportstop gibt.

Hier zwei Zitate aus dem Artikel:

Defense Production Act ist der Titel eines Gesetzes, das im September 1950 verabschiedet wurde, nach dem Ausbruch des Korea-Kriegs. Es ermächtigt die US-Regierung, über das Pentagon in die Produktion ziviler, privater Unternehmen einzugreifen, um zu gewährleisten, dass im Krisen- oder Konfliktfall alle notwendigen Güter hergestellt werden.

Eins dieser Eingriffsrechte, die der DPA der Regierung gibt, ist es, die Erfüllung von Zulieferverträgen zu priorisieren. In der Praxis bedeutet das: Wenn in einer Krise das Unternehmen A ein dringend benötigtes Produkt herstellt, kann das Verteidigungsministerium die Zulieferfirma B anweisen, Bestellungen vom Unternehmen A in jedem Fall anzunehmen, auch wenn dabei Verluste entstehen. Außerdem kann die Zulieferfirma B gezwungen werden, die Aufträge für die Firma A bevorzugt zu erfüllen. So soll garantiert werden, dass im Ernstfall bei wichtigen Gütern die Lieferketten funktionieren.

Die US-Regierung hat von dieser Steuerungsbefugnis in den vergangenen Monaten immer wieder Gebrauch gemacht, zunächst um die Entwicklung von Corona-Impfstoffen zu beschleunigen. So wurde zum Beispiel die Lieferung von Rohstoffen und Laborgeräten, die die Pharmaunternehmen für die Forschung brauchten, mithilfe des DPA sichergestellt. Die Trump-Regierung hat, nach allem, was bekannt ist, den Defense Production Act knapp zwanzigmal aktiviert, um bei der Impfstoffentwicklung zu helfen.

Ein gesetzliches Exportverbot für in den USA hergestellte Corona-Impfstoffe gibt es nicht. Der damals noch amtierende US-Präsident Donald Trump hatte zwar Anfang Dezember 2020 einen Erlass unterzeichnet, nach dem die Versorgung der Amerikaner mit Impfstoff Vorrang hat. Aber das war eher eine politische Absichtserklärung als ein bindendes Regelwerk für die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen. Zudem bezog sich der Erlass auf Impfstoff, der bereits von der US-Regierung angekauft wurde. Dass dieser nicht an andere Staaten vergeben wird, bevor alle Amerikaner geimpft sind, ist aus Sicht Washingtons naheliegend.

Wahrscheinlich hinter der Bezahlschranke, SZ bietet Tagespässe