Hallo ihr alle,
auch ich bin begeisterte Hörerin der Lage, doch jetzt muss auch ich mal meine Stimme nutzen. Ich bin Medizinstudierende im 4. Jahr und beschäftige mich ehrenamtlich sehr viel mit dem Schwangerschaftsabbruch. Daher möchte ich gern meine medizinische und humanitäre Sicht der Dinge schildern:
Der Paragraf 218/218a stellt unglücklicherweise eine Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen dar. Das Problem dabei ist, dass Frauen zum einen einer gesellschaftlich geprägten Meinung unterliegen, das ein Abbruch eine Straftat ist, das Frauen die das in Erwägung ziehen zu ungebildet oder unreif für adäquate Verhütung wären oder schlicht, dass es ein Mord ist, der mit dem Gewissen nicht vereinbar wäre. Der Paragraf unterstützt diese Ansicht und hindert leidende Schwangere Hilfe zu suchen. Der Grundgedanke er würde ein ungewolltes und ungeborenes Leben schützen ist zwar nachvollziehbar, doch wissenschaftlich nicht mehr fundiert. Er wirft Schwangeren vor leichtfertig diese Entscheidung zu treffen, doch dem ist nicht so. Mit Blick auf entwickelte Länder bzw. Industrienationen, die liberalere Gesetze verfolgen wird deutlich, dass mit der freien Entscheidungmöglichkeit die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche dennoch sinken. Dies ist z.B. in Kanada oder den Niederlanden der Fall. Die Niederlande stellen einen Abbruch bis zur 24. Woche frei, Kanada überlässt diese Entscheidung gänzlich der Schwangeren und ihrer behandelnden Ärzt*in. Die Folge ist ein stetiges Fallen der Zahlen. Die Angst Abbrüche würden zu spät vorgenommen werden ist ebenso unbegründet. Es zeigte sich, dass die überwiegende Mehrheit einen Abbruch bis zur (auch bei uns üblichen) 12. Woche vornehmen. Die meisten späteren werden mit medizinischer Indikation vorgenommen. Der Trick ist, eine vernünftige Aufklärung, ein barrierefreier Zugang zu kostenfreien Verhütungsmitteln und psychologische Betreuungs-, sowie Beratungsangebote aller Art. Denn nur so fühlen sich Schwangere sicher und ernst genommen und wir verhindern auch hier in Deutschland immernoch gefährlich durchgeführten Abbrüche in Eigenregie aus Angst vor den Konsequenzen und öffentlichem Interesse.
Viele meinen, dass Abtreibung in ein Verhütungsmittel übergehen würde. Doch was wir jetzt schon sehen ist, dass die Möglichkeit eines Abbruchs vor allem erwachsene Frauen zwischen 18 und 40 Jahren wahrnehmen mit beruflicher Perspektive. 60% von diesen haben bereits Kinder. Das sind finde ich wichtige Zahlen, die den allgemeingültigen Fehlglauben aushebeln.
Mein Vorschlag ist also, entweder eine generelle Abschaffung des Paragrafen nach kanadischem Vorbild oder eine Fristenregelung die meiner Meinung nach der biologischen Lebensfähigkeit des Feten angepasst sein sollte. Diese gilt allgemeinhin als die 22. bzw. vielerorts auch die 24. Schwangerschaftswoche, ab der Neonatologien anfangen die Kinder zu behandeln.
Des weiteren bin ich gegen eine Beratungsverpflichtung, da sie Frauen die Kompetenz abspricht selbst entscheiden zu können, ob eine Beratung notwendig ist. Viele müssen sich einem solchen Gespräch aussetzen, obwohl ihre Entscheidung klar und wohl überlegt ist. Dennoch wird Ihnen vorgeworfen diese nicht allein treffen zu können. In keinem anderen Fall wird darauf bestanden, dass außerhalb des ärztlichen Gesprächs noch externe Beratung nötig ist.
Vorraussetzung dafür muss aber sein:
- ein freier Zugang zu Verhütungsmitteln
- flächendeckende Aufklärungskampagne zur Verhütung in Schulen
- Beratungsangebote (nicht Verpflichtungen) die das sozio-ökonomische bzw. -kulturelle Umfeld betreffen
- eine psychologische Betreuung
- eine umfangreiche Ausbildung zukünfitger Ärztinnen über alle Methoden (Medikamentös und operativ, da dies bisher kein Gegenstand der Lehre ist, grundsätzlich aber jede approbierte Ärztin die Befähigung hat einen medikamentösen Abbruch durchzuführen, auch wenn das nahezu niemand weiß)
- eine flächendeckende Versorgung mit entsprechenden ärztlichen Praxen
- keine Möglichkeit für Maximalversorgende Krankenhäuser, wie Universitätskliniken, das Angebot einer solchen Behandlung zu verweigern (individuell sollten Gynäkolog*innen jedoch die Möglichkeit haben, dies abzulehnen)
- eine zentrale Informationskultur über die Möglichkeit eines Abbruchs und wo, mit Möglichkeit das Angebot auszuweisen
- Kostenübernahme durch die Krankenkasse, wie beispielsweise eine in-vitro Befruchtung auch (wenn ich schwanger werden darf, dann darf ich mich auch dagegen entscheiden)
Wenn mir als potentielles Elternteil z.B. die Verantwortung für ein Kind zugesprochen wird, warum dann nicht auch die Verantwortung über mich selbst? Aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht besteht keine stichhaltige Begründung, warum eine Abschaffung des Paragrafen und statt dessen der Einführung einer sicheren Infrastruktur nicht nachgegangen werden sollte. Ohne diese Struktur geht es allerdings nicht.