Lage 339: Asyl in der EU

Bei meinem Beitrag wollte ich darstellen, dass Deutschland im Moment nicht für diese Zahl von Flüchtlingen (egal woher diese stammen) strukturell, organisatorisch und systematisch aufgestellt ist. Das gilt nicht nur für Deutschland.

Genauso habe ich das bisher auch verstanden, danke für die Zusammenfassung.

Ich bin da etwas ratlos. Auf der Seite der Bundesregierung steht im krassen Gegensatz dazu:

Die Verordnung strafft die Verfahrensmodalitäten wie etwa die Dauer des Verfahrens und legt Standards für die Rechte der Asylbewerber fest. Dazu gehört die Bereitstellung eines Dolmetschers oder das Recht auf Rechtsbeistand und Vertretung.

Das Hilfswerk Miseror ist da weniger eindeutig als der Lobby-Verband Pro-Asyl in seiner Kritik. Dort schreibt man lediglich von einer Sorge, dass die Schnellverfahren zu in geschlossenen Lagern zu einer Verschlechterung der humanitären Bedingungen und schlechtem Zugang zu Rechtsbeistand führen.

Ich denke es kommt nun auf die abschließenden Verhandlungen an. Hoffen wir das Beste.

Miserior wählt halt eine etwas diplomatischere Ausdrucksweise. Im Grunde wissen aber auch die, was passieren wird. Eine NGO, die sich für die Rechte von Menschen in einer ziemlich vulnerablen Situation einsetzt als „Lobby-Verband“ zu bezeichnen, geht m. E. auch etwas an der Realität vorbei. Für welche Interessen lobbyieren die denn Deiner Meinung nach (außer eben für die Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich ja eigentlich die Staaten verpflichtet haben)?

Ich glaube, wenn es solche Lager erst mal gibt, wird es vor allem auf die Bedingungen vor Ort ankommen. Ich erinnere mal an das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos (bevor es abgebrannt ist). Das Lager wurde irgendwann zu einem „EU-Hotspot“ erklärt, auf dem Papier haben sich mehrere EU-Staaten bereiterklärt, die Infrastruktur zu unterstützen. De facto passiert ist herzlich wenig. Offiziell gab es da auch Rechtsbeistand, medizinische Versorgung etc. Nur war die halt auf ca. 500 Personen ausgelegt anstatt auf die zeitweise 13.000. Dementsprechend standen die Leute ca. 5 Stunden in der Essensschlange (wenn sie überhaupt was abbekamen, 2 Stunden für einen Toilettengang, ach ja und 10 Ärzt:innen gab es auch - allerdings auch von einem „Lobby-Verband“ (MSF) und nicht von staatlichen Stellen. Wer sich das mal angesehen hat, hat glaube ich nicht mehr so große Schwierigkeiten, zu entscheiden, ob jetzt eher die Darstellung der Bundesregierung oder die von humanitären Hilfsorganisationen realistischer ist.

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Saßen in Moria nicht überwiegend Flüchtlinge, die nach den neuen Regeln durchgewunken werden würden? 3/4 der Menschen in Moria kamen aus Afghanistan, weitere 8% aus aus Syrien [1]. Das heißt mehr als 4/5 der Menschen in Moria wären dort gar nicht einquartiert worden.

Ich sehe durchaus einen deutlichen Fortschritt gegenüber der Situation der letzten Jahre.

Die Definition von Lobbyismus laut Wikipedia

Lobbyismus , Lobbying oder Lobbyarbeit ist eine aus dem Englischen (lobbying ) übernommene Bezeichnung für Interessenvertretung in Politik und Gesellschaft, bei der Interessengruppen („Lobbys“) – vor allem durch die Pflege persönlicher Verbindungen – versuchen, die Exekutive oder Legislative zu beeinflussen.[1][2] Außerdem wirkt Lobbying auf die öffentliche Meinung durch Öffentlichkeitsarbeit ein. Dies geschieht vor allem mittels der Massenmedien.[3] Gängige Bezeichnungen für Lobbyarbeit sind zum Beispiel Public Affairs, politische Kommunikation und Politikberatung.

Magst du kurz erklären welche dieser Punkte auf Pro-Asyl nicht zutrifft? Lobbyismus ist aus meiner Sicht auch nichts schlechtes. Es ist schlecht der Versuch einer Interessensvertretung Politik und Gesellschaft über ihre Sicht der Dinge aufzuklären. Was wäre daran problematisch?

[1] Labeled “immigrants”, two-thirds of Moria’s population actually have a refugee profile - Solomon

Theoretisch sollten fast alle Geflüchteten in Moria nur registiert und dann weitergeleitet werden. In der Praxis hat das halt im Einzelfall irgendwas zwischen 4 Wochen (sehr selten) und 2 Jahren gedauert. Daher auch die 13.000 Leute. Und das war in einem EU-Staat. Die Annahme, dass das außerhalb der EU besser, schneller und humaner zugehen wird, halte ich für naiv.

Vielleicht liegt es an meinem Verständnis des Begriffs „Interessen“. In der Politik würde ich darunter immer etwas Partikulares verstehen. Menschenrechte hingegen sind universell, mithin bedient der Einsatz für selbige eben keine „Interessen“. Daher ist es aus meiner Sicht auch falsch, beispielsweise den Bundesverband der Automobilhersteller und Fridays For Future als „zwei Lobbyverbände“ zu bezeichnen, die sich nun mal für ziemlich unterschiedliche Verkehrskonzepte einsetzen. Umgekehrt gefragt: Warum nicht die Möglichkeit zur begrifflichen Differenzierung zwischen Nichtregierungsorganisation und Lobbyverband nutzen? Was ist der Vorteil, beides begrifflich als dasselbe zu behandeln, wenn nicht eine gewisse Konnotation des Begriffs?

Ich würde sagen, dass NGOs eine Unterkategorie der Lobbyverbände sind.

Die Definition von Lobbyismus ist die koordinierte Einflussnahme auf die Politik durch Interessenverbände, diese Interessenverbände können sowohl wirtschaftsnah sein (z.B. Arbeitgeberverbände, Unternehmens- und Branchenverbände) als auch eher sozial geprägt sein (z.B. Kirchen, Gewerkschaften, Umweltschutzbewegungen).

Deshalb ist das Leid in dieser Diskussion so groß:
Der aktuelle Status Quo funktioniert tatsächlich nicht wirklich, das Leid in Moria und auf dem Mittelmeer kommt hin und wieder in die Nachrichten, aber es ändert sich seit Jahren nichts.

Der jetzige Asylkompromiss stinkt bis zum Himmel, aber er bietet die Hoffnung, dass er zumindest so funktioniert, wie er abgestimmt wurde. Ob das wirklich so kommt kann allerdings bezweifelt werden.

Ich sehe leider nicht, wie wir einen besseren Asylkompromiss hinbekommen können. Ich bin daher mit dem jetzigen Kompromiss definitiv nicht zufrieden, aber wohl resigniert genug, nicht dagegen zu kämpfen, weil ich mir im aktuellen politischen Klima keinen positiven Ausgang dieses Kampfes vorstellen kann.

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Auch dann bliebe ja eine begriffliche Differenzierung sinnvoll.

Das ist ja im Kern dieselbe Definition, die @pitus zuvor schon angebracht hat und gegen die ich mit der Unterscheidung zwischen partikularen Interessen und universellen Rechten argumentiert habe. Ich sehe einfach kein gutes Argument darin, etwa die Deutsche Umwelthilfe und den VDA auf eine Stude zu stellen. Formell sind beides eingetragene Vereine (glaube ich zumindest), aber der eine kämpft für die Gesundheit von Menschen und Umweltschutz, der andere für die Profitinteressen von Unternehmen bzw. deren Anteilseigner:innen. Von daher würde ich immer unterstellen, dass das Bemühen, beides in einen Topf zu schmeißen immer auch mit einer politischen Agenda verbunden ist.

Lass uns das bitte gerne in PNs auslagern, falls nötig. Nur einen Punkt möchte ich noch machen.

Du hast die Arbeitnehmer in der Branche vergessen. Von starken Unternehmen profitieren nämlich auch die. Von einer viel stärkeren Solarlobby im Jahr 2008 hätten wir beispielsweise eindeutig profitiert. Und auch ein unkoordinierter, massiver Bruch in der Automobilindustrie dürfte für etliche Arbeitnehmer und unseren Staat einen wirtschaftlichen Verlust bedeuten.

Lobbyismus ist per se nicht schlecht. Er trägt den Entscheidern vor allem erstmal nur die Argumente und Sichtweisen vor die Füße. Problematisch ist es eher wenn Entscheider bestechlich werden.

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Eine generelle Beurteilung von Lobbyismus war auch gar nicht mein Thema. Dennoch lässt sich m. E. argumentieren, das der Begriff für die meisten Menschen keine neutrale oder gar positive Konnotation haben dürfte (das vermute ich nur, ohne es belegen zu können). Wäre dem nicht so, würden beispielsweise rechtsextreme Kreise wohl kaum mit Begriffen wie „Flüchtlingslobby“ oder „Umweltlobby“ operieren - womit ich Dich ausdrücklich nicht gemein machen will!

Kleine Korrektur. „Seit Jahren Millionen von Ukrainern“ kann so wohl kaum stimmen. 2014- Februar 2022 flüchteten die meisten Menschen aus der Ostukraine und Krim innerhalb der Ukraine oder nach Russland. Für 2014 (11.6.) meldete die DW 600 Flüchtlinge in Polen (bessere Daten hab ich gerade nicht zur Hand).
Was Sprache und Religion angeht: Ohne mich mit slawischen Sprachen besonders auszukennen, würde ich die Sprache als Integrationshindernis zwischen diesen Ländern nicht vernachlässigen. Ich kann auch nicht in die Niederlande gehen und dort in einem Beruf arbeiten, in dem die Sprache benötigt wird. Was Religion angeht, gilt ähnliches (mehrheitlich katholisches Polen vs. mehrheitlich orthodoxe Ukraine), generell werden solche kulturellen Marker aber bei der Integration eher überbewertet. Entscheidend ist der Zugang zu materiellen Ressourcen, Arbeit, Bildung, Verwaltung (dass Religion wichtig für soziales und symbolisches Kapital sein kann, will ich gar nicht abstreiten, aber das ist ein untergeordneter Faktor). Der Mythos von „kultureller Nähe“ bekommt bei näherem Hinsehen schnell Risse.

Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass geregelte Migration wichtig ist und man nicht alles auf einmal und sofort tun kann, aber: Dann sollten wir schleunigst anfangen, unsere Systeme dafür zu rüsten, nicht?

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Portugal und Luxemburg fallen mir ein. Ok, sind kleine Staaten, aber immerhin.
In Italien vor dem Regierungswechsel habe ich auch keinen so krassen Abschottungskurs feststellen können wie in Polen oder Ungarn. Und ganz dem entsprechend, was @Daniel_K schreibt, lehnen auch nur Ungarn und Polen den Kompromiss jetzt kategorisch ab, während sich zB Italien grundsätzlich stark begrenzt aufnahmewillig zeigt oder sich jedenfalls mit dem Versprechen der Verteilung dazu bewegen lässt.

Auch unter Biden gibt es immer noch massive Probleme mit der amerikanisch-mexikanischen Grenze.
Werden in den USA Migrantenkinder ausgebeutet? - ZDFheute
Ich will hier nicht Trump relativieren aber mit so einem einseitigen Kommentar über Kindern in Käfigen entsteht der Eindruck nur unter Trump war es in den USA schlimm.
Nur weil die Berichterstattung keinen Focus mehr darauf hat ist nicht gleich alles gut.

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"Bezeichnenderweise kommen vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die meisten Vertriebenen unter. Auf die 46 am wenigsten entwickelten Länder entfallen zwar nicht einmal 1,3 Prozent des weltweiten Brutto­inlands­produkts, aber dennoch haben sie mehr als 20 Prozent aller Geflüchteten aufgenommen.

Reiche Länder halten sich zurück
Die reichen Länder, zu denen die Bundesrepublik zweifelsohne gehört, fahren hingegen eine recht perfide Strategie. Das Menschenrecht auf Asyl wird ausgehöhlt, indem Geflüchteten mehr Unterstützung direkt in den Krisen­regionen gewährt wird. Übersetzt heißt das: Nur ein Geflüchteter, der wegbleibt und keinen Asylantrag in Europa stellt, ist ein guter Geflüchteter."

Das Zitat wollte ich schnell unterbringen, bevor der Artikel hinter der Bezahlschranke verschwindet.

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Im Grunde doch, denn wenn man Dublin III interpretiert ist es genau das gewesen: Abschottung Deutschlands auf Kosten der Grenzstaaten.

Es hätte schon damals zwei Verteilschlüssel geben müssen. Zum einen für die Kosten desjenigen der die Asylprüfung übernimmt und zum anderen für die dann Anerkannten.

Das ist erstmal grundlegend richtig.
Der Fluchtgrund „Verfolgung durch den Staat“ wird aber bei genauerer Betrachtung durch den Fluchtgrund „humanitäre Situation“ ersetzt.

Das ist in meinen Augen auch der Punkt wo man eigentlich ansetzten sollte: die weitere Flucht durch Hilfe unterbinden. In dem Beispiel -Fall also die Türkei bei der Aufnahme.

Das ist zwar sicher Fakt, aber auch eine reichlich verkürzte Darstellung.

Ärmere Länder nehmen doch statistisch mehr Menschen auf, weil die Konflikte, wegen der die Menschen fliehen, in der Nachbarschaft dieser Länder stattfinden und der Großteil der Menschen ungern weit weg flieht. Man verlässt schließlich den gewohnten Kulturkreis und ist auch entsprechend weit von einer möglichen Rückkehr entfernt.

Ich glaube kaum, dass die unterschiedliche Menge aufgenommener Flüchtlinge darauf basiert, dass ärmere Länder Flüchtenden den Teppich ausrollen. Tatsächlich muss man nur in Länder mit sehr hoher Aufnahmerate schauen und sieht wie schlecht man sich dort um Flüchtlinge kümmert (auch mangels Möglichkeiten).

Die unterschiedliche Anzahl ist also eher eine Folge der Stabilität der reichen Länder und ihrer Nachbarn, nicht der Aufnahmebereitschaft geschuldet.

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Ich denke, diese Erklärung hat zwar einen gewissen Wert, ist aber genauso verkürzt.

Man muss sich nur den Unterschied zwischen der Aufnahmebereitschaft hierzulande von Ukrainer:innen im Gegensatz zu Menschen aus z.B. Afghanistan oder Syrien anschauen. In ärmeren Ländern wird sich tendenziell weniger rassistisches Ressentiment gegen Geflüchtete richten, und das hat natürlich Einfluss auf die Gesamt-Aufnahmebereitschaft eines Landes.

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  1. Die Lage betont immer wieder, dass Ausweisen in sehr vielen Fällen praktisch chancenlos ist.
  2. Sehr viele Asylbewerber haben eigentlich wirtschaftliche Gründe für ihre Flucht.

Wie löst man 1+2 jetzt auf, wenn nicht mit den jetzt angedachten Maßnahmen?

Ich komme auf keine gute Lösung, denn wenn man jeden hier arbeiten lässt, der unter Missbrauch Menschenrechts auf Asyl hier herkommt, dann bestraft man mal wieder die ehrliche Haut, die sich im Heimatland eine Firma in Deutschland sucht, einen Sprachkurs macht, nachweist, dass sie für sich sorgen kann (und was sonst für wirtschaftliche Migration für Hürden existieren).

Das kann es ja auch nicht sein. Wesentlich liberalere Einwanderungsbedingungen (die ich mir sehr wünschenwürde) brauchen ebenfalls den Schutz der Außengrenzen. „Erfüll folgende Forderungen oder bezahl einen Schlepper, denn wer einmal hier ist, den lassen wir arbeiten“, ist doch keine Lösung.

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Liegt das vielleicht an einer höheren Akzeptanz von Menschen aus dem eigenen Kulturkreis? Anders herum gefragt, meinst du Ghana, Venezuela oder Liberia würden gern hunderttausende Ukrainer aufnehmen oder lieber Menschen aus ihrer direkten Nachbarschaft?

Ich will den Rassismus Aspekt nicht von der Hand weisen. Ich glaube aber, dass die Aufnahme aus der direkten Umgebung tendenziell eher akzeptiert wird als wenn die Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen kommen.

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Das Problem mit den Schleppern wird man so auch nicht lösen. Der Aufwand wird nur evtl höher, was den Preis nach oben treibt.

Das wird immer gerne behauptet, aber USA-Mexiko, oder Türkei-EU sehen nicht danach aus. Klar, irgendwer wird es irgendwie trotzdem schaffen. Auch wenn es keine 100%-Lösung ist, kann es trotzdem eine ausreichende Lösung sein.

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