Naja du kennst mein Gegenargument. Den größten Unterschied zwischen dem heutigen oder auch einem sehr viel günstigeren System sehe ich nicht im Wegfall der Ticketeinnahmen, sondern in der „Explosion“ - wie Frau Kemfert es nennt - der Nutzung und somit der Betriebskosten.
Ich habe unten nochmal zwei weitere Studien und ein Interview mit Andreas Knie, einem der renommiertesten Verkehrsexperten, angehängt. Mehr solcher Quellen auch im anderen Threads. Der Punkt ist am Ende immer derselbe. Ein kostenloser ÖPNV hat durchaus positive Effekte. Mal werden die mehr mal weniger ausgeprägt beurteilt. Aber am Ende kommen eigentlich alle zu der Erkenntnis, dass es ein schrecklich ineffizientes Mittel ist und es deutlich bessere Maßnahmen zur Erreichung der jeweiligen Ziele gibt.
Diese Explosion bezweifle ich. Vielleicht in der Zahl der Fahrten schon, aber nicht in der gesamten Nutzung, also wenn man Personenkilometer rechnet. Wenn Leute bei Kurzstrecken in den Bus steigen, weil der eh gerade zufällig vorbei fährt, dann braucht es dafür keinen Ausbau.
Große zusätzliche Fahrten werden eher die Ausnahme sein. Ich für meinen Fall z.B. würde wohl hin und wieder zusätzlich in die Innenstadt fahren, aber auch nur wenig, weil der bei mir limitierende Faktor eher die Zeit als das Geld ist.
Und die Male wo ich mit dem ÖPNV statt dem Auto fahren würde sind ja wiederum gewünscht.
Ich würde vielleicht noch 1-2 mal im Jahr zusätzlich mit dem ÖPNV zum MTB oder Wandern raus fahren, aber auch da wäre eher ein Umstieg von Auto auf ÖPNV für die Zahl relevant als die zusätzlichen Fahrten die ich nur machen würde weil sie kostenlos sind.
Und wie gesagt wäre ich ja nicht der Meinung dies als einzige Maßnahme machen zu wollen.
Aber auch die Aussage es bräuchte keine weiteren Radwege weil genug existieren lässt Zweifel an dem einen Bericht aufkommen. Wer in großen Städten Rad fährt weiß wie schnell man plötzlich wegen lückenhafter Radinfrastruktur auf der mehrspurigen Straße steht. Gerade mit Kindern ein Ausschlusskriterium für die Nutzung des Rads.
Das wäre auch nicht mein Ziel. Wir werden sicher einige E-Autos brauchen. Aber eben kaum noch Verbrenner.
Insofern muss man einfach schauen, dass das E-Auto zwar deutlich günstiger ist als ein Verbrenner aber zumindest langfristig teurer als ÖPNV. In der Übergangsphase darf letzteres m.E. auch mal anders sein - auch weil es ja noch nicht so viele E-Autos gibt.
Hängt m.E. aber vor allem mit dem Abschied vom Verbrenner und schlechten strategischen Entscheidungen zusammen.
Habe doch die entsprechenden Studien dazu hier diskutiert. Wenn Experten von einer bis zu dreimal so hohen Nutzung ausgehen, wenn sich im Beispiel Templin die Nutzerzahlen sogar verzehnfachen und sie die Betriebskosten nicht mehr stemmen können, dann sehe ich diese These doch stark bestätigt.
Ich fürchte, dass die meisten sich kostenlosen ÖPNV tatsächlich genau so vorstellen. Mit dem o.g. Wissen können wir dann ja mal schauen, wie hoch man Fahrgäste im Bus stapeln kann. Und den Zusammenhang zwischen Verspätungen und Überfüllten Zügen kennen wir ja von der Bahn. Ob das das ist, was sich die meisten unter kostenlosem ÖPNV vorstellen, bezweifle ich. Ein System, das ohnehin an der Kapazitätsgrenze arbeitet so einem Experiment zu unterziehen halte ich für fatal. Und auf der anderen Seite dauert jede Form der Kapazitätserhöhung Zeit. Hier können wir dann Wetten abschließen wie lange es dauert, bis Busfahrer, Lokführer, Zugbegleiter und co reihenweise kündigen und genervte Pendler wieder aufs Auto umsteigen.
Angesichts der Einschätzungen, die ich dazu bisher gelesen habe frage ich mich daher, auf welcher Basis solche Aussagen
zustande kommen. Wenn es dazu belastbare Studien gibt, können wir sie ja gerne diskutieren. Aber bisher zeigt sich mir da ein ganz anderes Bild.
Und ich habe schon gesagt, dass eine Steigerung der Fahrgastzahlen um Faktor 3 eben keineswegs so zu verstehen ist, dass in jedem Fahrzeug dann 3 mal so viel Leute wären, weil eben auch wer nur eine Fahrt macht als Fahrgast gezählt wird.
Der Fall Templin zeigt ja auch, dass es nicht der kostenlose ÖPNV allein war der die Fahrgastzahlen in die Höhe hat schießen lassen, sondern er ging mit einem massiven Ausbau einher.
Das betrifft aber nur wenige Zeiten und Routen. Außerhalb dieser Zeiten waren Busse vielerorts selbst während der Zeit des 9€ Tickets weit weg von voll.
Eine Möglichkeit um zu verhindern, dass Leute die zum Spaß fahren zur Rush Hour Pendler aus dem ÖPNV vertrieben könnte z.B. sein in einem ersten Schritt den ÖPNV nur außerhalb der Rush Hour kostenfrei zu machen, innerhalb dieser Zeit ein Zusatzabo zu verlangen. Aber eigentlich ist bei uns die U-Bahn auch ohne kostenfreien ÖPNV kurz nach 7 völlig überfüllt und es gäbe eh Handlungsbedarf.
Ich bin ja auch keineswegs für einen kostenfreien ÖPNV morgen, sondern mein Wunschweg wäre eine schrittweise Senkung des Preises des D-Tickets gewesen.
Und wie gesagt bin ich absolut für ein günstiges smartes ticketing, noch vor einem kostenfreien ÖPNV. Nur sehe ich bei all den Bedenken die bereits einzelne Aspekte eines solchen Systems hervorrufen ein solches System eben als kaum politisch umsetzbar. Jedenfalls nicht bundesweit.
Und das aktuelle netz ais verbünden ist für mich außerhalb der Heimat ein Hemmnis für die Nutzung des ÖPNV.
Also diese Wikipedia-Seite listet eine dreistellige Zahl Städte und größere Gebietskörperschaften, die ihren ÖPNV ganz oder teilweise Gebührenfrei gestaltet haben: Free public transport - Wikipedia
Entsprechend scheint es durchaus möglich zu sein, wenn man das will. Fakt ist aber, dass bisher keine größere Gebietskörperschaft ernsthaft versucht hat, sowohl den ÖPNV gebührenfrei zu machen, als auch die daraus entstehenden Ausgaben systematisch gegenzufinanzieren – z.B. durch Abgaben auf andere Verkehrsmittel.
Die Finanzierung eines stark ausgebauten ÖPNVs ist alles andere als unrealistisch. Der motorisierte Individualverkehr legt im Jahr in Deutschland gut 900 Milliarden Kilometer zurück. Die Bundesregierung geht in einer aktuellen Studie von einem Gesamtfinanzbedarf des ÖPNV von ca. 50 Milliarden Euro im Jahr 2031 aus, von dem etwa die Hälfte aus staatlichen Zuschüssen kommen soll. Die Schrittweise Einführung einer Streckenmaut für PKW auf 0,15 Euro/Kilometer würde alleine mehr als das doppelte dieser Summe ohne jeden staatlichen Zuschuss zur Finanzierung zur Verfügung stellen.
Die Verfügbarkeit von Personal ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Aber alle beschweren sich doch über die vielen Geflüchteten, die hier angeblich nichts zur Wirtschaft beitragen. Die Ausbildung zum Busfahrer braucht minimale Sprachkenntnisse und praktisch keinerlei formelle Qualifikation. Wenn man ein menschenwürdiges Gehalt anbietet und die Anstellung mit einer klaren Perspektive auf Einbürgerung verbindet, habe ich keinen Zweifel, dass man dieses Problem lösen kann.
Sind diese Probleme alle einfach zu lösen? Sicher nicht. Darum habe ich ja auch gesagt „man muss es nur wollen“. Fakt ist, dass ein gebührenfreier ÖPNV von einem großen Teil der Bevölkerung nicht gewollt ist, gerade weil das eine Abkehr vom Modell des massenhaften Individualverkehrs darstellen würde, bei dem die negativen Externalitäten des eigenen Verhaltens weitgehend auf die Gesellschaft insgesamt abgewälzt werden.
Es gibt vielleicht keine 1:1 Übertragbarkeit, aber wie auch die RWI Studie klar sagt, geht diese Steigerung der Fahrgastzahlen auch mit höheren Betriebskosten einher.
Weil ein System kollabieren würde, wenn man der gestiegenen Nutzung nicht auch etwas entgegen setzt.
Selbst wenn das so wäre (ich kenne dazu keine Zahlen), sind das dann ja offensichtlich wichtige Routen. Entsprechend groß ist dann dort auch der Schaden wenn nicht gegengesteuert wird.
Von der Richtung her sinnvoll. Ein smarter Tarif kann - ähnlich wie beim Strom - m.E. auch im Extremfall durchaus 0 erreichen.
Naja - es ist eine Menge möglich, wenn man es will. Die entscheidende Frage ist doch aber, ob es sinnvoll ist? Und ob es wirklich die beste Lösung ist?
Diesen Gegensatz aufzumachen halte ich eben aus dem vielen genannten Gründen für unseriös. Die Abkehr vom Individualverkehr setzt keinesfalls kostenlosen ÖPNV voraus. Deswegen empfehlen selbst Ökonomen, wie Claudia Kemfert - die sich ganz klar für soziale Gerechtigkeit und ökologische Verkehrswende einsetzen - einen anderen Weg.
Warum also ausgerechnet dieses System? Vielleicht weil eine Mehrheit der Bevölkerung das gut findet? Dann wäre das aber m.E. nicht viel mehr als Populismus.
Weil Mobilität ein menschliches Grundbedürfnis ist und die Voraussetzung für eine menschenwürdige Existenz in einer modernen Gesellschaft darstellt. Ich persönlich betrachte das aus einer eher utopischen Perspektive: ein umfassender und von der eigenen finanziellen Situation völlig unabhängiger Zugang zu umfassender Mobilität (über dessen Definition man sicher streiten kann) ist für mich eine wesentliche Zielsetzung. Neben Dingen wie die funktionale Abschaffung von Armut, unfreiwilliger Obdachlosigkeit, Diskriminierung, intakte Umwelt, etc.
Entsprechend ist mir persönlich auch nicht so wichtig, dass man sowas auf jeden Fall sofort und maximal umsetzt. Aber es nervt mich, wenn man die grundsätzliche Machbarkeit aus Prinzip in Frage stellt. Die öffentliche Debatte ist in vielen Dingen einfach komplett ambitionslos geworden. Anstatt über sinnvolle Schritte auf dem Weg zu übergeordneten gesellschaftlichen Zielen streiten wir uns darum, ob wir den Asylbewerbern oder den Bürgergeldempfängern mehr wegnehmen können und wo wir am meisten Geld sparen, damit die Schuldenbremse eingehalten werden kann.
Zum ÖPNV: natürlich bin ich auch dafür, dass man erstmal das macht, mit dem man 80% der Zielsetzung erreichen kann, anstatt verzweifelt und vergebens auf die 100%-Lösung zu warten. Ein freier ÖPNV für Kinder, Jugendliche, Menschen in Ausbildung und Bürgergeldempfänger und ein erschwingliches Deutschlandticket wären schonmal super. Aber warum soll ich nicht für das politisch machbare und aktuell sinnvollste agitieren und gleichzeitig die nächsten Schritte anmahnen .
Die Mehrheit der Bevölkerung findet das ja gerade nicht gut. Sonst würden nicht so viele Leute AfD und CDU wählen. Insofern betreibe ich eher Anti-Populismus: Ich vertrete unpopuläre (aber grundsätzlich sinnvolle) Standpunkte in der Hoffnung, sie schrittweise ein klein wenig weniger unpopulär zu machen .
Ich glaube die Positionen sind hier im Kern gar nicht so weit auseinander. So wie ich die Studienlage überblicken kann - also auf Basis dessen was in den 2 Threads verlinkt wurde - scheint ein kostenloser ÖPNV auf Basis des jetzigen Ausbau-Zustandes die Probleme, über die wir diskutieren relativ ineffizient zu lösen. Zumindest Deutschlandweit. Für einzelne Kommunen mag das anders aussehen. Gleichzeitig wirkt er grundsätzlich in die richtige Richtung. Man ist aber etwas uneins wie stark.
Auf der anderen Seite sind sich alle relativ einig, dass ein Ausbau des ÖPNV erfolgsversprechend ist, dass dieser günstiger und der PKW teurer werden muss. Daraus ergibt sich dich eigentlich eine klare Priorisierung.
Man kann mit sofortiger Wirkung den ÖPNV für Geringverdiener kostengünstig oder sogar kostenlos machen. Die RWI Daten lassen ja kaum vermuten, dass dadurch die Kapazitäten gesprengt werden. Zum einen weil es wenige Personen sind. Zum anderen weil sich ihre Mobilität relativ nicht so stark ändert.
Man kann mit sofortiger Wirkung City-Mauts und vergleichbare Maßnahmen einführen.
die Einnahmen sollte man in den ÖPNV Ausbau stecken
im gut ausgebauten Zustand (der aber vmtl. erst so in 10-20 Jahren erreicht sein wird) kann man dann die Option „kostenloser ÖPNV“ nochmal neu bewerten. Da könnten dann einige Faktoren anders aussehen. Insbesondere der Hebel, Menschen vom Umstieg vom Auto auf die Bahn zu bewegen. Sprich: jetzt könnten auch Experten diese Option positiver bewerten.
Ich persönlich denke beim ÖPNV ähnlich wie bei den Kitas. Zunächst sollte man den Zugang für Geringverdiener sicherstellen. Im zweiten Schritt sollte man die Mittel- und Besserverdiener durch eine ausreichende Qualität überzeugen. Für die können und werden sie dann auch zahlen.
Aus meiner ganz egoistischen Perspektive: ich habe weder ein Auto noch ein Deutschlandticket. Beides lohnt sich für mich nicht, da ich praktisch alles mit dem Fahrrad mache. Rein ökonomisch hätte ich natürlich ein Interesse, wenn der ÖPNV nicht steuerfinanziert würde. Aber ein Drama wäre es jetzt auch nicht.
Und zur Erfüllung dieses Grundbedürfnisses ist es eben gerade nicht notwendig unbegrenzte Mobilität für alle zu finanzieren. Machen wir bei anderen Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Wohnen ja auch nicht. Sondern wir fördern - wenn überhaupt - ganz gezielt Menschen (edit Mod), die bedürftig sind. Und das noch viel zu wenig. Wenn laut RWI Studie der größte relative Zuwachs an Mobilität aber eben nicht bei der ärmeren Bevölkerung zu erwarten ist, dann ist der Schritt zum kostenlosen ÖPNV nicht nur nicht notwendig, sondern auch nicht sinnvoll.
Mag sein, aber die Machbarkeit ist eigentlich zweitrangig. Wichtiger ist doch erstmal die Sinnhaftigkeit.
Weil er weder sozial noch ökonomisch und hinsichtlich Klimaschutz ineffizient ist.
Das ist schlicht falsch. Laut RWI Studie befürworten 72% einen kostenlosen ÖPNV. Das bestätigen auch andere Umfragen z.B vom MDR. Laut Wikipedia sind es sogar 84%. In jedem Fall eine klare Mehrheit.
Wenn ich jetzt als Politik etwas tue, was populär ist, aber von Experten stark bezweifelt wird, dann kann man das sehr demokratisch finden. Ich würde es eher als Wählergeschenk ansehen.
Ja, bis man klar macht, dass die Leute dafür höhere Steuern oder einen teureren Individualverkehr akzeptieren müssen. Wenn es tatsächliche eine starke und breite Unterstützung für kostenlosen ÖPNV gäbe, dann hätten wir ihn schon an viel mehr Orten. Denn das ist ja tatsächlich etwas, was man auch auf kommunaler oder regionaler Ebene umsetzen kann.
Die traurige Realität ist aber, dass alles, was bedrohlich für die eigenen Möglichkeiten zur Nutzung des motorisierten Individualverkehrs wahrgenommen wird von einer überwältigenden Mehrheit der Menschen vehement abgelehnt wird. Und zwar selbst dann, wenn die selben Menschen in Umfragen eine „Verkehrswende“ prinzipiell unterstützen würden.
Bei uns im Dorf gerade gut zu beobachten: Hier gibt es im Rahmen von Landes- und Bundesfördermitteln Projekte zur Dorfentwicklung. In einer Bürgerbeteiligung wurde überwältigend der Wunsch nach einer Verkehrsberuhigung und einer Umgestaltung der durch den fließenden und ruhenden Verkehr stark beeinträchtigten Dorfplätze formuliert. Gleichzeitig gibt es aber auch den vehementen Wunsch nach „mehr Parkplätzen“, weil inzwischen alle Haushalte mehr als ein Auto haben und den eigenen Hof eigentlich nicht zum Abstellen eines PKWs nutzen wollen.
Mal ein ganz schräger Gedanke: wollen wir überhaupt das viele Leute vom Automobil auf den ÖPNV umsteigen?
Was wirtschaftlich ja geringere Umsätze der Autohersteller und Zulieferer bedeutet, damit evt Abbau von Arbeitsplätzen, weniger Steuereinnahmen über diese Unternehmen und die Kfz-Steuer, weniger Einnahmen für Versicherungen und Werkstätten wenn Menschen so auf ein oder zwei eigene Autos verzichten, dabei höhere Investitionen in Infrastruktur und ÖPNV, wenn kostenlos geringe Einnahmen….
Finanzielle Anreize gäbe es durchaus. Selbst wenn die meisten Familien statt zwei nur noch ein Auto bräuchten und die Straßen durch den geringeren PKW-Verkehr (mit immer schwereren Autos) weniger Schäden erleiden würden (was ja auch aus Steuergeldern finanziert wird), würde das unterm Strich denke ich zu erheblichen finanziellen Entlastungen führen. Selbst der kleinste Kleinwagen kostet als Zweitauto schnell ein paar hundert Euro im Monat. Dazu kommen geringere Ausgaben für die Nutzung von Parkplätzen, etc.
Aber Menschen sind extrem schlecht darin, gemeinschaftliche Kosten gegen individuelle Kosten abzuwiegen. Es gäbe viele politische Maßnahmen, die insgesamt gesehen die Mehrheit der Menschen finanziell erheblich entlasten würde, aber aus (oft unrealistischer) Angst vor der individuellen Belastung oder einer fehlenden Wahrnehmung der einhergehenden individuellen Entlastung heraus abgelehnt werden.
Mir ging es tatsächlich um die dadurch sinkenden gesellschaftlichen Einnahmen. Wiegen die Einsparungen durch geringere Strassennutzung u.a. diese entfallenden Einnahmen voll auf?
Wenn man nur die öffentlichen Kosten mit öffentlichen Einsparungen vergleicht, dann bildet das nicht im vollen Umfang den wirtschaftlichen Effekt einer Maßnahme ab. Das öffentliche Renten- und Krankenversicherungssystem ist zum Beispiel vor allem ein Kostenfaktor. Wirtschaftlich „lohnen“ tut es sich in erster Linie, weil es auf vielen Ebenen Effizienzen herstellt, die durch eine rein private Absicherung nicht erreichen lässt.
Mit ÖPNV ist es nicht anders. Natürlich kostet das immer Geld und ein erheblicher Teil des positiven Effekts wird sich nicht oder nur teilweise in volkswirtschaftlichen Rechnungen Wiederspiegeln. Wie bewertet man zum Beispiel den Effekt, dass ein 14-jähriger Dank billigem oder freiem ÖPNV den Sport- oder Musikunterricht in einer nahen Kleinstadt besuchen kann?
Ist es wirtschaftlich Effizient, extrem dünn besiedelte Regionen im mittleren Westen der USA durch 30-Jährige Kredite an lokale Kooperativen zu elektrifizieren und der ländlichen Bevölkerung mehrere Jahrzehnte lang Aufklärung und Beratung zur Nutzung elektrischer Energie zur Verfügung zu stellen? Aus der Perspektive eines Finanzministers im Jahr 1930 kann ich mir das kaum vorstellen. Rückblickend macht das Ganze schon mehr Sinn, aber zeitgenössisch war das Argument wohl eher eins der öffentlichen Wohlfahrt.
Abschließend beurteilen lassen sich solche Maßnahmen wohl nur rückblickend. Die Entscheidungen für oder gegen sie muss man (auch) aufgrund eigener politischer und gesellschaftlicher Überzeugungen treffen.
Kostenloser ÖPNV, kostenlose Kita’s bzw. generell jede Bildung kostenlos.
Viel grössere Investitionen in Bahn, Stromnetz, Glasfaser und und und
Pflege und Gesundheit darf auch keinen Gewinn abwerfen und Verteidigungsausgaben sind sowieso ein Millardengrab solange man die Bundewehr nicht braucht (hoffentlich nie). Und so weiter und so fort.
Auch wenn ich das auch alles gerne hätte. Irgendwie muss das alles finanziert werden und mir fehlt die Fantasie wie das alles möglich sein soll.
Das „alte“ Linke narrativ, die „Reichen“ sollen das Zahlen, ist mir, angesichts all dieser Wünsche nicht mehr zu verkaufen. Manches geht, jedoch alles nicht.
Es bestünde ja auch die Möglichkeit, dass die Studien, die ich zitiert habe, nicht völliger Unsinn sind und dass Ökonomen wie Frau Kemfert und Verkehrsexperten wie Herr Knie tatsächlich ein Bisschen Recht haben. Angenommen das wäre so, dann könnte die Zurückhaltung von Kommunen in dieser Hinsicht auch darauf zurückzuführen sein, dass sie mit dem Steuergeld ihrer Bürger verantwortlich umgehen wollen, weil sie dieselben Ziele auch mit weniger Geld erreichen können.
Dass diese Studien und Einschätzungen in diesem Thread weitgehend ignoriert werden, muss ich so zur Kenntnis nehmen, aber vielleicht denken Menschen anders, die für den funktionierenden Verkehr einer Stadt verantwortlich sind.
Ich sehe zwischen unseren Perspektiven ehrlich gesagt keinen Widerspruch. Aus Sicht eines Landrats oder Bürgermeisters ist ein kostenloser ÖPNV natürlich finanziell ein totaler Schuss ins Knie. Auf kommunaler und regionaler Ebene fehlen die Möglichkeiten zur aktiven Refinanzierung völlig. Gleichzeitig mögen viele Menschen in Umfragen einen kostenlosen ÖPNV befürworten, vor die praktische Wahl gestellt (freie Busfahrt oder doch lieber neue Tische in der Schule) fällt die Wahl aber (nachvollziehbarerweise) oft pragmatisch aus.
Entsprechend meine Aussage: wenn ein freier (oder sehr kostengünstiger/stark ausgebauter) ÖPNV tatsächlich eine hohe Priorität und Zustimmung bei 70 bis 80% der Deutschen hätte, dann würden sich solche Konzepte an mehr Orten durchsetzen.
Auch meine Ansicht, dass vielen Deutschen das eigene Auto heiliger ist als ein gesamtgesellschaftlich vielleicht sinnvolles Anliegen sehe ich durch die zitierten Studien nicht widerlegt.
Ich würde vielleicht darauf hinweisen, dass wir gesellschaftlich ständig Dinge tun und entscheiden, die wirtschaftlich völlig ineffizient sind. Auch klimapolitisch gibt es wenige politische Entscheidungen der letzten Jahrzehnte, die objektiv betrachtet wirklich Sinn machen. Darum auch meine vorherige Kritik, dass wir uns politisch zu sehr aufs Klein Klein und die letzten Umfragewerte konzentrieren, anstatt eine positive und vielleicht etwas überambitionierte Vision zu entwickeln und uns systematisch in kleinen Schritten auf diese zuzubewegen.
Ich bin der Überzeugung, dass eine Welt in der die (ganze oder große Teile der) Bevölkerung Zugang zu freiem und hochwertigem ÖPNV hätte eine bessere wäre. Und zwar sowohl aufgrund der direkten Effekte dieses freien ÖPNV, als auch durch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Etablierung dieser Maßnahme erst möglich gemacht hätten.
Um auf die von dir zitierten Quellen direkt einzugehen:
Das ist doch erstmal eine tolle Nachricht! Ich würde allerdings die methodische Kritik anführen, dass es sich hierbei um die Abfrage eines möglichen zukünftigen Verhaltens handelt und solche Aussagen in der empirischen Sozial- und Wirtschaftsforschung als extrem unzuverlässig gelten. Dass nach Aussage der Studie in realen Beispielen die Zahl der gefahrenen Autokilometer nicht abnimmt ist für mich persönlich kein Ausschlusskriterium für einen freien ÖPNV, sondern der Hinweis, dass eine Maßnahme alleine nicht ausreicht. Man muss also entweder klären, ob es parallel zur Reduktion der Ticketpreise auch einen Ausbau der Strecken und Takte braucht, oder ob man die Attraktivität des PKW durch bestimmte Maßnahmen senken muss.
Das Interview deckt sich weitgehend mit den Erkenntnissen der letzten Quelle. Es bestätigt, dass eine abnehmende Nutzung des Autos nur durch eine höhere Verbindungsqualität des ÖPNV zustande kommt. Meine persönliche Perspektive darauf ist aber, dass es ohne einen allgemein (auch für ärmere Menschen) zugänglichen ÖPNV auch nicht geht, wenn wir vom Auto konsequent wegwollen. Eine Abschaffung der Fahrgebühren für alle mag in dieser Hinsicht nicht wirtschaftlich effizient sein, kann als politische Maßnahme aber trotzdem Sinn machen. Etwa, indem man den ÖPNV als „Recht für alle“ narrativ aufstellt, wodurch die Akzeptanz einer Verlagerung öffentlicher Ausgaben vom Individualverkehr auf den ÖPNV steigen könnte.
Interessant finde ich auch diesen Absatz hier:
SPIEGEL ONLINE: Wenn keine Autofahrer umsteigen, wer profitiert dann vom Gratis-ÖPNV?
Cats: Vor allem sehr junge und alte Menschen, insbesondere Schüler, Studenten und Rentner. Sie wechseln meistens vom Fahrrad in den ÖPNV oder nutzen ihn für Wege, die sie sonst zu Fuß gegangen wären oder eventuell gar nicht zurückgelegt hätten, wie zum Beispiel in Tallinn. Ein Wegfall der Fahrpreise kann sich positiv auf die Mobilität dieser Menschen auswirken.
Das Argument von Kempfert ist in sich stimmig, ich persönlich würde das Ziel aber anders formulieren. Sie geht davon aus, dass ein kostenloser ÖPNV „einfach so“ eingeführt wird. Meine persönliche Präferenz wäre, dass die Einführung eines kostenlosen ÖPNV (oder einer Vorstufe davon, also die Befreiung bestimmter Bevölkerungsgruppen) begleitet wird durch eine deutliche Verbesserung der Qualität des ÖPNV und einer Gegenfinanzierung durch Abgaben auf den Individualverkehr (am besten ein Maut auf die tatsächliche Fahrstrecke von PKW).
Die Ergebnisse dieser Studie speisen sich komplett aus hypothetischen Befragungen ohne Angabe eines Zielkonflikts. Das halte ich (wie oben dargelegt) für wenig erhellend.
Die in der Studie als Alternative vorgeschlagenen Öffentlichkeitskampagnen zur Reduzierung der Autonutzung halte ich für völlig nutzlos. Dass diese kosteneffizienter sind als ein kostenloser ÖPNV wird an keiner Stelle belegt. Zwischen dem Wissen um die höheren Kosten der PKW-Nutzung und einer Verhaltensänderung liegen Welten. Praktisch alle Raucher wissen auch, dass ihr Verhalten gesundheitsschädlich ist.
Die Einführung einer City-Maut ist total sinnvoll und sollte in allen Großstädten Deutschlands praktiziert werden (aktuell ist das aber glaube ich rechtlich gar nicht möglich). Der Gerechtigkeitsaspekt eines freien/extrem günstigen ÖPNV wird dadurch aber in keiner Weise Rechnung getragen (höchstens Indirekt über die Verwendung der Mauteinnahmen, was ich grundsätzlich begrüßen würde).
Unterm Strich: betrachtet man das Projekt „freier ÖPNV“ nicht als eng auf ein spezifisches Problemfeld (z.B. Armut, Klimawandel, Verschmutzung, etc) zugeschnittenen Lösungsansatz, sondern als eine multifunktionale gesamtgesellschaftliche Zielsetzung, dann fallen meiner Ansicht nach viele der Kritikpunkte weg. Natürlich muss so ein Projekt durch begleitende Maßnahmen unterstützt werden (die dann jeweils spezifische Handlungsfelder adressieren, z.B. den Umstieg von PKW auf ÖPNV). Und ein Projekt dieser Komplexität kann gar nicht auf einmal umgesetzt werden, sondern braucht vermutlich viele Zwischenschritte. Was es umso nötiger macht, mit diesen Zwischenschritten (z.B. freier ÖPNV für ärmere Bevölkerungssichten, Jugendliche usw.) so bald wie möglich zu beginnen.
Erstmal vielen Dank für das detaillierte Eingehen auf die Quellen. Auch wenn ich mit vielem nicht überein stimme, halte ich diesen Ansatz tatsächlich noch für am besten Nachvollziehbar als Begründung für kostenlosen ÖPNV:
Persönlich denke ich, dass ein Vorgehen, bei dem wir systematisch den ÖPNV massiv ausbauen und durch smarte Tarife die Auslastung optimieren der beste Weg ist. Schlicht weil man nicht Geld für alles gleichzeitig hat. In einem voll ausgebauten System kann man dann - wie @peteM bereits geschrieben hat - die Frage nochmal neu bewerten.