Karl Lauterbach als Gesundheitsminister?

Ich bin nach wie vor zufrieden, dass er den Posten hat.

Ich versteh das Gejammer gerade eh nur so bedingt. Zumindest ich persönlich wollte gar keinen „Maximale-Vorsicht-Minister“. Vielleicht dachte der ein oder andere, dass Lauterbach, der in den Talkshows immer gern für die vorsichtigere Seite plädiert hat, ein solcher Minister würde. Tja, sieht nicht so aus. Am Ende kommt er halt auch in der Realpolitik an. Und ich persönlich habe im Grunde auch gehofft, dass das passiert.

Ich wollte jemanden, der die richtigen Themen fokussiert und vorantreibt und die realpolitisch notwendigen Zugeständnisse ebenfalls an den richtigen Stellen macht. Und in dem Punkt liefert er momentan für meinen Geschmack. Er forciert die Booster-Impfungen und versucht, jedes Hindernis dafür aus dem Weg zu räumen. Das ist das einzig sinnvolle angesichts einer Omikron-Wand, die so oder so kommt. Es ist müßig, diese Wand durch maximale Einschränkungen weiter hinauszuschieben, wenn man nicht gleichzeitig maximalen Nutzen aus der gewonnenen Zeit zieht, und das geht einzig und allein mit Impfungen; andere Methoden, Omikron beizukommen, haben wir nicht und werden sie auch nicht rechtzeitig bis zur „Wand“ haben, egal was wir tun.

Gleichzeitig ist es aber politisch nur sehr schwer zu vermitteln, das Weihnachtsfest platzen zu lassen - es würde enorm politisches Kapital kosten, das zu tun, und man würde nur wenige Tage für die Boosterkampagne dabei gewinnen (wenn überhaupt; wenn Leute massenhaft Einschränkungen ignorieren weil Weihnachten, gewinnt man gar nichts, zahlt aber trotzdem den Preis). In diesen paar Tagen ändert sich nichts fundamental an der Omikron-Situation, also kann man genausogut an dieser Stelle einen realpolitischen Kompromiss machen, wenn denn schon einer nötig ist, so lange man an der entscheidenden Stelle, nämlich beim Vorantreiben der Booster-Impfungen, am Ball bleibt.

Wenn er jetzt noch genauso entschlossen die Planung und Einführung der allgemeinen Impfpflicht im neuen Jahr vorantreibt, bleibe ich auch weiterhin zufrieden.

4 „Gefällt mir“

Völlige Zustimmung. Hinzu kommt, dass die Richtlinienkompetenz bei Olaf Scholz liegt. Am Ende ist der Minister an die Vorgaben von Olaf Scholz gebunden, sonst wird er (schlimmstenfalls) entlassen.

Hier! Es war für mich der erste Machtwechsel (also neuer Kanzler), bei dem ich mich ernsthaft mit Politik beschäftigt hatte und ich bin dann doch überrascht, wie pflichtbewusst die Hüte getauscht wurden und dann alle exakt weitergemacht haben wie bisher.
Die CDU ist direkt in den Tonfall der Opposition gefallen, dass die Regierung völlig falsche Corona-Politik macht.
Lauterbach, als einer der größten Kritiker von Spahn macht exakt so weiter wie Spahn vorher auch (wir müssen einfach mehr impfen, Lockdown ist bestimmt notwendig, aber lieber später, wenn er dann länger dauern muss).
Ich fühle mich ein bisschen wie in 1984, als auf einer Kundgebung plötzlich der Feind wechselt und der Redner auf dem Podium ohne zu zucken plötzlich Hass auf Eurasien statt Ostasien spuckt.
Ich hatte keine Wunder von der neuen Regierung erwartet, aber wie glatt der Austausch der Personen ohne irgendeine Änderung der (zumindest Pandemie-) Politik von statten ging, hat mich in meiner Karriere als Zyniker doch gehörig vorangebracht.

Irgendwie lustig fand ich, wie Lindner sich und die Regierung mit Taschenspielertricks an der Schuldenbremse vorbeischummelt, während er das in der Opposition wohl gegeißelt hätte bis zum Geht-nicht-mehr. Aber meine Heiterkeit lag wohl vor allem daran, dass ich nicht so starke Gefühle zur Schuldenbremse wie zur Pandemie habe und in finanzpolitischen Dingen das Ignorieren von Exponentialkurven und der Wissenschaft im Allgemeinen zumindest mir nicht so offensichtlich erscheint.

1 „Gefällt mir“

Das ist in der Politik aber absoluter Alltag und passiert gerade an allen Fronten.

  • Die FDP widmet plötzlich Corona-Investitions-Schulden zu Klima-Investiotionsschulden um (Quelle)
  • Lauterbach wird als Gesundheitsminister leiser (Quelle), als er es vorher in der Opposition war
  • Das FDP-Verkehrsministerium will der Schiene mehr Geld als dem Verkehr geben (Quelle)
  • selbst Merz will, wo er jetzt (quasi) CDU-Chef ist, auf Merkel bzw. deren Anhänger zugehen (Quelle)

Macht bringt halt immer auch Verantwortung und Kompromiszwang mit sich. Ob man diesen realpolitischen Pragmatismus als gut oder schlecht empfindet, liegt wahrscheinlich immer daran, wie man selbst zu den jeweiligen Themen steht.

edit: Lauterbach war natürlich nicht in der Opposition. Sry, das war quasi ein Freud’scher Verschreiber.

1 „Gefällt mir“

Danke für deine interessante Einschätzung, die ich auch so teilen würde. :slight_smile:

Auf Twitter herrscht ja irgendwie der Eindruck vor, mit Lauterbach als Gesundheitsminister wären jetzt alle „harten“ Maßnahmen kompromisslos so beschlossen worden wie von ihm vorher gefordert.

Lustigerweise war Lauterbach gar nicht in der Opposition :slight_smile: Aber dass du das intuitiv so geschrieben hast spricht für sich.

3 „Gefällt mir“

Das habe ich natürlich absichtlich eingebaut *hust…
Um zu sehen ob jemand das überhaupt liest… :wink:

Oh, damit komme ich klar, denke ich. Ich hatte allerdings erwartet, dass es irgendeinen Kurswechsel gibt. Die Regierung ist ja noch nicht lange im Amt und da mag noch dies und das kommen, aber bisher frage ich mich, wieso ich nicht einfach CDU gewählt habe, das hätte offenbar auch gar nichts anderes ergeben und man hätte sich die Umwälzungskosten sparen können. Ich hoffe noch, dass in Sachen Klima-Politik etwas mehr als nichts passiert, aber mal schauen.

tldr: Natürlich ist Wahlkampf viel Gerede, aber ich dachte nicht, dass das Gerede GAR NICHTS mit dem Nachwahlverhalten zu tun hat.

Ich denke genau das war der Plan von Scholz, als er Lauterbach ins Kabinett geholt hat. Sonst würde er weiter in Talkshows sitzen und alles mögliche fordern, das geht ja nun nicht mehr. Außerdem muss er sich natürlich auch mit seinem obersten Chef, nämlich Schoiz, absprechen. Und der kann sich politisch stärkere Beschränkungen vor Weihnachten nicht leisten.

Ich hoffe das war nur Sarkasmus, ein wenig mehr Zeit muss man der neuen Regierung schon geben. Aber es war ja irgendwie klar dass es mit Scholz keine 180 Grad Wendung geben würde.

Ja, deshalb hoffe ich, dass ich mir meine Frage in ein wenig Zeit auch beantworten kann. Und in Bezug auf die Pandemie haben wir halt keine Zeit. Bzw. vielleicht sieht die Regierung das anders. Anscheinend glaubt sie aber auch, dass wir einen Lockdown brauchen.

Und dennoch macht sie dasselbe wie die Vorgängerregierung. Statt den früh und hart zu machen, wartet man noch zu, bis es schlimmer wird.
Ich wäre deutlich weniger ärgerlich, wenn Lauterbach angesagt hätte „Omikron ist nicht mehr schlimm, wir können das durchlaufen lassen“ und sich daran hält, als jetzt. Die Regierung meint, dass wir einen Lockdown brauchen und macht ihn lieber später als früher ohne auch nur zu erklären, wieso. Das meine ich mit „dann hätte ich auch CDU wählen können.“.

Also prinzipiell würde ich sagen, wenn die neue Bundesregierung nichts macht, hat das den gleichen Grund, wie bei der Bundesregierung vorher. Es liegt schlicht nicht in ihrer Hand von sich aus diese Eingriffe durch die Länder anzuordnen.

Einschränkend muss ich allerdings sagen, dass ich den Überblick beim Infektionsschutzgesetz verloren habe: Ob die Maßnahmen, die man hier im Land unter „lockdown“ fassen würde, erstmal wieder durch die Erklärung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite „freigeschaltet“ werden müssten also überhaupt gerade möglich sind. Das würde dann tatsächlich in die Verantwortung der Bundesebene fallen. Allerdings nicht die der Regierung, sondern ihrer Parlamentsmehrheit.

Ich hole den Thread noch mal aus der Versenkung, da ja die Kritik an Lauterbach nun doch lauter wird. Vielleicht ein Thema für die kommende Lage, @vieuxrenard? Mich würde jedenfalls eure Einschätzung interessieren. Ist Lauterbachs Performance schlechter, als angenommen? Oder hatte Twitter eher falsche Erwartungen?

Die aktuelle Situation ist nicht weiter überraschend. So wie Christian Lindner aus allen Richtungen für seinen Nachtragshaushalt und die Umwidmung der Corona-Schulden für ökologische Zwecke kritisiert wurde, so muss Lauterbach als Gesundheitsminister jetzt halt für die Corona-Politik „Prügel einstecken“.

Ich denke aber mal, er hat das auch gewusst.

edit:
Nichts desto trotz ist er der richtige für den Job.

3 „Gefällt mir“

@Slartie bitte, das ist keine Link-Halde hier, auch nicht für FAZ-Abonnenten :wink:

Ich bin - ehrlich gesagt - tief enttäuscht. Lauterbach zeigt keine Führung bei der Impfpflicht, schafft wider besseren Wissens den Infektionsschutz ab (und appelliert dann an alle, sich halt selbst zu schützen), und bei der Digitalisierung (eRezept, eAU, ePa) agiert er so unerschlossen, dass die KBV einfach mal ganz schamlos behaupten kann, dass eRezept sei abgeschafft.
Der Mann ist fachlich sicherlich extrem kompetent und engagiert - aber mir fehlen die Führungsqualitäten und die strategische Kommunikation und Durchsetzungsfähigkeit.

Edit: ein Verb durch ein freundlicheres ersetzt

1 „Gefällt mir“

Ich finde das nach 3 Monaten ehrlich gesagt schwer zu beurteilen. Ich habe gerade bei seiner Corona-Politik das Gefühl, dass er hinter den Kulissen extrem ausgebremst wird. Das lese ich v.a. aus der Tatsache, dass seine persönliche Kommunikation deutlich andere Töne anschlägt als die Entscheidungen zum Pandemiemanagement. Das betrifft natürlich auch die Impfpflicht. Da vermute ich, dass Herr Lauterbach mit der Impfpflicht in einer ähnlichen Situation befindet wie Herr Habeck mit seinem Tempolimit: Objektiv sprechen viele Dinge dafür, aber politisch sind beide Dinge schwer durchsetzbar.

Ich stimme zu, dass er aktuell etwas „gezähmt“ wirkt. Aber das war vermutlich zu erwarten, weil er jetzt eben nicht mehr unkontrolliert aus einer Oppositionsposition wettern kann, sondern sich teilweise politischen Faktoren unterwerfen muss.

Hier könnte ein wichtiger Punkt liegen, der dazu beigetragen hat, dass er überhaupt Gesundheitsminister werden durfte. Das war ja erstaunlich lange überhaupt nicht klar. Man könnte spekulieren, dass das ggf. daran lag, dass die SPD Sorge hatte, sich einen Querulanten und Rebellen ins Boot zu holen, den man hinterher nicht kontrollieren kann. Ggf. hat Herr Lauterbache also lediglich seine Arbeitsweise angepasst und wirkt deutlich stärker im Hintergrund. Zzt. leider scheinbar erfolglos. Ob das an ihm liegt, halte ich jedoch für aktuell nicht gut erkennbar.

2 „Gefällt mir“

Ein gutes Beispiel dafür, dass Fachwissen nicht ausreicht um eine Führungsposition gut auszufüllen. Eine derart exponierte Position erfordert halt auch zB Kommunikations- und Führungsfähigkeiten. Beides kann ich bei hr. Lauterbach nicht erkennen. Leider eine massive Fehlbesetzung.

Was soll er den tun? Er ist halt nicht der Kanzler und hat eben nicht die Richtlinien-Kompetenz also die Macht.
Wenn die FDP den Kanzler überzeugen kann, die Corona-Maßnahmen auslaufen zu lassen, dann kann Lauterbach da auch nichts machen.
Außer vielleicht demonstrativ zurück treten.

1 „Gefällt mir“

Die Richtlinien-Kompetenz geht nicht so weit. In der Bundesregierung gilt das Ressortprinzip, das heißt jede/r Minister/in ist für sein/ihr Fachgebiet alleinverantwortlich. Der Kanzler gibt die grobe Richtung vor, aber diese Macht geht nicht so weit dass er einem Ministerium einzelne Sachfragen diktieren kann. Das entscheiden die Minister/innen selbständig. Was ein/e Minister/in nicht will, kann auch der Kanzler nicht erzwingen (außer durch Austausch der Person). Was ein/e Minister/in hingegen will, muss von der Regierung als Gesamtorgan gebilligt werden, auch dort hat der Kanzler dann nur eine Stimme genau wie alle anderen.

Da hast du ein Stück weit Recht. Aber mein Argument war auch nicht ganz sauber.
Die bisherigen Maßnahmen laufen mWn ja aus, weil die Ampel sich intern nicht auf eine entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IFSG) einigen konnte, da die FDP das nicht wollte.
Und gegen ein geltendes Gesetz kann ein Minister nun mal nichts machen, dass müsste eine Mehrheit des Bundestages machen, sprich die Ampel.

Das heißt, was Lauterbach hier aushalten muss, ist halt die Blockadehaltung der FDP.