Ist Schrödingers Invasion journalistisch rechtfertigbar?

In Kürze: Entspricht es dem journalistischen Handwerk beständig die Gewissheit bevorstehender Schritte Russlands meist laut US- oder britischer Regierung, offiziell oder inoffiziell, zu berichten, obwohl es ausreichend Anzeichen gibt, dass diese Gewissheit nicht besteht?

Erläuterung:

Was meine ich mit Schrödingers Invasion? Sowas wie in diesem Artikel: U.S. has intel that Russian commanders have orders to proceed with Ukraine invasion - CBS News

But the U.S. has intelligence that Russian commanders have received orders to proceed with an invasion of Ukraine, with commanders on the ground making specific plans for how they would maneuver in their sectors of the battlefield, a U.S. official told CBS News.

The orders don’t mean an invasion is certain, the official said, as the final decision is Putin’s to make.

Also die Gleichzeitigkeit in der Berichterstattung der Gewissheit einer russischen Invasion der Ukraine in konkreten Schritten und dann Relativierungen unterschiedlicher Form - aggressive Informationspolitik, Bidens Taktik, Putin wartet ab - die zeigen, dass die Gewissheit nicht vorhanden ist.

Dieses Beispiel ist schön, weil hier beides unmittelbar untereinander steht, sonst findet es eher zeitversetzt statt. Im ersten Satz wird gesagt, man soll mit der Invasion fortfahren (proceed with an invasion), gemeint ist eigentlich mit der Planung fortfahren. Mit der Invasion kann man nur fortfahren, wenn sie schon begonnen hat. Ja ich weiß, im Englischen ist das unscharf, der Punkt ist, es vermittelt die Gewissheit das die Invasion beginnt. Und im zweiten Absatz wird die Gewissheit aufgehoben, weil es eigentlich doch nichts bedeutet.

Aber ist das dann überhaupt berichtenswert? Und wenn hätte man nicht eher sowas schreiben müssen: „Angehörige der US-Regierung bestehen weiter darauf, dass eine Invasion durch Russland geplant ist. Zuletzt sollen die russischen Kommandanten vor Ort Befehle erhalten haben, konkrete Pläne für den Angriff in ihrem Sektor zu entwickeln.“

Ggf. zur Frage der Relevanz für Deutschland: Da viele deutschsprachige Medien sowas übernehmen, kann man es denke ich bereits an der englischsprachigen Berichterstattung als dem überwiegenden Eintrittspunkt dieser Art von Information festmachen.

Kleine Ergänzung zur Sicherheit: Falls irgendwie der Eindruck entstanden ist, dieses Thema hätte sich nun erledigt, aus meiner Sicht nicht. Ich hatte die gestrigen Ereignisse schon vor einigen Tagen in diesem Beitrag eingeordnet: Einmarsch in die Ukraine - Gesicherte Erkenntnisse oder mediale Erzählung? - #61 von laotuzi

Ich würde sogar sagen, sie zeigen das Gegenteil. Und das ist natürlich nur das, was ich mitbekommen habe, insofern gerne mit Beispiel korrigieren. Während dieser Schritt sich tatsächlich angedeutet hat - deshalb habe ich die Möglichkeit schon zwei Tage vorher angesprochen - wurde trotz der These von der „aggressiven Informationspolitik“ um Russlands Handlungen vorwegzunehmen diese Eskalation (die Anerkennung, die Truppenentsendung) von US-Seite oder von den Briten letzte Woche, selbst drei Trage vorher nicht konkret vorhergesagt, man war in der Botschaft auf eine umfassendere Invasion der Ukraine fokussiert, trotz der angeblichen geheimdienstlichen Erkenntnisse, die den anderen Vorhersagen ihre hohe Sicherheit verleihen sollen.

Insofern die Vermeldung zeitnaher Invasionsvorhersagen geht weiter - ohne Zweifel fühlt man sich jetzt mehr im Recht - Einschränkungen werden weiter veröffentlicht. Vorhersagen treten nicht ein. Es bleibt die Frage, ob das alles journalistisch sauber zusammengeführt wird.