Ist Kriegstüchtigkeit für Europa alternativlos?

Ehrlich gesagt finde ich das ein ziemlich merkwürdiges Verhalten. Du haust irgendwelche steilen Thesen raus und wünscht dir eine Diskussion. Mehrere Leute gehen darauf eingehen und kritisieren mit verschiedenen Argumenten deine Aussagen und auch deine Vorannahmen. Aber anstatt darauf einzugehen, sagst du anschließend nur „Hm, ich weiß auch nicht“.

Die von dir angeschnittenen Themen werden gerade in diesem Forum seit Wochen, wenn nicht seit Monaten oder gar Jahren sehr lebhaft und auch kontrovers diskutiert. Die Debatte, die du „in den öffentlichen Raum bringen“ willst, findet dort also schon längst statt. Aber auch hier gilt: Debatte bedeutet mehr, als ein paar Behauptungen in den Raum zu werfen und dann nur noch zuzuschauen.

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Ich war auch verblüfft, als ich als (hoffentlich nur vorläufiges) Resümee

las. Allerdings muss das ja kein abschließendes Resignieren sein; ich hoffe, du liest dir diese und weitere einschlägige Diskussionen im Forum (nochmal) durch und setzt dich mit der Thematik weiter auseinander, @satorrotas . Wenn man so eine dezidierte Meinung hat, wie du sie in deinem ersten Post geschrieben hast, kann es ja auch dauern, bis man Gegenargumente aufgearbeitet hat.

Deswegen plädiere ich für Geduld. Und danke allen, die hier auf den Eingangspost, der auch aus meiner Sicht einige steile Thesen enthält, mit guten Argumenten eingegangen sind.

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Ich würde an dieser Stelle mal noch einen Gedanken diskutieren, auch wenn der mich selbst nicht 100% überzeugt.

Russland hat derzeit ca. 143 Mio Einwohner. Nehmen wir an, wir rüsten ab und Russland sieht das als gefundenes Fressen und erobert mal spontan und quasi kampflos Polen und Deutschland, was ungefähr 120 Mio. Einwohnern entspricht.

Dann hätte doch Russland erstmal 120 Mio. Einwohner zusätzlich an der Backe, von denen wahrscheinlich mindestens 90 Mio. gerne Demokratie und Wohlstand behalten wollen würden und die den 143 Millionen Russen erzählen, dass es auch anders geht. Wäre es mit dieser Menge an Menschen nicht vielleicht möglich das neue Großrussland von innen in eine Demokratie zu verwandeln? Und wären die Opfer nicht womöglich geringer als bei einem Verteidigungskrieg, die möglichen Gewinne aber doch erheblich größer? Wer sagt denn, dass man nicht einen großen Teil der Russen auch auf die Seite der Demokratie ziehen könnte?

Den größten Haken sehe ich allerdings darin, abzuschätzen wie viele Deutsche und Polen aus dem Beispiel einfach versuchen würden, es sich unter den neuen Umständen so bequem wie möglich zu machen. Aber andererseits, wie wehrhaft in einem Krieg könnten wir sein, wenn zu viele eine russische Herrschaft gut akzeptieren könnten?

Du hast ja oben geschrieben, du wolltest die von @pbf85 vorgebrachten Argumente nicht kleinreden; hier scheinst du sie aber wieder vergessen zu haben.

Ehrlich gesagt bin ich fassungslos, selbst wenn ich lese, dass dich der von dir referierte Gedanke „nicht 100% überzeugt“. Hast du eine Vorstellung davon, welches Leid z.B. die Baltischen Staaten, die zur Sowjetunion gehörten, und die nicht zur SU gehörigen Ostblockstaaten erdulden mussten? Es gibt unzählige Beispiele für Diktaturen in der Menschheitsgeschichte, in denen es über Jahrzehnte hinweg einfach überhaupt nichts genützt hat, dass ein Großteil der Bevölkerung alles andere als glühender Anhänger der Diktatur war.

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Ich weiß ja nicht, woher immer diese Idee kommt, dass Krieg - und vor allem ein Krieg mit Putins Russland - vor allem bedeutet, ein Land einzumarschieren und es (womöglich noch mit den eigenen Leuten) komplett zu besetzen. Salopp könnte man jetzt sagen „that’s so 1940s“ - oder wenn man es noch auf den Kalten Krieg ausdehnen will meinetwegen „so 1980s“. Aber es hat m. E. herzlich wenig mit der heutigen Realität zu tun. Was Putin will, ist Macht. Daher „reicht“ es ihm vollkommen, wenn in wenn in Polen und Deutschland jeweils „landeseigene“ Versionen von Orban oder Lukaschenko regieren und tun, was er will - oder zumindenst nichts tun, was er nicht will.

Entschuldige, man kann doch das Funktionieren (post-)demokratischer und autoritärer Gesellschaften nicht betrachten wie das Zusammenkippen zweier Flüssigkeiten (wenn ich 90 ml Demokratie in 143 ml Diktatur kippe, kommt dabei raus…)

Die Menschen in Polen waren in der Geschichte sehr viel mutiger dabei, sich nicht nur gegen Fremdherrschaft, sondern auch gegen Machthaber im eigenen Land aufzulehnen. In Deutschland gab es das - abgesehen von kurzen Momenten etwa 1848, 1918 und 1989 - eher nicht. Hier war grosso Modo eigentlich immer eher Klappe halten und Mitmachen oder gar begeistert Jubeln angesagt. Und wenn jetzt
schon Leute zu Talkshow-Stars werden mit der These „Ich will lieber in einer Diktatur leben, als möglicherweise im Krieg zu sterben“, kann man sich ausmalen, wo die Reise hingeht.

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Man könnte zum Beispiel mal damit anfangen, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, warum man es jahrelang eine gute Idee fand, dem Putinregime jede Menge Geld in den Rachen zu schmeißen - und es so ökonomisch und politisch enorm zu stärken und zu ermutigen, auch und gerade, nachdem es die Ukraine überfallen hat. Das ist m. E. noch nicht ansatzweise passiert und nicht nur AfD und BSW fordern offen eine Rückkehr zu dieser Politik, auch in Union und SPD gibt es Stimmen, die es kaum abwarten können.

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Vielleicht möchte eine russische Besatzungsnacht gar nicht, das es 90 Mio Deutschen/Polen in Demokratie und Wohlstand gutgeht? Vielleicht soll es den 153 Mio Russen zur Stabilisierung der Diktatur Putins besser gehen?
Und die 90 Mio Deutsche/Polen können sich dann der Unterwerfung fügen, flüchten oder verschwinden zum Teil einfach.
Und ob man unter russischer Besatzung viel Gelegenheit hat, von Demokratie zu schwärmen, wenn man diese selbst dann kampflos hat den Bach runtergehen lassen? Klingt nicht überzeugend.

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Ich würde da an der Stelle darauf eingehen, weil ich mich frage, warum Dich das fassungslos macht, dass ich hier einen Gedanken teile, von dem ich selbst nicht 100% überzeugt bin.
Aus meiner Sicht ist das Teil der Meinungsbildung. Ich habe auf diesen Gedanken für mich wertvolle Hinweise erhalten, mit denen ich mich weiter beschäftigen kann.

Wenn ich das hier nicht schreibe, kommen die Gegenargumente doch auch nicht. Mir ist es lieber, hier sinnvolle Gegenargumente zu kriegen und meine Gedanken anpassen oder zu korrigieren, als das nur in mir zu wälzen.
Ich kann mit sachlich negativer Rückmeldung sehr gut leben. Aber es muss doch erlaubt sein, so etwas zu äußern.

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In dem Satz von @Schiessbogen, den du zitierst, steht nicht „dass“, sondern „selbst wenn“. Völlig anderer Sinnzusammenhang.

Hat es dir denn irgendjemand verboten? Nein. Also warum so ein Satz? Aber ebenso ist es eben auch anderen erlaubt, zu sagen, dass deine Gedanken sie fassungslos machen.

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Ich habe geschrieben, dass mich der Gedanke fassungslos macht, „selbst wenn ich lese“, dass du nicht vollkommen von ihm überzeugt bist. Nicht die Tatsache, dass du den Gedanken hier einbringst, sondern der Inhalt dieser Überlegung macht mich fassungslos. Sonst würde „selbst“ keinen Sinn in meinem Post ergeben.

Edit: Eben erst gesehen, dass @Flixbus es schon angesprochen hat – danke.

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Das mag sein. Dein Szenario ist also: Er kommt hier rein, wechselt die Führung aus, und schwupps ist alles anders. OK. Aber wie soll eine neue Führung mal spontan in Deutschland ein Gesellschaftordnung nach Putin durchsetzen? Dazu bräuchte es ja einen ganzen Apparat. Der muss ja irgendwo herkommen.

Genauso wenig, wie man durch beimischen von Demokraten zu einer Autokratie Demokratie erzeugen kann, kann man doch ohne einen kompletten Apparat eine Autokratie von heute auf morgen installieren ohne eine gewisse Zeit hier als Besatzer aufzutreten.
Oder glauben wir wirklich so wenig an uns als Demokraten - wozu ich ja auch durchaus Veranlassung sehe -, dass wir davon ausgehen, dass es schon genug Deutsche gäbe, die sich bereitwillig in einen solchen Apparat integrieren lassen würden?

Nein es hat mir niemand verboten, habe ich nicht gut ausgedrückt. Trotzdem und auch unter der „selbst wenn“ -Einschränkung schwingt hier für mich mit, dass dieser Gedanke zu dämlich sei, um ihn überhaupt zu äußern. Selbst wenn das so wäre, hielte ich es für wünschenswert an dieser Stelle zu sagen: „Das halte ich aus folgenden Gründen für keine gute Idee.“ Aber vielleicht hat da auch mein Sprachverständnis gerade einen Fehler. Nichts für ungut.

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Ok, nehmen wir mal das Szenario. Russland droht mit einem Vernichtungskrieg und die nicht wehrfähige deutsche Regierung unterzeichnet die Kapitulation um weiteren Schaden an der Zivilbevölkerung abzuwenden. Eine neue Regierung unter der nominellen Führung von Afd/BSW wird eingesetzt und beginnt mit der Gleichschaltung des Staatsapparats unter der Aufsicht von FSB und GRU. Die wenigen kritischen Stimmen in Polizei und was vom Militär übrig ist werden in Straflager in Sibirien gebracht oder erschossen, ihre Familien werden sie nie wieder sehen. Rechtsstaatlichkeit hört auf zu existieren, jeder Widerstand wird zu einer Form des Terrorismus ausgerufen. Gewerkschafter und Aktivisten werden immer wieder tot aufgefunden. Der sich dann formende, militante Widerstand endet im Bürgerkrieg.

Und wenn wir dann versuchen aus Metallresten einen Mörser zusammenzuschweißen wird es einige Stimmen geben, die sagen, dass es doch einfacher gewesen wäre, die Dinger einfach bei Rheinmetall zu kaufen und eine echte Armee für Deutschland und unsere Verbündeten aufzustellen.

Das ist genau der Punkt. Genug Kollaborateure findet man immer und wer reich genug ist und sich damit begnügt die Klappe zu halten würde in so einer Situation auch erstmal keine riesigen Nachteile empfinden. Es ist nur eben auch das Ende der Demokratie und der Menschenrechte, die wir in Deutschland durchsetzen können.

Dieser Redebeitrag von Marina Weisband finde ich hier auch relevant.

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Nun, guckt man sich die USA unter Trump an, kann das schnell gehen. :wink:

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OK. Wie viele Beispiele für eine Autokratie gibt es, die es geschafft hat, in einer über 70 Jahre existierenden stabilen Demokratie mit einer ähnlichen Bevölkerungszahl einen Regime-Change zu einer ihnen gewogenen Autokratie zu verwandeln?

Im Grundsatz verstehe ich das alles. Aber die Kernfrage des Themas war ja, ob die Kriegstüchtigkeit Europas alternativlos ist. Ich selbst würde diese Frage sogar mit „Ja“ beantworten. Aber angesichts der möglichen Folgen, halte ich es dennoch für wichtig, dass die Aternativen erstmal beleuchtet werden.

Nur zu Erinnerung: Wir diskutieren hier keine Naturgesetze. Alles was wir hier diskutieren, beruht auf der Entscheidung von Menschen. Wir können uns überlegen, wie wahrscheinlich diese Entscheidungen sind.
Aber selbst die Wahrscheinlichkeit, dass Putin morgen zur Vernunft kommt, ist größer 0.

Wie gut die Demokratisierung von innen durch eine Mehrheit, die Demokratie will mit Russland als Besatzung macht, kann man sich ja sehr schön in den von Russland besetzen Gebieten der Ukraine ansehen. Mehr muss man dazu denke ich nicht sagen

Nein, „mein“ Szenario ist bestimmt nicht, dass so etwas mal eben „spontan“ oder „von heute auf morgen“ passiert. Dass du dich dabei nicht auf Aussagen von mir beziehst, ist mir schon klar, aber ich würde doch sehr darum bitten, die gefühlt schon mindestens 20 Threads zu dieser Thematik zumindest mal ansatzweise zur Kenntnis zu nehmen. Nur eine Kurzzusammenfassung: Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, aber es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die zumindest recht offen ist für autoritäre Formen der Herrschaft und die jetzt nicht gerade ein fundamentales Problem mit Putin haben, um es mal höflich zu formulieren. In mehreren Bundesländers sind das jetzt schon die Hälfte der Wählenden. Es hat wenig mit „Glauben an uns als Demokraten“ zu tun, sich vorstellen zu können, dass auch eine funktionierende Demokratie „kippen“ kann - in den USA können wir das sozusagen gerade live beobachten.

Wie gesagt, die Entwicklungen in anderen Ländern und die Geschichte der Deutschen geben da nur seh wenig Hoffnung.

Nochmal: Wenn du für dich das Recht in Anspruch nimmst, deine Gedanken zu äußern, musst du auch anderen das Recht zugestehen, ihre Gedanken zu äußern - auch wenn sie dir nicht gefallen. Und die Aussage von @Schiessbogen war in keiner Weise despektierlich oder gar eine Infragestellung deiner Intelligenz. Es war eine (moralische) Bewertung deiner Aussage - nicht mehr und nicht weniger.

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Wirklich „alternativlos“ ist sehr wenig auf dieser Welt. Insofern ist die Fragestellung m. E. schon etwas merkwürdig. Und die Beleuchtung der möglichen Alternativen findet ja schon längst statt - auch hier im Forum. Dazu braucht es m. E. keine merkwürdigen Fragen oder steilen Thesen.

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Ehrlich, Carsten, das ist zynisch. Du kannst doch keine rein theoretische, rechnerische Möglichkeit als Grundlage dafür hernehmen, um – auch nur halbernst – dafür zu plädieren, dass es für die Menschheit insgesamt sinnvoller wäre, wir würden uns alle Putin unterwerfen. Umso weniger, als es – wie @Flixbus eben auch betont hat – genügend Verharmlosung in unserer Gesellschaft gibt.

Setz dich mal damit auseinander, wie Minoritäten in Russland, der Sowjetunion und im ehemaligen Ostblock behandelt wurden, oder in Diktaturen deiner Wahl. Setz dich mal damit auseinander, was es mit der Lebensqualität angestellt hat, in einer Diktatur zu leben, in der man einander misstrauen musste, in der Menschen einem solchen Druck ausgesetzt wurden, dass sie ihre Familienmmitglieder und Freunde, ja sogar Partner*innen angezeigt haben. Und versetz dich mal in die Lage, wie es wohl denen ging, die durch Folter dazu gezwungen worden waren, ihre Liebsten zu verraten. – Es ist ein unendlicher Sumpf, ein unvorstellbares Leid.
Die Verharmlosung ist blanker Hohn für die Leidtragenden. Glaub mir, das ist nicht lustig, nicht harmlos, nicht mal eben ein bisschen Diskutieren, vielleicht versteht ja Putin und seine Entourage, dass Demokratie doch das bessere System ist.

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Wenn ich es richtig verstehe, sprichst Du auch den Umstand an, das die Demokratie als Staatsprinzip aktuell eher unter Druck steht, und aufgrund seiner oft komplizierten und langwierigen Entscheidungswege von vielen als „Auslaufmodell“ betrachtet wird.
Was die Autokratie als vermeintlich einfachere und entscheidungsfreudigere Alternative salonfähig macht.

Verstehe ich das so richtig?